Victor Hugo
Maria Tudor
Victor Hugo

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Sechste Szene

Der Mann, Fabiano Fabiani

Der Mann hält Fabiani auf: Ein Wort, wenn es Euch beliebt.

Fabiani Man spricht mit mir, glaub' ich. Wer ist der Spitzbube? Wer bist du?

Der Mann Alles, wofür es Euch beliebt, mich zu halten.

Fabiani Diese Laterne leuchtet schlecht. Aber du hast eine gelbe Mütze auf, wie mir deucht, eine Judenmütze? Bist du ein Jude?

Der Mann Ja, ein Jude. Ich habe Euch etwas zu sagen.

Fabiani Wie heißt du?

Der Mann Ich weiß Euren Namen, und Ihr wißt meinen nicht. Ich habe einen Vorteil über Euch; erlaubt mir, ihn zu behalten.

Fabiani Du weißt meinen Namen, du? Das ist nicht wahr.

Der Mann Ich weiß Euren Namen. Zu Neapel hießt Ihr Signor Fabiani, zu Madrid Don Fabiano; zu London heißt Ihr Fabiano Fabiani, Graf von Clanbrassil.

Fabiani Hole dich der Teufel!

Der Mann Behüte Euch Gott!

Fabiani Ich werde dir Stockschläge geben lassen. Ich will nicht, daß man meinen Namen weiß, wenn ich so des Nachts vor mich hingehe.

Der Mann Besonders wenn Ihr dahin geht, wohin Ihr geht.

Fabiani Was soll das heißen?

Der Mann Wenn die Königin es wüßte!

Fabiani Ich gehe nirgends hin.

Der Mann Doch, Mylord! Ihr geht zu der schönen Jane, der Braut von Gilbert, dem Arbeiter.

Fabiani bei Seite: Teufel! das ist ein gefährlicher Mensch.

Der Mann Wollt Ihr, daß ich Euch noch mehr sage? Ihr habt das Mädchen verführt, und seit einem Monat hat sie Euch zweimal des Nachts zu sich gelassen, heute ist es das drittemal. Die Schöne wartet auf Euch.

Fabiani Still, still! Soll ich dir das Maul mit Silber stopfen? Wie viel willst du?

Der Mann Das werden wir gleich sehen. Soll ich Euch jetzt auch sagen, Mylord, warum Ihr das Mädchen verführt habt?

Fabiani Wahrhaftig, weil ich in sie verliebt war.

Der Mann Nein. Das wart Ihr nicht.

Fabiani Ich hätte Jane nicht geliebt?

Der Mann So wenig, als Ihr die Königin liebt. Liebe, nein; Berechnung, ja.

Fabiani Kerl, du bist kein Mensch, du bist mein Gewissen, als Jude verkleidet.

Der Mann Ich will mit Euch reden, wie Euer Gewissen, Mylord. Die ganze Geschichte verhält sich so. Ihr seid der Günstling der Königin. Die Königin hat Euch das Hosenband gegeben, den Grafen- und den Herrentitel. Taube Nüsse das Alles. Das Hosenband ist ein Lumpen, die Grafschaft ein Wort, der Herrentitel verhilft Einem zu dem Recht, den Kopf abgeschnitten zu kriegen. Ihr hattet was Besseres nötig. Ihr brauchtet, Mylord, gute Äcker, gute Vogteien, gute Schlösser und gute Einkünfte in guten Pfunden. Heinrich der Achte nun hatte die Güter des vor sechszehn Jahren enthaupteten Lord Talbot konfisziert. Ihr habt Euch von der Königin die Güter des Lord Talbot schenken lassen. Aber um die Schenkung gültig zu machen, hätte Lord Talbot ohne Nachkommen sterben müssen. Wenn es einen Erben oder eine Erbin des Lord Talbot gäbe, so unterläge es keinem Zweifel, daß, da Lord Talbot für die Königin Marie und ihre Mutter Catharina von Aragonien gestorben ist, da Lord Talbot ein Papiste war, und da die Königin Marie eine Papistin ist, daß die Königin Euch, Ihr möcht noch so sehr ihr Günstling sein, Mylord, die Güter abnehmen und sie aus Pflichtgefühl, Dankbarkeit und Religiosität dem Erben oder der Erbin zurückgeben würde. Ihr fühltet Euch von der Seite ziemlich sicher. Lord Talbot hatte nichts als eine kleine Tochter, die zur Zeit, wo ihr Vater enthauptet wurde, aus der Wiege verschwand und von ganz England für tot gehalten wurde. Aber Eure Spione haben neulich entdeckt, daß in der Nacht, wo Lord Talbot und seine Partei durch Heinrich den Achten vernichtet wurde, ein Kind ganz geheimnisvoll bei einem Arbeiter an der Londoner Brücke untergebracht worden wäre, daß es unter dem Namen Jane aufgewachsen und wahrscheinlich Jane Talbot, das kleine verschwundene Mädchen sei. Die schriftlichen Beweise für ihre Geburt fehlten, das ist wahr; aber sie konnten sich alle Tage wieder finden. Der Zufall war verdrießlich. Sich vielleicht eines Tages genötigt zu sehen, Shrewsbury, Wexford, das eine schöne Stadt ist, und die prächtige Grafschaft Waterford abzutreten, das ist hart. Was tun? Ihr sannt auf ein Mittel, das Mädchen zu vernichten. Ein braver Mann hätte sie vergiften oder ermorden lassen; Ihr, Mylord, habt es besser angefangen, Ihr habt es entehrt.

Fabiani Unverschämter!

Der Mann Euer Gewissen spricht mit Euch, Mylord. Ein Anderer hätte dem Mädchen das Leben genommen, Ihr habt ihm die Ehre und somit die Zukunft gestohlen. Die Königin Marie ist prüde, trotz ihrer Liebschaften.

Fabiani Der Mann geht Allem auf den Grund.

Der Mann Die Königin hat keine gute Gesundheit; die Königin kann sterben, und dann würde der Günstling über ihrem Grabe stolpern. Die materiellen Beweise für den Rang des Mädchens können sich wiederfinden, und dann, wenn die Königin tot ist, wird Jane, trotz ihrer Entehrung, als Erbin von Talbot anerkannt werden. Nun, Ihr habt auch den Fall vorausgesehen, Ihr seid ein junger Herr von gutem Aussehen, Ihr habt sie in Euch verliebt gemacht, sie hat sich Euch überlassen; im schlimmsten Falle würdet Ihr sie heiraten. Sträubt Euch nicht gegen diesen Plan, Mylord, ich finde ihn herrlich. Ich möchte Ihr sein, wenn ich nicht Ich wäre.

Fabiani Danke!

Der Mann Ihr habt die Sache mit Geschick betrieben. Ihr habt Euren Namen verborgen. Vor der Königin seid Ihr gedeckt. Das arme Ding meint, ein Ritter aus dem Lande Sommerset, Namens Amyas Pawlet, habe sie verführt.

Fabiani Alles! Er weiß Alles! Zur Sache jetzt. Was willst du von mir?

Der Mann Mylord, wenn Jemand die Papiere in seinen Händen hätte, welche über die Geburt, das Dasein und die Rechte der Erbin Talbot's Auskunft geben, so würde Euch das arm machen wie meinen Vorahnen Job, und würde Euch keine andern Schlösser übrig lassen, Don Fabiano, als Schlösser in Spanien, was Euch recht unangenehm sein würde.

Fabiani Ja, aber Niemand hat diese Papiere.

Der Mann Doch.

Fabiani Wer?

Der Mann Ich.

Fabiani Bah! du Elender! das ist nicht wahr. Jude, der spricht, Zunge, die lügt.

Der Mann Ich habe diese Papiere.

Fabiani Du lügst. Wo hast du sie?

Der Mann In meiner Tasche.

Fabiani Ich glaube dir nicht. Gut in Ordnung? Es fehlt nichts daran?

Der Mann Es fehlt nichts.

Fabiani Dann muß ich sie haben.

Der Mann Sachte!

Fabiani Jude, gib mir diese Papiere.

Der Mann Sehr gut. – Jude, elender Bettler, der in den Straßen herumstreicht, gib mir die Stadt Shrewsbury, gib mir die Stadt Wexford, gib mir die Grafschaft Waterford! – Ein Almosen, wenn es Euch beliebt!

Fabiani Diese Papiere sind Alles für mich, Nichts für dich.

Der Mann Simon Renard und Lord Chandos würden sie mir gut bezahlen.

Fabiani Simon Renard und Lord Chandos sind die zwei Hunde, zwischen welche ich dich werde hängen lassen.

Der Mann Ihr habt mir sonst nichts vorzuschlagen? Lebt wohl.

Fabiani Steh', Jude! – Was soll ich dir für diese Papiere geben?

Der Mann Etwas, das Ihr bei Euch habt.

Fabiani Meinen Beutel?

Der Mann Pfui! Wollt Ihr den meinigen?

Fabiani Was denn?

Der Mann Ihr habt ein Pergament, das Euch nie verläßt. Es ist ein Freibrief, den die Königin Euch gegeben hat, indem sie auf ihre katholische Krone schwur, dem, welcher ihr ihn überreichen wird, jede Gnade, die er verlangt, zu erweisen. Gebt mir diesen, und Ihr sollt die Urkunden der Jane Talbot erhalten. Papier um Papier.

Fabiani Was willst du mit diesem Freibrief anfangen?

Der Mann Seht die Karten aufgelegt, Mylord. Ich habe Euch Eure Geschichte gesagt; ich will Euch jetzt die meinige erzählen. Ich bin einer der ersten Wechsel-Juden in der Cantersten-Straße zu Brüssel. Ich leihe mein Geld aus. Das ist mein Geschäft. Ich leihe zehn, und man gibt mir fünfzehn wieder. Ich leihe der ganzen Welt, ich würde dem Teufel leihen, ich würde dem Pabste leihen. Es sind jetzt zwei Monate, daß einer meiner Schuldner starb, ohne mich bezahlt zu haben. Er war ein alter, verbannter Diener der Familie Talbot. Der arme Teufel hinterließ nichts, als einige Lumpen. Ich ließ sie in Beschlag nehmen. In diesen Lumpen fand sich ein Kästchen, und in diesem Kästchen Papiere, die Papiere von Jane Talbot, Mylord, mit ihrer aufs Genauste erzählten und für bessere Zeiten mit Beweisen versehenen Geschichte. Die Königin von England gab Euch gerade damals die Güter von Jane Talbot. Nun hatte ich gerade die Königin von England für ein Darlehen von zehntausend Mark Gold nötig. Ich sah ein, daß sich mit Euch etwas würde machen lassen. Ich kam verkleidet nach England, ich spürte Euren Schritten nach, ich spähte Jane Talbot aus, ich selbst, ich tue Alles selbst. Auf diese Weise erfuhr ich Alles, und da bin ich. Ihr werdet die Papiere von Jane Talbot erhalten, wenn Ihr mir den Freibrief der Königin gebt. Ich werde darauf schreiben, die Königin möge mir zehntausend Mark Gold geben. Man ist mir hier auf der Kanzlei was schuldig; aber ich werde billig sein. Zehntausend Mark Gold, und nichts weiter. Ich fordere die Summe nicht von Euch, weil sie nur ein gekröntes Haupt bezahlen kann. Das heiße ich deutlich sprechen, hoffe ich. Seht, Mylord, zwei so gewandte Leute, wie Ihr und ich, gewinnen nichts dabei, wenn sie einander betrügen. Wenn der Erde die Ehrlichkeit verloren gegangen wäre, so müßte sie sich zwischen zwei Spitzbuben wieder finden.

Fabiani Unmöglich. Ich kann dir dies Pergament nicht geben. Zehntausend Mark Gold! Was wird die Königin sagen? Und dann, morgen kann ich in Ungnade fallen; dies Pergament ist mein Asyl, dies Pergament ist mein Kopf.

Der Mann Was geht mich das an?

Fabiani Fordere was Anderes.

Der Mann Ich will einmal das.

Fabiani Jude, gib mir die Papiere von Jane Talbot.

Der Mann Mylord, gebt mir den Freibrief der Königin.

Fabiani Nun denn, verfluchter Jude, ich muß dir nachgeben. Er zieht ein Papier aus der Tasche.

Der Mann Zeigt mir den Freibrief der Königin.

Fabiani Zeige mir die Papiere Talbot's.

Der Mann Hernach.

Sie nähern sich der Laterne. Fabiani steht hinter dem Juden und hält ihm mit der linken Hand das Papier unter die Augen. Der Jude untersucht es.

Der Mann liest: »Wir, Marie, Königin . . .« – Gut. – Ihr seht, ich bin wie Ihr, Mylord. Ich habe Alles berechnet. Ich habe Alles vorhergesehen.

Fabiani zieht mit der Rechten seinen Dolch und stößt ihn ihm in die Kehle: Das ausgenommen.

Der Mann Oh! Verräter! . . . – Hülfe! Er fällt. Im Falle wirft er, ohne daß Fabiani es bemerkt, ein versiegeltes Paket hinter sich in den Schatten.

Fabiani bückt sich über den Körper: Er ist tot, meiner Treu! – Schnell diese Papiere! Er durchsucht den Juden. Aber was! er hat nichts, nichts bei sich! kein Papier, der alte Hund! Er hat gelogen; er hat mich betrogen! Er hat mich bestohlen. Seht das, verdammter Jude! Oh! er hat nichts, es ist aus. Ich habe ihn umsonst getötet! Sie sind alle so, die Juden. Lügen und Stehlen, das ist der ganze Jude. Weg mit der Leiche, ich kann sie nicht vor dieser Türe lassen. Er geht auf den Hintergrund der Bühne. Vielleicht ist der Schiffer noch da, er mag mir helfen ihn in die Themse werfen. Er steigt hinunter und verschwindet hinter dem Geländer.

Gilbert tritt auf der entgegengesetzten Seite auf: Es ist mir, als hätte ich einen Schrei gehört. Er erblickt unter der Laterne den auf der Erde ausgestreckten Körper. Jemand ermordet! – Der Bettler!

Der Mann erhebt sich halb: Ah! . . . Ihr kommt zu spät, Gilbert. Er deutet mit dem Finger auf den Platz, wohin er das Paket geworfen. Nehmt das; es sind Papiere, welche beweisen, daß Jane, Eure Braut, die Tochter und Erbin des letzten Lord Talbot ist. Mein Mörder ist Clanbrassil, der Günstling der Königin. – Ach, ich ersticke! – Gilbert, räche mich und räche dich! . . . – Er stirbt.

Gilbert Tot! – Ich soll mich rächen? Was will er sagen? Jane, Tochter des Lord Talbot? Lord Clanbrassil? der Günstling der Königin? Oh, mir schwindelt! Er schüttelt die Leiche. Sprich noch ein Wort! – Er ist tot.


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