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25

Es klopfte, der Diener meldete Herrn Doktor Hempelmeier, der sofort eintrat.

Der magere und immer ein wenig schlottrige Herr zwinkerte zu Conrad Canist hinüber und ging auf ihn zu, ihm leicht auf den Arm tippend:

»Na, da sind Sie ja wieder, Sie Unglücksmensch! ... Werden Sie denn nun endlich vernünftig sein und mir nicht immer wieder Kummer und Ärger machen? ... Ich hab's schwer genug gehabt, den Herrn Generaldirektor noch einmal umzustimmen ... aber das kann ich Ihnen sagen, Canist, wenn Sie noch einmal solche Sachen machen, dann ist es aus ... trinken Sie doch Selterwasser, Sie! Ich darf auch so gut wie keinen Alkohol trinken und lebe doch!«

Der Konsul spielte nervös mit seinem Elfenbeinglätter:

»Was verschafft mir denn die Ehre, liebster Hempelmeier? ... Sie können gehen, Herr Canist!«

Der verbeugte sich.

»Ich wollte bloß fragen, ob in der Mordsache was Neues ist, lieber Direktor.«

»Nein, eigentlich nicht ... oder ja: Willi Reese ist gefunden worden.«

»Ach nee! Ist er tot?«

»Das gottlob nicht, er ist nur derart betäubt oder, besser gesagt, vergiftet worden, daß er seit Sonntag in der Charité liegt.«

Conrad Canist war schon in der Tür, aber bei den letzten Worten des Konsuls drehte er sich um und sagte halblaut:

»Genau wie ich.«

Voller Unmut blickte Rudolf Lindström zu ihm hinüber. Dann, zu dem Aufsichtsratsvorsitzenden gewendet:

»Herr Canist will nämlich auch einem derartigen Attentat ausgesetzt gewesen sein. Das heißt mit anderen Worten: er sucht nach einer Entschuldigung für seinen unverantwortlichen Leichtsinn und seine Trunksucht.«

Doktor Hempelmeier sah sich nach Canist um, dem das Blut zu Kopfe schoß und der die Faust wie Eisen um die Türklinke krallte:

»Das verstehe ich nicht, Canist. Was hat denn Ihr Trinken mit Vergiftung zu tun? ... Das mit dem jungen Reese ist doch offenbar ganz was anderes, wenngleich ich auch noch nicht begreife ...«

Ein höhnisches Lachen verzog Herrn Lindströms Lippen:

»Der gute Canist hat lauter Phantasien. Unter anderem will er bei der betrunkenen Geschichte in der Schimborasso-Bar unseren guten Ostermann neben sich gehabt haben. Ostermann hat mit ihm getrunken und hat ihm Opium oder sonst irgendwas ins Glas gegossen ... nicht wahr, Herr Canist, so war es doch?«

Mißbilligend schüttelte Herr Doktor Hempelmeier den schmalen Kopf. Rückte dann die goldene Brille wieder gerade:

»Ich verstehe Sie nicht, Canist, Sie sind doch sonst, abgesehen von ihrer dummen Sauferei, ein vernünftiger Mensch! Wie kommen Sie denn auf so'n Blödsinn?«

Der lange Mann mit der Habichtsnase unter dem rotbraunen Schopf drückte die Tür wieder ins Schloß und marschierte auf Doktor Hempelmeier zu. Gerade aufgerichtet stand er vor ihm:

»Herr Doktor, ich sage die Wahrheit. In der Nacht vom Montag zum Dienstag, als ich in der Schimborasso-Bar wie ein Verrückter getrunken und das Geld rausgeschmissen habe, da hat neben mir am Tisch Herr Ostermann gesessen, hat mit mir getrunken ... Sekt und Rotwein ... und hat mir – davon bin ich fest überzeugt! – heimlich etwas ins Glas getan. Ich habe heute morgen mit dem Arzt auf dem Polizeipräsidium gesprochen, er hat es mir ohne weiteres geglaubt und hat gesagt, er wird mit dem Leiter der Kriminalpolizei darüber reden ...«

Konsul Lindström schwieg mit unheildrohendem Gesicht, und Doktor Hempelmeier wußte nicht recht, was er dazu sagen sollte.

In diesem Augenblick läutete das Telefon. Der Konsul nahm den Hörer ab:

»Aha! Morjen, Herr Oberregierungsrat. Was? ... Ja, ich habe von diesem Irrsinn auch schon gehört! ... Herr Canist ist eben bei mir ... und Doktor Hempelmeier auch. Ist Ihnen denn so etwas schon vorgekommen, lieber Henderson? ... Anstatt daß er sich in den äußersten Winkel verkriecht und keinen Ton mehr redet, statt dessen klagt er an und verleumdet den besten Mann, den ich in der Bank habe! ... Wie? ... Was meinen Sie, lieber Henderson? Sie haben gestern nachmittag Ostermann mit Fräulein Reese gesehen? Na, das ist doch wieder nicht möglich! Ostermann ist gestern mittag spätestens um drei Uhr – nein, früher schon! – mit seinem neuen Cadillac von Berlin fortgefahren. Nein, nein, da haben Sie sich getäuscht! Ostermann hat zu Fräulein Reese absolut keine Beziehungen! ... Ja, natürlich, ich werde noch mit Canist darüber sprechen, daß er nicht etwa hier in der Bank solche Märchen weitererzählt ... Und übrigens, das Wichtigste: Splittericht hat Willi Reese gefunden ... Wann? Heute nacht um vier Uhr! ... Da staunen Sie wohl! Ein Teufelskerl ist das! ... In der Charité ... ja! ... Ja, das ist merkwürdig, Willi Reese ist wirklich mit irgend etwas betäubt worden. Er liegt immer noch in vollständiger Apathie, der Arzt konnte nicht sagen, ob er ihn durchbringen wird. Ich werde mich nachher gleich nach ihm erkundigen. Na, und Sie werden ja Willi Reese auch vernehmen, so bald das möglich ist. Auf Wiedersehen, lieber Henderson!«

»Also, Herr Canist, Sie haben gehört, was ich eben mit dem Leiter der Kriminalpolizei gesprochen habe. Wir, Herr Doktor Hempelmeier und ich, wir wollen Ihnen Ihre Verfehlung noch einmal nachsehen. Aber ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich aller Kombinationen und aller Verdächtigungen enthalten! ... Das sind Märchen! Durch solche Redereien nützen Sie der Sache nicht, sondern Sie schaden dem Unternehmen und damit sich selber!«

Conrad Canist verbeugte sich noch einmal und ging raschen, festen Schrittes hinaus.

Doktor Hempelmeier räusperte sich ein paarmal. Dann legte er die Hände auf dem Rücken zusammen, ging in dem großen Raum offenbar in einer sehr unbehaglichen Stimmung auf und ab, um schließlich vor dem Generaldirektor stehenzubleiben:

»Wissen Sie, lieber Herr Konsul, ich bin wie durchgedreht von der Geschichte ... Sie haben eben zu dem Kriminalisten gesagt, er müßte sich irren wegen ... wegen Ostermann und Gertrud Reese ... ja, lieber Herr Konsul, das scheint mir gar nicht so ausgeschlossen ... Ostermann kann ja auch erst später abgefahren sein, gerade weil er noch mit Fräulein Gertrud zusammen sein wollte.«

Herr Lindström nahm den Kopf in seine beiden großen Hände und bewegte ihn hin und her:

»Nun bitte ich Sie um Himmels willen, Doktor Hempelmeier, nun fangen Sie nicht auch noch an mit diesem Blödsinn! Ich kenne doch meine Trude von so klein auf, die ist, obwohl sie aussieht wie die lebenslustigste Frau von der Welt, ein kleines ängstliches, schüchternes Mädchen! ... Und Ostermann, ha, ha, ha, ausgerechnet mit dem! Der würde es sich nie einfallen lassen, mit einer Angestellten im Geschäft was anzufangen!«

»Da sind Sie sehr im Irrtum, lieber Konsul! ... Und ich glaube, Sie sind der einzige im ganzen Bankhaus Lindström, der nicht weiß, daß Ostermann und die Reese ein Verhältnis miteinander haben ... das geht schon lange, mindestens ein Jahr.«

Dem Konsul blieb buchstäblich der Mund offenstehen: »Das sagen Sie mit solcher Bestimmtheit?«

»Aber ja! Rufen Sie mal Ihren Diener oder noch besser den Kassenboten Matschunke rein ... der hat mir selber erzählt, daß er oft genug heimlich Briefe überbracht hat.«

Der Konsul drückte zweimal auf den Klingelknopf. Der Diener kam. Aber Herr Lindström schickte ihn mit einem gleichgültigen Auftrag wieder hinaus.

»Und wenn das wahr ist, wenn Ostermann und Gertrud wirklich etwas miteinander haben, dann ist es ihre eigene Angelegenheit. Da braucht sich keiner drum zu kümmern. Ostermann ist unverheiratet, und schließlich ist Trudchen sechsundzwanzig Jahre, ich kann mir recht gut denken, daß die beiden zusammen passen ... das Mädel könnte ja ein bißchen offener zu mir sein, wo ich sie von Kind auf kenne, aber das macht eben jeder, wie er will. Dazu kann man nichts sagen.«

Doktor Hempelmeier, der überhaupt nicht gern in die Opposition ging, stimmte freundlich zu. Er konnte ja später mit Canist noch weiter reden. Vorläufig war er zufrieden, daß er seinen Schützling noch einmal um diese windige Ecke gebracht hatte.


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