Maria Janitschek
Der rote Teufel
Maria Janitschek

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Albereta ist traurig. Ihr reiches, schwarzes Haar hängt schlaff, wie von großer Glut mattes Gras, um ihr schmales Gesicht.

26 Nicht glücklich ist sie in Troarn eingezogen, aber mit einem schönen, festen Vertrauen auf den Mann, der an ihrer Seite hinritt. Nun aber ist dieses Vertrauen geschwunden und geblieben ist nichts als Weh und Sehnsucht. –

An einem Abend hat sie ihn sanft an den Händen gefaßt und gefragt, ob Orielde gelogen oder die Wahrheit gesagt habe. Ob seine Vermählung die Ursache einer Wette war, ob er den Freunden wirklich nur hat zeigen wollen, daß er jederzeit, jede Frau, die er wünschte, gewinnen könnte.

Da hat er das Kinn tief auf die Brust sinken lassen. Gelogen hat ein Troarn noch nie. »Orielde hat recht gehabt, die Unholdin, die Euer armes Herz betrüben wollte, weil Eure Schönheit die ihre in den Schatten stellt. Doch grämt Euch nicht! Was anfangs nur äußere Bewunderung Eurer Holdheit war, ist während unseres Beisammenseins zur festen, tiefen Liebe erstarkt.«

Sie ging an diesem Abend still schlafen, ein Leid legte sich neben sie auf die Kissen.

Am andern Tag wandelt sie müßig im Park hin, der das Schloß umgibt. Es ist ein stolzer Bau, dieses Troarn, das nahe bei Winchester liegt. Mächtige Steintürme schließen sich wie schützend an seine Front. Viel uralter Efeu klettert über die grauen Mauern hin und blickt in die Fenster. Vor dem Eingang breitet sich ein grüner Rasenplatz aus. Hier pflegen die Lieblingsrosse des Herrn zu weiden, und es ist schön, von oben herab ihren flinken, lebhaften 27 Bewegungen zu folgen. Hinter dem Rasen sind Gruppen vornehmer Ziersträuche angebracht, Blumenbeete leuchten. Weiter rückwärts folgt dichtes Nadelholz, schattige Alleen schließen sich an, verschiedene Lauben laden zu stiller Rast ein, ein Weiher glänzt dunkelgrün hervor; auf seinen Wassern wiegt sich ein einsames Boot.

Schön ist es hier wohl, doch anders als in der Heimat.

Albereta gedenkt ihres tiefblauen Himmels, der Linien der Berge, der Musik des Meeres, der Menschen mit ihrer braunen Gliederpracht. Der Lacerten, die sich am Fuße der schlanken Minarets sonnten. Ihres flachen Steinhauses mit dem traumhaft schönen Säulenhofe, in dem hochstielige Rosenbüsche und Lorbeersträucher wuchsen und der Springbrunnen seine kristallhellen Wasser übermütig empor schoß. Der kleinen weißen Tauben, die immer erstaunt, immer hungrig, immer zärtlich waren. Der alten geliebten Muhme im wunderlichen, grünseidnen Rock.

Warum hab' ich dich verlassen, Schwester meiner Mutter? Warum bist du mir nicht gefolgt? Hätte ich dich lieber – tot hier, als gar nicht!

Ein Rabe erhebt sich kreischend aus dunklem Tannengeäst. Albereta fährt zusammen, sieht sich ängstlich um, verläßt die dämmerigen Schatten und geht ins Licht, nach dem hellen Rasen. Augenblicklich ist's leer hier, weder Roß noch Mensch zu erblicken. Am Himmel ziehen hohe weiße Wolken hin.

Das Herz schnürt sich der Gräfin zusammen.

28 Wie einsam! Wie öde! Weshalb hat sie ihre Frauen nicht bei sich? Oder wenigstens Onix, ihr kleines Windspiel. Sie wollte ja allein sein. Ach, sie ist zu schwach, um das Gefühl des Alleinseins zu ertragen! In vertrauter Einsamkeit hinzugehen ist nicht schwer, aber fremde erfüllt mit Bangen. Sie ist wie ein unbekannter Mensch, voll Rätsel und Geheimnisse. In der Heimat war's schön, wenn die Brunnen rauschten und die stillen Sterne das Nahen der Nacht verkündeten. Dort sprach die Stille. Hier ist sie stumm. Wenn sie zu reden anheben wird, was wird es sein, das sie verkündet? Böses? Gutes?

Albereta fühlt es kühl über sich hingehen. Sie eilt nach der Schloßtreppe. Sie sollen Musik machen, singen. Ein noch besserer Einfall!

Sie sandte nach den Gemächern ihres Gatten hinüber, ob er anwesend wäre. Wenn ja, ob er mit ihr Tyrells aufsuchen wollte, sie hätte Lust dazu.

Er war daheim und ließ fröhlich sein Pferd satteln.

* * *

Bei Tyrells gab's zahme Rehe, Hunde, ein Bassin mit Fischen, in den Gängen Vogelkäfige mit schreienden, zwitschernden Insassen, im Schloßhof Jongleure mit Zithern und Fiedeln, übermütige Dienstknechte und müßige Mägde, die sich scherzend nach den Klängen der Musik drehten. Hier roch es immer nach Braten und Gebackenem und die Stallbuben hatten beständig zu tun, entweder kamen Gäste oder zogen ihrer ab. Der schöne, sonnige 29 Ritter, der so gerne gab und alle leben ließ, wurde von fröhlichen Gästen bestürmt. Auch der König erschien ab und zu, um bei diesem vergnüglichen Toren, dem noch nie ein Zahn weh getan hatte, harmlos zu werden. Gautier besaß nicht viel Vermögen von seinen Eltern her, deshalb hatte der König ihm auch ein Gut geschenkt. Seine Gemahlin war indes wohlhabend.

Als jetzt Troarns angemeldet wurden, eilte er ihnen freudig entgegen, um sie am Fuß der Treppe zu empfangen. Das Haus war wie immer voll von Gästen. Herrschaften aus den benachbarten Schlössern waren anwesend, und Adgife, trotz ihrer zahlreichen, gutgeschulten Dienerschaft, hatte mehr als genug zu tun. Sie sah Albereta forschend an, als sie einander begrüßten und führte sie in den Saal, in dem sich ein Teil der Anwesenden befand. Der fröhliche Lärm der schon stark angeheiterten Gesellschaft wurde gedämpfter, als Gräfin Troarn hereintrat. Man musterte sie, flüsterte sich Bemerkungen zu, schätzte ihr Alter und begriff nicht, daß sie den – guten, lieben, aber immerhin den – Wasserspeier genommen hatte. Es gab zahlreiche Vorstellungen, Albereta sah allerlei Gestalten an sich vorüberziehen, hörte verschiedene Namen nennen, von denen sie sich die wenigsten merkte. Zum Glück fehlte die eine, der sie ungern begegnet wäre. Die lag daheim im Bett und ließ sich Umschläge auf ihr zerkratztes Gesicht machen. – Nach dem kleinen Imbiß, das Mittagessen war schon vorüber, und die Tische hinausgetragen, näherte sich Gautier der jüngsten seiner 30 Gästinnen und bot ihr den Arm. Er wollte ihr die Räume des Schlosses zeigen, den Garten, die Fische, Vögel, Hunde, die abgerichteten Rehe und noch viel anderes Lustiges. Sie gingen über allerlei Wendeltreppen und Gänge, die Hunde liefen ihnen wedelnd entgegen und die hübschen Mägde, sie waren hier fast ausnahmsweis hübsch, guckten alle verstohlen und freundlich hinter ihnen her. Und jetzt sagte Gautier, sich zu Albereta beugend: »Ihr seht heute so aus, als ob Ihr ein wundersames Gesicht gehabt hättet, Eure Augen sind noch wie versonnen und gleichsam den letzten Schimmer suchend. Was ist Euch so besonderes begegnet?«

Da lächelte sie. Ein wundersames Gesicht? In der Tat! »Ein krächzender Rabe hat mich im Garten erschreckt, dann hab ich die stillen weißen Schäferwolken angesehen. Dann packte mich etwas wie Heimweh, ich sehnte mich nach Menschen und bin zu Euch gekommen.«

»Nie werde ich es Euch vergessen, daß Ihr in solcher Stimmung unserer gedacht habt.« Er zog ihre Hand an die Lippen. »Ich wollte, ich könnte Euer Heimweh lindern. Glaubt mir, nicht die hohen Lorbeersträuche in Eurem Elternhause sind's, nach denen Euer Herz begehrt. So kenn ich jemand, es ist kein geringerer als der König selbst, der an ähnlichen Zuständen leidet. Die Sehnsucht nach Freiheit, wie er meint, ist's nicht allein, die ihn quält. Es muß etwas anderes sein. Oft jagt er durch seine Wälder hin, um der Last ledig zu werden, oder sucht sie in schweren Weinen zu ertränken, es nützt nichts.«

31 »Er«, sagte Albereta befangen, »er sieht doch so glücklich aus. Und – helft Ihr ihm nicht in solchen Stunden?«

»Wenn ich in seiner Nähe bin, soviel ich kann, ich bin es aber nicht immer.«

»Ihr seid ihm sehr ergeben.«

»Er verdient es auch. Wäre er in meiner Heimat, man würde ihn vergöttern.«

»Hat er hier – Feinde?«

»Das könnt Ihr Euch denken. Feinde und Neider. Die schlimmsten aber sind seine bösen Ratgeber, Leute, die auf sein Verderben ausgehen.«

»Wo sind die?«

»Wo? Überall. In jeder größeren Gesellschaft findet sich einer von ihnen.«

»Auch bei – Euch?«

Er nickte leicht verlegen.

»Aber wie könnt Ihr solche Leute empfangen?«

»Erst recht. Nicht nur um sie auszuholen, auch um zu versuchen, sie auf unsere Seite zu bringen.«

»Ach, zeigt mir doch einen von ihnen, den, der bei Euch weilt.« Sie schmiegte sich bittend an seinen Arm. Über mancherlei anderes, den König betreffendes erging sich noch ihr Gespräch, dann mußten die Rehe ihre Kunststücke machen, die Fischlein erhielten Brotkrümchen, ein struppiger kleiner Star wurde aus seiner Haft entlassen, flog auf Alberetas Schulter und kreischte ihr in's Ohr: Oh, qu je t'aime!

Mit leisem Lächeln aus den Lippen und einem warmen 32 Glanz in den schönen Augen, kehrte sie an Tyrells Arm wieder zu den Übrigen zurück.

Troarn saß in einer Ecke des Saales ohne zu trinken neben Adgife und erzählte ihr etwas. Sie sah bleich und nicht gut aus. Ihr fahles Gesicht mit den unregelmäßigen Zügen, dem stark hervorstehenden Kinn, der flachen Nase, reizte wenig. Nur die Augen versöhnten, wie bei ihm, der neben ihr saß. Albereta wollte zu ihr hineilen, doch Gautier hielt sie zurück und führte sie vor einen einsam dastehenden Mann, den er in diesem Augenblick erspäht hatte.

»Da ist einer von jenen, die Ihr kennen lernen möchtet.«

Dann wandte er sich verbindlich an den Ritter. »Begrüßt meinen Gast, Herr von Aquis, die Gräfin Troarn möchte Euch kennen lernen.«

Die durchdringenden Augen des seltsamen Menschen richteten sich auf Albereta. Er sagte keine der gebräuchlichen Höflichkeiten, sondern neigte nur stumm das Haupt vor ihr.

»Als ob er nicht hierher gehörte, dünkt es einen, findet Ihr nicht auch?«

Gautier lachte. »Habt Ihr vernommen, Aquis? Die Gräfin findet, Ihr wäret so, als ob Ihr nicht hierher gehörtet.«

Nun blitzten die schweigsamen Augen auf und das blasse Gesicht färbte sich leicht.

33 »Was meint Ihr, Gautier? Hat die Gräfin mir eine Schmeichelei oder eine Grobheit sagen wollen?«

»Ich hoffe, eine Grobheit,« lachte Tyrell.

»Dann geb' ich sie zurück,« Aquis verbeugte sich mit scherzhafter Ironie, »noch nie hat jemand weniger – nicht in das gastfreundliche Schloß Tyrell, – an diesen Hof getaugt als Ihr, Frau von Troarn. Ich sehe Euch übrigens heute nicht zum erstenmal, schon neulich habe ich Euch gesehen, damals, als jemand geruht hat, Euch im Park zu erschrecken.«

»Mich zu erschrecken?« Sie fühlte eine Blutwelle über ihr Gesicht gehen und tat, als sänne sie nach. »Der Park ist nicht überall freundlich.«

»Nein, doch zu Zweien überall sicher, das heißt, wenn ein Mann die Dame begleitet.«

Ihre sonst so sanften Blicke flackerten auf und kreuzten sich mit den seinen.

Wir verstehen einander, sagten diese Blicke.

Ich hasse dich!

Ich dich nicht, dazu bist du mir zu wertlos. Ich werde dich beobachten, besonders aber die, mit denen du verkehrst.

»Ich wiederhol's, Ihr paßt nicht hierher,« sagte Albereta wie ein Schulmädchen, das kratzen möchte, aber artig sein muß.

»Weshalb nicht, Gräfin?«

»Weil alle hier froh und glücklich erscheinen, nur Ihr nicht.«

»Ich bin es nicht weniger als die andern, nur auf 34 meine Weise. Nicht jeder kann seine Frohheit zeigen und durch seine Mienen ausdrücken.«

»Verderbt mir nicht die Gräfin durch Euern Ernst.« Gautier zog sie vertraulich weiter.

»Laßt den dunklen Propheten, er soll weiter orakeln. Wir aber wollen uns freuen und heiter sein. Seht hier diesen Wandteppich an. Die schöne Berta, Karls des Großen Tochter, soll ihn gewebt haben.«

»Berta?«

»Kennt Ihr sie nicht? Sie war ein holdes Fräulein, das aber nicht heiraten durfte, weil le père eifersüchtig auf jeden Freier war.«

»Die Arme!«

»O bedauert sie nicht. Sie hat sich schadlos gehalten.«

»Wie? Schadlos?«

»Aquis hat recht, Ihr taugt nicht zu uns. Doch stoßt Euch nicht an unsern Sitten, wir sind ruchlos, aber gutherzig. Wir wollen glücklich sein, ohne andern das Leben zu verderben.«

Wie lieb er lächeln kann, dachte Albereta, zwischen Abscheu und Wohlgefallen ihn anblickend.

Da zwang sie etwas, auf die beiden zu sehen, die drüben in der Ecke saßen. Und sie bemerkte, wie Adgife herüber sah.

»Laßt uns zu Eurer Gemahlin gehen.«

Gautier gesellte sich zu Troarn, indes Albereta sich neben Adgife niederließ.

35 »Verzeiht, ich habe mich lange verzögert, es ist so vergnüglich bei Euch.«

»Das machen unsere lieben Gäste.«

»Habt Ihr keine Kinder?«

»Kinder? Nein.«

»Aber dafür einen Gemahl, der Euch das Leben durch seine Zärtlichkeit verschönt.«

»Ja, Gautier ist sehr gütig zu mir. Ich wollte, ich könnte es ihm vergelten.«

»Das tut Ihr doch aufs beste. Was kann ein Mann mehr von seiner Frau verlangen, als Ihr ihm gebt?«

Adgife blickte ihrem Gatten nach, der sich mit Troarn entfernte. Dann richtete sie ihre Augen zärtlich auf Albereta.

»Ihr seid nicht nur schön, Ihr seid auch gut. Es muß langweilig für Euch sein, das zu vernehmen, denn Ihr hört es ja von jeder Lippe.«

»Es gibt Schmeicheleien, die man nie oft genug hören kann; übrigens irrt Ihr in Eurer Voraussetzung. Mein Gemahl ist sehr zurückhaltend.«

»Nun, aus meines Gautiers Augen müßt Ihr das lesen, was ich Euch gesagt habe. Er ist bezaubert von Euch. Er sagt, in Euch wohnte alles vereint, um einen Mann glücklich zu machen. Er wird Euch fast ähnlich, wenn er neben Euch hergeht.«

Ja, das hatte Albereta auch schon dunkel gefühlt. Der Glanz, den das Bewußtsein, schön zu sein, verleiht, leuchtete auch aus seinen Zügen.

36 »Ich wünschte, wir sähen einander recht oft, –« Adgife reichte Albereta die leichte Hand hin – »um meinetwillen, die ich die Schönheit verehre, und um Gautiers willen, der am glücklichsten ist, wenn die Sonne in seine Augen scheint.«

»Ihr seid viel zu gütig zu mir, ich bin durchaus nicht so, wie Ihr Euch vorstellt. Oft fehlt mir jede Freudigkeit und schmerzliches Heimweh quält mich.«

»Heimweh? Das ist kein Heimweh, das ist die Sehnsucht des Hellen nach dem Hellen. Wen könnte es wundernehmen?«

Als Albereta Gautiers Frau später verließ, nahm sie die Überzeugung mit, in ihr eine Freundin gewonnen zu haben.

* * *

Der Winter kam. Wie ein ungeberdiger Junge kam er über die Felder gejagt, schnob in die letzten gelben Blätter, daß sie erschreckt aufstoben und streute seinen weißen Plunder aus. Die Besuche von Schloß zu Schloß wurden seltener, die Wege waren über die Maßen schlecht, Pferde und Maultiere versanken in dem knietiefen Morast, der unter der Schneehülle heimtückisch sich verbarg. Sogar in den Sänften war's nicht geheuer, denn wenn die Menschen, die sie trugen, hinfielen, so fielen auch die Insassen ins weiche, glitschige Naß. Um so freudiger begrüßt wurde jeder kühne Gast, der das Unternehmen wagte, seine nahen oder entfernteren Nachbarn zu besuchen.

37 Zu denjenigen, die, in ihren Zobel gehüllt, fluchend hinterm Ofen saßen, gehörte Herr von Bray. Er fror beständig, der arme Graf, besonders dann, wenn seine Frau nicht bei ihm weilte.

Und Giffiu war so schlecht, diese Abwesenheit öfters eintreten zu lassen. Ihr schadete kein Winter, ihre Sehnen waren wie aus Eisen, ihr Blut rot. Unerschöpflich war ihre Lust, alle verzärtelten Herren des Hofes durch ihre kühnen Ausflüge neidisch zu machen.

»Wenn sie nicht eine solche Megäre wäre,« soll Rufus einst ausgerufen haben, »sie wäre das bewundernswerteste Weib meines Reiches. Aber wenn ich glaube, eine zarte Frauenhand in der meinen zu halten, fühle ich plötzlich die zermalmende Faust eines Löwenbändigers meine Finger biegen. Beim Glanz Gottes! Kraft habe ich selbst, beim Weibe such ich sie nicht.«

Diese holde Dame mit den blutroten Lippen hatte merkwürdigerweise einen Schwarm der widersprechendsten Anbeter um sich, die sie wie eine geheimnisvolle Veleda verehrten. Ähnliche Leute wie ihren Gemahl, daneben nackengebogene Männlein, junge Herrchen, die das »Fürchten lernen wollten«, es aber nicht einmal zu einer richtigen Gänsehaut brachten.

Hei, wohin stiebt sie heute, die blonde Giffiu? Ihr Renner ist so zäh wie sie selbst, er wird nicht stürzen, sondern mit ihr hineilen, wohin sie will. Die bedauernswerten drei Hofknechte hinter ihr verfluchen sie untern Rasen, was bekanntlich dem Verfluchten 38 zu einem um so längeren Leben verhilft. Ihre schmalen Wangen brennen im Ostwind, ihr Mund lächelt verständnisinnig die versteckten Erdlöcher und Buckel des Bodens an. Sie jagt darüber hinweg.

Endlich tauchen hinter den verschneiten Bäumen zwei finstere Türme und zwischen ihnen die Fenster von Troarn auf.

Nach einigen Minuten umringt sie ein Schwarm Knechte, Mägde, Frauen, die ihr und ihren Dienern Hilfe leisten. Ilbert kommt höflich herbeigeeilt und gibt in lebhaften Worten seiner Bewunderung für ihre Amazonentat Ausdruck. Und allein?! Er säße daheim, hat Angst um Nase und Ohren. Doch seine Grüße schickt er. Die konnten unterwegs nicht erfrieren, denn sie bringt sie. Albereta wäre doch anwesend?

Gewiß, und sie wird sich sehr freuen.

Sie gehen über die Treppe hinauf. Oben kommt ihnen die Gräfin entgegen und führt Giffiu in eine geheizte Kemenate, wo Frauen sie der Pelzhülle entkleiden, ihr laues Rosenwasser reichen, um Gesicht und Hände zu erfrischen. Dann geht sie in Alberetens Gemach. Nach dem ersten Besuch, den die beiden Herrschaften einander gemacht haben, scheint Giffiu eine Neigung für Albereta gefaßt zu haben. Sie hat sie schon mehr als einmal besucht, indes Frau von Troarn eigentlich ohne den Grund davon zu kennen, diese Anhänglichkeit sehr zurückhaltend erwidert.

»Ah, was seh ich! Ihr seid nicht allein?« – Tyrell 39 hat sich bei ihrem Eintritt erhoben – »ich habe wohl Euer Gespräch unterbrochen?«

Indem sich alle niederlassen, entgegnet Gautier: »Wir redeten über den König. Ich habe Frau Albereta von seinem Vater erzählt, der so groß und schwer war, daß ihn kaum ein Pferd tragen konnte, weshalb er viel zu Fuß lief und den Namen »der Gänger« erhielt. Doch was habt Ihr auf Eurer linken Wange? Wer hat Euch gekratzt, seit – gestern?«

Sie wirft ihm einen verweisenden Blick zu. »Kleine Kinder sehen doch alles. Also von Rufus Vater! Wenns nicht der König ist, ists wenigstens sein Vater. O Gräfin, welche eifrige Anhängerin besitzt unser Königshaus an Euch. Wahrhaft rührend! Danke, Troarn, ich nehme nicht süßen Wein, er geht mir zu sehr auf die Nieren. Bringt mir später ein Stück Fleisch.«

Sie wendet sich an den bedienenden Knaben. Der Glanz, der auf Alberetas Gesicht gelegen hatte, verfliegt. Ihre Nüstern gehen unruhig. Sie sieht von Gautier auf Giffiu und von ihr auf ihn. Zum drittenmal in verhältnismäßig kurzer Zeit sind sie einander begegnet. Es ist wahr, Gautier ist viel hier, viel. Kommt er nicht von selbst, so schickt ihn Adgife mit Grüßen und irgend einer kleinen, höchst wichtigen Botschaft, die in Wahrheit nur ein Vorwand ist. Sie fühlt ja instinktiv in ihrer hellseherischen Liebe, daß er heimlich nach etwas bangt, dann fällt ihr die wichtige Botschaft ein, die sie Albereta senden muß. Der Gefällige übernimmt es, herüber zu reiten. 40 Er tut es nicht ungern. Es wäre unwahr zu behaupten, daß er Albereta nicht gut sei. Er hat sie lieb wie eine Schwester und er ist ihr – dankbar, denn ihre Unschuld scheint es nicht zu merken, daß er um einer Andern willen kommt. Ohne es zu beabsichtigen, berührt er in seinen Gesprächen oft seinen Herrn und Alberetas aufglänzende Augen bewegen ihn, diesem Stoff Unerschöpflichkeit abzugewinnen.

Troarn sitzt dabei und schweigt, spielt mit den Elfenbeinfiguren seines kostbaren Schachbretts und läßt ab und zu seine Blicke über die beiden schönen Menschen gleiten.

»Wie geht es Adgife, der besten aller Frauen?« Die blonde Gräfin kneift die Augen zusammen und lächelt impertinent. »Backt sie wieder Kuchen? Findet Ihr nicht auch, Albereta, daß Gautier zu dick wird? Er sieht schon fast unförmig aus. Seine Frau füttert ihn zu gut.«

Albereta wirft einen befangenen Blick auf Tyrell. »Er scheint mir nicht anders als sonst auszusehen.«

»Sogar besser als sonst,« wirft Troarn hin, »es ist ein Licht in seinen Augen entbrannt, das ich vorher nie gesehen habe.«

»Ihr macht mich verlegen mit Euern Bemerkungen,« Tyrell runzelt die Brauen, »redet doch lieber von meinen guten Eigenschaften.«

»Wie soll man von etwas reden, das nicht vorhanden ist –« Giffiu schlingt die Hände um ihre Kniee und beugt sich zu Tyrell hinüber, »Euere hübsche Fratze ist aber da, ich sehe sie, auch Dame Albereta sieht sie, selbst unser 41 tugendhafter Troarn spricht vom ›Licht‹ Eurer Augen. Fünfzig Mägde auf Euerm Schloß gehen erleuchtet von diesem Licht hin und Eure Frau badet ihr Herz darin.«

»Nun aber hört auf, selbst Ihr sollt nicht so törichtes Zeug schwatzen.«

»Törichtes Zeug? Sagt, Albereta, glaubt Ihr, daß die Jungfrauen, die sein Bad bereiten, die sein Lager zurecht machen, ihm die Haut mit duftenden Essenzen einreiben, um seiner Frau willen so holdselig lächeln?«

»Ach, Frau Giffiu, wißt Ihr denn nicht, daß –«

»Bitte, lügt nicht!«

»Daß meine Frau es sich in den Kopf gesetzt hat, nur Menschen, die sie schön findet, unter das Gesinde zu nehmen? Ich kann wahrhaftig nicht dafür, mir wird's sogar oft langweilig, wenn meine Gäste, anstatt sich mit mir zu unterhalten, den Mägdlein nachsehen, die meine Tafel bedienen.«

Albereta erhebt sich und verschwindet, um ihren beiden Gästen ein kleines Mahl vorsetzen zu lassen. Die drinnen streiten und zanken noch eine Weile scherzhaft weiter, dann folgen sie dem Knaben, der sie in einen kleinen durchwärmten Saal führt.

Tyrell kommt neben Giffiu zu sitzen, seine Hände beben leise, wenn sie ihr etwas hinreichen oder sie zufällig berühren.

Albereta wirft ab und zu einen langen Blick auf ihn. Wie bang sie nach ihm ausschaut, denkt Troarn und verbiegt den silbernen Löffel in der Faust. Das ist die Strafe 42 dafür, mein Ilbert, daß du glaubtest, ein Weib, und dieses Weib, könnte dich lieben . . . .

Später sagte Giffiu: »Ich mache einen Vorschlag. Aus Rom ist eine Schar Musikanten angekommen. Sie haben Harfen und Flöten, Fiedeln und Zithern bei sich. Einstweilen sind sie in London und ergötzen das Arbeitsvolk, das an der neuen Brücke baut. Wollen wir sie kommen lassen; eine Woche zu mir, eine Woche hierher nach Troarn, eine Woche zu Euch, Gautier. Einer von uns soll den König dazu einladen.«

Ein neues Band, dachte Albereta, wie fein sie spinnt, ich scheine doch nicht zu irren . . . .

Gautier schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob der Vorschlag gut ist. Der König –« er überlegte, ob er darüber sprechen solle oder nicht und entschied sich zu einigen harmlosen Andeutungen – »der König ist augenblicklich nichts weniger als in einer fröhlichen Stimmung und zu derlei Scherzen aufgelegt.«

»Ists – Schottland, das ihn beschäftigt?« Troarn blickte Tyrell fragend an.

Gautier bemerkte flüchtig: »Es gehen allerlei Gerüchte um. König Malcolm soll insgeheim Zurüstungen machen, die Truppen an der Grenze wurden verstärkt.«

»Welches Heiligen Knochenreste wird die fromme Frau Margaretha ihrem Gemahl vorantragen lassen, damit der Sieg sein wird?«

Albereta warf Giffiu einen vorwurfsvollen Blick zu und beruhigte Onix, der zu knurren begann. Diese 43 Handvoll Hund erriet die Gedanken seiner Herrin und haßte, wen sie nicht mochte.

»Deshalb also die Absage zu dem geplanten Herbstfest im Wald! Und das erfahre ich heute erst,« warf Frau von Bray verletzt hin.

»Es gab sich die Gelegenheit nicht früher, auch will ich gar nichts gesagt haben,« verteidigte sich Tyrell.

»Es ist höchste Zeit, daß eine Schlacht oder sonst eine große Begebenheit die Lebensgeister unseres Herrn wieder auffrischt. Er erschlafft in der Gesellschaft, die jetzt um ihn ist.«

»Glaubt Ihr, Troarn?«

»Kann er denn Rohais Verlust überwinden?« Giffiu lächelte höhnisch.

»Ich meine, sogar leicht. Wenigstens läßt er sich nichts anmerken. Ich glaube überhaupt, daß die Damen keine allzu wichtige Rolle in seinem Leben spielen. Er ist so veranlagt wie sein Vater.«

»Sagt lieber, neben Fräulein von Viant kann sich keine andere behaupten. Sie mordet mit ihrer Zunge jede, die sich in sein Bereich wagt.«

»Orielde? Ich denke fast, es sei Flambard, der hinter dem Fräulein steckt.«

»O Gautier, jetzt werdet Ihr nett. Erzählt noch ein bißchen!« Giffiu legte leicht ihre Hand auf die seine, und er spürte der feinen Fingernägel Berührung. Ein flüchtiges Rot flog über sein Gesicht.

»Ich weiß von nichts. Man sagt, nicht ich, 44 Flambard bediene sich ihrer, um den König von jeder ernsteren Neigung abzuhalten, die Flambards einflußreiche Stellung gefährden könnte.«

»Flambard und Orielde! Ist es wahr, daß jemand, den ich nicht nennen will, der schönen Rohais nach Frankreich gefolgt ist?«

»Ich weiß es nicht.« Gautier zuckte die Schultern. »Verführt mich nicht dazu, schwatzhaft zu werden.«

Albereta fühlte die Unterhaltung wie eine Qual. Sie amtete erleichtert auf, als die Gäste sie verließen.

* * *

Indessen jagte Rufus von Torheit zu Torheit. Er hatte Anwandlungen sich in die Ewigkeit zu verlieben; in solchen Stimmungen ließ er Türme und Kastelle bauen, so wuchtig und fest, daß es schien, als ob kein Mauernbrecher und keine Pechpfanne ihnen etwas anhaben könnte.

Daneben aber flatterten seine Blicke unruhig hinaus in die Ferne.

Wer das Ohr auf den Boden legte, konnte ein dumpfes Grollen vernehmen. Das waren die Hufe der Schlachtrosse, die aus Schottland herabsausten zum Kampf.

Nicht umsonst reizte Rufus den Schotten fortwährend durch Eindringen in seine Gebiete, endlich mußte er Antwort geben.

Übrigens war es gleich, ob er kam, oder Louis Philipp, der Küsse der schönen Bertrada müde, ihm Fehde 45 anbot. Ob Frankreich und Schottland zu einem Waffengang einluden, freudig nahm er die Herausforderung an.

Nur nicht hier sitzen und verfaulen! Es ist heiter, mit den »Großen« im abgeschlossenen Saal zu tafeln und Dinge zu verhandeln, über die der Teufel erröten könnte. Kein Weiberohr darf an diesen Abenden zuhören, denn wie stark auch die Fräulein im Anhören hübscher Historien sind, diese Geschichten, die gestern oder heute geschehen sind, und morgen vielleicht wieder geschehen werden, könnten doch ihr Gehirn verwirren. Es ist heiter, Leute, vor denen die Plebs auf der Nase liegt, sich betrunken auf der Erde wälzen zu sehen, ärger als das schäumende Vieh im Stall, wenn es durch allerlei vertrackte Getränke toll gemacht wird. Es ist heiter, Personen, die als Wohltäter beim Volk gelten, niedrige Mordanschläge machen zu hören, um zu mehr Mammon zu kommen – die Fräulein kosten gar viel in diesen harten Zeitläuften – es ist heiter, das Heiligste der Menschheit behandelt zu hören, als wär es der Einfall eines Schulbuben, aber – es ist auch heiter, mit einem Fußtritt alle diese mit dem Erzschmuck uralter Abstammung prunkenden Helden beiseite zu stoßen und hinaus zu eilen in die Freiheit, in den schönen, männlichen Kampf. Ha, wenn die Hörner schmettern und die vom Blutgeruch wildgewordenen Rosse die Erde stampfen, da mitten drin im dichtesten Pfeilregen hinstürmen, das knatternde Abprallen der Geschosse auf dem ehernen Panzer als Liebkosung des Todes! Oder hinaus im Wintersturm in die aufbrüllende 46 See, von ein paar Brettern getragen über dem Nichts schaukeln. Rufus lächelt so verliebt, wie er noch nie ein Weib angelächelt hat.

Es ist aus einem Spazierritt in New-Forest, dem unheimlichsten, sagenreichsten seiner Wälder. Er ist allein ohne jede Begleitung. Und er öffnet die Lippen und saugt begierig die kühle Schneeluft ein. Der Teufel soll den König spielen. Viel Geld haben und frei sein, das ist das Richtigste. Das niedergezwungene Wikingerblut schäumt in ihm auf. Die Vorfahren: Seeräuber, die an zerklüfteten Küsten Weiber und Gut gestohlen haben! Und er soll ein braver König sein, der zahmen Pöbel regiert!

O Hrolf, was warst du für ein Esel, dich von dem einfältigen Karl belehnen zu lassen! O Robert le Diable! So schöne Erinnerungen für eine – Kette hinzugeben! . . . Der Hengst, den Rufus reitet, steigt kerzengerade auf.

Der Normanne fühlt es kälter als Schneeluft über sich hinwehen. Ein riesenhaftes, finsteres Weib, eine Lammfellmütze auf dem Kopf, unter der weiße Haarsträhnen im Winde flattern, steht plötzlich am Weg und richtet drohend die Blicke auf ihn.

Der König reißt knirschend sein Schwert heraus, doch das Roß tut keinen Schritt weiter.

Beim Qualm der Hölle, nimms schon, finsteres Gespenst, ich geb dir dies Leben, dies Narrenspiel voll Erbärmlichkeit, nur – erschrecke mich nicht! . . . . . . . . .

* * *

47 Die Fideln girren und locken und schöne Frauen und Herren drehen sich bei ihren Klängen, dann drängt sich eine Schar schlanker Teufel zu den Saaltüren herein, verstreut rote Nelken und gießt aus versteckten Gefäßen Wohlgerüche aus, die sich wie Rausch um die Sinne der Anwesenden legen.

Der König hat eine kleine Gesellschaft zu sich entbieten lassen. Im weißen Saal, einem der Prunkräume der Burg in Winchester hat er sie empfangen. Es ist ein vornehmer Raum mit kostbaren Wandteppichen, prachtvollen Waffen, silbernen und goldenen Schüsseln ausgeschmückt..

Unter den Anwesenden ragt Robert Bellesmes riesige Gestalt hervor, ehrwürdig gemacht durch die große Glatze und das Doppelkinn. Seine Gattin, ein winziges, rundes Frauchen, nennt ihn: mon enfant und mon petit! Auch Roberts Bruder Arnulf von Montgomery weilt hier, der Arme, dem neulich bei einem galanten Abenteuer zwei Vorderzähne eingeschlagen worden sind, weshalb sein Lächeln heut so verschämt erscheint.

Ralph Mortimer, der catonisch ernste, steht bei Troarn und seiner Gattin und entrüstet sich innerlich über Prinz Henry, der Herrn von Sais junger Gemahlin mächtige Lügengeschichten auftischt. So stellt er sich als Gönner der Klöster hin, und schildert die wundervollen Glasfenster, die er der Kirche in Wilton gestiftet hat. Allain von Clare erscheint natürlich in der Farbe seiner Dame: pflaumenblau, weil Adgife, die sich übrigens nicht das 48 mindeste aus seiner Huldigung macht, ein Kleid in dieser Farbe trägt. Meulant – sein goldstarrender kurzer Leibrock kleidet ihn gut – spricht mit dem ritterlich schönen Bischof von Thetford, hört aber zerstreut zu, denn seine Augen suchen den König. Da taucht er auf, unruhig, bleich, Glut, Eis, Zartheit, Grobheit, Vornehmheit und niedrige Gemeinheit, Großherzigkeit und Rachsucht, königlichen Stolz und berechnete Schlauheit in einer Person vereint. Er wechselt bald mit diesem, bald mit jenem ein Wort, wirft einen scharfen Blick auf Aquis, der mit Robert Mowbray, dem hochmütigen und verschlossnen Grafen von Northumberland, leise eine Sache verhandelt und bleibt endlich bei Wilhelm von Warelwast stehen. Wilhelm von Warelwast beginnen Schweißtropfen die Stirn zu netzen. Er, der sonst alles weiß, über alle Auskunft geben kann, ist nicht imstande, Rufus' Fragen zu beantworten. Sie gelten Duncan, des Schottenkönigs Malcolms natürlichem Sohn, dem Rufus sehr zugetan ist. Er liebt ihn geradezu, diesen unstäten Raben, der nicht Horst noch Heim hat und überall, wo er hinkommt, den Brand der Rebellion entzündet. Plötzlich hat Rufus Albereta erblickt. Ein geringschätziges Lächeln umzuckt seinen Mund. Gautier steht bei ihr und ihre Blicke hängen an seinen Lippen.

Der arme Warelwast macht eine Bewegung des Erschreckens und hört zu schwitzen auf, innerlich hocherfreut über das kleine Geschehnis, das die Aufmerksamkeit seines Examinators von ihm ablenken wird. Er deutet nach 49 links. »Das Fräulein von Viant ist ohnmächtig geworden, ein niederfallender Wachstropfen hat ihm den weißen Hals verbrannt.«

»Ei! Lassen wir dem Fräulein die anmutige Stellung.«

»Malcolms andere Söhne, Sir –«

Rufus läßt Warelwast weiter reden, er hat sich zerstreut von ihm abgewandt. Wie kann dieser Elephant von Troarn nur mit ansehen, wie seine Frau mit dem braunlockigen Burschen liebäugelt!

Losange, der Erzbischof von Thetford im Gespräch mit Meulant, tritt heran.

»Die Kirche einträchtig mit ihrem Bekämpfer, ein artiger Anblick.«

»Sir, wir geben uns gegenseitig nach.«

»Hier sind wir nichts anderes als Eure ergebenen Untertanen, Sir.«

»Du hast leicht reden, triumphierende Kirche, das Streiten und Leiden überlässest du deinem Beschützer.«

Losange blickt auf Meulant. Beschützer ist eine höchst passende Bezeichnung für Rufus!

»Sir, wir wollen mitstreiten mit Euch – leiden ist ein Wort, das in Euerer Gegenwart nicht ausgesprochen werden darf. Gebt uns Gelegenheit, unsere Kampflust für Euch zu betätigen. Wie heißt der Feind? Wo ist er?«

»Er heißt Mangel und sitzt in unsern Schatzkammern.«

Losange senkt die Augen sinnend. »Wie wär's mit einer Hundesteuer?«

Der König und Meulant brechen in Lachen aus.

50 »In London stolpern die Pferde über das herrenlose Viehzeug, das rudelweise in den Straßen herumläuft.«

Meulant schüttelt den Kopf. »Die Edelhunde können wir nicht besteuern und die Besitzer der gemeinen Köter haben nichts. Aber etwas anderes.« Meulant geht auf Losanges Scherz ein. »Jeder, der einen Edelhund totschießt, was alle Tage ein dutzendmal geschieht, muß soundsoviel Strafe bezahlen.«

»Das ist kein schlechter Witz, Meulant.«

»Ich hab etwas anderes.« Herbert Losange deutet auf Aquis, dessen bleiches Gesicht eben herübergeblickt hat. »Pfändet diesen Rappen dort, der immer unsichtbare Leichen zu führen scheint. Einen Grund dazu werdet Ihr gewiß finden. Man sagt, Aquis sei überaus wohlhabend, er hätte Schätze in Frankreich ruhen.«

Rufus macht eine abwehrende Handbewegung. »Ich mag mit diesem verknöcherten Angelsachsen – wenigstens von mütterlicher Seite her ist er's – nichts zu tun haben. Ich wollte, ich müßte ihn nicht mehr erblicken, doch hat er mächtige Freunde, die für ihn eintreten.«

»Ich glaube, der Ritter ist so verbissen und finster, weil das Glück Eurer Huld ihm abgeht. Zögt Ihr ihn in Eure Nähe, er würde so strahlend sein, wie Euer Liebling dort, der braunlockige Hermes.«

»Die Angelsachsen eignen sich schlecht zu Lieblingen.« Die ganze Abneigung Rufus gegen die Nation, die noch vor kurzem die herrschende im Reich war, spricht aus seinen Worten. »Sie sind von Heimtücken und Haß 51 erfüllt. Sie sind alle Aquis mit bleichen, hohlen Wangen und versteckten Anschlägen im Blick. Keinem einzigen unter ihnen trau ich.«

»Sir, macht die Probe,« der Bischof von Thetford richtet die sprechenden Augen auf Rufus, »überwindet Euren Widerwillen gegen sie, schließt sie nicht aus von allen wichtigen Ehrenämtern in Eurer Nähe, zeigt Ihnen Vertrauen und Ihr werdet die hingebendsten Untertanen in ihnen finden.«

»Seit wann redet Ihr den Besiegten das Wort, Bischof? Ihr müßt Anwartschaft auf hohe Vergünstigungen bei ihnen haben.«

»Nein, Sir, ich versichere Euch, ich habe mit keinem der bei Euch so Unbeliebten auch nur die geringste Gemeinschaft, doch ich kann es nicht ertragen, daß mein weiser und gütiger Herr Menschen in seinen Grenzen beherbergt, die nicht mit Leib und Seele ihm gehören.«

Lo – sange, sing weiter Lob – Aquis blickt finster lächelnd auf die Gruppe herüber – eines Tages wirst du doch stürzen, denn sein Magen kann für die Dauer eher Kieselsteine als Süßigkeiten vertragen. Aquis kehrt sich ab und gewahrt Albereta, die von Titus, dem jungen Byzantinerprinzlein geleitet, herankommt.

»So einsam, mein Feind?«

»Nicht einsamer als die Feindin.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Ich habe Euch beobachtet.«

52 »Ihr seid unheimlich mit Euern Beobachtungen. Ich wette, Ihr beobachtet falsch.«

»Das geschieht nur, wenn das – Herz beobachtet, sonst nicht. Mit ihm beobachte ich nicht.«

»Das wird Euch jeder glauben.«

»Weshalb seid Ihr so wenig Ihr selbst und redet den anderen nach. Denn Ihr selbst könnt unmöglich über mich urteilen, Ihr kennt mich ja nicht.«

»Ihr habt recht.« Ein reuevoller Blick aus ihren schönen Augen trifft ihn. »Übrigens nach anderer Meinung urteile ich nicht. Ich glaube nur meinem Gefühl. Ihr seht immer so verschlossen, so blaß aus.«

»Blaß, gnädige Frau? Wißt Ihr nicht, daß auch eine große Liebe blaß machen kann?«

»Lieben? Ihr?!«

»Ach, muß es denn immer ein Mensch sein, den man liebt?«

»Was denn sonst?«

»Wie – jung seid Ihr doch!« Er läßt die dunklen Wimpern wie gelangweilt über die Augen gleiten.

»Ihr wolltet sagen: einfältig. Wieder habt Ihr nicht unrecht. Ich glaube, es ist nur noch einer anwesend, der ähnlich wie ich denkt. Aber vielleicht verbirgt sein herbes Gesicht auch andere Gedanken. Wer kann das hier wissen?«

»Wen meint Ihr?«

»Den Cleriker, der dort mit Haimon spricht.« Aquis wendet sich lässig um.

53 »Es ist einer der Capellane des Königs, Robert Bloet, der echte Normanne.«

»Weshalb haßt Ihr nur die Normannen so?«

»Reizt es Euch, das zu wissen?«

Aquis sieht sich flüchtig um. »Euer Begleiter hat Euch verlassen, dort ist ein leerer Sitz. Nehmt Platz, ich will Euch sagen, weshalb ich die Normannen hasse.«

Er führt sie zu einem hochlehnigen Sessel, den die stolze Mutter Fitz Haimons eben verlassen hat, um Meulant nach der Stimmung des Königs zu fragen.

»Vor vielen hundert Jahren kam unter Mühen und Anstrengungen eine Schar tapferer Männer übers Wasser herüber, von einem König gerufen, der sich im eignen Land nicht zu schützen wußte. Sie schlugen die Aufrührer nieder, gewannen Boden und Rechte und wurden Herren des Landes. Sie hattens nicht leicht. Aus den Gebirgen Schottlands kamen unter wildem Kriegsgeheul die verwegenen Picten herabgebraust, um sie zu blutiger Schlacht zu reizen, Irland sandte Feinde, in Wales bauten sie Streittürme, doch die mutigen Kämpen hielten allem Stand und fügten Sieg zu Sieg, bis sie endlich nach zähen Kämpfen und Anstrengungen die Alleinherrschaft ertrotzt hatten.

Große Könige voll Kraft und Klugheit gingen aus ihnen hervor, das Reich nahm zu an Wohlstand und Ansehen in der Welt. Nun wollte es die Fügung, daß einer dieser Herrscher kinderlos blieb. Er nahm einen, den er lieb hatte, anstelle des Leibeserben an. Dieser, voll 54 hochfliegender Pläne, aber unklug, ging nach der Normandie, um dort ein Geschäft mit einem Sprößling fremder Abenteurer abzuschließen, der seit kurzem zu Ansehen gekommen war. Da starb der König, der Leibeserbe ward Herrscher und zog eilig in sein Reich. Aber hinter ihm drein jagte der andere. Sechzigtausend Nachkommen von Küstenplünderern und Seeräubern zogen mit ihm, sie wollten jenem das Erbe streitig machen und für ihren Herrn gewinnen. Der neue König warb in Eile Truppen und führte sie in den Kampf um sein Recht. Doch des andern Heer, aus wildem, beutegierigem Gesindel bestehend, fuhr wie ein rasender Sturm über sie los und schlug sie zusammen mit ihrem König. Der Abenteurer hatte gewonnen. Man tötete die Vornehmsten des Landes, die nicht im Kampf blieben oder beraubte sie mindestens und zwang sie, Lehnsträger des neuen Herrn zu werden, der ihre Burgen und Schlösser unter seine Kreaturen verteilte, ihre Reichtümer seinen Schatzkammern einverleibte. Fragt Ihr noch, weshalb Älfrieds Söhne die Normannen hassen, die sie nicht nur von ihren heimischen Herden, sondern auch aus Amt und Würden verdrängt haben? Seht Ihr auch nur einen von ihnen einen wichtigen Posten im Reich einnehmen? Gleich Krüppeln und Lahmen sind sie in die Ecke gestellt und zu stummen Zuschauern verurteilt . . . . . . .«

»Dieser König, von dem sie sagen, er wäre nicht nur König, sondern auch ein großer Mensch!«

»Wer sagt das?«

55 »Alle, Euer Freund Tyrell und –«

»Der ist freilich eine gute Quelle! Tyrell! Ich leugne nicht, daß er der beste Schütze in England ist, aber das ausgenommen –«

»Ist er wirklich ein so guter Schütze?«

»Wie sollte er nicht, da er selbst Euer Herz zu treffen verstanden hat.«

»Ja, wahrhaftig,« Alberetas Gesicht bedeckt sich mit leiser Glut, »er hat mich ganz zur Gefangenen gemacht. Wüßtet Ihr den Grund weshalb, Ihr würdet Euch gestehen, daß selbst Eure so unfehlbar scheinende Weisheit des Irrtums fähig ist.«

Aquis blickt überrascht auf die Gräfin, die angelegentlich die Saaldecke betrachtet, um die aufsteigenden Tränen zu verbergen.

»Sein Vater soll ein Held gewesen sein, kühn und unerschrocken und voll großherziger Antriebe.«

»Sein Vater? Ich habe ihn nicht gekannt, da er in Frankreich lebte.«

»Wie denn? Er lebte doch nach der Eroberung des Landes hier.«

»Ach des Königs Vater meint Ihr! O der! Ja, der war großherzig über die Maßen.«

»Nicht?«

»Gewiß, ein Wunder an Großherzigkeit. Seht, wie schlank Tyrell wird, wenn er in des Königs Nähe kommt. Eben hat er sich durch eine kleine Lücke zwischen Flambard und Meulant an seine Seite gedrängt.«

56 »Mich dünkt, doch nein. Seht Ihr meinen Gemahl nicht?«

»Ich erblicke ihn nirgends. Er wird im Nebensaal sein und sich ein Glas Wein geben lassen. Wollt Ihr zu ihm?«

»Ja, mich schmerzt der Kopf, ich möchte heim.«

Aquis sieht sie an. »Wir haben zu ernsthaft gesprochen, das tut Damen nicht gut.«

»O Aquis, wie müßt Ihr unglücklich sein, daß Ihr so verbittert seid. Habt Ihr keine Frau?«

»An diesem Hof eine Frau? Nein, vor dem Glück bin ich bewahrt geblieben.«

Er hat nicht unrecht, denkt sie bei sich.

Einige Zeit später saß sie in dem großen, ungeschickt gebauten Wagen, den der unebene Boden fürchterlich hin und her warf.

Troarn, steif und gerade, saß an ihrer Seite, sein gewöhnliches Grinsen um die Lippen. Er tastete im Dunkel nach ihrer Hand, fand sie nicht und rührte sich nicht weiter.

Bei einer scharfen Wendung der Straße neigte sich die Kalesche und Alberetas Wangen berührten sein Gesicht.

Da spürte er, daß sie naß von Tränen waren.

* * *


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