Maria Janitschek
Der rote Teufel
Maria Janitschek

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207 Im Juli verbreitete sich die Kunde in der Welt, daß Papst Urban gestorben sei.

Es war ihm nicht vergönnt gewesen, den Erfolg seines großen Werkes zu sehen, die strahlenden Siege mitzuerleben, die unten in Syrien erkämpft wurden.

Als die Nachricht vom Ableben des Papstes auch dem König von England gemeldet wurde, rief er unwirsch: »Ob der Alte gestorben ist oder nicht, ist mir einerlei, der neue hingegen, was für ein Mann ist der?«

Der Gesandte meinte, Paschalis hätte Ähnlichkeit mit Anselmus, dem Erzbischof von Canterbury.

Darauf verzog Rufus das Gesicht und sagte:

»Dann taugt er nichts.«

Kurze Zeit darauf hielt Rufus einen Hoftag zu Westminster in der großen Halle, die er erbaut hatte.

Die meisten Freunde, die nicht dienstlich zum Erscheinen genötigt waren, blieben fern. Befremdet bemerkte er dies. Daß auch seine kleinen Abende, zu denen er nur die Vertrautesten einlud, wenig besucht wurden, ging ihm nahe. Selbst der gute Wasserspeier blieb unsichtbar.

Mortimer hatte Troarn damals heimgebracht. Er hatte seine ganze Beredsamkeit aufbieten müssen, um den Grafen vor einem dummen Streich zu bewahren. Troarn wollte sich mit Rufus schlagen, von ihm Genugtuung verlangen usw. usw.

Eins törichter als das andere, hatte Mortimer ruhig versetzt. Rufus würde ihn zwar niederstechen, nie aber 208 sich mit ihm schlagen. Und was die Genugtuung beträfe, so möge er noch eine kleine Zeit warten, sie würde ihm wie den andern zuteil werden. »Wohl haben wir ihm den Lehnseid geleistet,« fügte Mortimer verschlossen hinzu, »und müssen zu ihm stehen, aber wenn auch wir nicht handeln dürfen, anderer darf sich die Vergeltung bedienen, und sie wird es in kurzem tun, seid versichert.«

Albereta hatte ihren Gemahl voll Würde empfangen. Er war mit funkelnden Augen auf sie zugestürzt, um sie an seine Brust zu reißen. Gelassen hatte sie sich aus seiner Umarmung befreit.

»Ich bitte Euch, vergeßt alles. Es war ein schlechter Scherz von ihm, die Damen seiner Freunde zu sich zu entbieten, ich erwiderte Scherz mit Scherz.«

»Hat er auch einen Brief geschrieben?«

Und was für einen, dachte mit schneidendem Weh die Gräfin, als ob ich die Einzige wäre, nach der er brännte und die er empfangen wolle.

»Ja, er hat mir einen Brief geschrieben, doch kann ich ihn Euch nicht zeigen, denn ich habe ihn zerrissen.«

»Und Ihr wußtet nicht, daß er auch andern so schrieb?«

Nein, das hatte sie nicht gewußt. Ihr Herz zitterte vor Leid.

»Es war ein dummer Scherz, auch Könige machen dumme Scherze.«

Stellt sie sich so, oder weiß sie nicht klar, was dieser »dumme Scherz« zu bedeuten hatte, dachte Troarn. Er 209 fühlte, daß zu allem andern Kummer diese neue Demütigung ihn schwer danieder warf.

Am nächsten Tag kam Aquis. Natürlich dachte Troarn, die Zähne zusammenbeißend, er kommt ihr für ihre Treue zu danken.

Es war ein anderer Grund, der ihn herführte. Er kam ihr die Hand zu küssen für ihren guten Witz.

»Es war seine letzte Bosheit, tröstet Euch, Gräfin.«

»Was heißt das?« fuhr Albereta auf.

»Daß das Maß voll geworden ist. Oder war Euch auch dies letzte Erlebnis noch zu wenig? Wißt Ihr nicht, daß etliche Stunden von hier eine junge Frau vor dem Leichnam ihres Mannes kniet, die in einigen Wochen Mutter werden soll? Glaubt Ihr nicht, daß allein die Verwünschung dieser Frau hinreichen dürfte, sein Schicksal zu besiegeln?«

»Aquis, denkt Ihr nicht mehr an die fünfzig als an die eine? Euere Partei wird ihn morden.«

»Meine Partei ist heute eine ganze Nation geworden.«

Sie hat geweint, dachte einige Stunden später Troarn.

Weshalb hat sie geweint? – Ist er eifersüchtig geworden?

* * *

In London.

Albereta hat ihren Gemahl gedrängt, endlich sein Versprechen zu erfüllen und sie hierher zu führen. Vor 210 allem will sie die vor kurzem fertig gebaute königliche Burg wenigstens von außen sehen, deren Mauern als unzerstörbar gelten. Man erzählt, Rufus hätte Tierblut in den Kalk mischen lassen, um ihnen diese Stärke zu geben. Als die Gräfin auch noch die neue Brücke über die Themse und einige andere merkwürdige Gebäude kennen gelernt hat, will Troarn wieder heim. Um keinen Preis möchte er zu Hofe gezogen werden – Wilhelm weilt noch hier – es gäbe ein schweres Unglück.

Indes sie durch eine Straße reiten, begegnet ihnen – Tyrell. Sie haben einander lange nicht gesehen, die drei. Tyrell grüßt und hält sein Roß an. Ist es – Giffius Werk, daß er so elend aussieht, oder trägt anderes die Schuld daran? Seine Augen brennen im Schädel.

»Woher Troarn?«

»Woher Ihr?«

»Ich komme aus der Burg.«

»Wie, Ihr seid mit dem König versöhnt?«

Albereta weicht erstaunt zurück.

»In Gnaden aufgenommen worden, als ich mich zur Audienz melden ließ.«

Albereta sieht ihn unsicher an. »Bleibt Ihr jetzt hier?«

»Bis Mittwoch. Donnerstag gibts ein großes Jagen bei uns in New-Forest.«

»Was habt Ihr, Albereta?« Troarn blickt sie erschrocken an.

»O nichts.« Sie ist zu Tod erblaßt. »Es überfiel mich 211 plötzlich ein Schwindel. Tyrell, werdet Ihr mit auf der Jagd sein?«

»Selbstverständlich, Gräfin.«

»Habt Ihr – Aquis gesprochen?«

»Vor kurzem.«

Sie verhüllte sich das Gesicht und blieb einige Augenblicke stumm.

Man wechselte mehrere höfliche Worte und verabschiedete sich von einander.

Etliche Stunden später schlugen Troarns den Heimweg an.

* * *

Ein großes Essen war am Vorabend des Jagdtages in Winchester angesagt. Rufus wollte sehen, wer alles unter seinen Freunden sich der gegnerischen Partei angeschlossen hatte, wer ihm abtrünnig geworden war. Seltsamer Weise waren heute alle gekommen, selbst die, die in letzter Zeit sich zurückgezogen hatten. Auch Bellesme und Breteuil waren anwesend und taten so, als wäre zwischen ihnen und dem König nicht das geringste vorgefallen. Nur Troarn fehlte. Rufus vermißte das treue Gesicht seines ergebensten Anhängers. Es ärgerte ihn nachträglich, daß er seiner Laune hatte die Zügel schießen lassen und die Gräfin, die er über alle andern Frauen stellte, mit in sein Experiment hineingezogen hatte. Die Frauen hätte er unbelästigt gehen lassen, denn es lag ihm wenig an ihren Gunstbezeigungen, nur die Männer 212 hatte er demütigen und ärgern wollen, sich rächen wollen für ihre Kühnheit, ihm Ermahnungen zu geben.

Albereta hätte er nicht verwunden dürfen. Aber, hat sie sich nicht gerächt? Die scharfen Zähne ihres Hündleins waren in sein Fleisch eingedrungen.

Heute bemühte er sich durch Liebenswürdigkeit seinen Gästen alles Trübe der letzten Zeit vergessen zu machen. Für jeden hatte er ein freundliches Wort, einen hellen Blick. Aber seltsam, wie ein eisiger Bann lag's auf den Leuten. Einträchtig saßen sie da, als hätten sie einander besucht, nicht ihn.

Und aus jedem Gesicht sprach Ernst, Zurückhaltung, etwas, über das er sich nicht klar werden konnte.

Trugen diese Menschen, die selbst voll Laster und Ungerechtigkeit waren, ihm etwa die Ereignisse der letzten Zeit nach?

Nun, der Wein würde ihre langweilige Feierlichkeit schon lösen, die sich ausnahm wie jene der vierzig Senatoren, die einst unbeweglich auf ihren Thronsesseln sitzend den Tod erwarteten. Aber – sie verschmähten heute den Wein und keiner ließ sich zum zweiten Mal den Becher füllen. Die Musik ließ ihre heitern Weisen ertönen, köstliche Speisen wurden aufgetragen, doch die Mienen der Gäste blieben ernst und schwer. Prinz Henrys blondes Lockenhaupt war das einzige an der Tafel, von dem etwas Licht ausging. Er sollte eine sehr gute Prophezeiung von jemand erhalten haben, verbreitete sich aber nicht darüber.

213 Das Gespräch der königlichen Tafelgenossen drehte sich um das Ereignis der Zeit, den Krieg im heiligen Land, von dem die meisten Teilnehmer schon zurückgekehrt waren. (Herzog Robert noch nicht, der vergnügte sich noch unterwegs.) Rufus bemühte sich, die gewöhnliche Tonart dieser Abende anzuschlagen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Sein Nachbar war Haimon, der ihn immerzu heimlich ansah und zerstreute Antworten gab, wurde er von ihm angesprochen. Indessen ein neuer schwerer Wein vergeblich der Tafelrunde angeboten wurde, näherte sich einer der Diener Rufus und sagte ihm einige leise Worte.

»Der? Was will der zu dieser Stunde?« Des Königs Brauen furchten sich.

»Nur drei Worte mit Euch sprechen, Sir, doch allein.«

»Ist er toll?« fuhr Rufus auf, »soll ich etwa aufstehen, um dem Herrn Pater Rede zu stehen?«

Der Diener stand mit gesenkten Augen vor Rufus und rührte sich nicht. Er wußte nicht, was er tun sollte.

Rufus wandte sich um und aß weiter.

Nun schritt der Diener hinaus, kehrte aber bald zurück. Er war bleich, denn er wußte, daß es ein Wagestück war, den König abermals zu stören, ein Wagestück, das ihn den Kopf kosten konnte. Doch er versuchte es.

»Sir, vergebt, der Herr Abt steht noch draußen. Es handelte sich um eine Botschaft von allergrößter Wichtigkeit.«

Der König fuhr wütend herum.

214 »Hereinkommen.«

Niemand an der Tafel hatte den Vorgang bemerkt, die Musik spielte weiter und das leise Geräusch der Löffel erklang. Da näherte sich langsam von der Tür her die hohe, schmale Gestalt eines Mönches, blieb bescheiden einige Schritte hinter dem Sitz des Königs stehen und wartete. Rufus nahm es wohl wahr, daß der Abt von Dunstaple hinter ihm stand, doch es machte ihm Freude, ihn so in der Reihe der Diener stehen zu lassen.

Endlich wandte er den Kopf über die Schulter zurück und sagte mürrisch:

»Was wollt Ihr von mir? Jetzt ist nicht die Zeit, Botschaften zu bringen.«

»Verzeiht, Sir,« der Geistliche bediente sich der lateinischen Sprache, um von den Dienern nicht verstanden zu werden, »es ist eine Sache, die außer Euch niemand hören soll.«

»Dann zum Teufel,« Rufus sprang unwirsch auf und ging nach einer Fensternische, »was wollt Ihr also?«

Der Priester war ihm gefolgt und erhob jetzt das Haupt zu ihm.

»Sir, geht morgen nicht auf die Jagd, wenn Euch Euer Leben lieb ist.«

»Was, nicht auf die Jagd? Weshalb nicht? Unsinn!«

»Sir, ich darf kein weiteres Wort verlieren, ich warne Euch nur, beim Leibe Christi, geht nicht auf die Jagd.«

»Verrückte Zumutung! Geht nicht auf die Jagd! 215 Geht nicht auf die Jagd! Was fällt Euch ein, mir Vorschriften machen zu wollen?«

»Es ist keine Vorschrift, Sir, es ist eine Bitte, die ich um Eueres eignen Heiles willen an Euch richte.«

»Hat etwa Euer Kellermeister schwer geträumt und macht mich nun verantwortlich dafür?«

»Auch das ist geschehen, Sir, einer unserer Brüder hat Entsetzliches, das Euch angeht, geträumt, doch deshalb warne ich Euch nicht. Der Grund weshalb ich es tue, liegt in der Wirklichkeit. Mehr kann ich nicht sagen.«

»Haltet Ihr mich für ein altes Weib, das Warnungen von eueresgleichen Wichtigkeit beimißt?«

»Sir,« der Mönch senkte die Augen, »Ihr seid ein mächtiger König. Das Wohl von Tausenden ist Euch anheimgegeben, doch glaubt mir, der geringste Diener Gottes, der sich vom Kraut seines Gärtleins nährt, steht höher als Ihr. Euere Stimme mag noch so laut rufen, ihr folgt der Herr nicht, doch das leise geflüsterte Wort des ärmlichsten Geistlichen am Altar zieht ihn von seinen Himmeln herab.«

Rufus' Rechte fuhr an den Gürtel.

Der Abt lächelte. »Laßt das! Ich bin bereit dem Tod zu folgen, wenn er ruft. Mich schreckt er nicht. Meine Pflicht habe ich getan. Noch einmal wiederhole ich mein Wort: Geht nicht zur Jagd morgen.«

Er verneigte sich und schritt langsam hinaus.

Man hatte zwar hingesehen, aber nicht gehört, was die beiden sprachen.

216 Rufus kehrte zur Tafel zurück, leerte mehrere Becher Weins und mischte sich ins Gespräch, ohne des Auftritts zu erwähnen.

Innerlich fühlte er wohl ein leises Unbehagen, besonders seltsam berührte ihn die gezwungene Art seiner Tischgenossen, doch ging seine Verstimmung nicht so weit, um die getroffenen Vorbereitungen zu ändern. Die Herren verabschiedeten sich, wie sie gekommen waren, ernst, zurückhaltend, etwas in ihren Gesichtern, das Rufus nicht gefiel.

Donnerstag.

Das Frühstück ist beendet. Draußen kläffen die Hunde ungeduldig, die Pferde scharren, ein Troß Diener und Treiber drängt sich vorm Schloß.

Schmetternde Horntöne, die Herrschaften kommen herab. Ein buntes Getriebe beginnt. Mit Hilfe der Diener schwingen sie sich in die Sättel. Scherze, Fragen, Befehle schwirren durcheinander. Und nun geht's fort auf den lustig dahintänzelnden Pferden nach den Dämmerhallen von New-Forest.

Es hat sich so gefügt, daß Rufus neben seinem Bruder hinreitet, der ebenfalls teil an der Jagd nimmt. Henry steckt mit seiner Munterkeit den Ältern an. Er erzählt ihm allerlei tolle Streiche, die er in letzter Stunde verübte. Rufus macht lose Witze darüber, dann sprengen mehrere Herren heran und trennen die königlichen Brüder. Aquis und Tyrell ist es gelungen, an die Seite des Königs zu kommen. Sie verwickeln ihn in ein Gespräch über 217 Jagden in der Normandie, er streift allerlei merkwürdige Bräuche dort. Bald ist der Forst erreicht. Die Jagd beginnt. Der finstere Wald hat das Häuflein Menschen verschluckt. Das Hörnergeschmetter verstummt, die Huftritte verhallen, die lauten, lustigen Stimmen verklingen.

Ein Rudel aufgescheuchter Rehe saust durch die Schatten hin, verscheuchte Raben flattern zwischen den Bäumen auf. Schwaches Hundegekläff. Kein Zweiglein regt sich. Plötzlich bemerkt Rufus, daß er allein ist. Im Eifer der Jagd hat er sich von den Übrigen getrennt. Verwundert blickt er um sich. Große schweigende Ruhe umgibt ihn. Zu dem lärmenden Menschentroß, der ihn noch vor kurzem umdrängt, den schmetternden Hörnern, bildet diese Ruhe einen seltsamen Gegensatz. Finstere Buchen stehen reglos umher. Endlose Schatten hinter ihm, vor ihm, neben ihm. Das Leben mit seiner Helle scheint weit ab zu liegen. Bestürzt reitet er ein Stück weiter.

Was, zum Teufel, kommt ihn an?

Der mutigste Ritter seines Volkes verläßt den Sattel und lacht mit gezwungener Heiterkeit.

»Mir scheint gar, ich – ängstige mich . . .« Das Pferd spitzt die Ohren und sieht nach links. Rufus will hinüber blicken, doch unterläßt er's aus einem unklaren Grunde, greift an das goldene Horn, das er umgehängt trägt, und stößt kräftig hinein. In einer Minute werden 218 sie herbeigestürmt kommen, alle seine Jagdgefährten,. die sicher schon hinter ihm her sind.

Es regt sich nichts, oder doch?

Das Roß sieht wie versteinert nach der gleichen Richtung. Dort erhebt sich eine hohe Frauengestalt. Weiße Haarsträhne fließen ihr vom Haupt herab. Ihre Augen sind weit geöffnet, starr, voll entsetzlichen Ausdrucks . . . .

Rufus wirft das zögernde Haupt herum und erblickt sie.

Nun weiß er, daß seine letzte Stunde gekommen ist.

Er reckt sich trotzig auf.

»Kann ich dafür, daß mein Vater deinen Buhlen erschlagen hat?« . . . . .

Da hebt sie den Arm auf, als gäbe sie Unsichtbaren ein Zeichen.

Ein Pfeil zischt gegen Rufus und zerreißt seine Brust. Blut sprudelt hervor. Die Faust auf die Wunde pressend, will er fliehen. Sein Roß ist fort. An der Stelle, wo es stand, steht wie aus Erz gehämmert: Tyrell. Rufus taumelt einige Schritte zur Seite und erblickt – Aquis, dem die Weiße einen neuen Pfeil hinreicht. Nebel steigen vor Rufus auf, rote glühende Glocken beginnen mit furchtbarem Hall zu läuten, brennende Scheine lecken nach ihm, er stürzt zur Erde.

»Edyth Schwanenhals, . . . dein Harald . . . ist gerächt . . . . .«

Noch ein krampfhaftes Zucken, dann streckt sich der Körper lang.

Das Herz hat aufgehört zu schlagen.

* * *

219 Stunden hat es gedauert, bis sie ihn fanden. Haimon, überwältigt beim Anblick des Toten, wollte sich neben ihn auf die Erde werfen. Mortimer deutete kalt auf die große Blutlache.

»Ihr macht Euch schmutzig, Graf.«

Meulant, Flambard und Warelwast sprangen in die Sättel und rasten davon, Prinz Henry zu suchen. Meulant sah ihn zuerst und schrie ihm die Nachricht zu. Henry erwiderte kein Wort, sondern preßte seinem Roß die Sporen in die Weichen, daß es mit ihm dahinstob. Er hatte nicht nach wie und wo gefragt. Er sauste mit keuchender Lunge Winchester zu, der Hut flog ihm vom Kopf, die Haare peitschten seine Stirn, Blut floß aus den Weichen seines Tieres, er spürte den Boden nicht mehr, er fühlte, daß er nach einigen Augenblicken mit samt seinem Roß tot zusammen brechen würde – da war Winchester erreicht . . .

Mit brennenden Augen will er vom Wächter die Schlüssel der königlichen Burg heischen, ein anderer stürmt heran, fahl, schweißtriefend: Wilhelm von Breteuil.

»Ihr kommt zu spät, Prinz, ich war eher da, für den Ältern heisch' ich die Schlüssel. Heil König Robert!!«

»Heil Heinrich! Heil König Heinrich! . . .«

Die Henry nachgejagten Großen sind angekommen, haben dem Wächter die Schlüssel entrissen, überreichen sie kniend dem neuen König und huldigen ihm.

Breteuil schleicht davon.

220 »Herzog Robert, dein Alter gab dir das Anrecht auf Englands Thron, doch dein Leichtsinn hat ihn verscherzt.«

* * *

Adgife begoß die Blumen auf ihrem Söller, als sie ein Roß anjagen sah. Allain von Clare sprang aus dem Sattel. Bevor sie noch ihre Gedanken zusammengefaßt hatte, stand er vor ihr und ergriff ihre Hände.

»König Wilhelm ist tot, Eueres Gemahls Pfeil soll ihn getroffen haben, flieht mit mir.«

Sie sah den Boten verständnislos an, wiederholte die von Aufregung zerrissnen Worte und fing endlich an sie zu begreifen. –

Der König getötet und Gautier als sein Mörder genannt!

»Wird ihm – Unheil geschehen?«

Allain ließ sich aufs Knie vor ihr nieder.

»Flieht mit mir, edle Frau, er ist's nicht wert, daß Ihr um ihn leidet. Was mit ihm geschehen wird, weiß ich nicht. König Henry kann ihn hinrichten lassen.«

Sie sah einige Augenblicke starr vor sich hin, dann ohne ein Wort zu verlieren, schwang sie sich auf die Brüstung des Söllers und stürzte sich in die Tiefe hinab . . .

Zu Troarn war die Nachricht später gelangt.

Es war Mortimer, der über die Wiesen gesprengt kam, und sie überbrachte. Albereta war unten auf dem Rasen und wollte eben ausreiten. Troarn sollte sie 221 begleiten. Wie sie Mortimer vom Pferd steigen sah, eilte sie auf ihn zu und ergriff seine Hände.

»Ihr bringt Unglück, Graf, ich seh's Euch an.«

Er schüttelte ihre Hände ab, wandte sich zu Troarn und streckte ihm die Rechte entgegen.

»Ilbert, es lebe König Heinrich!«

Troarn, ohne ein Wort zu erwidern, kehrte sich ab und senkte den Kopf.

So blieb er einige Augenblicke stehen. Als er sich gefaßt hatte, war Mortimer fort. Albereta lag zu seinen Füßen. Er hob sie auf. Ihr Gesicht war eiskalt, die Augen geschlossen. Er trug sie in ihre Kammer hinauf. Dort erwachte sie und richtete sich auf.

»Er ist tot, nicht wahr?«

»Er ist tot.«

»Ich will zu ihm.«

Sie wollte aufstehen. Troarn schlang den Arm um sie.

»Was wollt Ihr bei dem Leichnam, den Dienstvolk und Ärzte umgeben werden. Bleibt.«

Da brach alles, was sie seit Jahren in sich verschlossen hatte, hervor.

Ihre Lippen stammelten seinen Namen voll unaussprechlicher Liebe. Alles, was er ihr angetan hatte, war nicht imstande gewesen, diese Liebe zu töten.

Troarn sah sie mit immer größer werdenden Augen an.

War es möglich, was ihm ihre Tränen verrieten?

»Und Tyrell? Aquis?«

222 Ach, Stufen waren sie ihr gewesen, die zu ihm führten . . . . .

Troarn erbebte unter dieser Offenbarung. Enthielt sie neues Leid für ihn?

Lag ein Hoffnungsschimmer in ihr?

»Habt Ihr . . . . . mehr als eine Freude Eurer Augen in Wilhelm zu beweinen?«

Ihre Reinheit verstand die Frage nicht.

»Wie die Sonne habe ich ihn geliebt, wie die Frühlingsluft. Wenn ich ihn sah, freute sich mein Herz, und sah ich ihn nicht, so suchte ich die auf, die um ihn waren, um von ihm zu hören. Sein Schutzgeist zu sein und ihn dem Guten zurückzugewinnen war mein Wunsch.«

Troarn neigte sich zu ihr herab.

»Albereta, ich fühle es, trotz seiner Freveltat an mir, an der seine innere Zerrüttung schuld war, ich habe ihn nicht weniger als Ihr geliebt, gern wäre ich anstatt seiner gestorben.«

Da fühlte er, wie ihre zarten Arme sich um ihn schlossen.

»Ihr hattet ihn lieb und habt ihn noch lieb, ach, Troarn, wie seid Ihr gut! Ihr seid wohl der einzige, der ihn lieb hatte. Er ist verderbt geworden, doch wer weiß,« sie schluchzte auf, »vielleicht brannte doch noch ein Fünklein der Vergangenheit in ihm. Einst soll er gut gewesen sein.«

»Sorgt Euch, geliebte Frau, nicht um Dinge, die über unser Wissen hinausgehen. Eins glaubt. Ist in einem 223 Menschenherzen auch nur die kleinste Regung von etwas Edlem, so wird es nicht verworfen, und wo sie nicht mehr lebt, da schweige das Mitleid. Euch aber bringe ich nach Sizilien, damit Ihr dort im Schein des blauen Himmels, im Duft Eurer Rosenbeete, wieder heiter und jugendfroh werdet. Ihr braucht nicht mehr nach England zurückzukehren, wenn Ihr nicht mögt.«

Sie hob die Augen auf und versenkte sie in die Furchen seines Gesichts, in die Züge um seinen Mund, die so viel, unendlich viel Bitteres erzählten, trotz seines Schweigens.

Verächtlich war ihr der Mann erschienen, dessen Milde und Größe ihr diese Stunde verriet.

»Ihr seid mir wohl sehr gut.«

Er schwieg eine Weile, dann sagte er wie zu einem Kinde:

»Sehr, sehr gut, immer mehr gut, je mehr ich durch Euch leide. So grenzenlos gut, daß ich das, was ich bisher um jeden Preis verhindern wollte, eine gänzliche Trennung von Euch, nun endlich stark genug bin, zu ertragen. Geht heim, meine kleine Albereta, die Liebe, die der fühlbaren Gegenwart des Geliebten bedarf, ist nicht die größte.«

»Jetzt heimgehen, wo meine wunde Seele Euch nötig hat? Nein, ich will bei Euch bleiben, an Euerm großen Herzen gesunden. Wollt Ihr einige Zeit Geduld mit mir haben?«

Er erwiderte nichts. Er blickte sie ruhig und gütig 224 an. Hinter dieser Güte und Ruhe aber loderte die Hoffnung einer großen, leidenschaftlichen Liebe . . . . .

Als der Mond im Osten emporstieg, sahen die Wälder von Winchester einen seltsamen Zug aus ihren Schatten hervorkommen.

Auf einem von Kühen gezogenen Arbeitswagen, den allerlei Bettelvolk umgab, lag mit Lumpen zugedeckt der tote Rufus. Hinter dem Wagen zog sich eine Spur roter Tropfen her. Keine Glocke läutete in den Kirchspielen um Winchester, niemand lüpfte den Hut, an dem die Leiche vorüber kam, kein Kind faltete die Hände.

Nur einer hat später unter Tränen für ihn gebetet, einer, der segnete, wenn man ihm fluchte, und die gegen ihn erhobene Faust durch eine Liebkosung beruhigte: Anselmus von Canterbury.

Vier Tage später wurde Prinz Henry vom Bischof Mauritzius in London gekrönt.

Er blieb Tyrell und Aquis gewogen, trotzdem Tyrell so kopflos gewesen war, nach Frankreich zu fliehen. – Adgife war tot und hatte ihm nicht mehr ratend zur Seite stehen können. – Er kehrte indes bald wieder zurück und befand sich später unter denen, die für die junge Königin schwärmten, die König Heinrich seinem Volke gab.

Es war die liebliche Mathilde, König Malcolms Tochter. –

 


 


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