Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Jean Paul

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Der Adjunkt fragte mich bald mit wahrem Interesse über Schweden, über die Landmacht, über Strengnäs, Brömsebro und Sawolax; ich als eingeborner Schwede bestätigte vieles, was Büsching hatte, und beglaubigte so den Geographen nicht wenig. – Ich hing aber an meine Angelschnur Theologie und Ökonomie zugleich, damit der Hecht nicht länger nach meinen Seraphinenköpfen schnappte. Der Raubfisch lief dem Angelhaken voll konsekriertem Köder nach. Er sagte, die Gleichgültigkeit der Fürsten gegen alle Religion sei schuld, daß andern Seelen die ihrige genommen und dafür eine neue wie Blattern eingeimpft würde. Ich wollte anfangs aus Ironie die Partei der Fürsten nehmen und ihre Religiosität erheben; aber mir fiel die Bemerkung von Spittler ein, daß der Ausbreitung des Christentums nichts so zustatten gekommen sei als die damalige Gleichgültigkeit der römischen Kaiser gegen Religion und Staat. Ich sagte dem Adjunkt, seine und die spittlerische Bemerkung wären in seinem Kopfe ein Widerspruch, in meinem nicht. – Er verwarf die Preßfreiheit; ich stimmte bei und sagte: »Ein guter Staat stellt das Denken und Betteln ab, aber nicht auf einmal. Villaume sagt, er gewöhne Zöglingen, die falsch in der Karte spielen, vorher das falsche Spielen ab, und erst dann räum' er ihnen das Spielen überhaupt aus der Seele. So reutet ein Staat, der die Seelen zu bevogten hat, anfangs nur das irrige unkirchliche Denken aus, eh' er alles Denken überhaupt wegschafft. Daher kann er vor der Hand den Feinden der Religion keine andre Anfälle darauf verwehren als die unbescheidensten oder spöttischsten.« Ich wurde ganz irre, als der Adjunkt versetzte: »Nein! entweder keine oder alle Anfälle, selber die unbescheidensten, müssen verstattet werden. Denn die Religionsspötter können sagen, es müßten also unbescheidne und spöttische Anfälle auf sie ebensogut den Orthodoxen durch die Zensur verboten sein, sonst wäre man parteiisch.« – »Sie meinen,« (sagt' ich) »ein Spötter könne sagen, die Unbescheidenheit der Prüfung gebe nur den Vorwand des Verbots der letztern selber her, so wie ein guter Freund, den der andre gutmütig tadelt, die Erbosung über die Rüge mit dem Tone der Rüge entschuldigt; haben Sie anders gemeint, Herr Adjunkt?« –

Ich und Graukern wurden inzwischen durch wechselseitiges Aufpassen einander immer widerlicher: ich kann gar nicht sagen, wie fatal, grell und steinig mir, wenn gerade Eva ihr schönes, stilles Gesicht ohne alle Linien als die lächelnde um die Tafel trug, das adjungierte erschien. Mit jungfräulicher Unbefangenheit macht ein männliches Fiskalatsgesicht einen verdammten Abstich. Ich erzürnte mich und legte den Kopf an die Stuhllehne und sagte zur Stubendecke: »Ich und Sie, Herr Graukern, sind ein Paar Köpfe voll Licht und passen darum – schlecht zusammen: in der großen Welt ists mit den Menschen wie mit den Schiffen, die zu nachts darum Lichter (die Seeleuchten) haben, um auseinander zu bleiben und nicht aneinander zu scheitern. – Ich wollt', es wäre mit den Köpfen wie mit den Wägen, worunter allemal die leeren den vollen ausweichen.«

Ach! der arme Torsaker weiß die Wallungen seines satirischen Venensystems selten zu besänftigen – er müßte denn, statt zu sprechen, nur schreiben, wo er sich (glaubt er) bisher so bezwungen, daß er in der Tat die Kunstrichter auffodert, ihm einen einzigen satirischen Einfall in allen seinen Werken nachzuweisen.

Der Stadtrichter trank und fragte nach nichts; ich, jede Minute in Sorge, Graukern entsinne sich, in Scheerau einen Advokaten von meiner Gestalt gesehen zu haben, durfte meinem Stande nach wenig oder keinen Hunger haben und merkte auch an, die Großen sollten in der vierten Bitte nicht um tägliches Brot, sondern um täglichen Heißhunger anhalten und um einen neuen Magen und Adam miteinander. Graukern trank wenig; ich pries das Gegenteil, brachte bei, daß der Kaiser Wenzel zwar der Stadt Nürnber für 4 Fuder Bacharacher Wein die Freiheit geschenkt, daß es aber zehnmal gescheuter gewesen wäre, wenn die Stadt die 4 Fuder selber ausgetrunken hätte, weil der Wein den Menschen ein paar Freiheiten auf einmal gibt, Preßfreiheit, Maskenfreiheit, akademische und poetische Freiheiten. Es schlug nichts an: Graukern dachte, wie es in den Gerichtsstuben sonst eine Durst-Folter gab, um dem Durstigen Bekenntnisse abzuzwingen, so geh' es in dieser eine Trink-Folter, die noch mehrere ablockt.

Ja er marschierte gar fort, sagte aber, er komme wieder und hole bloß die Hamburger Zeitung her, die nunmehr die Kirmesleute in der Pfarre müßten abgegeben haben. Mir war, als würd' ich vom Schrecken in ein Kühlfaß geworfen: denn dunkel entsann ich mich, in der Hamburger Zeitung mehr einen Steck- als Belobungsbrief vom Herrn Seraphinen-Ritter v. Torsaker gelesen zu haben. »Ein gescheutes Männchen!« sagte der Stadtrichter. – »Dümmer oder klüger«, sagt' ich, »sollt' es sein. Der Adjunkt gehört unter die Geistlichen, die sich früher rechtgläubig anstellten und logen, um ordiniert zu werden, die täglich predigen, daß Christus für die Wahrheit starb, indes sie für die Lüge leben, die aber am Ende intolerant gegen die werden, die ihnen im Glauben, aber nicht im Sprechen ähnlichen. Ich setze meinen Stern zum Pfande, so wie einige Philosophen von ihrem Gott behaupten, die Schöpfung der Welt habe nicht die kleinste Änderung in seinem Wesen gemacht, daß ebenso der Adjunktus die wärmste Predigt erschaffen kann, ohne die geringste Änderung in sich zu erleiden. Unter allen Menschen wird es keinem so erschwert, sich für schlimm zu halten, wenn ers ist, als dem Geistlichen: seine heiligen Reden sieht er für heilige Werke an, seine Bußpredigten für Buße, seinen Priesterornat für den neuen Menschen, den er angezogen. Graukern nimmt sich noch dazu für einen göttlichen Gesandten und Botschafter: als Envoyé hat er folglich, wie andre Ambassadeurs, seine eigne Gerichtsbarkeit, Freistätte und seinen eignen Gottesdienst, nicht aber die und den des Volks, an das er abgelassen ist.«

Und doch ist Graukern noch leidlich daran; aber wenn ich über die armen Seelen-Heloten in der Schweiz (s. Spittlers Kirchengeschichte) nachdenke, die nach der formula consensus helvetici darauf verpflichtet werden, daß die Vokalpunkte der hebräischen Bibel vom heiligen Geiste eingegeben worden: so bejammer' ich den redlichen Mann, in dessen wundem Herzen sich täglich die schneidende Wahl zwischen der Lüge und der Hungersnot erneuert. O ihr grausamen hebräischen Atomisten! ist denn das unaussprechliche Glück, oder doch eine Vorstellung davon, wenn man zwar die Vergangenheit, aber doch nicht die Zukunft zu bereuen hat, so wenig in eure harte rohe Brust gedrungen, daß ihr fähig seid, diesen warmen vollen Himmel, nämlich den Vorsatz einer künftig-reinen Tugend, einem redlichen Geistlichen wegzureißen und ihn durch Hungersnot zu zwingen, daß er, nach tausend der Tugend und Wahrheit herzlich gern gebrachten Opfern, doch jeden Morgen seufzen muß: ach! beide verrat' ich, solang' ich die Göttlichkeit der Vokalen bezweifle und doch beschwöre und verbreite? O wie viele harte Kämpfe im Todesschweiße, wie viele bittre Tränen der frömmsten Herzen liegen auf eurer Seele, ihr, die ihr das reine Gewissen selber in das Marterinstrument einer schwachen Brust verkehrt und die ihr der Reue befehlt, nicht bloß die Erinnerungen bitter zu machen, sondern auch die Entschlüsse! – Ists denn überhaupt nicht schon genug, wenn ein Mann sich anheischig macht, die hebräischen Konsonanten, und also zwei matres lectionis, die wenig von echten Vokalen verschieden sind, für göttlich zu erklären? Behilft sich nicht die ganze orthodoxe Judenschaft mit Bibeln ohne punktierte Arbeit? – – Ich bekenn' es, in einem solchen Falle bemerkt man den Abstich fast mit Vergnügen, den hier gegen die Kantons und ihre formula consensus helvetici unsre deutschen Kreise, der obersächsische, der fränkische usw., machen, die alle eine Konkordien-Formel beschwören, worin auf die inspirierten Vokalpunkte – diese Blasen brennenden Sied- und Vokalpunkte des Gewissens – gar nicht sehr geachtet wird......

Ich sagte zu Weyermann: »Der meergrau-äugige Graukern hat sich abgeschlichen und kömmt gewiß nicht wieder« – als er wiederkam mit einem Tabaksbrief voll Zeitungen. Er teilte sie aus und nötigte mir die erste Nummer der Chronologie wegen auf. Ich schielte gegen die Avertissements, und mein Blick fuhr in eines – der Teufel muß gerade seinen Geburtstag gefeiert haben –, das einen gewissen Avanturier, der den Namen Torsaker und die Seraphinenkette diebisch führe, kanonisierte und baronisierte.

Um mich zu fassen, las ich langsam die ersten Zeitungsartikel – um froher zu Werke zu gehen und um den Adjunktus zu verwirren, erdichtete ich scherzhafte Avisen. Z. B. ich las daraus folgendes:

»Sachen, so gesucht werden.

Ein junger Mensch, der parlieren, gerben, ausbälgen, unterschreiben und befehlen kann, der schon bei vielen vornehmen und niedrigen Damen in Diensten gestanden, der gut tanzt, fährt, außerdem Geschmack hat in schönen Künsten und der ganz gesund ist (sitzen kann er übel), dieser Mensch, wovon das Zeitungskomptoir mehrere Nachricht gibt, sucht einen – Thron.«

Graukern spitzte sich auf mein Erstarren vor dem Avertissement. Ich schob seine Teufels-Schäferstunde immer hinaus; und machte mir eine Buchhändler-Anzeige zunutze, um mich zu wundern, daß die Bücher nicht, anstatt von ihren Verfassern, die immer parteiisch im Loben sind, und anstatt von ihren Rezensenten, die es im Tadeln sind, nicht lieber von ihren Verlegern, die gleichsam zwischen beiden das Mittel halten, angepriesen werden.

Ich fass' es heute noch nicht, wie ein leichter Vorschlag, den damals kein Verleger hörte und auffing, wenige Jahre darauf mit allgemeinem Beifall realisiert wurde. Jetzt sind, hoff ' ich, die Buchhändler-Anzeigen ebenso häufig als sonst selten, worin der Verleger seine Autoren, die er aus Feinheit nicht ins Gesicht lobt, doch hinter dem Rücken vor dem Publikum erhebt, wenn nicht aus historischem, doch aus seligmachendem Glauben. Die Liebe, die Buchhändler für Kinder – obwohl nur literarische – beweisen, ist, wie die Liebe gegen andere Kinder, das Zeichen eines guten Charakters; ja ist ein solches schon eine Lese-Leiche, so ist es schön, daß sie dem Gebote Solons folgen und von Toten öffentlich nichts als Gutes sagen. Oft legen sie – nach der französischen Regel, die das Zuschreiben mangelnder Tugenden für den feinsten Tadel hält – mit schöner Ironie dem Buche öffentlich gerade die Vorzüge bei, die ihm, wie sie glauben, fehlen. Ja, mancher ist imstande, das Buch eines Autors, der sich mit ihm als Mensch überworfen, recht zu erheben und nicht am unschuldigen Kinde die Sünden des Vaters zu strafen – so sehr sondert er, ungleich dem Kritikus, den Menschen vom Autor und will lieber das Buch seines Feindes, das er im Verlage hat, zu sehr und wider seine Überzeugung – er kann sich nicht trauen – loben als wenig. Noch aber gebricht uns eine neueste allgemeine deutsche Bibliothek, von einem Buchhändler verlegt und von allen verfasset.....

Als ich dem Diplome des Seraphinen-Ritters in der Zeitung begegnete: rief ich ein langes französisches ahhhh! und reichte das Blatt Graukern: »Lesen Sie vor«, sagt' ich.

»Es wird zu jedermanns Warnung bekannt gemacht, daß ein gewisser Landläufer, der sich für einen Herrn v. Torsaker und für einen Ritter des Seraphinen-Ordens und für einen schwedischen Kammerherrn fälschlich ausgibt, und der leicht an seiner kurzen StaturIch habe eine ungemeine Länge. –, schwarzen HaarIch habe gelbes Haar. –, roten GesichtsfarbeIch habe ein gelbes Gesicht. –, dicken fetten LeibeMit dem Fette Schreibers dieses ist keine öffentliche Stadtlampe nur eine Nacht brennend zu erhalten, obwohl solche Lampen schon um 1 Uhr auslöschen sollen, nach der Laternen-Ordnung. zu erkennen, ein ausgemachter Betrüger ist, der schon etc. etc.«

Weyermann war halb tot und ganz stumm. »Glauben Sie mir, Herr Adjunkt,« (sagt' ich) »ich hatte gute Ursachen, den Falsarius, der sich meines Namens, Wappens, Sternes und Schlüssels anmaßte, ohne Schonung in die Hamburger Zeitung setzen zu lassen. Sagen Sie selber, Herr Gerichtshalter: ging er nicht drei Wochen in Scheerau herum und gab sich so lange für mich aus, bis ich selber auftrat? Es ist freilich frappant. Ich fürchte nur, er hat an noch größern Höfen meinen Namen ungemein kompromittiert und meinen Taufschein zu seinem Entree-Billet verbraucht.«

Der Adjunkt erschrak – verstummte – glaubte – und versank vor Torsakern. – – Sonderbar! seit meinem Siege liebt' ich ihn mehr und meine humoristische Rolle viel weniger. Beschämt – darüber, daß die Scherzlüge sogar ein schmales Feigenblatt ist, das selber ein zweites bedarf, wiewohl sie doch besser ist als die Notlüge, weil es keine andre Lügen gibt als Lügen in der Not und keine Laster als Notlaster – beschämt über alles, entsprang ich ins Freie. Mich ekelte der teure optische Betrug. Ich suchte das Standquartier des Einhändigen auf: er war verschwunden wie seine Hand. Jetzt wurde auf einmal ein langer Schleier aus Trauerflor über meinen innern Menschen geworfen, als ich von der lachenden Bühne in die weite trat, über die sich die blaue Himmels-Halbkugel, mit Lerchen und Schmetterlingen statt der Sterne gefüllt, herüberbauete und auf der grünende Berge, blühende Felder und reife Auen als große Säemaschinen standen, die dem Menschen Saaten und Ernten in die Hände warfen. Hinter meinem Rücken bezeichneten kleine Töne die engen Zauberkreise der Lust, die eine frohe Jugend um die Achse des Maienbaums beschrieb. Eine solche Nachbarschaft hinter der vorigen Stunde nimmt dem Menschen die komische Larve ab und hängt ihm den ernsten Nonnenschleier über.


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