Victor Hugo
Maria Tudor
Victor Hugo

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Siebente Szene

Jane, Gilbert, Joshua

Gilbert ruft aus dem Kerker: Wer ruft mir? Er tritt auf die Schwelle, erblickt Jane und hält sich wankend an der Mauer. Jane! – Lady Jane Talbot!

Jane auf den Knien, ohne die Augen aufzuschlagen: Gilbert, ich komme Euch zu retten.

Gilbert Mich retten!

Jane Hört! Habt Erbarmen, zermalmt mich nicht. Ich weiß Alles, was Ihr mir sagen werdet. Es ist gerecht; aber sagt es mir nicht. Ich muß Euch retten. Alles ist bereit. Die Flucht ist sicher. Laßt Euch von mir retten, so gut wie von einem Andern. Ich verlange sonst nichts. Ihr werdet mich dann nicht mehr kennen. Ihr werdet nicht wissen, wer ich bin. Verzeiht mir nicht, aber laßt mich Euch retten. Wollt Ihr?

Gilbert Ich danke; es ist unnütz. Zu was mich retten wollen, Lady Jane, wenn Ihr mich nicht mehr liebt?

Jane freudig: O Gilbert! ist es das in Wahrheit, was Ihr verlangt? Gilbert! würdigt Ihr mich noch, Euch mit dem zu beschäftigen, was in dem Herzen des armen Mädchens vorgeht? Gilbert! liegt Euch noch etwas an der Liebe, die ich für irgend Jemand haben könnte, und dünkt es Euch der Mühe wert, darnach zu fragen? O! ich dachte, daß Euch das sehr gleichgültig wäre und daß Ihr mich zu sehr verachtetet, um Euch um das zu kümmern, was ich mit meinem Herzen machte. Gilbert! wenn Ihr wüßtet, was mich die Worte fühlen machen, die Ihr mir sagtet! Das ist ein sehr unerwarteter Sonnenstrahl in meiner Nacht. O! hört mich doch dann. Wenn ich es noch wagte, mich Euch zu nähern, wenn ich es wagte, Eure Kleider zu berühren, wenn ich es wagte, Eure Hände in die meinigen zu nehmen, wenn ich es noch wagte, die Augen zu Euch und dem Himmel aufzuschlagen, wie sonst: wißt Ihr, was ich sagen würde, knieend, niedergeworfen, weinend zu Euren Füßen, Seufzer auf den Lippen und die Freude der Engel im Herzen? Ich würde Euch sagen: Gilbert, ich liebe dich!

Gilbert faßt sie heftig in seine Arme: Du liebst mich?

Jane Ja, ich liebe dich!

Gilbert Du liebst mich! – Sie liebt mich, mein Gott! Es ist wahr, sie ist es, die mir es sagt, ihr Mund ist es, der sprach, Gott im Himmel!

Jane Mein Gilbert!

Gilbert Du hast Alles für meine Flucht vorbereitet, sagst du? Schnell! schnell! Das Leben! Ich will leben, Jane liebt mich! Dieses Gewölbe senkt sich auf meinen Kopf und zerdrückt ihn. Ich brauche Luft. Fliehen wir schnell! Fort, Jane! Ich will leben – ich werde geliebt!

Jane Noch nicht. Wir haben einen Nachen nötig. Wir müssen die Nacht abwarten. Aber sei ruhig, du bist gerettet. Ehe eine Stunde vergeht, sind wir draußen. Die Königin ist auf dem Stadthaus und kommt nicht sobald zurück. Ich bin hier Herrin; ich werde dir Alles erklären.

Gilbert Eine Stunde warten, das ist sehr lang. O, ich bin ungeduldig, Leben und Freude wieder zu fassen! Jane! Jane! du bist da! Ich werde leben, du liebst mich! Ich komme aus der Hölle, halte mich, ich könnte tolles Zeug machen, siehst du. Ich möchte lachen, möchte singen. Du liebst mich also?

Jane Ja! – Ich liebe dich! Ja, ich liebe dich! Und sieh', Gilbert, glaube mir, ich spreche die Wahrheit, wie auf dem Todesbette, – ich habe immer nur dich geliebt! Selbst in meiner Sünde, selbst in der Tiefe meines Verbrechens liebte ich dich! Kaum war ich in die Arme des Teufels gefallen, der mich verführte, als ich meinen Engel beweinte.

Gilbert Vergessen! verziehen! Sprich nicht davon, Jane. O, was liegt mir an dem Vergangenen! Wer könnte deiner Stimme widerstehen! Wer würde anders handeln, als ich! O ja! ich verzeihe dir Alles, mein geliebtes Kind! Das Wesen der Liebe ist Nachsicht, ist Verzeihung. Jane, die Eifersucht und die Verzweiflung haben die Tränen in meinen Augen getrocknet. Aber ich verzeihe dir, aber ich danke dir, aber du bist für mich der einzige Lichtstrahl in dieser Welt, aber bei jedem Worte, das du sprichst, fühle ich einen Schmerz in meiner Seele sterben und eine Freude darin geboren werden! Jane! erhebt Euer Haupt, steht gerade so hin und seht mich an. – Ich sage dir, daß du mein Kind bist.

Jane Immer großmütig! Immer! mein geliebter Gilbert!

Gilbert O! ich möchte schon draußen sein auf der Flucht, weit, weit, frei mit dir! O! diese Nacht, die nicht kommen will! – Der Nachen ist nicht da. – Jane! wir verlassen London sogleich, noch diese Nacht. Wir verlassen England. Wir gehen nach Venedig. Mit meinem Handwerk verdient man viel Geld da. Du wirst mir gehören. – O! mein Gott! ich bin unsinnig, ich vergaß, welchen Namen du führst! Er ist zu schön, Jane!

Jane Was willst du sagen?

Gilbert Tochter des Lord Talbot.

Jane Ich weiß einen schöneren.

Gilbert Welchen?

Jane Weib des Arbeiters Gilbert.

Gilbert Jane! . . .

Jane O nein! glaube nicht, daß ich das verlange. O! ich weiß wohl, daß ich unwürdig bin. Ich werde meine Augen so hoch nicht erheben; ich werde nicht so weit die Verzeihung mißbrauchen. Der arme Arbeiter Gilbert wird sich nicht zu der Gräfin von Waterford herablassen. Nein, ich werde dir folgen, dich lieben, ich werde dich nie verlassen. Ich will mich des Tags zu deinen Füßen, des Nachts vor deine Türe legen. Ich werde dir zusehen arbeiten, ich werde dir helfen, ich werde dir reichen, was du brauchst. Ich werde dir etwas weniger, als eine Schwester, und etwas mehr als ein Hund sein. Und wenn du dich verheiratest, Gilbert, – denn es wird Gott gefallen, daß du endlich ein fleckenloses Weib findest, das deiner würdig ist, – wenn du dich verheiratest und wenn dein Weib gut ist, und wenn sie es wohl will, werde ich die Magd deines Weibes sein. Wenn sie mich nicht will, werde ich gehen und sterben, wo ich kann. Ich werde dich nur in dem Falle verlassen. Wenn du dich nicht verheiratest, werde ich bei dir bleiben, ich will still und ruhig sein, du sollst sehen, und wenn man Böses denkt, mich so bei dir zu sehen, so mag man denken, was man will. Ich brauche nicht mehr rot zu werden, siehst du! Ich bin ein armes Mädchen.

Gilbert fällt ihr zu Füßen: Du bist ein Engel! Du bist mein Weib!

Jane Dein Weib! Du verzeihest also nur, wie Gott, indem du heiligst? Ah! sei gesegnet, Gilbert, daß du mir diese Krone auf die Stirne drückst.

Gilbert erhebt sich und preßt sie in die Arme. Während sie sich eng umschlossen halten, nimmt Joshua die Hand von Jane.

Joshua Es ist Joshua, Lady Jane.

Gilbert Guter Joshua!

Joshua Es ist kaum ein Augenblick, daß Ihr mich nicht kanntet.

Jane Ah! denn ich mußte mit ihm den Anfang machen.

Joshua küßt ihr die Hände.

Gilbert preßt sie in seine Arme: Aber welch Glück! Aber ist denn all dies Glück auch wirklich?

Seit einigen Augenblicken hört man außen ein entferntes Getös, verwirrte Stimmen, einen Auflauf. Der Tag geht zu Ende.

Joshua Was ist das für ein Lärm? Er tritt an das Fenster, welches auf die Straße geht.

Jane O mein Gott, wenn nur nichts vorfällt!

Joshua Ein großer Haufe da unten; Hacken, Piken, Fackeln. Die Soldaten der Königin zu Pferd und in Schlachtordnung. Alles kommt hierher. Welch Geschrei! Teufel! Man sollte meinen es sei ein Volksauflauf.

Jane Wenn es nur nicht Gilbert gilt!

Entfernte Stimmen Fabiani! Tod dem Fabiani!

Jane Hört Ihr?

Joshua Ja.

Jane Was riefen sie?

Joshua Ich unterscheide nichts.

Jane O mein Gott, mein Gott!

Meister Äneas und ein Schiffer treten eilig durch die verborgene Türe herein.


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