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Die Berg

Sie war eine Bettlerin, die alte Berg, die ihren Stand hochhielt.

»Ich bin meinen Herrschaften treu,« sagte sie oft, »und werde sie nie vernachlässigen.«

Sie hatte ihre festen Häuser, in denen sie Mittag aß, und jeden Dienstag erschien sie pünktlich bei meinen Verwandten. Keiner konnte ihr nachsagen, daß sie jemals einen Dienstag versäumt hätte, ob es regnete, schneite oder stürmte. Da saß sie dann in der hellen, freundlichen Küche; ihren Kapothut mit den steifen Bindebändern hatte sie abgenommen und sorgfältig über ihren Mantel an einen Nagel gehängt.

Sie hatte ein runzliges, kleines Vogelgesicht, blickte aus runden Augen listig in die Welt und trug ihr Haar glatt gescheitelt unter einer Leinhaube, die rundum mit einer Spitze eingefaßt war.

Sie war immer sehr sauber gekleidet, denn sie hielt auf sich.

»Ich gehe nur in bessere Häuser,« sagte sie.

Mein Onkel und meine Tante waren unendlich friedliche und gütige Menschen, leider ließ meine Tante sich leicht einschüchtern und ausnutzen, wohinter die Berg sehr bald gekommen war. Meine Mutter in ihrer energischen Art wäre gern den Geschwistern zu Hilfe gekommen, sie forderte die Berg auf, auch einmal zu uns zum Essen zu kommen. Sie hoffte, sie pädagogisch zu beeinflussen. Doch es blieb bei dem einen Mal, die Berg merkte die Erziehungspläne und durchkreuzte sie.

»Ich habe leider keinen Tag mehr frei,« sagte sie, »ich kann Frau Pastorin nicht unter meine Herrschaften aufnehmen.«

Ich ging gern zu meinen Verwandten, wenn ich wußte, daß sie da war, denn für meine Cousine und mich war sie eine Quelle ungetrübter Freude. Sie mußte uns immer aus ihrem Leben erzählen, was sie mit der größten Ausgiebigkeit tat. Nur eins liebte sie nicht, wenn man sie nach ihrem verstorbenen Mann fragte, dann wurde sie zurückhaltend. Es ging die Sage, daß ihr zänkisches und boshaftes Wesen ihn ins Wirtshaus getrieben hätte und er elend als Trinker gestorben sei. Niemals rückte sie damit heraus, was der Mann für einen Beruf gehabt hätte, sie hüllte ihn immer in geheimnisvolles Dunkel. Aber gerade deswegen fragten wir sie gern danach, denn wir lustigen Backfische machten uns eine Freude daraus, sie zu plagen.

»Berg, was war denn eigentlich Ihr Mann?« fragte meine Cousine.

»Er war Angestellter,« sagte sie zurückhaltend.

»Aber wo denn?« fragte ich weiter.

»Das habe ich vergessen,« sagte sie ärgerlich.

Sie ließ durchblicken, daß er eine sehr angesehene Stellung gehabt hätte, und machte eine glänzende Schilderung von ihrer Häuslichkeit, in welcher ein Sofa gewesen wäre.

»Wie war es, als Ihr Mann starb?« frug ich tückisch.

Nun strömten ihre Worte, als wäre eine Schleuse geöffnet.

»Ach ja, zuerst war ich wie das verstörte Jerusalem,« und dann kamen unter Seufzen und Schluchzen Schilderungen ihres Elends und ihrer Verlassenheit. Aber merkwürdig war's, daß sie dabei nie Tränen vergoß, ihre Augen blieben immer trocken.

Ein ergiebiges Gesprächsthema war, sie nach den verschiedenen Häusern zu fragen, in denen sie »speiste«. Sie charakterisierte sie mit unendlicher Bosheit, denn sie war sehr klug und hatte scharfe Augen.

Sie hielt Gericht übers Essen, kritisierte die Portionen, die ihr zugeteilt wurden, und sprach aburteilend oder anerkennend über Hausfrauen und Dienstmädchen.

»Das beste Haus ist aber hier bei meinem Herrn Oberlehrer,« schloß sie, »hierher komme ich am liebsten. Es ist ein gottgesegnetes Heim. In manchem Hause muß ich stundenlang warten, und was ist dann die Gabe? Ein bescheidenes Mittagessen und dreißig Kopeken, das ist alles, was ich für mein langes Warten kriege.«

Mit großer List und eiserner Konsequenz umspann sie meine arme Tante immer mehr und mehr. Ihre Dreistigkeit nahm zu, sie wurde ein Kreuz fürs ganze Haus. Sie erschien zuletzt schon am Morgen früh, hatte immer wieder neue Wünsche, verlangte Kaffee und Weißbrot und jagte das gute lettische Dienstmädchen umher, das sie bedienen mußte, forderte ein zweites Frühstück, da sie nicht zu lange nüchtern bleiben könne, und eines Tages behauptete sie, es sei ihr so schlecht, daß sie ein Gläschen Wein haben müßte. Als meine Tante es ihr brachte, verlangte sie von da an zu jedem Frühstück Wein. Meine Mutter hörte es und sagte: »Ihr Maß ist voll, so geht es nicht weiter, sie muß ins Armenhaus.«

»Ob das gelingen wird?« meinte ich skeptisch, »die ist stärker als du.«

»Ich bin noch mit ganz anderen fertig geworden,« sagte meine Mutter siegesgewiß und machte sich auf den Weg, um den Kampf mit der Berg aufzunehmen. Meine Tante machte die Bedingung, daß sie nicht dabei zu sein brauchte.

»Die Berg wird grob werden,« sagte sie ängstlich.

Meine Cousine und ich aber begleiteten erwartungsvoll meine Mutter. Als wir in die Küche traten, saß die Berg fröhlich schmausend vor ihrem Frühstück. Beim Anblick meiner Mutter schien sie nicht sehr angenehm berührt zu sein, erhob sich aber, knixte nach ihrer Angewohnheit tief, setzte sich dann wieder und aß ruhig weiter. Meine Mutter zog einen Stuhl heran und nahm ihr gegenüber Platz. Ich sah, wie die Berg einen Blick voll Mißtrauen zu ihr hinüberschoß. Sie witterte nichts Gutes und wappnete sich. Meine Mutter eröffnete die Feindseligkeiten.

»Frau Berg,« sagte sie, »ich möchte Ihnen gerne einen Vorschlag machen zu Ihrem Besten. Ich möchte Sie wo unterbringen, damit Sie nicht mehr zu betteln brauchen. Es geht so nicht weiter, dieses von-Haus-zu-Haus-Gehen kann doch nicht mehr lange dauern, Sie müssen an Ihre Zukunft denken.«

Die Berg sah meine Mutter boshaft an.

»Ich bin mit meinem Leben ganz zufrieden,« sagte sie, »und habe mich auch noch nie beklagt. Für meine Zukunft aber« – dabei warf sie einen heuchlerischen Blick gen Himmel – »sorgt ein Höherer.«

Nun riß aber meiner Mutter die Geduld.

»Es geht so nicht weiter, seien sie doch vernünftig!« rief sie. »Ich habe bereits Schritte getan, Sie unterzubringen, wo Sie es gut haben werden, und wo man Sie pflegen wird.«

»Darf ich fragen, wo das ist?« fragte die Alte lauernd.

»Im Armenhaus,« sagte meine Mutter so selbstverständlich wie möglich.

Da durchschnitt ein scharfer Schrei die Luft.

»Im Armenhaus!« schrie sie gellend, »im Armenhaus!« verdrehte die Augen und lehnte sich ohnmächtig gegen die Wand. Jetzt war sie wirklich wie das verstörte Jerusalem.

Meine Mutter blieb ganz kaltblütig, bespritzte sie mit kaltem Wasser, und die Berg erholte sich auch wirklich sehr schnell.

Als sie wieder ganz bei Kräften war, nahm meine Mutter das Thema noch einmal auf und redete ihr gütlich zu. Sie schilderte das Leben im Armenhause in so leuchtenden Farben, daß man die Empfindung hatte, es müsse ein Leben ähnlich dem im Paradiese sein. Die Berg aber ließ sich in keiner Weise irre machen; sie hatte stillschweigend mit gesenktem Haupte zugehört, nun hob sie den Blick und sah meine Mutter an. Ich erschrak vor der Wut, die in ihren runden Vogelaugen funkelte.

»Ich werde Ihnen etwas sagen, Frau Pastorin,« sagte sie. »Ins Armenhaus gehe ich nicht, und wenn Sie mich mit dem Gorodowoi Russischer Schutzmann. holen lassen! Ich bin nicht undankbar und werde meine Herrschaften nicht verstoßen. Ich bin zufrieden mit ihnen, und das ist mein letztes Wort!«

Meine Mutter erhob sich, sie war geschlagen. –

Es war aber nicht das letzte Wort der Berg. Wenige Tage nachher erhielt meine Mutter einen Brief von ihr voller Bibelsprüche, die alle ihr Gottvertrauen betonten. – Sie hatte gesiegt.

»Warst du nicht bange, als sie in Ohnmacht fiel?« fragte ich meine Mutter.

»Keinen Augenblick,« war ihre Antwort, »denn ich sah ganz genau, wie sie umgesunken war, daß sie mit den Augen blinzelte, um den Eindruck auf mich zu beobachten. Ist das ein Frauenzimmer!«



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