Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Jean Paul

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Eh' ich weitergehe in der Geschichte, will ich eine Digression anpichen, einen Appendix an den Appendix, ein Allonge an den Wechselbrief. Es ist fatal, daß mir jedes Wort, jede Behauptung und Untersuchung – und wär' es die, ob es einen Teufel gibt – seit einigen Jahren unter den Händen zu einer Geschichte wird. Auf der einen Seite kann man allerdings über philosophische Pillen und Magenmorsellen kein besseres Silber als das historische ziehen, wie Bahrdt in Halle Kirchengeschichte las, um seine Dogmatik einzuschwärzen; aber auf der andern seh' ich nicht, was mir die berghauptmannschaftliche Konzession, die ich mir am Schalttage endlich ausgewirkt, nämlich nach Gefallen auszuschweifen und zu scherzen, nur im geringsten helfen soll, wenn ich zu jedem frischen Scherze um eine neue Konzession nachsuchen muß und wenn alles dem Leser in meinen Historien lieber ist als das, womit ich solche störe. Wahrhaftig, mitten im Appendix muß ich hier die Digression wieder durch eine besondre Überschrift, durch ein gare, Vorgesehen, Kopf weg usw. warnend signieren.

Die Bettler sind die wahren Barden jetziger deutscher Nation.

Ich fange nirgends an als beim Erweise. Die alten Barden zogen bekanntlich mit in jeden Krieg – wie in neuern Zeiten oft der halbe parisische General-Stab, wenn er die Gunst der Musen und der Pompadour hatte –, weniger um zuzusehen, was es auf dem Schlachtfelde zu bekämpfen als zu besingen gebe: auf der Davidsharfe trugen sie nachher die ganze Schlacht wieder vor in einem offiziellen poetischen Bericht. – Die Bettler des achtzehnten Jahrhunderts dienen nun als Gemeine und Unteroffiziers in den wichtigsten Treffen, die wir haben: das setzt sie in den Stand, auf dem Schlachtacker alles zu summieren, was noch – außer der Schlacht – verloren wurde, nämlich Köpfe und Beine. Dann erwartet man von ihnen, daß sie, wenn ihnen nichts weiter weggeschossen worden als die Letztern, in den Wirtshäusern an Pflicht denken und einige Gläser Branntewein fodern – der Staat reichte ihnen vorher durch seine Glieder die Gelder dazu – und den Umstehenden erzählen, wie es herging in der Schlacht bei Wetzlar, bei Wien, bei Regensburg, bei Potsdam. – Da der römische Stuhl keine hölzernen Beine weiter hat als dessen seine, der sich auf ihn setzt: so kann ein gegenwärtiger Straßen-Barde auf nicht mehr verholzten Beinen zu stehen verlangen, als den heiligen Vater selber tragen.

Die Skalden – nördlichere Barden – behielten sonst ihre Beine; aber sie hatten es einer schirmenden Gurt von Jünglingen, Skaldaburg genannt, Dank zu wissen, die sie in jeder Schlacht umstellte. Jetzt bestehen die schirmenden Jünglinge (Bettler, Krieger, Barden) aus niemand als aus den beschirmten selber.

Der Ladenmeister der Skalden, der blinde Homer, deklamierte vor den Türen die älteste Ausgabe seiner Gedichte und war selber der Kollekteur seines Honorars bei den Abonnenten, die er anbettelte. Neuere blinde Jungmeister der Skalden singen vor den Fenstern des Publikums an einem waagrechten Stabe – wie auf einem die geblendeten Finken, und die homerischen Rhapsodisten an einem bleirechtenDie Vorsänger der Ilias trugen rote Stäbe – als Sinnbilder des Mords –, die der Odyssee gelbe, als Sinnbild des Exiliums. (S. Flögels Geschichte der kom. Literatur.) Die Bettler bei uns singen alles untereinander, ohne daß einer auf das Rücksicht nähme, was der andre angefangen. Auch laufen manche geschmacklose Gedichte mit unter, weil noch kein Mensch sich die Mühe gegeben, eine Blumenlese oder einen Almanach für Straßenbettler zu machen, die sich überhaupt noch wenig mit der Verbreitung unsrer poetischen Schätze – so wie die Nachtwächter mit der der historischen – befangen. – gute Gelegenheits-Gedichte ab und schieben von außen kleine Kanzel-Lieder in die Kontrovers-Predigten ein, die man innen in den Häusern hält. Das Band, das einen frohen Dichter an die Menschen knüpft und das oft ein ehliches wird, ist der horizontale Stock, den der Blinde und die Frau an entgegengesetzten Polen halten, wiewohl in großen Städten (Paris, London) statt der copula carnalis ein Strick und statt der Frau ein Hund führt, den man einen edlern Nachdrucker nennen kann, weil er den Dichter, wie der unedle die Gedichte, unter die Leute bringt und ihn dem Brote entgegenzieht, das ihm der andre entzieht. Glaubwürdige Hegebereiter und Bettelvögte haben mich versichert, daß Frauen keinen Mann lieber führen als einen blinden und daß sie sich untereinander um den erledigten Posten einer Führerin raufen und zanken. Sie überzeugten mich durch zwei Ursachen, die sie davon angaben: erstlich bettelt einer, der von seinem grauen Stare lebt und der Panist und Apanagist seiner Augen ist, weit mehr vom ebenso blinden Glück und Pluto zusammen als ein andrer, der sehen muß – zweitens hat eine solche Cicerone, da sie dessen Regie und Hebungsbediente ist, Hoffnung, ihm seine Revenüen halb zu stehlen, weil er wie mehrere Blinde nehmen muß, was ihm das Mautamt aufzählt. Um so weniger sollten solchen Barden, die so unermüdet ihren Ruhm und Unterhalt vor den Türen suchen, eben die Berliner Bibliothekare wedelnd nachschleichen, die sich den Namen Bettelvögte, Hegebereiter geben: Vögte, Reiter dieser Art greifen immer, wie so viele der kritischen Menagerie, nicht sowohl den Gesang als aus den Menschen an.

Ich finde in Troils Reisebeschreibung, daß sonst die alten Barden in Irland ganze Strecken Landes geschenkt bekommen haben und daß im 6ten Jahrhundert ein Drittel des irländischen Volks aus Barden bestanden. In den neuern Reiseberichten treffen wir (hoff ' ich) im nämlichen Irland dieselbe Anzahl Straßen-Barden an, desgleichen im Kirchenstaate, in Bayern und in den blühendern Kreisen von Deutschland, worin dichterischer Geist gewiß noch nicht so erloschen ist, daß nicht jeder Gerichts- und Kirchensprengel einige Familien solcher singenden Nomaden sollte aufzuweisen haben. Der Verfasser dieses Appendix bildet sich überhaupt ein, er dürfe hierin seiner bisherigen Methode, das singende Deutschland zu zählen, vertrauen und sie manchen andern, selber von Schmidt und Meusel, vorziehen: er tut nämlich, wenn er durch Staaten reitet, wo der Thron ein Helikon voll peripatetischer Dichter und Barden ist, einen Schwur, jedem Volksdichter nicht mehr zu geben als einen Pfennig, zählt aber vorher sich für einige Taler (pr. Courant) Pfennige richtig ab. Ist er nun durch den Staat geritten, so subtrahiert er den Rest und weiß, wenn z. B. 2 Rtlr. (pr. Cour.) aufgingen für die Bettelvolks-Liste, daß 840 Sänger (oder Sängerinnen) darin hausen. – Es ist nicht die Schuld der Fürsten, wenn es nicht in allen Ländern eine hinlängliche Anzahl solcher Troubadours und Gassen-Skalden gibt: sie tun, was sie können, und muntern auf. Sie räumen und leeren für Skalden zu Wohnsitzen ganze Länder aus – sie ernennen selber fähige Köpfe zu solchen Gassen-Laureaten, wie die englische und die deutsche Krone Stuben-Laureaten kreiert – sie legen Kasernen als Skalden-Seminarien an, aus denen wie aus delphischen Höhlen und bureaux d'esprit mit der Zeit die einzigen Meistersänger hervorgehen, die wir noch sehen, und sogar ihre Kinder werden schon zu den schönen und redenden Künsten angehalten: wie bei den Römern, so wird bei den Deutschen allezeit erst nach der Kriegskunst die Dichtkunst getrieben und geschätzt. Ja, wie Ludwig XIV. sogar ausländische Dichter und Gelehrte salarierte, so lassen die bessern Fürsten die gedachten Barden, wenn sie auch nicht einheimisch sind, zwölf Monate lang im Jahre auf öffentliche Kosten speisen – die Gasse ist das Prytaneum –; hingegen von den alten Barden in Irland erzählt der gedachte Troil, daß sie jährlich nicht mehrere Monate freien Tisch genossen als sechse.

Man muß sich aber als unparteiischer Patriot doch nicht verbergen, daß, ungeachtet aller Vorkehrungen weltlicher Fürsten, die geistlichen und überhaupt die katholischen Staaten mehr Barden teils erwecken, teils erobern als die besten andern. Und die Ursache ist nur gar zu klar. Haben wir Mönche und Priester (wie jene), die durch Kirchen-Opermaschinerie, durch ihre Aktion, durch ihre Gemälde übersinnlicher Welten jede Phantasie in Flug zu bringen wissen und jeden Barden mit Frau und Kind in Gang? – Zweitens kann der Katholizismus – der eben deswegen irdische Glückseligkeit unter die Kennzeichen der wahren Kirche setzt – durchaus nur in feister Garten- und Modererde Wurzel fassen: ein Mönch ist daher ein ebenso gutes Zeichen eines fetten Bodens als ein Regenwurm, und Ökonomen wissen, daß Abteien und Maulwurfshaufen fruchtbares Land ansagen. Die Poesie war aber von jeher die Tochter und Erbin des Überflusses und Luxus, im alten Rom, im neuen Rom. Mithin ist schon die Fruchtbarkeit und der Reichtum der katholischen Länder allein hinreichend, uns die große Volkszahl ihrer Straßen-Barden – die wohl auf eine sehr unschickliche Art den Namen Straßenbettler führen – erträglich zu erklären. Nur ein Land, das reich genug ist, solche Barden hervorzubringen, ist wohlhabend genug, sie zu ernähren; die Fruchtbarkeit eines Tiers in irgendeinem Erdstriche sichert zu, daß es da Kost genug finde, und sogar die Heck- und Wurfzeiten jedes Viehes müssen stets in die Monate seines reichlichern Futters treffen.

Bei den kymbrischen Starosten und andern Honoratioren gehörten die alten Barden so gut zum Hofstaat als jetzt Livreebediente. Der König von Wales hatte seinen Hof-Barden, dem er beim Regierungs-Antritt eine Harfe schenken mußte – die Königin indes einen Ring. Aber noch führen Woiwoden – Hospodars – Reichspröpste – infulierte Äbte und auch simple Landsassen Straßen-Barden, als Suite ihrer Macht, um und neben sich und strecken diesen durchsichtigen Schweif aus ihrem festen Kometenkern aus: denn überhaupt kann ein Gefolge von reichen Lakaien wohl vorzeigen, was der Prinzipal (an sie nämlich) gegeben und verloren hat, aber nur eine Suite von Lazarussen kann vorzeigen, was er (von diesen nämlich) genommen und gewonnen. Und aus dem Letztern allein ist doch erst Überfluß und Macht ersichtlich. Ich wußte daher, was ich sagte, als ich mehr als einmal bei fürstlichen Festins, Feuerwerken und Operndekorationen, wenn ich sie gelobt hatte, gegen Umstehende die Anmerkung machte: »Von dieser Pracht haben wir immer eine zu geringe Idee, sobald wir von den Kosten derselben keine deutlichere bekommen und solche falsch taxieren – wir müßten aber ganz anders und höher vom Aufwand denken, wenn uns in einiger Entfernung vom erleuchteten Triumphbogen alle Haus-Barden, Straßen-Barden, Gläubiger, Insolvente, Seufzende und Weinende in einen Klumpen oder Chorus zusammengetrieben gewiesen würden, die das prächtige Fest gekostet hat.« –

Beim ersten Anblick fällt es Denkern auf – wenigstens erging mirs nicht anders –, daß unter so vielen Gelehrten, die vielleicht sämtlich ihre Rechte und Titel zu Panis- oder Bettelbriefen haben, und deren Verdienste gar wohl zu einer solchen Minuten-Gage befugen, gleichwohl nur die Straßen-Barden, die geistlichen Dichter und Sänger, so glücklich sind, vom Lese- und Hör-Publikum von Tage zu Tage pensioniert und gespeiset zu werden und von ihm Pränumerationsgelder einzutreiben, indes sie doch selber nichts machen, sondern nur die Verse edieren. Das Faktum an sich ist wohl ohne Zweifel: denn ich brauchte die Vorsicht, jeden solchen Konviktoristen des Publikums, wenn ich ihm seine Gabe gereicht, auszufragen nach Namen und Gewerk; ich erinnre mich aber nicht, daß Numismatiker, Orientalisten, Feudalisten, Zivilisten, Fürstenerianer, Pathologen, Doktoranden, Fakultisten darunter standen, nur selten ein sogenannter Bettelstudent. Die Auflösung ist nun die: die Dichtkunst ist (solls wenigstens) für das ganze Publikum, nicht für Teile desselben, und der Straßen-Skalde verdient daher auch die Erkenntlichkeit des gesamten Publikums auf einmal, das ihm die Ehre nicht mit Recht verweigern kann, sein eigner Pfennigmeister zu sein und jede Stadt als seine Legestadt anzusehen. Hingegen andre Gelehrte, z. B. Philosophen, Orientalisten, die nicht dem ganzen Publikum, sondern nur einzelnen Gliedern dienen, welche sich gerade mit demselben Zweige des Wissens befassen, haben an jenes Familienstipendium der poetischen Talente, das ein Homer, Camoens, Dante genoß, keinen gerechten Anspruch zu machen, außer in dem seltnen Falle, wenn die Intension langer, alter, wiederholter, anerkannter Verdienste so groß wäre, daß sie der Extension der dichterischen gleichkäme. Dann mag ihnen verstattet werden, so gut zu betteln – wenn ich diesen rohen Ausdruck brauchen soll – als irgendein großer Poet......

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Endlich erschien der Adjunkt, Graukern betitelt. Er würde mir mehr gefallen haben, hätt' er seine grauen, frechen und schneidenden Augen und seinen rohen zerfransten Lippenwulst zu Hause gelassen. Ich hatte besorgt, meine Kammerherrnknöpfe und der Ordensstern würden ihn blenden und verwirren und aus der Fassung werfen; aber er blieb beinahe auf Kosten der meinigen in seiner und hatte – da sonst Universitätssitten so elend sind wie die Universitätsbiere – ganz andere. Er kann einmal bei einer großen Dame dadurch Anstand gewonnen haben, daß er ihre Kinder – mit Blumenbachs Bildungstriebe – bilden half. Ich hätte das seidne Halstuch darum gegeben, wenn ich kein Seraphinen-Ritter gewesen wäre: er weiß, wen er vor sich hat, sorgt' ich.

Gegen zweideutige, peinliche Spionen kann man keinen bessern Gyges-Ring der Unsichtbarkeit verkehren als den Zirkel der Ironie und Laune, die, mit Wärme vorgetragen und mit Wahrheiten durchschossen, den Deutschen irre machen: man kann auch jede Sache, wie Sokrates, auf allen Seiten anleuchten und scheinbare Widersprüche sagen, die den Denunzianten des Innern in wahre verwickeln.


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