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28

Eng an die Felsenküste geschmiegt, sah die Villa »Beau Rivage« aus blühenden Mandelbäumen, Palmen und Kletterrosen über das blaue Meer, das unter der blendenden Februar-Sonne sein Gold und Silber mit dem Azur des Himmels mischte.

Das blonde Mädchen, das auf der Veranda den Kopf unter dem Verdeck des Liegestuhls barg, blickte aus halbgeöffneten Augen über die diamantene Fläche, aus der scharf und spitz die Nadeln und Schroffen dieser Felsenküste herausstachen. Sie blickte auf, als jetzt mit knatterndem Geräusch ein französischer Militärflieger eine Strecke dicht über der blauen Grenzflut hin flog, um sich dann in die Lüfte zu erheben und bald in dem strahlenden Äther zu verschwinden.

Marion und ihr Begleiter hatten das ganze Stockwerk der Villa gemietet, zu dem die große Veranda gehörte, auf deren niederer Steinbalustrade im hellen Strandanzug der Mann saß, die Augen unverwandt auf das Mädchen gerichtet.

»Wir müssen fort von hier, Marion ... heute noch müssen wir fort! Ich denke nicht daran, mir deine Verwandten hier über den Hals kommen zu lassen.«

Er erhob sich, ging über die Steinplatten des großen Balkons bis dicht an den Liegestuhl heran.

Da nahm er mit der Hand die Fransen der Verdeck-Gardine hoch und blickte aus grauen, unsteten Augen, den Kopf ein wenig beugend, in des Mädchens Antlitz:

»Denkst du, ich sehe nicht, was du mir für ein Theater vorspielst? Wie du mir mit Gewalt einreden möchtest, du seist krank ...? Ha, ich sehe deine Gedanken so deutlich, sie stehen dir ja förmlich auf der Stirn geschrieben! ... Du meinst, du wirst mich so lange aufhalten, bis der Herr Doktor Splittericht da unten die Gartenpforte aufmacht, oder bis dein teurer Bräutigam dich abholt ... Glaube das nicht, mein Schatz! Du kommst mit mir oder ...«

Er streckte die Hand nach ihr aus, sie aber beugte sich ruhig nach der andern Seite:

»Fassen Sie mich nicht an!«

Er versuchte nicht weiter, sie zu berühren, ging vielmehr mit raschem Schritt in eins der Zimmer hinein, dessen Doppeltür zur Veranda weit geöffnet war.

Drinnen nahm er einen Schlüssel am Band aus der Westentasche und schloß den gelben Lederkoffer auf.

In ganzen Paketen lagen darin die Tausend- und Hundertmarkscheine, Fünfziger, Zwanziger und Zehner wie die Bank sie für ihre Kunden hereingenommen hatte.

Dann nahm er aus der anderen Kofferseite ein Etui, knipste es auf und wählte eins aus vielen Fläschchen. Das öffnete er, roch daran und schloß es wieder. Ging hinüber zur Anrichte, goß aus einer bauchigen Flasche Burgunder ins Glas und träufelte vorsichtig einige Tropfen aus dem Fläschchen hinein. Tückisch lächelnd trat er aus dem Zimmer wieder auf den Balkon.

Es leuchtete im Kelchglas wie dunkles Blut. Er bot Marion das Glas. Sie stieß mit rascher, verächtlicher Gebärde seine Hand von sich, so daß er den Wein verschüttete, und sprach mit überlegenem Lächeln:

»Das haben Sie einmal fertigbekommen ... damals in Daxlau! ... Sie können mich ermorden, jawohl! Und das würde mich nicht mal wundern von Ihnen. Aber betäuben laß' ich mich nicht wieder, das sollten Sie nun schon gemerkt haben! ... Ich kann Ihnen nur den einen guten Rat geben, setzen Sie sich in Ihr Auto und machen Sie, daß Sie fortkommen! ... Aber so schnell, wie Sie können!«

»Nicht ohne dich, Marion! Ich kann ohne dich nicht mehr leben! Und du willst es ja auch nicht! Warum gehst du denn nicht fort von mir? ... Ich halte dich doch nicht! ... Du schämst dich vor deinem Bräutigam? Aber du liebst ihn ja gar nicht! ... Mich liebst du! Mich! Meinen eisernen Willen, meine stählerne Kraft und meine unbeugsame Härte! Ja, du kannst deinen Kopf noch so viel schütteln, kannst mich beschimpfen und verwünschen, so viel du willst – lieben tust du doch nur mich! ... Geliebt hast du mich von der ersten Stunde an, damals auf unserer Autotour ...«

Marion verbarg mühsam ihr Erschrecken. Er hatte ja recht, sie konnte gehen, jeden Augenblick! Weswegen war sie denn noch bei ihm? Bei ihm, den sie längst als einen schlimmen Menschen, als einen Verbrecher erkannt hatte!? ... War es nur der quälende Wunsch, zu erfahren, was wirklich mit ihr in jener Stunde der Betäubung an dem heißen Sommermittag in Daxlau geschehen war? ... Oder war der Grund, aus dem sie bei ihm blieb, in der Tat jenes geheimnisvolle Machtgefühl über den Gefährlichen, der vor ihr um die kleinste Gunst bettelnd niederkniete?

Sie wußte nichts von Paul Ostermanns Taten. Wußte nicht, daß der Prokurist ihres Vaters in Wirklichkeit ein Bankräuber war, ein Thug, wie die Inder ihre Gewohnheitsmörder nennen. Aber wenn sie es gewußt hätte, sie würde kaum viel mehr Furcht gehabt haben vor ihm, der sie jetzt wieder bestürmte und anflehte:

»Komm mit mir, Marion! Ich habe die Mittel, dein Leben zu einem Dasein in Gold und Schönheit zu machen! Nie ist eine Frau so wie du geliebt worden! Ich will dein Sklave sein, dein letzter Diener! Nichts will ich fordern! Nichts, was du mir nicht aus freien Stücken gewährst! Ach, Marion, du kannst einen Engel aus mir machen ... und einen Teufel!«

Er kniete vor ihr auf dem kühlen Stein.

Und sie, grausam wie alle Frauen, wo sie nicht lieben, sah aus unergründlichen Augen herab auf ihn.

Sie sah hin über das strahlende Meer und dachte an das Telegramm, das sie vorgestern heimlich durch den bestochenen Wirtsjungen hatte zur Post geben lassen.

Schließlich erhob sich der Mann. Er zündete eine Zigarette an und setzte sich in den Schatten der hohen Pinie, die unten am Straßenrand wurzelte und über dem flachen Dach ihren Wipfel ins Blaue hob.

Während er scheinbar in dem Bande las, den er aus der Tasche seines hellen Flanelljacketts gezogen hatte, betrachtete er doch aufmerksam die unten in der Tiefe fahrenden Autos, den unablässig dahinströmenden Verkehr auf der Corniche, der berühmten, in den Fels gehauenen Autostraße. Dann glitt sein rastloses Auge über die Straße fort zu dem schimmernden Mittelmeer hin.

»Das ist wie das Glück und der Friede selber«, murmelte er. »Ich wollte, ich könnte los von ihr ... weit weg ...«

Doch im selben Augenblick blickte er argwöhnisch auf das blonde Mädchen, ob sie etwa seine Worte gehört hätte.

Unten im Garten, der sich an einem Serpentinenweg aufwärts hob, stand Monsieur Blat, ein Nordfranzose, dessen weißes Haar in seltsamem Gegensatz zu der großen, kräftigen Gestalt und der blühenden Gesichtsfarbe stand. Er hatte eine Kochschürze um und säuberte mit der Harke den Kiesplatz vor der unteren Veranda.

Er winkte mit der Hand zu dem Mann auf dem Steinbalkon hin, dann unterhielten sie sich französisch in einem Patois, das kein Pariser verstanden hätte. Man sah ohne weiteres, daß die beiden Männer nicht erst seit den wenigen Tagen miteinander bekannt waren, die der Gast hier wohnte.

Weiter hinauf an der Straße, die Tag und Nacht niemals ruhig und unbefahren ist, saßen am Abhang hinter einer riesigen Aloe drei Italiener, wie sie das Var – so heißt das felsige und unfruchtbare Arondissement Frankreichs an jener strahlenden Küste – in reicher Zahl beherbergt. Sie sahen aus wie Straßenarbeiter oder Fruchthändler, die heute nicht arbeiteten. Sie trugen über ihren zerschlissenen Samtjacken den Schnappsack mit weißem Brot, Thunfisch, frischem Porée und der unvermeidlichen Bottiglia voll rotem Landwein. Eben packte der eine noch ein Stück Salami aus, in das er herzhaft hineinbiß, während die beiden anderen schon ihre »Nasenwärmer«, frisch gestopft mit dem süßlich duftenden Tabak, in Brand setzten.

Niemand hätte geglaubt, daß der eine von den drei Männern, die ihre Köpfe mit breitkrempigen italienischen Filzhüten vor der Sonne schürten, der Privatdetektiv Doktor Splittericht aus Berlin war.

Seine Gefährten standen als Agenten in den Listen des Sicherheitsdienstes von Nizza verzeichnet.

»Ich habe immerhin drei Tage gebraucht, um den Burschen wieder festzukriegen. Ohne Ihren Herrn Präfekten, Monsieur Bilhas, hätte es wohl noch länger gedauert.«

»Wie sind Sie denn auf Nizza verfallen, Monsieur Docteur?« fragte Herr Latour, der andere Agent.

»Sehr einfach. Mein Auftraggeber, Herr Konsul, Lindström, gehört zu den ganz großen deutschen Bankiers ... nun, Sie wissen, meine Herren, die Macht des Geldes ist überall gleich groß. Übrigens kann sich auch heute niemand mehr auf die Dauer verbergen, wenigstens nicht in Europa. Der Konsul hatte die allerbesten Beziehungen zu einem von den Direktoren der Bank von Frankreich. Und als ich den Herrn Polizeipräfekten von Paris aufsuchte, da ...«

Die beiden Franzosen lächelten erwartungsvoll:

»Da –?«

»Da fanden Ihre Pariser Kollegen zusammen mit mir heraus, daß Monsieur Ostermann, als er im Jahre 1925 die Neue Welt verlassen hatte, zuerst in Frankreich gelandet war. Er hat da einen Freund wiedergefunden. Das ist Herr Blat, den wir jetzt besuchen wollen. Herr Blat war Koch, aber auch schon Versicherungsagent, Buchmacher auf der Rennbahn, ein wenig Heiratsschwindler, waghalsiger Spieler und Lebemann großen Stils, wenn er Geld hatte. Daß er ein Dutzend Vorstrafen oder mehr hat, hindert ihn nicht, das Leben von der lustigen Seite zu betrachten. Er ist immer bon camerade. Wie die beiden zusammengekommen sind, der alte Spielhöllenbesitzer, denn das ist Blat in Amerika lange gewesen, und unser Freund, wer weiß! Zweifellos haben sie sich drüben kennengelernt und Gott weiß welche Gaunereien miteinander ausgefressen. Und nun gibt es, wie Sie, meine Herren Kollegen, wissen werden, einen Fehler, den kein Verbrecher, welcher Art er auch sein mag, vermeidet. Und den er auch gar nicht vermeiden kann, weil dieser Fehler dem tiefsten Trieb der menschlichen Natur entspricht und weil er vielleicht das einzig Menschliche ist, was solchem Erzbösewicht wie dem sogenannten Paul Ostermann bleibt. Ich meine die Anhänglichkeit des Kriminellen an seine Freunde und Verwandten ... Natürlich, Ostermann blieb ja gar nichts anderes übrig, als sich nach Frankreich zu wenden. Französisch ist die einzige Sprache, die er gut beherrscht. Denn trotz seines Aufenthaltes in Amerika spricht er ein miserables Englisch. Wir wissen ja Gott sei Dank gut Bescheid über viele Dinge, die ihn betreffen. Er war – und das ist vielleicht am allerschwersten zu begreifen! – fast vier Jahre im ›Bankhaus Lindström‹. Wie ich seine Spur in Koblenz verloren habe, da war mir zwar nicht einen Augenblick bange, ob ich sie wiederfinden würde. Aber ich sagte mir sofort: Jetzt mußt du zurückgreifen in sein Vorleben, so weit es irgend geht. Und da habe ich erfahren, daß die erste Station, die dieser Halunke in Europa gemacht hat, Paris war, Nun kannte man in Paris die beiden Freunde recht gut. Ostermann – wie er wirklich heißt, weiß kein Mensch! – hat man gewiß ohne Bedauern über die Grenze nach Deutschland gehen sehen. Monsieur Blat nährt sich als Weinwirt und Hotelier in Frankreich. Es war gar nicht so schwer, diese Verbindung festzustellen. Ich habe, wie gesagt, nur drei Tage dazu gebraucht. Und ich spreche Ihnen, meine Herren, und Ihrer Behörde meinen herzlichsten Dank aus für Ihre vorzügliche Hilfeleistung. Ich glaube Ihnen versichern zu dürfen, daß mein Auftraggeber, Herr Konsul Lindström, diesen Dank auch klingend bestätigen wird.«

Die beiden Franzosen bemühten sich, ernst und würdevoll diese Anerkennung entgegenzunehmen, aber es zuckte und wetterleuchtete unter den schwarzen Schnurrbärten und in den dunklen Augen, als Splittericht die »klingende Bestätigung« erwähnte.

»Ich denke«, der Detektiv erhob sich, »ich denke, es ist jetzt Zeit, wir können unseren Besuch dort unten machen.«

Und die drei schlenderten plaudernd, ohne Hast, nur mit den Augen vorauseilend und jede Gestalt, jedes Gesicht musternd, in der leuchtenden Sonne unter den breiten Fächerpalmen dahin, die die Steinstraße dort säumen.

Als sie an die eiserne Gitterpforte der Villa »Beau Rivage« kamen und die altertümliche Glocke, die vielleicht früher einmal in einer Kirche gehangen hatte, läuteten, ging der Mann im hellen Anzug, der bis jetzt mit Monsieur Blat auf dem kiesbestreuten Rondell vor der unteren Veranda geplaudert hatte, um das Haus herum, die Treppe hinauf in die Zimmer der oberen Etage. Vielleicht liebte er es nicht, anderen Gästen zu begegnen, ebensowenig wie er die Besuche des Herrn Blat als die seinen betrachtete.

Die drei mit den breiten schwarzen Filzhüten stellten sich scheinbar ganz absichtslos um den Wirt dieser Hotelpension herum und sagten ihm lachend einige Worte, worauf er, immer in ihrer Mitte, ebenfalls um das Gebäude und mit ihnen in das Haus hineinging. Sie dirigierten ihn dort, ohne daß es ihm möglich war, die Melodie, die er schon begonnen hatte, zu Ende zu pfeifen, in ein Zimmer, das rechts vom Flur lag und dessen Fenster Herr Latour mit größter Eile schloß. Der Agent hatte dabei seine Repetierpistole aus der Tasche gezogen und bedeutete nun Monsieur le patron, daß er kein Wort mehr sagen und keine Bewegung machen sollte, wenn ihm seine heilen Knochen lieb wären.

Splittericht und der Agent Bilhas stiegen die Treppe hinauf, langsam und ohne Eile. Sie waren vielleicht ein wenig zu sicher. Aber wie die Dinge hier lagen, durften sie es sein.

Splittericht blieb links vom Eingang zu dem Balkonzimmer an die Wand gedrückt stehen, Bilhas klopfte.

Es dauerte eine geraume Zeit, bis Schritte sich der Tür näherten und eine Männerstimme fragte:

»Wer ist da?«

»Der Briefträger.«

Die Tür ging auf, und wie ein schwarzer Panther sprang der Agent Bilhas durch den Spalt auf den Mann im hellen Anzug – und griff, von der wieder zugeschlagenen Tür schmerzhaft getroffen, in die leere Luft.

Marion Lindström lag noch immer wie träumend in ihrem Liegestuhl. Ihr Kopf quälte sich ruhelos mit dem Gedanken an diesen Menschen, den sie verabscheute und der sie doch an einem unsichtbaren Bande festhielt.

Da raste etwas an ihr vorbei! Wie der Sturm, wie ein Unwetter, wie das Unheil selber. Sie sah nichts, sie hörte kaum das knallende Geräusch der Füße auf den Steinplatten.

Dann sprang der Mensch in wildem Satz auf die Balustrade und schwang sich von da mit einem gewaltigen Sprung hinüber in den Wipfel der Pinie ... faßte den Stamm ... hielt sich mit Armen und Beinen klammernd fest und rutschte, den hellen Anzug zerreißend, an dem dunklen rissigen Holz hinab.

Die drei »Italiener« wußten wohl selbst kaum, wie sie aus dem Hause hinaus über den Gartenhang mit seinen Rosenbüschen und Blumen auf die Straße hinabgekommen waren.

Splittericht war zuerst über die Straße auf die Felsen gelangt, die in das blaue Meer abfielen. Aber weit vor ihm teilte der Schwimmer im weißen Anzug, der um sein Leben rang, die silbersprühenden Wellen.

Da draußen, hundert Meter vom Strande, lag eines jener Wasserflugzeuge, mit denen die französischen Offiziere an diesen stillen Gestaden sich für den Krieg üben. Kein Zweifel, der Verbrecher wollte darauf zu!

Wo war das Boot, das die Verfolger hätte aufnehmen können?

Herr Bilhas schoß zuerst mit seiner Dienstpistole auf den Schwimmer. Herr Latour folgte seinem Beispiel. Nur Splittericht ließ die Waffe an ihrem Ort.

Jetzt erreichte der Giftmörder das Flugzeug. Er saß im Führersitz. Sichtlich vertraut mit den Funktionen des Fliegers, ließ er den Motor anlaufen, rauschte fünfzig Meter weit dicht über dem blauen Glast dahin und erhob sich triumphierend in den Himmel.

Aber die krachenden Salven aus den französischen Revolvern, die wirkungslos in die Flut schlugen, hatten die Fliegeroffiziere nicht nur des einen, sondern auch des zweiten, etwas weiter vor Anker liegenden Wasserflugzeugs alarmiert.

Man sah auf einmal vier schlanke junge Leute in ihrer hellen Seemannsuniform wie die Hirsche an der Uferböschung des Meeres entlang preschen. Schon waren zwei davon im Boot, erreichten das dagebliebene Flugzeug. Der eine saß am Steuer, der andere an seinem Maschinengewehr.

Und dann stieg der Raubvogel beutehungrig in die Lüfte.

Splittericht sah vom Ufer aus durch sein Fernglas das Flugzeug des Mörders kleiner und kleiner werden. Jetzt kam die zweite Maschine mit den französischen Offizieren in das Blickfeld des Detektivs. Der Motor mußte mit der höchsten Tourenzahl arbeiten, mit so rasender Schnelligkeit schoß der Apparat vorwärts. Und nun klang es wie fernes Klappern einer hölzernen Mühle. Unablässig, ohne auszusetzen, arbeitete dort oben, dem Himmel nahe, das Maschinengewehr.

Da wurde es auch dem immer gleichmütigen Doktor Splittericht warm unter dem Brustlatz. Er sah das nur noch wie ein Insekt im Blauen schwebende erste Flugzeug wieder größer werden. Es schwenkte zurück, kein Zweifel, der Flieger wollte das Land gewinnen, um hinter den Bergen und Wäldern des Vars zu landen, wo der Weg zur Flucht sich öffnete.

Das Maschinengewehr im zweiten Flugzeug, unablässig Geschosse aus seinem dünnen Rohr speiend, tat seine Pflicht.

Das Flugzeug des Verbrechers schwankte und rollte, es sank urplötzlich hunderte Meter tief. Aber der Insasse mußte noch über die Kraft seiner Arme verfügen. Er fing die Maschine wieder, und sie stieg noch einmal aufwärts.

Sie stieg, als wollte sie den Verfolger überhöhen. Als sie sich scheinbar auf gleicher Linie befanden, machte der Verfolgte ein Salto, so daß man anfangs glauben konnte, er wolle einen Looping fliegen. Aber mitten in der Drehung, immer begleitet von dem Tak-tak-tak-tak-tak- des Maschinengewehrs, riß den Flüchtling die Faust des Schicksals hinab. Das Flugzeug überschlug sich und flatterte wie ein todwunder Vogel, mit jeder Sekunde schneller stürzend, hinab ins Meer.

In großem Siegesbogen rundete der Verfolger noch einmal über den Himmel, um dann hinab auf das blaue Meer zu fliegen.

Viele Menschen standen bei den drei imitierten Italienern. Auch die Damen aus der Villa, aus der die französischen Offiziere gekommen waren, reizende Frauen in duftigen Toiletten mit schönen, zart gemalten Gesichtern, erregten sich an dem seltsamen Schaustück.

»Ein Mörder! ... Ein Bankräuber! ... ging es in die Runde. Und dann:

»Ah, die Herren vom Sicherheitsdienst! ... Der Detektiv aus Berlin!«

Niemand schrie. Kein häßliches Wort fiel. Alle, arm und reich, betrugen sich vor dieser erschütternden Szene wie Menschen.

Der Abend dieses Tages sah drei Glückliche. Konsul Lindström und Stefan von Wieland waren auf das Telegramm hin im Flugzeug nach Nizza gekommen und fanden da in der Gesellschaft des Detektivs Marion, die, wie das Kind am Abgrund, nun erst erfuhr, mit wem sie diese schaurige Fahrt an das Ligurische Meer gemacht hatte ...

Aber sie erschrak nicht. In ihren leuchtenden Augen und über dem klaren Gesicht lag wieder das kaum zu deutende Lächeln, das sie einer dunklen und rätselvollen Seele nachsandte, die sich ins Nichts geflüchtet hatte.


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