Maria Janitschek
Der rote Teufel
Maria Janitschek

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149 Im November kam er endlich aus der Normandie zurück.

Die ihn sahen, erzählten, er sei dick geworden und sein Gesicht sehe ungesund und aufgeschwemmt aus. Die ganze Expedition war verfehlt und höchst zwecklos gewesen. Erreicht war nichts worden, hingegen hatte man viel Geld unnötig ausgegeben.

Nur die, die mit wichtigen Staatsgeschäften betraut waren, durften in seine Nähe, sonst wurde niemand vorgelassen. Selbst Haimon, der den Freund besuchen wollte, zog unverrichteter Sache heim.

Das Hoflager war in London aufgeschlagen worden, blieb aber nicht lange da.

Noch unruhiger als sonst zog Rufus bald nach Klingham. Hier suchte ihn der Erzbischof von Canterbury auf. Man war verwundert, daß der König nicht auch ihn abwies. Vielleicht wäre es besser gewesen, denn Anselmus bekam mehr Bitteres zu hören, als bisher in seinem Leben. Es handelte sich um eine kirchliche Angelegenheit, bei der auch die Zustimmung des Papstes nötig war.

»Welches Papstes?« fuhr Rufus hochmütig auf, als Anselmus ihn daran erinnerte.

»Nun, Urbans des Zweiten, Sir,« war die ruhige Antwort.

»Den hab' ich nicht anerkannt, und Ihr wißt, weder ich noch mein Vater haben zugegeben, daß jemand in diesem Reich sich für einen Papst erklärt, den wir nicht angenommen haben.«

150 In diesem Ton ging's weiter. Je heftiger der König wurde, um so sanfter, ja demütiger wurde Anselmus. Er wußte, daß man auf ungeberdige Kinder nur durch überlegene Ruhe wirkt, und er betrachtete diesen Wilden hier trotz allem noch als seinen geistigen Sohn.

Wie ein Unwürdiger behandelt, mit Bosheiten und groben Vorwürfen überhäuft, verließ Anselmus den König.

Kaum hatte er sich entfernt, als alle bösen Geister in Rufus losbrachen.

Sein Erstes war, Heribert Losange seines bischöflichen Amtes zu entsetzen und ihm sein Bistum Thetford zu nehmen.

Mit Anselmus Ankunft in England war ein neuer Geist nicht nur in viele weltliche, auch in geistliche Kreise gekommen. Manch einer, der mit ihm in näherem Verkehr stand, fing an, über sich nachzudenken und in sich zu gehen. Zu diesen gehörte auch der schöne, heitere Herr Heribert, den man unten in der Normandie Losange genannt hatte, weil er immer ein höfliches Wort auf den Lippen trug. Er hatte manche Stunde mit Anselmus zugebracht, und ohne daß dieser ihm irgendwie ins Gewissen geredet hätte, fühlte Losange plötzlich eine innere Umwälzung mit sich vorgehen. Nicht wenig beschäftigte es ihn, daß er das Bistum Thetford für tausend Pfund Silber gekauft, sich also der Simonie schuldig gemacht hatte. Um sein bedrücktes Gewissen zu erleichtern, war er nach Rom geeilt. Das erbitterte Rufus. Er hatte 151 einen heiteren Tafelgenossen an ihm besessen, einen Heiligen um sich zu haben, verlangte er nicht.

Er nahm ihm das Bistum und rieb sich schadenfroh die Hände. Da machte er noch Geschäfte dabei.

Von Illingham trieb es ihn nach Winchester. Hier schrieb er auf den dritten Sonntag in der Fasten einen Reichstag nach Rockingham aus. Die Nähe seiner Wälder schien für den Augenblick beruhigend auf ihn zu wirken. Es war immer so bei ihm. Kam er in einem seiner Schlösser an, so freute er sich, ein paar Tage lang hier zu sein. Dann aber wurden ihm die Wände zu eng. Die Luft begann ihn zu drücken. Er gab Befehl aufzubrechen und ließ das Hoflager in einer andern seiner Burgen aufschlagen.

Im Grunde seines Wesens herrschte tiefe Unzufriedenheit mit sich selbst. Zerstreuung, Veränderung schien ihm das einzige Heilmittel zu sein. In Leuten, die wie er ihre erste Jugend rein verbracht haben, hat der Funke des Guten ein zähes Leben. Unter all dem Schutt der Verbrechen und Laster, der Frevel, der Anmaßung glimmt er weiter. Er ist die Krankheit solcher Menschen, denn sie leiden durch ihn.

Rufus verachtete die Genossen seiner finsteren Streiche und doch brauchte er sie, denn sie waren die einzigen, die auf seine Launen eingingen, ihn viel Geld kosteten, aber durch ihre Skrupellosigkeit auch wieder Geld hereinbrachten. Die Bessern unter seinen Freunden, wofern sie nicht ein Hofamt an seine Person band, zogen sich 152 langsam von ihm zurück. Selbst Haimon ließ sich seltener bei ihm sehen; Prinz Henry suchte alle möglichen Ausflüchte, um entweder im Ausland oder auf einer seiner Besitzungen weilen zu können, die am entferntesten von dem jeweiligen Hoflager seines Bruders lag. Mortimer ließ sich dreimal rufen, bevor er erschien. Seit Rufus Bloet zum Kanzler gemacht hatte, also wieder keinem Eingeborenen, sondern einem seiner Normannengünstlinge dieses Amt übertragen hatte, gährte finsterer Groll in vielen. Die angelsächsischen Großen hatten sich zu einer festen Partei zusammengeschlossen, bei der Rufus, so oft er einen neuen Erlaß herausgab, hartnäckigen Widerstand fand. Dabei übersahen sie geflissentlich seine Geldnot. Da ihm ihre Gaben zu gering gewesen waren, entzogen sie ihm ganz ihre Unterstützung.

Der einzige, der ihn mit der Partei der Unzufriedenen noch verband, war Aquis.

Ihm war kein Wald zu dicht, um nicht darin mit Rufus und seinen wilden Jägern Orgien zu feiern. Rufus schenkte ihm immer mehr Vertrauen und weihte ihn in alle seine Pläne ein. Aquis wurde kälter und finsterer und scheinbar brauchbarer für Rufus.

Robert Mowbray war ganz unsichtbar geworden.

Trotz des Winters rasten sie mit ihren roten Fackeln durch den Forst, hetzten das Wild und zwangen die Bauern im eisigsten Frost ihre Hütten zu verlassen, um Treiberdienste zu tun.

Eines Spätnachmittags, als Rufus mit kleinem 153 Gefolge aus dem Wald kam und nach Winchester zu ritt, hörte er Reiter hinter sich drein galoppieren. Er wandte sich nach ihnen um. Es waren Troarn, Albereta, Mortimer, Bellesme und der junge Sais. Rufus übersah die andern, erwiderte Troarns Gruß und blickte Albereta an.

»Ihr seid Jägerin geworden?! Seit wann?« Sie trieb ihr Tier neben das seine. »Seit kurzem, Sir, ich war viel in Eurer Nähe, doch Ihr saht mich nicht.« Ihr Gesicht brannte.

»Das war recht von mir, denn, offen gestanden, Euer Anblick tut mir nicht gut.« Er riß sein Pferd zurück und gab so den übrigen zu verstehen, daß sie vorausreiten möchten.

»Nicht gut?« wiederholte sie fragend. Seine Augen begegneten den ihren mit all den widersprechenden Empfindungen, die immer in seiner Brust rangen.

»Es gibt Leute, die man lieber nicht sieht, obgleich man sie gerne sieht, versteht Ihr das?«

»Nein.«

»Ihr seid um zehn Jahre älter geworden.«

»Sehr gütig, Sir.«

»Ihr seht aus, als ob Euch die Sorgen einer Mutter beschäftigten.«

Da preßte sie die Zähne in die Lippen, zwei Tränen stiegen ihr in die Augen, sie zog den Zügel ihres Rosses an und jagte davon.

Einen Augenblick lang pochte sein Herz lauter, er fühlte es, daß er sie liebte, liebte, aber auch weit weg 154 wünschte, ähnlich wie er einen andern liebte, den er mit Grobheiten und Vorwürfen überhäufte.

Wenn er diesen zwei Menschen begegnete, lohte jener Funke in ihm auf, und das schmerzte. –

Deshalb wollte er sie lieber nicht sehen.

* * *

Alle, die auf irgendeine Weise mit dem Hof zusammenhingen, machten sich im Frühling nach Rockingham auf.

Es waren glänzende Züge, die in der sonst langweiligen Stadt anlangten. Viele der hochgestellten Damen hatten ihre Gatten dahin begleitet. Die Gastfreundschaft der Bürger und Vornehmen wurde sehr in Anspruch genommen.

Auch Albereta war mit Troarn gekommen und wohnte in der Schloßkirche der Eröffnung der Versammlung bei.

Der Erzbischof von Canterbury begann mit einer Rede an den König. Er verlangte Rufus möge sich zum Papst bekennen, die Forderung, die jener im vorigen Jahr so schroff von sich gewiesen hatte. Es entspannen sich Streitigkeiten, in die sich die anwesenden Bischöfe je nach ihrem Temperament einmischten. Der König antwortete jähzornig, und verlangte, man solle ihn im Frieden mit allen Anforderungen lassen, die mit Rom zusammenhingen. Der Bischof von Bath ersuchte leise die anwesenden Mitbrüder, sie möchten den König nicht noch mehr erzürnen und andere Dinge 155 zur Sprache bringen. Doch Anselmus mit seiner unerschütterlichen Ruhe blieb auf seiner Forderung bestehen.

Schließlich beschuldigte ihn der König des Treubruchs, da er mehr zum Papst, als zu ihm halte. Daraufhin sagte Anselmus, wer ihm beweisen könne, daß er mit dem Gehorsam gegen den Papst einen Treubruch gegen den König begehe, der möge kommen, er wäre bereit, ihm Rede zu stehen.

Der König begab sich aufgeregt in die Burg, gefolgt von den Bischöfen und einigen Großen, die mit ihm beraten wollten.

Anselmus war allein mit Bruder Eadmer, seinem treuen Schreiber, in der Kirche zurückgeblieben. Da schlich sich ein Soldat linkisch heran, wohl ein Sohn des Volkes, umfaßte Anselmus Knie und sagte: »Herr Vater, deine Kinder lassen dich durch mich bitten, du mögest dir nichts zu Herzen nehmen, was du auch zu hören bekommst; wir halten treu zu dir.« Anselmus legte gerührt die Hand auf den Kopf des Mannes.

Ja, die Armen, die Verachteten, die Übersehenen, sie waren es, die ihn verstanden, liebten, bereit waren, ihr Leben für ihn zu lassen.

Nach den heftigen Auseinandersetzungen dieses Tages und Besprechungen manch anderer Übelstände zerstreuten sich die Teilnehmer der Versammlung. Rufus blieb übelgelaunter als je aus seinem Schloß zurück. Nur Warelwast, den Gesandten, Meulant und Aquis ließ er vor sich.

156 Um ihn besser zu stimmen, machte der sein Ziel heimlich verfolgende Aquis ihm einen Vorschlag. Weshalb sollte er diese Einnahmequelle nicht wieder fließen machen? Schon früher hatte man englische Sklaven auf allen Weltmärkten verkauft, dann war der Handel mit ihnen aufgegeben worden. Rufus gefiel Aquis' Rat. Er ließ Zwischenhändler kommen und gab ihnen Befehl, das alte Geschäft über Bristol nach Irland wieder zu eröffnen. In Scharen wanderten nun Frauen und Männer nach Irland hinüber als billiger Verkaufsartikel.

Obzwar das Volk vieles von seinem König ertragen gelernt hatte, diese Tat erregte allgemeine Entrüstung.

Nicht lange darauf empörte sich Robert Mowbray, der Graf von Northumberland, der all diese Untaten nicht länger mehr mitansehen wollte, und zettelte eine Verschwörung an.

Rufus, zornschnaubend wie ein wilder Eber, jagte mit einer Handvoll Truppen nach Kent hinüber, bekam Mowbray in seine Gewalt und ließ ihn gefangensetzen. Die angelsächsische Partei hatte in ihm einen treuen Verfechter ihrer Rechte verloren, denn er war zum Schluß ganz für sie gewonnen worden.

Kaum war diese Aufregung vorüber, so gab's eine neue Botschaft, die viel Widerspruch erweckte. Anselmus, der Gütige, hatte dem König sein Abschiedsgesuch vorlegen lassen. Entweder, so verlangte er, Änderung in 157 des Königs Gesinnung oder ein neuer Erzbischof von Canterbury. Rufus hatte kalt das Gesuch fortgeschoben: »Er mag warten, bis ich mehr Zeit habe.«

Indessen verdüsterten sich die Mienen der Königstreuen immer mehr.

Troarn hatte eine längere Unterredung mit Haimon. Er wollte Haimon bewegen, dem König ins Gewissen zu reden. Haimon war ungeduldig aufgefahren. Zu solchen Versuchen war es längst zu spät. Prinz Henry wurde zu Rufus beordert und erhielt einen Hagel Vorwürfe an den Kopf geworfen. Er triebe sich untätig umher, anstatt teil an den Regierungssorgen zu nehmen und mit seinem Bruder zu arbeiten. Henry zeigte, daß auch er ein Sohn des Eroberers war und wurde grob und angreifend. Ob die paar Burgen und die fünfhundert Pfund Silber, mit denen ihn die Brüder nach dem Tode seines Vaters abgespeist hätten, Rufus das Recht gäben, eine solche Sprache zu führen? Rufus rollte die Augen vor Zorn und sagte ihm mit erhöhter Stimme alle die Artigkeiten, durch die er ihn ärgern konnte. Henry lachte dem Wütenden keck ins Gesicht. Man wüßte ja, daß er zu den Leuten im Volk immer mit rollenden Augen und lauter, gebietender Stimme spräche, um ihnen Respekt abzugewinnen, aber bei ihm verfinge ein solches Mittel nicht. Rufus möge sich hübsch ruhig verhalten, sonst könnte der Fall eintreten, daß der eigne Bruder sich der Zahl derer anschlösse, die bereits sein Tun und Treiben satt hatten.

158 »Schließ' dich dem Teufel an, mir gilt's gleich!« Von diesem freundlichen Wunsch begleitet, hatte Henry die königlichen Gemächer seines Bruders verlassen.

* * *

Indessen war Albereta aus der Frau ihres Mannes seine Schülerin geworden. Mit ungestümer Hast begehrte sie Armbrust und Schwert gebrauchen zu lernen. Troarn konnte nicht begreifen, was plötzlich in sie gefahren war. Sie, die zarte, verweichlichte Tochter Siziliens, trieb sich im Rauhfrost dunkler Wintertage umher, fehlte bei keiner Jagd, von der es hieß, der König nähme daran teil. Freilich wohl, dann nahm meist auch Aquis an ihr teil, und in seine Nähe zu kommen, so schien es Troarn, war ihr die Hauptsache. Er beobachtete, daß Aquis sich nicht die mindeste Mühe gab, um sie an sich zu fesseln, daß er stets gleich kühl und ernst blieb. Doch das gerade schien sie zu ihm hinzuziehen. Troarn wußte, daß man in der Hofgesellschaft boshafte Bemerkungen über ihn machte, weil er anscheinend so geduldig der wenig verhehlten Neigung seiner Gattin zusah, ohne demjenigen, dem sie galt, zur Rede zu stellen.

Aber in Troarn lebte etwas, das hoch über der Art dieser Richter stand. Was nützte es ihm, wenn er den Mann tötete, dem sie ihr Herz geschenkt hatte? Gewann ihm die Tat ihre Liebe zurück? Hatte er schon damals, als er Tyrell im Besitz ihrer Neigung glaubte, schwere Kämpfe zu bestehen gehabt, so litt er diesmal noch tiefer.

159 Tyrell war weniger wertvoll als Aquis.

Troarns Gelassenheit entsprang nicht seiner Veranlagung. Sein Äußeres war die Ursache davon. Er wußte es, wie häßlich er war. – Selbst seine Freundin Adgife schien sich von ihm abgewendet zu haben. Er legte ihre Zurückhaltung falsch aus. Sie mied den Verkehr mit ihm, um Albereta nicht zu kränken, obgleich sie wußte, wie es um diese stand.

Albereta war einmal bei Adgife gewesen, um zu erfahren, wie es ihr ginge. Sie hatten in Adgifes traulicher Kemenate gesessen, in der es ein wenig nach Rauch, ein wenig nach Blumen, ein wenig nach Wachs roch, und an kleinen Törtchen geknuspert, die Adgife vortrefflich zu backen verstand. Adgife hatte Alberetens Gürtel bewundert, der aus feinen Goldringen bestand, die durch Kettchen aneinander hingen. So war es eine Weile fortgegangen, bis Albereta endlich etwas ungeduldig fragte:

»Und wie steht's mit Euerm Gemahl? Ist er noch eingesponnen? War sie bei Euch? Kommt sie öfter?«

Adgife wurde rot und gebrauchte ausweichende Redensarten.

»Er ist sehr gut zu mir.«

»Besonders, wenn sie hier gewesen ist.«

»Sie kommt nie.«

»Also ist es vorüber?«

Adgife schüttelte zögernd den Kopf. »Er geht zu ihr.«

Daraufhin hatte Albereta nichts mehr gesagt, nur 160 beim Fortgehen der kleinen Frau die Hände gedrückt. Adgife war ihr bis hinab gefolgt.

»Ist es wahr, Albereta?« Und auf Albereta's fragenden Blick: »Daß Ihr gleich einem Manne jagt und zu Roß Euch in den Wäldern herumtreibt, um die Gesellschaft des Einen nicht entbehren zu müssen? So erzählt man wenigstens.«

Albereta war ruhig geblieben. »Ja, es ist wahr.« Innerlich dachte sie: Wen mag sie wohl meinen?

* * *

Einmal, als Rufus Lieblingsroß bei einem Wettrennen, das er mit ein paar Herren veranstaltet hatte, tot unter ihm zusammengebrochen war, verfiel er auf eine aberwitzige Idee.

Wenn er von einem seiner tollen Ausflüge heimkam, ließ er sein Pferd mit kostbarem alten Wein waschen, um es zu kräftigen.

Natürlich ahmten die Mitteilnehmer dieser Ritte ihm nach.

»Glaubt nur nicht, ihr Herren,« sagte Rufus, »daß wir damit etwas neues erfunden hätten, schon des Phokus Freund hat diesen guten Einfall gehabt.«

Flambard wagte zu widersprechen.

»Vergebt Sir, bloß die Füße seiner Gäste, nicht deren Rosse ließ er mit Wein waschen.«

»Du solltest zur Strafe nach Bukephala verbannt werden, alter Nörgler. Du gehörst zu den Narren, die 161 behaupten, daß die Leute früher anders gewesen sind als heute. Ihre Kleider trugen andere Schnitte als die unsern, sie selbst aber waren genau solche Tröpfe wie es ihre Nachkommen sind. Flambards finde ich in Ägypten und Rom, in Byzanz und im Paris der Frankenkönige.«

»Sir, verzeiht, ganz stimmt Euer Wort nicht. Oder wißt Ihr einen Herrscher, der des Eroberers Sohn gleicht?«

Rufus lachte. »Seht den alten Fuchs an. Er will wohl ein Erzbistum haben. Wohlan, du sollst eins erhalten.« (Flambard wurde 1099 Erzbischof von Durham.)

Aquis wandte sich heimlich zum König. »Sir, ich wußte nicht, daß Ihr der größte Spaßmacher Eueres Reiches seid. Von nun an weiß ich's.«

Aber der teuere Wein für die Rosse der Edelleute, der natürlich aus des Königs Schatulle bezahlt wurde, kostete viel, sehr viel Geld.

Aquis meinte zu Meulant: »Wir wollen ihn doch von allzu törichten Streichen bewahren,« und unterbreitete Meulant einen Plan, der dem klugen Hofmann nicht mißfiel.

In Wahrheit ärgerte es Aquis mehr als er zeigte, daß die Gräfin Troarn soviel – an den Jagden teilnahm. Rufus fing an, ihren Mann zu bevorzugen, dadurch wurde ihr das Recht eingeräumt, mehr als sonst, in des Königs Nähe zu sein. Der König schien zwar die schöne Gräfin mit höflicher Gleichgültigkeit zu behandeln, wer aber konnte diesem Mann trauen, der schon öfter 162 als einmal vom Eber zum Fuchs geworden war, und die gefährliche Verwandlungsfähigkeit des Normannen besaß. Albereta mußte um jeden Preis aus Rufus Nähe entfernt werden. Sie durfte nicht Einfluß auf ihn gewinnen.

* * *

Aquis und mehrere andere aus des Königs Umgebung, legten Rufus nahe, er müßte sich zerstreuen, wieder einmal andere Gedanken fassen, sich erinnern, daß er auch Mensch, nicht nur Regent sei. Der arme vom Regieren so geplagte Mann!

Es wurde ein Fest am königlichen Hofe angesagt. Da sich Rufus damals auf seinem Lieblingsschloß in Winchester aufhielt, so sollte dort die Lustbarkeit stattfinden. Boten sprengten nach allen Richtungen, um die Einladung des Königs den Herrschaften zu überbringen, die mit zur Hofgesellschaft gehörten. Dann gabs die Vorkehrungen wie bei allen Festen.

Die Köche liefen mit roten Gesichtern herum, die Gärtner strengten ihre Phantasie an, um die rauhe Jahreszeit zum Hochsommer zu verwandeln, Schneider und Dekorateure hatten alle Hände voll zu tun.

Rufus ging gähnend umher und würdigte die Arbeiten und Arbeiter keines Blickes. Ihm war all das grenzenlos langweilig. Kurz vorher hatte ein Weib, ganz in Perlenschnüren eingesponnen, Audienz bei ihm gehabt, unter dem Vorwand, ihm wichtige Nachrichten 163 aus der Normandie zu überbringen. Er hatte die Schöne vorgelassen, aber schon nach einigen Minuten verdrießlich abgefertigt.

Ja, wenn er die Perlen ohne das Weib hätte haben können!

Dann kamen sie alle mit Trara und vielem Gepränge nach der königlichen Burg. Edles Blut und weniger edles, Herren und Frauen, Bischöfe und ihr Gefolge, Ritter, die von Helden abstammten, Franzosen mit klingenden Namen, das von Gold starrende byzantinische Prinzlein, selbstbewußt mit überlegner Haltung, voll fremdartiger Schönheit der Schotte, der dereinst den väterlichen Thron besteigen wird. Haimon, den der Kummer alt gemacht hat, Wilhelm von Warelwast, der immer geheimnisvoll Dreinschauende, Meulant und Flambard, vor denen die Höflinge den Rücken krümmen, Prinz Henry, der eben sehr verliebt ist – seine Dame ist nicht anwesend – und die andern Leute für Luft zu halten scheint. Der Wasserspeier folgt mit seiner schönen Gräfin, deren äußere Verwandlung alle beschäftigt. Unter den letztern war auch Tyrell, der glänzende Gautier, der schwermütig und gedrückt aussah und den König begrüßte, ohne ihn anzublicken. Orielde von Viant fehlte. Daß Rufus, nachdem sie ihm allerlei Vorwürfe gemacht hatte, ihr eine Ohrfeige gegeben habe, wird wohl nur Erfindung sein. – Hingegen scheint der Saal in grünen Lichtern zu brennen, als Giffiu eintritt. Das langhinschleifende, grüne Brokatkleid ist um die Mitte so eng, 164 daß man nicht begreift, wie darunter ein Magen Platz finden kann. Ketten aus kleinen Rubinen fallen von den Schultern über die weiten, langen Ärmel herab. Auch um den Hals trägt sie Rubinen. Auf dem blonden Haar liegt glitzernder roter Staub.

Sie schreitet höchst ruhig und gleichgültig bis zum König, verneigt mit kaum merkbarem Zucken der Lippen das Haupt und wandelt zum Ingrimm einiger Leute dorthin, wohin sie will, nämlich zu Haimons ehrwürdiger Mutter, die plötzlich trotz ihres gebückten Alters kerzengerade wird.

O armer Graf Bray! Der König sieht ihn an, als dächte er: Jammermensch, du müßtest mit meinen Pferden gebadet werden!

Aquis flüstert Rufus zu: »Sie ist um den Verstand zu verlieren.«

Rufus blickt ihr nach. Wie er sie neben Haimons Mutter landen sieht, lächelt er.

»Sie hat den Teufel im Leib.«

»Diese Frau, Sir, ist das einzige Geschöpf, das nichts respektiert, an nichts glaubt, auf niemand hört als auf sich selbst.«

»Das meint ihr nur, mein Guter! Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Ihr solltet nur sehen, wie sie den Hals lang machen wird, wenn sie bemerkt, daß man hier nach ihr blickt.«

»Sir, wäre es nicht eine Aufgabe, diese Frau zu dressieren, wie man ein Raubtier abrichtet?«

165 Der König wendet sich zu Warelwast und richtet einige gleichgültige Worte an ihn. Fanfaren rufen zu Tisch. Wachsfackeln qualmen, Seiden rauschen, Juwelen glitzern auf, blasse Gesichter werden rot, und rote blaß. Schüsseln von unermeßlichem Wert mit köstlichem Inhalt werden herumgereicht, dunkler Wein glüht in silbernen Bechern. Von Pasteten, aus denen Überraschungen steigen, wird der Deckel gelüftet, Blicke, Worte, Andeutungen fliegen hin und her, dann braust die Musik hinein, um dem Wein seine Macht streitig zu machen. Rufus hat wenig getrunken, sich mehrere male nach jemand umgesehen und zerstreut seiner Umgebung zugehört. Er begreift nicht, daß ihn die paar Becher Weins so trunken machen. – – Endlich gibt er das Zeichen zum Aufbruch.

Klirrende Wehrgehänge, knisternde Schleppen, vergossene Essenzen, die durch ihren Duft einem das Restchen Verstand rauben wollen, das der Wein noch übrig gelassen hat.

Ha, diese Troarn mit ihren dunklen Augen! Schön, aber – unbequem!

Gaukler taumeln herein und werfen seidene Bänder nach den Frauen, als wollten sie sie sangen. Der Byzantiner taucht auf. Todbleich. Vor ihm leuchtets wie grünes Licht. Er geht ihm nach, trotzdem ein anderer sich nähert.

»Beim Schein der Hölle!« Rufus hat den Fuß auf die grünseidene Schleppe gesetzt. Ein knirschender Laut, 166 ob von der Seide oder von den Lippen derjenigen, die das Haupt empört zurückwendet?

»Dort,« Rufus deutet brüsk nach einer Richtung, »ist ein Gemach mit Frauenplunder, man wird Euch den Schaden ersetzen. Kommt, ich geleite Euch hin.«

Sie richtet eine Sekunde lang forschend die klugen Augen auf ihn, rafft die zerrissene Schleppe auf und geht nach der – entgegengesetzten Richtung.

Rufus, das Gesicht von Röte überflammt, ist mit einem Schritt an ihrer Seite, flüstert ihr ein paar Worte zu und fühlt ein Fetzchen der zerrissenen Seide in die Rechte gedrückt.

»Ich werde Euch Botschaft senden, wann ihr mir dies Andenken zurückbringen sollt.«

Das ist sein ganzer Erfolg.

* * *


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