Maria Janitschek
Der rote Teufel
Maria Janitschek

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Unter Sturm und Regenschauern war der März gekommen.

Der König hatte vielfache Anstrengungen gemacht, 57 um Geld zu neuen Unternehmungen zu erhalten und sich mit seinen Ministern überworfen. Mitte März verbreitete sich das Gerücht, er wäre erkrankt. Man dachte zuerst, es würde nichts von Bedeutung sein, denn Rufus Gesundheit hielt seiner Verwegenheit die Wage. Er, der jeder Gefahr ins Gesicht schlug, fürchtete den Tod nicht, der bekanntlich solchen Leuten höflich aus dem Weg geht.

Da kamen Boten zu Fitz Haimon geeilt. Der König verlange nach ihm, es stünde schlecht mit ihm. Robert Fitz warf sich auf sein Roß und jagte nach Glocester, wo sich gerade das Hoflager befand. Unterwegs begegnete er der Sänfte Flambards, der besorgt und erschreckt drein sah. Er teilte Haimon seine Bekümmernis mit, und daß des Königs Zustand ein ernsterer wäre als man allgemein annahm.

Der Lord, in der Burg angekommen, durcheilte die Flucht der königlichen Gemächer. Vor der Tür des Krankengelasses stand eine Gruppe ratloser Menschen. Meulant kam eben heraus, die Stirne kraus gezogen, machte auf Haimons Frage eine abwehrende Handbewegung und ging stumm an ihm vorüber. Zum Teufel mit Euren Mienen dachte Haimon. Ein Rufus erliegt nicht wie ein Siebenmonatskind dem ersten Ansturm des Todes.

Haimon trat ein und beugte sich über den Kranken, der zwischen Kissen auf dem Bette ruhte und röchelte. Die Ärzte und die übrigen Anwesenden traten zurück und ließen die beiden Freunde allein.

58 »Sir,« der Lord faßte die kalte Hand des Kranken und rang nach Worten »was ist's mit Euch, sprecht!«

Der König richtete den Kopf empor und riß die Augen auf, die schauerlich aus dem bleichen Gesicht hervorstarrten. »Ich seh dich nicht, Robert.« Ein Zug großer Seelenangst lag in seinem Gesicht. Haimons Wangen entfärbten sich vor Schrecken.

»Es wird nichts Ernstes sein, Sir. Erinnert Euch, auch Euer Oheim verlor einmal auf der Jagd das Gesicht und erhielt es wieder.«

Rufus krampfte die Faust auf der Bettdecke zusammen und rang nach Atem.

»Das ist . . . der Tod. Gib mir . . . nein! Ach!« Der wuchtige Körper des Königs versuchte sich im Bette zu erheben.

Haimon legte den Arm um seinen Nacken.

»Sir, was soll ich Euch geben? Alles, was Ihr wünscht, wird geschehen.«

»Hol' mir einen Priester.«

Haimon blickte bestürzt den Freund an.

»Einen Priester, Sir? Eure Hofkapellane stehen vor der Tür.«

»Einen Priester,« stieß Rufus hervor, »bei den Erinnerungen an deine Kinderzeit, hol mir einen Priester.«

Da begann Haimon zu begreifen.

»Sir, Ihr sollt einen Priester haben, geduldet Euch nur ein wenig. Ich will Boten an ihn schicken, nein, ich selbst will ihn Euch holen.«

59 Die verdunkelten Augen des Sterbenden richteten sich dankbar auf Haimon.

»Es ist der Abt von Bec, Sir, der seit einigen Tagen in der Nähe auf dem Landgut eines meiner Freunde weilt. Ihr habt ihn übrigens schon kennen gelernt. Ihn will ich Euch holen, geduldet Euch kurze Zeit. Bald sind wir da.«

Haimon eilte hinaus.

Im Augenblick, als er das Lager des Königs verließ, drängten sich Ärzte, Freunde, Geistliche, Würdenträger herein. Ein Wort lag auf aller Lippen, aber keiner wagte es auszusprechen. Es konnte nur Gift gewesen sein, das den König dem Tode nahe brachte. Aber wer gab es ihm? Unsichere Blicke kreuzten sich, finsterer Verdacht faßte Wurzel.

Indessen bildeten sich Tropfen eisigen Schweißes auf des Königs Stirn. Die halbgeöffneten Augen blickten bewegungslos vor sich hin. Was in seiner Seele vorging, wußte niemand. Man hatte ihm Arzeneien eingeflößt, er gab sie wieder von sich, man hatte ihm Blut entzogen, aber das Röcheln seiner Brust war nicht besser geworden, nun haben sie ihm eine belebende Mixtur eingeflößt, ihn in nasse Tücher gehüllt und warten auf den Erfolg ihres Versuchs. Boten sind zu seinen Brüdern geeilt, um sie zu benachrichtigen.

Schließlich wird einer und der andere der Anwesenden müde, sie entfernen sich ins Nebenzimmer und flüstern sich dort weiter ihre Vermutungen zu.

60 Nur zwei Ärzte sind bei ihm geblieben und sein ältester Diener kauert am Fußende des Bettes. Der eigentümliche Duft verlöschender Wachskerzen erfüllt den Raum und mischt sich mit den scharfen Gerüchen der Medizinen, die angewandt worden sind. Ein fahler Strahl des unfreundlichen Märztages stiehlt sich zwischen den schweren Vorhängen herein. Von Zeit zu Zeit öffnet sich geräuschlos die Tür und einer oder der andere aus des Königs nächster Umgebung wirft einen forschenden Blick auf das Bett und zieht sich bekümmert wieder zurück. Draußen in einem der Gänge lehnt Tyrell, das Gesicht an ein Fensterkreuz gedrückt. Ihm ist elend geworden beim Anblick des Königs. Er hat noch nie jemand sterben sehen, der sonnige Tyrell. Als seine Eltern heimgegangen sind, haben ihn weiche Freundeshände fortgezogen. Wie häßlich der Tod ist! Aber muß es der Tod sein?

Da eilt einer der Diener aus den innern Gemächern heraus. Tyrell tritt ihm erschrocken in den Weg.

»Was soll's? Wohin?«

»Lord Haimon suchen. Der König hat wieder einen Anfall gehabt und ruft nach dem Lord. Es ist schrecklich anzusehen . . . .«

Stunden auf Stunden verrannen, lange, bange Stunden. Rufus Befinden verschlimmerte sich, seine Kraft nahm ab. Kein Mensch, kein Arzt und Berater vermochte zu helfen.

Endlich, als schon alle das Schlimmste befürchteten, stießen die Wächter ins Horn. Sie hatten den Ersehnten 61 erspäht, der mit seinen Begleitern auf der Landstraße daherjagte. In großer Eile kam Fitz Haimon in die königliche Burg gesprengt. An seiner Seite befand sich ein hochgewachsener, dunkelgekleideter Mönch. Nach flüchtiger Vorbereitung betraten beide das Krankenzimmer. Haimon entfernte sich bald und ließ seinen königlichen Freund mit jenem allein.

Draußen im Vorzimmer fiel Haimon erschöpft in einen Sessel und ließ sich heißen Würzwein reichen, um die erschlafften Lebensgeister wieder zu erfrischen. Er antwortete auf kein Wort, das man an ihn richtete, selbst Flambard antwortete er nicht, der ihn mit einer Flut teilnehmender Fragen bedrängte.

Als die Zeit, in der die Beiden drinnen allein geblieben waren, allen zu lang erschien, öffnete Hursly, des Königs erster Leibarzt, die Tür und sah ins Gemach.

Der Abt von Bec saß in regungsloser Stellung am Lager des Königs. Rufus hatte sein Haupt in dessen Hände gebettet und schlief ruhig.

Hursly erkannte mit einem Blick die Veränderung im Befinden des Königs und verkündete draußen die frohe Nachricht.

Am Morgen durchliefen Herolde die Straßen von Glocester und machten das Gnadenedikt ihres Herrn, des Königs kund. Die Gefangenen vertauschen ihre Kerker mit der Freiheit, ein Schuldenerlaß wird ausgeschrieben, den Klöstern und Kirchen wird das geraubte Eigentum wieder ersetzt. Das wäre nur der Anfang. Noch viel mehr 62 Vergünstigungen ständen bevor. Das Volk jubelte, ließ die Arbeit ruhen und machte Feiertag. Es warf sich in seine schönsten Kleider, zog vor die königliche Burg und ließ den Herrscher leben, der plötzlich so gnädige Impulse gehabt hatte.

Der Abt von Bec wurde mit Aufmerksamkeit und Dankbarkeit überhäuft.

Ihm war wenig an diesen Ehrenbezeugungen gelegen. Die Vorarbeiten zu seinem nächsten Buch gingen ihm im Kopfe herum und während ihm Huldigungen dargebracht wurden, weilte sein Geist in dem stillen Bec, nach dem er immer, so oft er es verließ, tiefe Sehnsucht empfand. Während eine andere Persönlichkeit, die so mit Ehrenbezeugungen überhäuft wurde, Mißtrauen unter den Würdenträgern der Kirche erregt haben würde, vergönnte man sie gern diesem Mann, dem man die Geringschätzung alles Äußerlichen von der Stirn ablas. Seine Bescheidenheit und Güte überhörte alle Dankesworte; er war hierher an das Bett des Königs gerufen worden, der König war auf dem Weg der Genesung, nun wollte er wieder gehen. Doch Haimon, Meulant, Flambard und die Bischöfe, die um das Krankenlager des Herrschers beschäftigt waren, dachten anders.

Als Rufus sich zum erstenmal in den Kissen aufsetzte, traten sie zu ihm und hatten eine lange Unterredung mit ihm. All den Gnadenerweisungen, die er seinem Volk gegeben hatte, sollte er noch die letzte hinzufügen und den bischöflichen Stuhl in Canterbury besetzen. Das 63 Bistum sei ganz verwildert, seit es eines Hirten entbehre. Er selbst trage den Schaden davon, wenn in einem Bezirk seines Reiches Verrohung der Sitten, willkürliches Überschreiten des Gesetzes eingerissen sei.

Und zwar, fügten sie rasch hinzu, möchten sie Anselmus, den Abt von Bec, zum Erzbischof vorschlagen.

Der König, der im Geist einen schmerzhaften Blick auf die reiche Pfründe warf, die ihm mit der Besetzung des erzbischöflichen Stuhles entging, wurde durch diesen Namen besiegt.

Er würde sich noch bedenken, sagte er, innerlich indeß schon zu dieser Besetzung bereit.

Es folgten einige geheime Sitzungen und als Anselmus nichtsahnend wieder an das Bett des Königs trat, bot ihm dieser in Gemeinschaft mit den Großen, den erzbischöflichen Stuhl an.

Der stille Priester, dessen Wahlspruch wohl dem seines Meisters geähnelt haben mochte: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt,« erschrak nicht wenig und wies kurzer Hand den Antrag zurück. Aber Rufus, durch die Krankheit noch heftiger und erregter als sonst, traten Tränen der Ungeduld in die Augen. »Du willst mich also dem Tod überliefern, dem deine friedenbringende Nähe, dein mächtiges Gebet mich entrissen hat. Du weißt, daß es ein schweres Unrecht von mir war, Lanfranc keinen Nachfolger gegeben zu haben. Einen würdigeren als dich aber finden wir nicht.«

64 »Bedenkt doch meine sechzig Jahre!« Der schlichte Mönch von Bec widersetzte sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, allein vergeblich.

»Ihr werdet doch den König nicht umsonst bitten lassen, sein Leben aufs neue der Gefahr aussetzen.« Im Namen der andern Großen rief es Haimon.

Und Meulant in Sorge um des Königs unbeherrschtes Temperament, setzte hinzu: »Macht doch nicht lange Geschichten, holt den Stab.«

Da wandte sich Anselmus ratlos an Balduin von Tournay und Eustasius, die beiden Mönche, die ihn aus Bec nach England begleitet hatten und ihm hierher gefolgt waren, doch auch sie stimmten den Bitten der Andern bei.

Schließlich wurden alle ungeduldig, der Charakter der Zeit zeigte sich. Man holte den Bischofsstab und wollte ihn in Anselmus Rechte drücken. Anselm ballte die Hand zur Faust. Man öffnete sie gewaltsam und steckte das Abzeichen der Hirtenwürde hinein. Nun war er Bischof. Er sank ohnmächtig nieder. Flambard goß ihm ein Gefäß mit Weihwasser über den Kopf, damit er zur Besinnung käme.

* * *

Als der König sein Krankenlager verließ, gab es Viele, die ihn mit wirklicher Freude zu seiner Genesung beglückwünschten, aber auch zahlreiche, die ihm grollten. 65 So Orielde von Viant, die ihm mit ausfallender Zurückhaltung begegnete, desgleichen mehrere der Ritter, die zu den intimsten seiner Tafelgäste gehörten. Ja, schlugen sie nicht den Ton einer gewissen Überlegenheit gegen ihn an?

Rufus reckte den Nacken auf. Beim Qualm der Hölle! was bedeutete das? Als es seine Gesundheit erlaubte, warf er sich in die Sänfte und ließ sich auf ein Landgut bei New-Forest bringen, das die schöne Orielde bewohnte. Es war ein Geschenk von ihm. Ihr Vater, der alte Ehrenmann erschien und fiel fast auf die Knie über seines Herrn Gnade. Rufus lächelte verächtlich und verlangte die Herrin des Schlosses zu sprechen. Als etliche Minuten vergingen, ohne daß sie erschien, geriet er so in Zorn, daß er den Sessel von sich stoßend, der in Trümmer ging, die nächste Tür aufriß, um selbst die Säumige zu holen. Da eilte sie auch schon herbei, sie hatte eben ein Bad genommen und das Haar hing ihr noch feucht in langen, rötlichen Strähnen über den Nacken herab. Ein weißes Kleid flüchtig übergeworfen, ließ die himmelblaue Sorinde ihres Untergewandes erblicken.

Schön aber dumm, dachte der König nach einem Blick auf das bezaubernde Weib. Er fühlte sich aufgelegt, grob wie ein Bauer zu sein. Sie sah das heimliche Fliegen seiner Nüstern und erschrak bei sich. Aber gleich darauf siegte der Trotz der Normannin in ihr.

66 »Was habt Ihr, Sir? Weshalb Euere drohenden Blicke?«

Seine Hand hatte grimmig in ihr Goldhaar gefaßt. »Mit Manchen läßt sich ein erwachsener Mensch nicht ein, außer wenn er sie fangen will. Ich aber habe schon längst die Lust verloren, Euch in der Falle zu halten. Das wißt Ihr, denn Ihr müßt es bemerkt haben.«

»Es ist nicht wahr, Sir,« sie richtete gewaltsam ihren Kopf auf, einige Strähnen des prachtvollen Haares in seiner Faust lassend, »Ihr liebt mich wie früher, für andere schwärmt Ihr nur.«

»Du irrst. Ich bin deiner satt,« stieß er langsam voll Bosheit hervor. »Als ich neulich auf dem Totenbette lag, kam mir kein Gedanke an dich.«

»Wär er Euch doch gekommen, Sir, ich hätts gewünscht.«

Da war er angelangt, wo er sein wollte. Er faßte sie an den Armen und drückte sie auf einen Sessel nieder.

»Kinder und Weiber sind unreif. Mit dem Verstand kann man ihnen nicht kommen. Das weiß außer dem Koran und der Bibel schon Sokrates. Ihr würdet es doch nicht begreifen, wenn ich Euch den Vorgang in einem Menschen schilderte, der plötzlich aus dem sonnigen, warmen Leben heraus in eine ihm fremde Nacht gestoßen wird. Er tastet nach Handhaben, an die er sich klammern könnte, aber es ist fürchterlich finster und seinen ausgestreckten Armen begegnet nichts, als das unheimliche Dunkel. Da fängts an zu dämmern, wird lichter und 67 lichter und auf einmal gewahrt er Christus, den Herrn, dessen Kleid und Angesicht wie flimmernder Schnee leuchten. Beim Funkeln der Hölle! Soviel Güte spricht aus diesem Gesicht, aus diesem weißen, ruhigen Kleid, daß der Mensch hinlaufen und sich an ihn anschmiegen möchte. Aber etwas hält zurück. Keine Richtermiene, nein, das Antlitz ist sanft und still wie die Sonne, wenn sie im Meere ruht. Die eigne Seele, die belastete ists, die plötzlich zum ehernen Hindernis geworden ist, das zurückhält. Soll ich meinen Mapparius, den Grafen, der Recht spricht oder einen Roßwärter holen lassen? Ich lasse den kommen, dessen Amt es ist, jetzt zu raten, zu helfen. Wo ist da – Feigheit, he, kannst du mir das sagen? Fürchtet einer wie ich den Tod?« . . . . .

»Rufus muß allein zur Hölle fahren können.« Der Normannin Gesicht blickte hart vor sich hin. »Jedem andern verzeihe ich die Furcht vorm Gericht, ihm nicht.«

Rufus Hand wollte sich gegen sie aufheben, doch nein! das gesunde Fleisch da vor ihm begriff ihn nicht. Konnte er sich darüber ärgern?

»Gehabt Euch wohl, Fräulein von Viant, ich schäme mich, mit Euch über diese Dinge gesprochen zu haben, Ihr seid nur zum Scherzen da, zu nichts anderm . . . .«

Abends stand er Mowbray gegenüber und durchdrang ihn mit seinen Blicken. Ich durchschau dich, mein Bester. Du denkst mancherlei, was du früher nicht gedacht hast. Du irrst. Meine Herrschaft verliere ich nicht aus den Händen, an niemand . . . . . . . . .

68 Am andern Tag geschah etwas Unerhörtes. Die freigegebenen Gefangenen mußten wieder in ihre Kerker zurückkehren, die Schulden wurden grausamer als vorher eingetrieben und den Kirchen das zurückerstattete Gut und noch etwas mehr genommen.

Und plötzlich lockte es Rufus, die schöne Sicilierin zu sehen. Ohne sich Troarns anzumelden, ließ er sein Leibroß vorführen, schwang sich in den Sattel und ein paar Haudegen hinter sich, sprengte er nach dem Schloß mit den zwei Türmen.

* * *

Troarn hatte an diesem Nachmittag – es herrschte echtes Frühlingswetter – vergebens versucht, sein Ehegemahl in die blaue Luft zu führen. Sie empfand keine Lust auszugehen, Giffiu hatte ihren Besuch ansagen lassen, auch sollte eine Handarbeit bis zu einem bestimmten Termin fertig gemacht werden. So ritt Graf Ilbert allein aus. Giffiu! weshalb war ihm immer, als ob eine Natter an ihm vorbeiglitte, wenn er diesen Namen hörte? Es ärgerte ihn, daß die Gattin des Herrn von Bray sich so häufig bei ihnen einfand. Als er unverheiratet gewesen war, hatte sie sich nie um ihn gekümmert. Jetzt tat sie so vertraut. Konnte es möglich sein, daß diese Frau seine Frau liebte?

Aber weshalb zerbrach er sich darüber den Kopf? Gabs nicht noch anderes an seinem Herd, das ihm schwere Gedanken verursachte?

69 Es ging ihm wie Adgife. Lieber Liebe mit Leid, als Leidlosigkeit ohne Liebe. Und seine Lippen grinsten so vergnüglich, als ob er vom Brunnen des Glücks käme.

Indessen erhob sich Albereta aus ihrem alten Prunkstuhl, in dem sie träumend gelegen hatte, trat ans Fensterlein und öffnete es. Der kleine Onix kam froh aus seiner Ecke getrippelt und dachte seine Herrin würde hinabgehen. Als er aber merkte, daß sie sich mit der Aussicht begnügte, kehrte er traurig auf sein seidenes Kißlein zurück.

Sie sah in den Sonnenschein hinaus. Zwischen den einzelnen kleinen Schneeflächen sproß zartes Grün hervor. Ein leichter Wind kam spielend herein getanzt und machte sich an ihrem Schwarzhaar zu schaffen, das immer ein wenig zerzaust war, konnte sie doch der dichten Fülle nicht Herr werden. Sie trug weder Haube noch Gebände, nur einen durchsichtigen Schleier über den Kopf geworfen. Auch heute ruhte ein grünes Gespinnst auf dem tiefschwarzen Haar. Der Wind trieb sein Spiel damit und legte die Enden des dünnen Schleiers vor ihre Augen, daß sie alles grün erblickten.

Weshalb willst du mich betrügen, Wind, dachte sie. Es liegt Schnee da und die Luft ist schwer und kalt und mich frierts bis ins Herz hinein.

Daran zweifelte niemand, der sie sah. Trotz des gelblichen Tones ihrer Haut, sah man die durchscheinende Blässe auf ihrem Gesichtchen. Wie von heimlichen Tränen 70 beschwert, wölbten sich die Lider über den dunklen Augensternen.

Ja, wenn es erst wirklich grün im Garten sein wird! Die geizigen Buchen wollen noch ihren welken Laubschmuck nicht hergeben. Trotzigen toten Rittern im Harnisch gleichen sie. Und die Lauben alle, die zerstreut zwischen den Jasmin- und Flieder- und Jelängerjelieber-Büschen liegen! Keine Ranke umspinnt sie noch. Ach, dann wird auch der Rasen wieder von lieblichen Gräsern bedeckt werden. Rosse werden auf ihm weiden und kostbare Frauenschleppen über ihn hinfegen. Das Leben wird über ihn gehen. Das Leben! sie schließt die Augen und lächelt schwermütig. Was geht sie das Leben an? Tief in ihr blüht ein heimliches Glück, aber davon darf niemand wissen, kaum sie selbst. Und was so außen herum ist, das macht ihre Pulse nicht schneller klopfen. Das wendet nicht die bleierne Schwere ihrer Tage.

Der Wind scheint ihr schmeichelnd zuzuflüstern: Was möchtest du denn eigentlich, kleine Unzufriedene? Ein Purpurzelt mit alten Seidenstoffen geschmückt, die Mohammets Chadidscha gewoben hat? Einen braunen Jüngling, der goldene Spangen an Stirn und Armen trägt und dich mit eifersüchtiger Liebe behütet? Schafherden, wunderliche alte Musik, einen Vater mit fliegendem weißen Bart und eine Mutter, schön und traurig, wie du selbst bist? Nein, all das möchte ich nicht. Ich möchte ein Roß und einen darauf auf scharlachner Decke, 71 doch nein, nein! . . . . Das kannst du haben, öffne die Augen und schau hinab!

Sie öffnet sie nicht. Bei Träumen ist's gefährlich, meist zerstieben sie dann . . . . . . . Das leise Klirren, das von unten herauf drang, ließ sie indes doch das Köpflein hinabbeugen.

Unten stand ein Roß mit scharlachner Schabracke angetan und der es verlassen hatte, den hörte sie just die Treppen heraufkommen. Basilia, die Kammerfrau, stieß zitternd die Türe auf.

»Der König.«

Albereta vermochte sich nicht von der Stelle zu rühren, hilflos glitten ihre Blicke an dem schlichten weißen Kleid nieder, das sie trug. Den grünen Schleier, der über ihren Nacken hinabfiel und den Teppich küßte, auf dem sie stand, mit bebenden Fingern wie eine Stütze fassend, neigte sie das Haupt vor Rufus.

Ja, das ist sie, dachte er hereintretend, so muß sie dastehen und das Haupt neigen.

»Zürnt nicht, Gräfin, weil ich Euch so unangemeldet überfalle,« er zauderte, ihre Hand an die Lippen zu führen, »ich habe eben gehört, daß Troarn ausgeritten sei und werde Euch schleunigst wieder verlassen.«

Sie flüsterte etwas, das sie selbst nicht verstand und suchte verlegen ihr Hündchen zu beruhigen, das wütend an Rufus emporgesprungen war. Vor ihm stieg das strahlende Bild Orieldes von Viant auf, das dieses hilflose Kind in den Schatten stellte.

72 »Wollt Ihr Platz nehmen?«

Sie sank auf den Schemel neben ihrem Hochsitz nieder und bedeutete Rufus, sich zu setzen. »Nein,« wehrte er ab, »auf diesen Schemel gehöre ich, Ihr in das stolze Gestühl da.« Er bot ihr die Hand zum Aufstehen.

Wie sie zittert, wie sie hold ist! Die Demut dieses Nackens, die Reinheit dieser Stirn!

»Wollt Ihr mir,« er schlug einen rauheren Ton an, »einen Becher Weins kredenzen? Mich friert, der Ostwind hat uns tüchtig durchgeschüttelt. Euer Gemahl ist ein Narr, an solchem Tage auszureiten, von hier weg in die Kälte hinaus.«

Sie wollte sich erheben, um den Leuten Befehle zu geben. Er bat sie, sitzen zu bleiben, klatschte anstatt ihrer in die Hände und sagte über die Schulter hinweg zu der eintretenden Basilia: »Heißen Würzwein, Jungfrau, für die Gräfin und mich, nichts weiter, hörst du? Das also ist Euer Gemach!« Er sah umher. »Was arbeitet Ihr da Goldenes?«

»Schuhe für meiner Mutter Schwester.«

»Ei, Schühlein.« Er stand auf und trat an den zierlichen Stickrahmen, der zwischen zwei leichten Gestellen hing. »Bei allen Blitzen des Himmels, die Arbeit könnte ich nicht schaffen. Und wenns die Füße der liebsten Frau zu bedecken gälte! Eher ließ ich ein Stück meiner Haut für sie gerben zu Schühlein.« Wie herzig das Lächeln sie kleidet, dachte er, den schüchternen Strahl um Alberetas Mund beobachtend. Und wieder auf seinen Schemel 73 zurückkehrend, fragte er, zu ihr aufblickend: »Wart Ihr krank, Gräfin, Ihr seht blaß aus.«

»Ja, das heißt nein, beinahe war ich krank.«

»Dann wären wir fast Leidensgefährten geworden. Habt Ihr gehört, wie elend es mir ging?«

»Ich hörte davon.«

Ein Gedanke durchfuhr ihn. Er beobachtete sie scharf.

»Ich dachte sterben zu müssen, und ließ den Priester kommen.«

»Und dann genast Ihr, ähnlich wie ich, die einmal als Kind in das Wasserbecken des Brunnens im Hof gefallen war und schon die Besinnung verloren hatte. Man holte den alten Geistlichen aus St. Michael herbei, der ärztliches Wissen besitzen sollte und er brachte mich ins Leben zurück.«

Ihr reines Gesicht blickte Rufus in so strahlender Unschuld entgegen, daß er fühlte, wie sein eignes Antlitz einen andern Ausdruck erhielt und ihre lautere Seele widerspiegelte.

»In ein Wasserbecken fallen darf man auch nicht,« sagte er ernsthaft. »Was hätte Troarn angefangen, wenn Ihr damals ertrunken wäret, und – Tyrell?« . . . .

»Euer Liebling.«

»Nicht mehr, seit er der Euere geworden ist.«

Eine leichte Wolke glitt über ihr Gesicht. Ja, siehst du, dachte er, Engel dürfen keinen, auch nicht den leisesten Schatten Unrecht auf sich laden, gleich trübt sich ihre Stirne. Die Logik des Mannes! Hätte er geglaubt, 74 daß sie ihn liebe, so wäre der Gedanke an ein Unrecht nicht in ihm erwacht, weil es aber ein anderer war, verurteilte er gleich. »Der schöne Gautier ist langweilig geworden, ich verhehle es nicht. Er ist immer derselbe, heute wie gestern. Leute, die das Meer lieben, können mit solchen Naturen nichts anfangen.«

Der Wein wurde auf prunkvoller Platte hereingebracht. Zwei irisierende Glasbecher von unschätzbarem Wert standen neben dem dickbauchigen Silbergefäß, das fest verschlossen die kostbare Flüssigkeit barg.

Der Knabe lüpfte den Deckel und füllte mit einem Schöpflöffel die Becher voll. Rufus bot Albereta den seinen und führte den ihr hingereichten an die Lippen, indes der Junge ein Tischlein herbeischob, den Trank darauf stellte und sich entfernte.

Albereta sagte nach einem Schluck, wobei sie es vermied, den Augen des Königs zu begegnen: »Tyrell ist eben kein Normanne, man sagt –«

»Mit Unrecht, holde Gräfin,« fiel Rufus ein, ihre Gedanken erratend, »ich könnte Euch durch ein naheliegendes Beispiel davon überzeugen, daß man nicht normannisches Blut haben müsse, um –«

»Was ist's eigentlich mit Euern Normannen?« – sie ahnte, was er sagen wollte, und unterbrach ihn rasch – »weshalb liebt Ihr sie mehr wie die andern? Ist ein Britte, ein Franzose, ein Schotte nicht ebensogut wie sie?«

Rufus leerte seinen Becher.

»Nein, ein Britte und Franzose, – von unsern 75 Feinden, den Schotten, spreche ich nicht – ist nicht so gut wie ein Normanne. Normannen sind die Nachkommen des Rabens, den Noah aus der Arche fliegen ließ, um durch ihn zu erfahren, ob schon festes Land aus dem Wasser auftauche. Sie haben seither immer die Aufgabe gehabt, Land aufzufinden und die geistigen Schätze des einen Stammes dem andern zu übermitteln.«

Der König erhob sich und begann auf und nieder zu schreiten.

»Wenn aber,« sagte Albereta mit schüchterner Dreistigkeit, »der einfältige Karl von Frankreich nicht so einfältig gewesen wäre, den wilden Normannenhäuptling Hrolf zum Schwiegersohn zu nehmen und ihm die gegenüberliegende Küste zu Ansiedlungen anzubieten?«

Der König lachte. »Dann hätte sie mein Ahne genommen, Gräfin, seid versichert. Seht, die Lehnshuldigung, die der tapfere Seeräuber dem König von Frankreich geleistet hat, war nur das gefällige Eingehen auf die Form, die in Frankreich üblich war. Dafür hat er sich auch durch einen echten Seemannswitz entschädigt. Als er nach damaligem Gebrauch dem König den Fußkuß reichen sollte, – vor Karl hinzuknien fiel ihm nicht ein – packte er dessen rechten Fuß und hob ihn hoch, um ihn so an die Lippen zu bringen. Natürlich verlor Karl das Gleichgewicht und fiel auf den Rücken, zur stillen Ergötzung aller anwesenden Großen.«

Sie lachte. »Gleichwohl. Allzu stolz sind Eure Vorfahren trotzdem nicht gewesen, Sir, sonst hätten sie die 76 eigne Sprache nach kaum einem Jahrhundert nicht mit der französischen vertauscht.«

»Da habt Ihr nicht Unrecht.« Wie sie schlau war, die Kleine! »Aber was wollt Ihr? Die Sprache unserer alten Heimat war plump und klobig, wie die polternden Lawinen, die dort stündlich zu Tal fahren. Und unsere Leute dürsteten ja nach Schönheit und Wärme und Musik, deshalb hatten sie ihr altes Schneeland verlassen, die grimmigen Wikinger.«

»Ob sie wirklich so grimmig waren, wie man sagt?«

»Und ob sie's waren, schöne Gräfin; hört ihren Wahlspruch: ›Mit Jedem es im Kampf aufnehmen, vor Zweien stehen, vor Dreien nicht ausbeugen, erst vor Vieren darf man weichen.‹ Was dünkt Euch von Männern mit dieser Devise?«

Albereta bemerkte an anderes denkend: »Und wenn nicht Eure Pilger vor Salerno erschienen wären, gerade als meine Vorfahren diese heißumstrittene Stadt belagerten –«

»Hei, da flogen Muschelhut und Pilgerstab, und Schwert und Helm wurde hervorgerissen. Mich dünkt, ich wär dabei gewesen, als aus den frommen Pilgergewanden grimmige Krieger fuhren und Hiebe austeilten, so kräftig, wie kein Sarazene es kann. Doch deshalb keine Feindschaft zwischen uns beiden,« – er hielt ihr die schlanke, harte Hand hin, die sie zu übersehen schien.

»Feindschaft?«

»Wir haben Kraft für Kraft gegeben, und sind 77 des achten Benedicts Winke gefolgt, der uns auf Apulien hetzte, wo die Griechen Früchte ernteten, die sie nicht gesät hatten.«

»Und dann Tankred von Hautevilles Ankunft mit seinen zwölf Söhnen . . . .«

»Welchen hättet Ihr wohl zum Gatten erkoren, Gräfin Troarn?«

»Aber,« sie wich seinen leuchtenden Blicken aus, »Eure Frömmigkeit war eine merkwürdige.«

»Räuber seien wir immer geblieben, wollt Ihr sagen; ja, beim Himmel, das ist das Gute an uns, daß wir in keine Heuchelei verfielen, sondern wie wir waren, uns gaben.«

»Selbst das Patrimonium Petri habt ihr angegriffen.«

»Und, setzt es gleich hinzu, bei Civitella den neunten Leo geschlagen –«

»Und –«

»Ja, auch gefangen genommen. Laßt uns aber Gerechtigkeit widerfahren; als unsere Krieger den gefangenen Papst erblickten, warfen sie sich ihm zu Füßen und leisteten ihm Lehnshuldigung.«

»Und seither gelten alle Normannenkönige für Lehnsträger des päpstlichen Stuhls, ist's so?«

»Sagt, holde Dame, ist es nicht schön, unter dem Löwenbanner zu leben?« Er schien ihre Frage überhört zu haben. Er bemerkte, daß ihre Wangen zu blühen anhuben. Hatte es der würzige Trank getan? Wie mochte sie erst strahlen, wenn er, den sie im Herzen trug, bei 78 ihr weilte? Rufus trat dicht an sie heran. »Frau Albereta, ist's nicht schön, unter dem Löwenbanner zu leben? Wollt Ihr mir einen Talisman geben, wenn ich in die Schlacht ziehe? Oder würde er, ach, zwei sind's ja, würden sie Euch mißhandeln aus Eifersucht?«

»Ihr verlaßt uns? Wann?«

»Das kann Euch schon der morgige Tag belehren.«

»Ihr scherzt, Sir?«

Ach, schade um die Rosen, der Schreck hat sie gepflückt! Rufus sah, wie sie erbleicht war.

»Stoßt denn an auf glückliche Heimkehr.« Er schenkte die beiden Becher voll.

»Blickt mich doch an, Frau Albereta! Wie, wenn ich Euern Lockenkopf ins vorderste Treffen stelle und ein Schottenpfeil sein Lächeln unterbricht? Ich seh nicht ein, weshalb ich's nicht soll, ich kann, was ich will, und ich will Euch frei wissen für – mich.«

Ein roter Blutstrahl ergoß sich in diesem Augenblick über ihr weißes Kleid. Ihre Hand, die den gläsernen Becher umspannt gehalten hatte, hatte ihn in allzu festem Griff zersplittert. Hatte sie gedacht, es wäre ihr Herz, was sie in der Rechten hielt? Wollte sie es still machen?

Die Flecken aus dem Kleid ließen sich entfernen. – Als Basilia dem König half, die Wunde ihrer Herrin zu verbinden, kam Troarn mit Giffiu, die ihm unten begegnet war. Albereta eilte ihm freudig entgegen. Wenn es nicht der König gewesen wäre, so hätte Troarn Argwohn geschöpft.

79 Eine Frau sei nie zärtlicher gegen ihren Mann, als nachdem sie ihn betrogen habe, so ungefähr hatten ihm seine Freunde berichtet . . . . .

* * *


 << zurück weiter >>