Victor Hugo
Maria Tudor
Victor Hugo

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Erste Szene

Jane, Joshua Sie treten vorsichtig durch eine besondere Türe herein, indem sie einen der schwarzen Umhänge aufheben.

Jane Wo sind wir, Joshua?

Joshua Auf dem großen Absatz der Treppe, welche die Verurteilten hinuntersteigen, wenn sie zum Tode geführt werden. Das ist unter Heinrich dem Achten so ausgeschlagen worden.

Jane Kein Weg, um aus dem Turm zu kommen?

Joshua Das Volk bewacht alle Ausgänge. Es will dies Mal seines Verdammten gewiß sein. Niemand kann vor der Hinrichtung hinaus.

Jane Die Verkündigung von diesem Balkon herunter tönt mir noch in den Ohren. Habt Ihr es gehört, als wir unten waren? Das Alles ist entsetzlich, Joshua.

Joshua Ah, da habe ich schon ganz andere Dinge gesehen!

Jane Wenn es nur Gilbert zu entkommen gelang! Glaubt Ihr, daß er gerettet ist, Joshua?

Joshua Gerettet? Gewiß!

Jane Gewiß, guter Joshua?

Joshua Der Turm ist vom Wasser her nicht beunruhigt worden. Und dann war der Aufruhr, als er abfuhr, nicht das, was er seitdem geworden ist. Das war ein schöner Aufruhr!

Jane Ihr seid gewiß, daß er gerettet ist?

Joshua Und daß er Euch zu dieser Stunde unter dem ersten Bogen der Londoner Brücke erwartet, wo Ihr ihn vor Mitternacht treffen werdet.

Jane Mein Gott! er wird unruhig sein. Indem sie den Schatten der Königin bemerkt: Himmel, was ist das, Joshua?

Joshua leise, indem er sie bei der Hand faßt: Still! –- Es ist die Löwin, die lauert.

Während Jane mit Schrecken den schwarzen Schattenriß betrachtet, hört man eine entfernte Stimme, die von oben herunter zu kommen scheint, langsam und deutlich folgende Worte sprechen:

Stimme Der, welcher hinter mir geht, mit diesem schwarzen Schleier bedeckt, ist der sehr hohe und sehr mächtige Herr Fabiano Fabiani, Graf von Clanbrassil, Baron von Dynasmonddy, Baron von Darmouth in Devonshire, welcher auf dem Markt von London als Königsmörder und Hochverräter enthauptet werden wird. – Gott erbarme sich seiner Seele!

Eine andere Stimme Betet für ihn!

Jane zitternd: Joshua, hört Ihr?

Joshua Ja. Ich höre dergleichen alle Tage.

Ein Leichenzug erscheint oben auf der Treppe, auf deren Stufen er sich langsam im Herabsteigen entwickelt. An der Spitze ein schwarz gekleideter Mann, der ein weißes Banner mit einem schwarten Kreuz trägt. Dann Meister Äneas Dulverton im großen schwarzen Mantel, den weißen Constablerstab in der Hand; dann ein Haufe rot gekleideter Hellebardiere. Dann der Henker, seine Axt auf der Schulter, das Eisen auf den, der ihm folgt, gerichtet. Dann ein Mann ganz in einen großen schwarzen Schleier gehüllt, der ihm nachschleppt. Man sieht von diesem Manne nichts als seinen nackten Arm, der durch eine in das Leichentuch gemachte Öffnung geht und eine brennende Kerze von gelbem Wachse trägt. Zur Seite dieses Mannes ein Priester im Totenkleide. Dann eine Truppe rot gekleideter Hellebardiere. Dann ein weißgekleideter Mann, der ein schwarzes Banner mit einem weißen Kreuze trägt. Zur Rechten und zur Linken zwei Reihen von Hellebardieren, die Fackeln tragen.

Jane Joshua, seht Ihr?

Joshua Ja. Ich sehe dergleichen alle Tage. Der Zug hält im Augenblick, wo er auf die Bühne tritt.

Meister Äneas Der, welcher hinter mir geht, mit diesem schwarzen Schleier bedeckt, ist der sehr hohe und sehr mächtige Herr Fabiano Fabiani, Graf von Clanbrassil, Baron von Dynasmonddy, Baron von Darmouth in Devonshire, welcher auf dem Markte von London als Königsmörder und Hochverräter enthauptet werden wird. – Gott erbarme sich seiner Seele!

Die beiden Bannerträger Betet für ihn!

Der Zug geht langsam über den Hintergrund der Bühne.

Jane Entsetzlich, was wir da sehen, Joshua. Es macht mir das Blut stocken.

Joshua Dieser elende Fabiani!

Jane Friede, Joshua! Sehr elend, aber sehr unglücklich!

Der Zug gelangt zur andern Treppe. Simon Renard, der seit einigen Augenblicken am Eingange dieser Treppe erschienen ist und Alles beobachtet hat, tritt auf die Seite, um ihn vorbeizulassen. Der Zug senkt sich unter das Treppengewölbe, wo er nach und nach verschwindet. Jane sieht ihm voll Schrecken nach.

Simon Renard nachdem der Zug verschwunden ist: Was bedeutet das? Ist das auch Fabiani? Ich hielt ihn für weniger groß. Sollte Meister Äneas? . . . Es ist mir, als hätte die Königin ihn einen Augenblick bei sich behalten. Ich will doch sehen! Er eilt die Treppe hinunter dem Zuge nach.

Eine Stimme die sich mehr und mehr entfernt: Der, welcher hinter mir geht, mit diesem schwarzen Schleier bedeckt, ist der sehr hohe und sehr mächtige Herr Fabiano Fabiani, Graf von Clanbrassil, Baron von Dynasmonddy, Baron von Darmouth in Devonshire, welcher auf dem Markte von London als Königsmörder und Hochverräter enthauptet werden wird. – Gott erbarme sich seiner Seele!

Eine andere Stimme fast unvernehmbar: Betet für ihn!

Joshua Die große Glocke wird sogleich seinen Austritt aus dem Turme verkündigen. Es wird Euch jetzt vielleicht möglich sein, hinauszukommen. Ich muß sehen, wie es gehen kann. Erwartet mich hier; ich komme gleich wieder.

Jane Ihr verlaßt mich, Joshua? Ich werde mich fürchten. Allein hier, mein Gott!

Joshua Ihr könntet nicht ohne Gefahr den ganzen Turm mit mir durchlaufen. Ich muß Euch zum Turme hinausschaffen. Bedenkt, daß Gilbert Euch erwartet.

Jane Gilbert! Alles für Gilbert! Geht! Joshua ab.

Jane allein: O welch schreckliches Schauspiel! Wenn ich denke, daß das so für Gilbert gewesen wäre! Sie kniet auf den Stufen des einen Altares nieder. O, Dank! du bist ja wahrlich der rettende Gott, du hast Gilbert gerettet!

Das Tuch im Hintergrund öffnet sich halb, die Königin erscheint, sie geht mit langsamen Schritten auf den Vordergrund der Bühne, ohne Jane zu sehen.

Jane sich wegwendend: Gott! die Königin.


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