Maria Janitschek
Der rote Teufel
Maria Janitschek

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

* * *

Indessen Rufus mit seinem Heer nach Frankreich aufgebrochen war, änderte sich plötzlich die Lage.

Philipp bot ihm im letzten Augenblick um den Krieg zu vermeiden, einen Vergleich an. Meulant und die anderen Minister drangen aufs lebhafteste in Rufus, das Angebot anzunehmen.

Die Geldmittel des Reiches waren erschöpft, die Großen Englands unlustig, sich noch weiter ausbeuten zu lassen; unter den Soldtruppen herrschte Unbotmäßigkeit, weil ihre Zahlung nicht richtig erfolgte. Unter diesen Umständen war es das Beste, der Vorstellung der Ratgeber zu folgen und das Angebot anzunehmen.

185 Sie bestiegen die Schiffe und kehrten heim.

Innerlich gärte es in Rufus. Noch nie während seiner Regierung waren so viele Ungerechtigkeiten, so viele Greueltaten geschehen, wie jetzt.

Schien doch alles gegen seinen Willen zu gehen. So schob die einzige Frau, die ihn interessierte, die erwünschte Zusammenkunft mit ihm immer länger hinaus. Meist handelte sich's übrigens um Mittel und Wege, durch die Geld herbeigeschafft werden sollte.

»Heiratet doch, Sir,« entglitt es einmal auf einem der berüchtigten Herrenabende Meulant, »alle Mitgiften der Welt stehen Euch zu Gebot, greift zu.«

Rufus lachte hämisch. »Wenn ich ›Mit‹ ohne ›Gift‹ haben könnte . . . .«

»Sir, Ihr verachtet doch nicht das Geflügel.« Warelwast hob eben einen fetten Bissen Truthahnes zum Mund. »Was liegt daran, ob ein Täubchen mehr in London oder bei Winchester girrt.«

Einige der Herren brachen in Gelächter aus und ließen ein paar saftige Witze los.

Rufus fühlte seine Stirne heiß werden.

»Es gab einmal eine schöne Zeit. Da konnte jeder König tun, was ihm beliebte. Doch jetzt, da das Gesetz den König, nicht der König das Gesetz macht, da Bannflüche herumfliegen –«

»Ihr schert Euch ja soviel um Gesetze und um römische Meinung,« rief's im Chor.

»Jetzt ist Herrschen zum Witzwort geworden.«

186 Er hob mit schwankender Hand seinen Becher zum Mund und trank.

»Euer Bruder, Prinz Henry, Sir, denkt anders als Ihr,« Wilhelm von Breteuil lachte vom Tischende herüber, »Montgomery hat ihn mit der Laute im Arm in Wilton gesehen. Ich wette, er macht an der Tochter gut, was Ihr dem Vater übel mitgespielt habt, und ehelicht Malcolms junges Mägdlein.«

Rufus, aus Ärger über das Vernommene, riß einem der Fackelträger die Fackel aus der Hand und hielt sie ihm ans nackte Bein.

»Verwünschter Kerl, willst du wohl stillhalten, wenn ich gebratenes Menschenfleisch riechen will?«

Der Bursche war schreiend zur Erde gesunken. Im Augenblick hatte Rufus ihm die Fackel ins Gesicht gestoßen. Seine Haare und Kleider begannen Feuer zu fangen. Einige Herren von der Tafel sprangen auf, rissen einen Teppich vom Wandgestell und warfen ihn, so die Flammen erstickend, über den Unglücklichen.

»Sir, das erinnert an alte Vorgänge auf dem Palatin.«

Aquis war aufgestanden und hatte abwehrend sich vor Rufus gestellt, der seinen Scherz beim nächsten der Fackelträger wiederholen wollte.

»Willst du selbst mir als Räucherwerk dienen, edler Aquis?« Rufus krallte die Finger wie ein böser Junge in Aquis' Schulter.

»Was wollt Ihr denn, Sir? Wollt Ihr uns einäschern?« Aquis' Augen bohrten sich voll 187 unaussprechlichen Hasses in die Rufus', doch seine Haltung blieb die des Höflings. »Gestattet zuvor, daß sich Eure ergebenen Freunde entfernen, Eure Diener könnt Ihr braten und meinetwegen verzehren.«

»Und das nennt Ihr Freundschaft,« rief Rufus in seiner Trunkenheit gekränkt aus.

Aquis' Blick war ihm entgangen.

Haimon kam herbei und sagte Rufus einige beruhigende Worte.

Erblaßte Diener gingen umher und schenkten die Becher voll.

»Wer sprach vorhin vom Heiraten, er soll hierherkommen,« rief Rufus, sich wieder setzend, mit schwerer Zunge, »damit ich ihm in's Gesicht schlage.«

»Wir alle,« rief Bellesme, den gefährlichen Augenblick ungefährlich zu machen suchend, »wir, die wir voll Ergebenheit dem König dienen, wir haben davon gesprochen. Wir wünschen, daß er uns eine –«

»Halt, Lästermaul! In dieser Gesellschaft soll das Wort, das du aussprechen willst, nicht genannt werden. Ihr könnt heiraten –«

»Aus Gefälligkeit gegeneinander,« flüsterte Aquis dem König zu.

»Aus Gefälligkeit gegeneinander, doch ich – ich – bin der König, versteht Ihr? Euer Besitz ist der meinige, aber der meinige kann nie der Eurige werden.«

Sais stieß seinen Becher zurück und sprang auf.

Rufus runzelte die Brauen.

188 »Was soll's? Verhaltet Euch gefälligst ruhig, wenn ich rede.«

»Sir, wir sprachen von Frauen.«

»Entfernt Euch, Sais.« Haimon faßte ihn am Ärmel, des Königs auflodernde Augen bemerkend.

»Nein, jetzt nicht. Weshalb sollen wir hier nicht von der künftigen Königin sprechen, Sir? Habt die Güte, uns das zu erklären.«

»Wie dürft Ihr wagen, in diesem Ton mit dem König zu sprechen?« Einer der Herren stand auf und trat auf den jungen Hitzkopf zu.

»Hier sind Edelleute, Sir! –«

Sais, vor Empörung von Sinnen gekommen, wollte fortfahren. Seine Tischnachbarn ergriffen ihn und zerrten ihn hinaus.

»Das ist heute lauter als nötig ist.«

»Wählt andere Stoffe zu Eurem Gespräch!«

Unzufriedene Worte wurden von allen Seiten hörbar. Um die Tafel in dem sonst so behaglichen Raum standen die vor Angst bebenden Lichtträger mit weißen Gesichtern.

Mehrere der Herren hatten sich entfernt. Die übrigen waren aufgestanden.

»Was wollt Ihr denn?« Rufus sah hämischer denn sonst aus. »Wißt Ihr nicht alle, daß jedes Weib jeden Mann verrät, wenn ein Höherstehender es küren will? Das mag ja ein Trost sein, daß der andere höher steht, 189 aber – der König entbehrt ihn, deshalb muß er – allein bleiben.«

»Sir, gebt einige Ausnahmen zu, ich bitte darum im Namen der anwesenden Herren, die Ihr Eure Freunde nennt.«

Walchelin von Winchester trat einige Schritte vor.

»Ha,« der König lächelte böse; »wenn ich hier bliebe – aber ich muß abreisen, um in meines Herrn Bruders Wirtschaft nachzusehen – doch wenn ich von drüben zurück bin –«

»Sir, schenkt uns gütigst die Vollendung Eures Satzes! . . . .«

Aquis schlug vor, man möge sich doch niederlassen.

Die Anwesenden nahmen ihre Plätze ein und Rufus rief nach Musik.

Es herrschte eine schwüle, gespannte Stimmung. Auch Mortimer war unter den Gästen, er hatte den ganzen Abend nicht den Mund aufgetan.

Am andern Tag wird Befehl zum Aufbruch gegeben.

Rufus hat sich mit Meulant beraten, ein paar Edikte erlassen, Flambard mit neuen Vollmachten ausgerüstet, dann wirft er sich auf sein Pferd und jagt in die frische Luft hinaus, in den Wald hinüber.

Nur wenige Diener folgten ihm in einiger Entfernung. Die Luft wirkt belebend. Jagdgelüste wandeln ihn an, doch jetzt ist keine Zeit zum Jagen. Er muß nach Rouen. Allerlei Vorstellungen fangen an, ihn zu beschäftigen. Heute fehlen einige Herren, die er jeden 190 Morgen zu empfangen gewohnt ist. Ist es wegen gestern abend? Bah! Ja, wenn er zurückgekehrt ist, wird er einen tollen Streich ausführen, um allen Hochmut in ihnen zu dämpfen.

Ein Zug der Schadenfreude geht über sein Gesicht.

Giffiu! Die Unholdin läßt ihn noch immer ihrer Nachricht harren. Und doch freut er sich auf die Stunde, da er ihr gegenüberstehen wird.

Da flattert ein heller Frauenschleier auf.

»Beim Funkeln der Hölle! Ihr, Gräfin Troarn!«

»Sir,« Albereta hält hochaufatmend neben ihm, »was fällt Euch ein, in so kleiner Begleitung auszureiten?«

»Wie?« Er blickt sie überrascht und verwundert an. Auch etwas Freudiges ist dabei. »Was tut Ihr auf meinem Gebiet, Gräfin?«

»Laßt die Scherze, Sir.« Sie sieht übermüdet und abgespannt aus. »Ihr wißt doch, daß das Landvolk von Winchester Euch von Tag zu Tag weniger anhängt, daß dieser Wald – ach! meine Gebete haben ihn nicht entsühnen können! – Eurem Bruder Richard und seinem Freund verhängnisvoll geworden ist. (Sie wurden in New-Forest ermordet.) Seid nicht so unbekümmert! Wißt Ihr, ob die Eltern Eurer Diener nicht zu denen gehörten, deren Hütten damals brennen mußten, um Euren Sauen mehr Platz zu schaffen? Hütet Euch!«

»Gräfin!« Er treibt sein Roß dicht an ihres heran. »Was habt Ihr? Seid Ihr von Sinnen?«

»Nicht unter zwölf Mann Bewaffnete laßt um Euch 191 sein, und gebt es bekannt, wenn Ihr ausreitet, ich bitte Euch darum!«

Sie reißt die Zügel ihres Pferdes an und jagt davon. Er starrt betroffen ihr nach. Sie will mich warnen. Was bedroht mich? Bah! Doch, wo sind die Schurken, die Diener? Seine Augen fliegen in die Runde.

Dort hinten halten sie. Was flüstern sie zusammen? He?! Er will eine silberne Pfeife an die Lippen heben, läßt sie aber fallen. Nein! So tief sank er nicht. Angst! Er!! Und vor wem? Vor einigen – weißen Haarsträhnen höchstens, denn Gespenster scheut er mehr als Tod und Teufel. Und die Weiße ist für ihn, fast! ein Gespenst. Baumzweige streifen mit kühlen Fingern sein Gesicht. Nebel huschen hin, verstecken sich und kommen als rötlicher Flimmer wieder hervor, sein Roß erschreckend. Die Hufschläge klingen hohl, als ob unter dem Boden Gewölbe wären. Verdammte Erinnerung!

Ich bin der König! Nero, du würdest mich Memme schelten. Wegen armseliger sechzig Kirchen und Dörfer. Wo sind die Schurken, die Diener? Er sieht sie nicht. Sie wissen, daß sie nie ganz dicht hinter ihm reiten dürfen, das mag er nicht.

Hier im Walde ist's ihm schließlich gleichgültig. Und doch – er läßt die Geißel auf das Roß sausen, daß es dahinzujagen beginnt – und doch liebt er gerade diesen Wald mehr als andere Wälder seiner Besitzungen. Gerade, weil ihm hier vor Grauen das Herz oft stillgestanden hat. Weil hier etwas webt, zu dem es ihn 192 mit unheimlicher Macht, mit unerbittlicher Nötigung zieht . . . .

Die kleine Troarn mit ihrem bekümmerten Gesicht taucht vor seinem inneren Blick auf . . . . Ohne daß er es gewahr geworden ist, hat sein Roß die Richtung nach dem Ufer dieses dräuenden Wäldermeeres eingeschlagen und tänzelt in die Wiesen hinaus.

Die kleine Troarn! Glaubte er wirklich einmal, daß er sie liebe? Glaubt er jetzt, daß er sie nicht liebe? Sie ist sein Sonntag, doch alle Tage Sonntag wäre langweilig.

Verdammt, und die andere, die ihn solange warten läßt? Was denkt sie eigentlich von ihm? Kann er sie nicht in wenig Stunden in seine Macht bekommen, wenn er will? Scheut er vor einer Möglichkeit zurück, wenn es gilt, seinen Willen durchzusetzen?

Wer sprengt da quer über die Felder herüber? Ein Bote. Rufus wendet sich unwillkürlich zurück. Seine Drei reiten in einiger Entfernung hinter ihm her. Was will der Bote? Hat es wirklich solche Eile, daß man ihn auf seinem Spazierritt überfallen muß?

Der Kommissarius pariert sein Pferd und springt herab.

»Sir, eine Nachricht.«

Ist Aufstand in Rouen ausgebrochen? Haben die Waliser sich wieder gerührt? Entfloh Robert Mowbray seiner Haft?

Rufus öffnet den Brief.

193 »Die Gräfin von Bray bittet Euch, Sir, ihr morgen das grüne Reis zurückzubringen, das Eure Kühnheit sich gepflückt hat. Sie freut sich, Eure Erwartungen zu erfüllen.«

Der König nickt dem Boten zu und reitet langsam nach dem Schlosse.

Giffiu! Launenvollste aller Launenvollen! Weißt du denn nicht, daß ich morgen in See gehen will? Giffiu, endlich werde ich dir gegenüberstehen. Wird dein überlegenes Gesicht seinen Ausdruck behalten?

Er malte sich aus, wie er die Kraft ihrer Hände, die ihm immer imponiert hatte, lähmen wollte. Wie er ihr beweisen würde, daß es mit dieser Kraft doch nicht so weit her wäre. Freilich besitzen diese zähen, schlanken Leiber oft ungeahnte Muskelstärke. Er kann einen Denar zusammenbiegen; ob auch sie das konnte? Er konnte Gewichte von mächtiger Schwere vom Erdboden aufheben; ob auch sie das zu tun vermochte? Er erinnerte sich an allerlei Athletenstücke, die er in seinem Leben gesehen hatte. Dann lächelte er über sich. Welche Gedanken vor dem Besuch bei einer Freundin? Verdammt! Im Grunde war er nur neugierig auf sie und hatte den Drang, sich mit ihr zu prügeln, ihr zu beweisen, daß er der Stärkere sei, wenn sie auch noch so überlegen tat. Das grüne Fetzchen aus ihrer Schleppe hatte er ja schon längst weggeworfen. O, Giffiu! Ich will dir mit der Faust unter der Nase herumfuchteln, daß du all' deine Überlegenheit verlierst!

194 In so zärtliche Liebesgedanken vertieft, erwartete er den nächsten Tag.

Nicht zu Pferd wollte er kommen, sondern sich in einer Sänfte hintragen lassen, um nicht staubig und erhitzt bei ihr zu erscheinen.

Er kleidete sich in kostbare Gewänder, wählte einen dunkelblauen Leibrock mit reicher Perlenstickerei und band eins seiner kunstvollen Wehrgehenke um. Sein rotes Haar tränkte er mit Essenzen aus Indien, deren jeder Tropfen ein kleines Kapital kostete. Dann bestieg er in höchst behaglicher Stimmung seine vergoldete Sänfte und ließ sich dem artigen Liebesabenteuer entgegentragen.

Schon erhob sich der Wald, der Bray umgab, als ein Edelmann zu Roß, einiges Dienstvolk hinter sich, der königlichen Sänfte entgegenkam. Der Herr sprang aus dem Sattel, um dem König seine Ehrerbietung zu bezeigen. Es war Fitz Haimon.

Seit jenem unliebsamen Trinkgelage hatte Rufus ihn nicht mehr gesehen.

Das ernste gefurchte Gesicht sah heute heiterer aus. Hatte er vergessen oder wollte er vergessen? Rufus freute sich, daß er so leichte Gelegenheit fand, dem Vertrauten ein paar freundliche Worte zu sagen. »Ich will Brays überraschen,« setzte er hinzu, »und hoffe, daß sein Leichnam diese Überraschung überstehen wird.«

»O Sir,« um Haimons Lippen zuckte ein Lächeln, »da habt Ihr Euch einen bösen Tag ausgewählt. Seine 195 Leute haben eben nach dem Arzt geschickt. Gestern ist Frau Giffiu mit dem byzantinischen Knäblein auf und davon gegangen.«

Einen Augenblick lang starrte Rufus den Sprecher ungläubig an, dann brach er in schallendes Gelächter aus.

Verdammt, daß es ein fremder Bube hat sein müssen, der mir das witzigste Weib meines Reiches entführt hat! Diese Unholdin! Na, warte Schlange! Küssen könnt' ich dich für deinen Scherz! »Umkehren!«

Haimon gab Rufus ein Wegstück das Geleite.

Rufus war sehr zerstreut und hatte die ganze Zeit über ein Lachen im Gesicht.

Am andern Morgen reiste er nach der Normandie.

* * *

Er bezog seines Bruders Palast in Rouen. Die Stadt befand sich in großer Aufregung. Diesmal waren es die Juden, die sie hervorriefen.

Vor kurzem hatten einige aus ihrer Mitte sich taufen lassen und waren zum Christentum übergetreten. Darüber entbrannten ihre strenggläubigen Brüder in heftigen Zorn, und es gab keine willkommenere Nachricht für sie, als daß Wilhelm, der König von England, in Rouen angekommen und in der herzoglichen Burg abgestiegen sei.

Sofort begab sich eine Abordnung von ihnen zum König, schilderte ihm in bewegten Worten die Ursache ihrer Aufregung und bot ihm eine hohe Summe an, 196 wenn er die verirrten Genossen wieder ihrem Glauben zurückgeben würde. Rufus, zuerst ungeduldig, hatte ihnen zum Schluß seinen Beistand versprochen. War doch ein wundersames Wort erklungen. Geld! Geld!!! Sofort ließ er Kommissionäre an die Abtrünnigen abgehen, die ihnen mit Folter und Tod drohten, wenn sie nicht sofort zur Synagoge zurückkehrten.

Mehrere Väter, im Anblick der sie verzweifelt umgebenden Familie, wurden weich und ließen sich überreden. Einige indessen, junge Leute, lachten ihren Bedrohern ins Gesicht und versicherten ihnen, eher zu sterben als der neuen Offenbarung untreu zu werden. Unter diesen befand sich auch ein Jüngling, dessen Vater dem König sechzig Pfund Silber angeboten hatte, wenn er den Sohn dem Glauben seiner Kindheit zurückgewänne.

Rufus schickte seine Häscher aus und ließ den Ungetreuen holen. Er hatte erwartet, eine vor Angst schlotternde, erbarmungswürdige Gestalt vor sich niederfallen zu sehen, anstatt dessen trat ihm ein junger Mensch entgegen, dessen hageres Gesicht Entschlossenheit und Würde verriet.

»Was fällt dir ein,« fuhr ihn der König an, »deinen Glauben abzuschwören, das ist ein verdammenswertes Verbrechen, und nur durch die schleunigste Rückkehr zu ihm machst du es wieder gut.«

Der Jüngling blickte den König ruhig an. »Ein verdammenswertes Verbrechen, Sir, wäre es, aus Sorge für sich, eine Überzeugung aufzugeben.«

197 »Was Überzeugung! Unsinn! Wir wollen nicht lange Worte machen. Du kehrst heute noch nach der Synagoge zurück und versprichst ein treuer Sohn deines Volkes zu bleiben.«

»Ihr beliebt zu scherzen, Sir.«

»Was?!« Rufus fühlte sein Blut heiß werden. »Ich mit dir scherzen, du Lump? Wenn du nicht auf der Stelle gehorchst, so lasse ich dir die Augen ausreißen.«

Da neigte der junge Mensch gelassen das Haupt. »Tut es, Sir, es kann ihnen keine größere Ehre geschehen.«

Rufus blickte mit heimlicher Verwunderung den Jüngling an. Er fühlte es, hier stand einer von jenen, die auf dem glühenden Rost noch scherzten, einer mit jenem zähen Willen, der Leben und Tod überwindet, mit Makkabäerwillen . . . .

Rufus schätzte solche Leute. Er schritt einige Male auf und nieder, dann sagte er über die Schulter zurück. »Mach, daß du weiter kommst.«

Der Jüngling war gerettet.

Soweit wäre alles ganz gut gegangen, jetzt aber kommt der Humor der Begebenheit.

Der Vater, nachdem er den Ausgang der Geschichte gehört hatte, knirschte vor Wut.

Natürlich dachte er nicht daran, die sechzig Pfund zu bezahlen, der König hatte ja nichts erreicht bei seinem Sohne. Rufus wartete einige Tage, dann schickte er Boten zu dem Alten. Wo die Zahlung bliebe, die er dem König zu leisten hätte. Welche Zahlung? Nun, die 198 sechzig Pfund. Der enttäuschte Greis kehrte sich empört ab. Auch noch zahlen! Für die falsche Hoffnung, die in ihm erweckt worden war?! Fiel ihm nicht ein!

Die Kommissäre richteten Rufus das Ergebnis der Forderung aus. Er ließ den Vater vor sich führen.

»Du machst dir's ja recht bequem, mein Lieber,« herrschte Rufus ihn an. »Meinst du, ich habe meine Zeit gestohlen?«

»Sir, vergebt, aber – erreicht habt Ihr doch nichts.«

»Was? Nichts erreicht, nichts erreicht?« Der Schuft hat recht, dachte Rufus, aber die schönen sechzig Pfund!

»Nichts erreicht, aber in den Handel hab' ich mich eingelassen, gib mir mindestens – dreißig Pfund.«

Der Hebräer sah den König vorwurfsvoll an, zog schweigend die Geldkatze und legte ihm die dreißig Pfund hin.

* * *

Allerlei trug dazu bei, um Rufus hier in hellere Stimmung zu bringen. Freilich hielt sie nicht lange an.

Die Berichte über die Abenteuer und Siege der Kreuzritter verscheuchten sie.

Warum durfte nicht auch er dort mitstreiten und sich Säckel und Taschen mit Schätzen füllen? Dazu langte noch ein Brief Roberts an, in dem er seinem Bruder mitteilte, er hätte eine wunderschöne, reiche apulische Prinzessin kennen gelernt, die er zur Herzogin zu erheben gedenke.

199 Robert fiel alles in den Schoß, Freiheit, Gold, Ehre. Er hingegen hatte den Schädel beständig mit Sorgen voll, mit den elendesten aller, mit Geldsorgen, und doch sparte er wie er konnte.

Es war Brauch unter seiner Regierung geworden, daß sein Dienstvolk, wenn er reiste, überall umsonst bewirtet werden mußte. Freilich wurde dabei viel Unfug verübt. Diesen Gebrauch hatten seine Feinde ihm auf's Kerbholz geschrieben.

Plötzlich wieder in seine alte Unzufriedenheit verfallend, reiste er nach England zurück. Unterwegs, auf dem Schiff fiel ihm ein Wort ein, das ein holder Mund einst zu ihm gesprochen hatte. Heimweh! . . . .

Er riß die goldene Kette vom Hals und warf sie in die See. So taten's vor Zeiten die alten Germanen, um sich heimlich der Gunst ihrer Götter zu versichern.

In London, wo er das Hoflager aufschlagen ließ, empfingen ihn Übereifrige mit der Nachricht, fünfzig Angelsachsen hätten in New-Forest sich an den königlichen Hirschen vergriffen. Grimm befiel ihn. Er ließ Nachforschungen anstellen und erfuhr, daß es Leute von Vermögen waren. Sofort zog er alles ein, dessen er habhaft werden konnte und ließ, um seinem Zorn gegen diesen verhaßten Volksstamm Genugtuung zu verschaffen, die unglücklichen fünfzig zur Probe des glühenden Eisens verurteilen.

Mit undurchdringlichen Mienen, fest und selbstbewußt, traten sie zwischen ihren Henkern den entsetzlichen 200 Weg an. Nicht fünfzig waren es, hunderte, tausende, der erbangesessenen Söhne des Landes, die mit den Brüdern in diesem Augenblick, im kraftvollen Glauben an die höhere Gerechtigkeit, mit der tapferen Faust das rote Eisen umspannten.

Unermeßlicher Jubel überflog den Richtplatz, die Straßen und pflanzte sich bis zur königlichen Burg fort.

Die Fünfzig waren heil geblieben. Rufus runzelte die Brauen.

»Und das soll ein gerechter Richter sein? Verdammt, wer das von nun an glaubt! Nach meinem Urteil soll künftig entschieden werden, nicht nach Gottes Urteil, der jedem Narren zu Wunsche ist.«

Es kam zu Reibereien im Volke.

Die Normannen schrien laut, daß alles Teufelsblendung und Betrug gewesen wäre, indes die Angelsachsen behaupteten, die Stunde der Gerechtigkeit wäre angebrochen, bereits geschähen Wunder zu ihren Gunsten.

Gezänke und Streitigkeiten waren an der Tagesordnung.

Die Worte des Königs machten die Runde. Die einen leugneten, daß Rufus so gesprochen habe, die anderen beschworen die Tatsache als Wahrheit.

Die Minister hielten ihre Bedenken dem König gegenüber nicht zurück. Mit den Menschen möge er umgehen, wie er wolle, sie hinrichten oder laufen lassen, von ihrem Glauben aber solle er die Hände lassen, denn die 201 Unklugheit sei das schwerste Unrecht und er wisse wohl, was er damit heraufbeschwöre, wenn er auch die Seinen gegen sich aufbringe. Die Normannen hingen nun einmal an ihrer religiösen Tradition. Die braven Leute! war Rufus Antwort. Und wie gottesfürchtig! Das kenne er von seinen intimen Abenden her, da doch fast nur Söhne seiner Heimat ihn umgäben. Die Pläne, die da geschmiedet würden, um sich zu zerstreuen, zeigten die Aufrichtigkeit des Glaubens . . . .

Spitzbuben! Es gäbe nichts Erquickenderes, als sie, solange sie keine Larve trügen. Bänden sie die vor, dann seien sie widrig zum Anspeien.

Beim nächsten Herrenessen im kleinen Saal, glaubte Rufus Zurückhaltung und Unlust in den Mienen seiner Gäste zu erkennen. Selbst der Wasserspeier hatte sein Grinsen daheim gelassen. Herr von Breteuil sah aus, als ob er ein Geheimnis wüßte, aber nicht sagen wolle. Warelwast überlegte jedes Wort, das er sprach. Bellesme und einige andere Herren tranken so viel, bis sie schließlich mit stieren Augen vor sich hinbrütend nicht mehr zu wissen schienen, wo sie waren. Herr von Sais, der wieder in Gnaden aufgenommen worden war, sprach im Flüsterton mit Flambard und wagte nicht die Augen aufzuheben. Nur Aquis war angenehm wie immer, voll guter Einfälle, und bereit alle Bosheiten höflich zurückzugeben, was der König liebte. Er plauderte mit Prinz Henry.

»Ihr seid heute aufs unterhaltendste, Herren.« Rufus 202 lächelte böse. »Meulant und Haimon fehlen, ich glaube, man hat mir übel genommen, daß ich mich als Hausherr hier zu Land fühle und fremde Ungehörigkeiten zurückweise.« Er spielte auf die Geschichte mit den Angelsachsen an.

Das gebratene Wildschwein, das hereingebracht und kunstgerecht zerteilt wurde, nahm einen Augenblick lang die Aufmerksamkeit in Anspruch. Man erwachte aus seinem Hinbrüten, ließ sich bedienen, aß und fand, daß es sich eigentlich ganz gut auf dieser Welt lebe.

»Tut nicht so bescheiden, Sir,« Prinz Henry wischte sich mit dem Rücken der weißen Hand den Mund ab und blickte auf seinen Bruder, »als Hausherr fühlt sich niemand weniger als Ihr, die Würde ist Euch viel zu gering, Gott sein, mit unumschränkter Macht ausgerüstet sein, wollt Ihr, wie Ihr ja auch bekannt gemacht habt.«

»Der Gott einer käuflichen, heuchelnden, sich groß dünkenden und klein handelnden Bande, die den Namen Menschheit führt! Keine Ehre, mein Lieber, wenn der Mensch – Ebenbild seines Schöpfers ist.«

Mortimer richtete die Augen auf Rufus, verlor aber kein Wort.

Aquis sagte leise, scheinbar mehr zu sich, als zu den andern: »Es braucht durchaus ein Werk nicht seinem Schöpfer zu gleichen. Zeuxis schuf Tierlein und war doch ein Mensch, Cäsar hat keinen Cäsar gezeugt, und die Sonne, brütet sie nicht Schlangeneier aus?«

»Aber auch die Pharaonen hat sie ausgebrütet.«

203 »O Sais, unterlaßt die schlechten Bemerkungen. Was sind die Pharaonen heute!« – das durfte hier nur ein Prinz von Geblüt sagen und Henry war es – »eine vertrocknete, mißduftige Lache in einem Sarkophag verschlossen, weiter nichts.«

»Eure mißduftige Herrlichkeit hat wohl Erbauungsstunden mit der frommen Oblatin in Wilton gehalten.«

Henrys Brauen furchten sich.

»Weder ist sie eine Oblatin, Sir, noch sah ich sie seit Wochen. Die Tochter des Königs Malcolm ist zu anderm Beruf geboren, als zur Oblatin.«

»Weshalb sitzt sie dann hinter Klostergittern?«

»Das hat ihre kluge Mutter verfügt, die sie vor der Frechheit unserer Abenteurer schützen wollte.«

Rufus kniff die Augen zusammen.

»Meint Euer Gnaden, daß ein armselig Gitter einen Mann abhielte, sich zu holen, was er will?«

»Aber ein Klostergitter vielleicht.«

Verflucht, ist der Junge dumm! wetterleuchteten Rufus' Augen hinüber. »Kein Gitter, noch Stand und Rang, noch Eid noch Treuschwur hinderten mich, das zu nehmen, was ich wollte.«

»O Sir,« Flambard machte eine sänftigende Handbewegung. »Gitter hinderten Euch wohl nicht, aber der Treuschwur gälte Euch als unzerstörbare Mauer.«

In diesem Augenblick stieg in Rufus eine alte Erinnerung auf, jener wüste Einfall von neulich kreuzte wieder sein Gehirn.

204 Er trank hastig seinen Becher aus.

»Herren, wollt Ihr am Donnerstag in Winchester eine kleine Überraschung mit mir erleben? Ich lade dazu die Anwesenden und noch einige andere ein. Wir wollen vergnügt sein. Wer aber den Kopfhänger spielen will, dem bleibt es unbenommen.«

Was würde er aushecken?

Sie versprachen natürlich zu kommen.

Sie tranken und aßen, doch die Bissen wollten nicht mehr recht durch die Kehle gleiten.

Er aber wurde gut aufgelegt und voll übermütiger Einfälle.

Seit Anselmus' Abreise war sein Herz ganz verhärtet geworden. Die Unruhe hatte sich verstärkt. Immer tiefer lief er in die Irre, um das zu finden, was er, ohne es zu wissen, suchte . . . . .

* * *

Sie hatten Hühner geschossen. Aber nie waren sie elendere Jäger gewesen. Die »Überraschung« lag ihnen in allen Gliedern und machte ihre Hände unsicher. Nach dem Essen sollte sie stattfinden. Je heiterer der Gastgeber wurde, um so stummer wurde die Gesellschaft. Die Spaßmacher mit ihren öden Witzen, die Musik, die langatmigen Erzählungen einiger wurden als höchst lästig empfunden. Endlich Aufbruch! Oben, im ersten Stockwerk des linken Flügels lagen die intimen Gemächer des Königs, in die für gewöhnlich niemand Fremder Zutritt hatte.

205 Die Fackelträger gehen mit erzernen Mienen voran und bleiben in zwei Reihen in dem breiten Korridor stehen. Rufus faßt fröhlich Bellesme unterm Arm, klopft in eigentümlicher Weise an eine der Türen und stößt sie auf. Ein Schrei.

»Ihr?!«

»Ach, Kind! Ihr?!«

Bellesme ist im Augenblick die Lage klar geworden. Nicht ihn hat seine Frau erwartet. »Seid Ihr zufrieden mit mir, Bellesme? Mir angebotene Rechte weise ich an ihren rechtmäßigen Besitzer zurück.«

Rufus lacht, die Herren wissen nicht, um was es sich handelt, sehen bloß Bellesme in ein Gemach eintreten und folgen Rufus, der die nächste Tür öffnet.

»Breteuil, bitte, tretet ein, dankt mir, guter Breteuil.«

Wieder ein erschreckter Ausruf von innen. Einige heftig gewechselte Worte, dann das Geräusch klatschender Ohrfeigen. Die Tür schließt sich von innen.

Wasserspeier, weshalb bist du so todesblaß?

»Mein guter Troarn, wollt Ihr anstatt meiner eine Ungeduldige grüßen?«

Rufus öffnet die Tür weit und zuckt zusammen. Alberetas Windspiel ist ihm ans Bein gefahren. Außer dem Hündlein ist – niemand im Gemach.

Der König hält sich die Seiten vor Lachen. Aber Troarn hat nicht mitlachen können. Mortimer hat den Umsinkenden in seinen starken Armen aufgefangen und schleppt ihn halb über die Treppe hinunter.

206 Die Gesellschaft fängt an zu begreifen. – Einige der Herren treten zurück, andere bemühen sich in des Königs heitere Laune einzustimmen.

Sais, die Lippen verzerrt, nähert sich Rufus.

»Ach Sais, da seid Ihr ja. Öffnet mein Ritter!«

Rufus drängt ihn nach einer Tür. Im selben Augenblick erhebt sich Sais Hand, bevor sie jedoch des Königs Wange berührt hat, sinkt er ins Herz getroffen tot nieder. Rufus' Dolch steckt ihm mitten in der Brust.

»Der Junge war betrunken.«

Aquis und einige andere sind an den König herangetreten.

Vier Lakaien schaffen rasch den Leichnam weg.

Rufus lacht gezwungen.

Weshalb sind sie nur so albern und begreifen einen harmlosen Scherz nicht?

Flambard hat sich schützend vor den König gestellt. Ein kleines Getümmel ist entstanden, man sieht nichts weiter als zwei, die einen in ein Gemach ziehen.

Haimon sagt, ohne scheinbar seine Ruhe zu verlieren:

»Gehn wir doch lieber hinab, Sir, wenn es Euch gefällt, hier oben ist's unbehaglich«

Prinz Henrys Fanfaren.

Von unten schallt Pferdegetrappel herauf. Der König, von Haimon, Aquis und Flambard dicht umgeben, begibt sich hinunter.

Er sieht verbissen drein, so wie einer, der eine Enttäuschung erlebt hat.

* * *


 << zurück weiter >>