Victor Hugo
Maria Tudor
Victor Hugo

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Vierte Szene

Die Königin, Jane, Gilbert hinter dem Vorhang

Königin Näher, junges Mädchen! Du weißt, wer wir sind?

Jane Ja, Madame.

Königin Du weißt, wer der Mann ist, welcher dich verführt hat?

Jane Ja, Madame.

Königin Er hat dich betrogen! Er hat sich für einen Edelmann, Namens Amyas Pawlet, ausgegeben?

Jane Ja, Madame.

Königin Du weißt jetzt, daß er Fabiano Fabiani, Graf von Clanbrassil, ist?

Jane Ja, Madame.

Königin Diese Nacht, als man dich in deinem Hause ergriff, hattest du ihm eine Zusammenkunft versprochen, du erwartetest ihn?

Jane die Hände ringend: Mein Gott, Madame!

Königin Antworte.

Jane mit schwacher Stimme: Ja.

Königin Du weißt, daß ihr nichts mehr zu hoffen habt, weder du noch er?

Jane Als den Tod! Das ist eine Hoffnung.

Königin Erzähle mir die ganze Geschichte. Wo hast du diesen Mann zum ersten Male gesprochen?

Jane Das erste Mal, daß ich ihn sah, es war . . . aber wozu das Alles? Ein elendes Mädchen aus dem Volke, arm und eitel, töricht und gefallsüchtig, vernarrt in Putz und ein schönes Äußere, das sich durch den Glanz eines großen Herrn blenden läßt: das ist Alles. Ich bin verführt, ich bin entehrt, ich bin verloren. Ich habe nichts mehr zu sagen. Mein Gott, Madame, seht Ihr denn nicht, daß jedes Wort, das ich spreche, mich sterben macht.

Königin Es ist gut.

Jane O Euer Zorn ist schrecklich, ich weiß es, Madame. Mein Haupt beugt sich zum Voraus unter der Strafe, die Ihr mir bereitet.

Königin Ich eine Strafe für dich! Was kümmere ich mich denn um dich, Närrin! Wer bist du, elendes Geschöpf, daß die Königin sich mit dir beschäftigen sollte? Nein, Fabiano, das ist meine Sache. Was dich betrifft, Weib, so übernimmt es ein Anderer, als ich, dich zu bestrafen.

Jane Gut denn, Madame, übertragt es, wem Ihr wollt, straft mich, wie Ihr wollt, ich werde Alles dulden, ohne zu klagen, ich werde Euch selbst danken, nur erbarmt Euch meiner Bitte. Es gibt ein' Mann, der mich als Waise in der Wiege erhielt, der mich aufnahm, der mich erzog, mich nährte, mich liebte und mich noch liebt; ein Mann, dessen ich sehr unwürdig bin, gegen den ich mich schwer vergangen habe und dessen Bild dennoch angebetet, göttlich und heilig wie das Gottes in der Tiefe meines Herzens ruht; ein Mann, der ohne Zweifel in der Stunde, wo ich mit Euch rede, sein Haus leer, verlassen und wüst findet und nichts davon begreift und sich die Haare aus Verzweiflung ausreißt. Und so bitte ich denn Eure Majestät, möge er nie etwas davon begreifen; möge ich verschwinden, ohne daß er je weiß, was aus mir geworden ist, weder was ich getan habe, noch was Ihr mit mir gemacht habt. Ach mein Gott! ich weiß nicht, ob ich mich deutlich mache; aber Ihr müßt fühlen, daß ich einen Freund habe, einen edlen und großmütigen Freund, – armer Gilbert! o ja, es ist wohl wahr – der mich achtet, mich für rein hält, und von dem ich nicht gehaßt und verachtet sein will. – Ihr versteht mich, Madame. Seht, die Achtung dieses Mannes ist für mich weit mehr, als das Leben! Und dann das würde ihm schrecklichen Kummer machen! Ein solcher Schlag! Er würde es anfangs nicht glauben! Nein, er würde es nicht glauben! Mein Gott! armer Gilbert! Oh Madame! habt Mitleid mit ihm und mir. Er hat Euch nichts getan. Daß er nichts davon erfährt, im Namen des Himmels! im Namen des Himmels! Daß er nicht erfährt, daß ich schuldig bin; er würde sich töten. Daß er nicht erfährt, daß ich tot bin; er würde sterben.

Königin Der Mann, von dem Ihr sprecht, ist hier; er hört Euch, er richtet Euch und wird Euch strafen. Gilbert zeigt sich.

Jane Himmel! Gilbert!

Gilbert zur Königin: Mein Leben gehört Euch, Madame.

Königin Gut. Habt Ihr einige Bedingungen zu machen?

Gilbert Ja, Madame.

Königin Welche? Wir geben Euch unser königliches Wort, daß wir sie zum Voraus genehmigen.

Gilbert Seht, Madame. – Es ist sehr einfach. Es ist eine Schuld der Dankbarkeit, deren ich mich gegen einen Herrn Eures Hofes (entledige), welcher mir viel Arbeit verschafft hat.

Königin Sprecht.

Gilbert Dieser Herr hat ein geheimes Verhältnis mit einem Weibe, das er nicht heiraten kann, weil es aus einem geächteten Hause stammt. Dieses Weib, das bis jetzt verborgen gelebt hat, ist die einzige Tochter und Erbin des letzten Lord Talbot, der unter Heinrich dem Achten enthauptet wurde.

Königin Was! Bist du dessen gewiß, was du da sagst! Johann Talbot, der gute katholische Lord, der loyale Verteidiger meiner Mutter von Aragonien, er hat eine Tochter hinterlassen, sagst du? Bei meiner Krone, wenn das wahr ist, so ist das Kind mein Kind; und was Johann Talbot für die Mutter der Marie von England getan hat, wird Marie von England für die Tochter von Johann Talbot tun.

Gilbert Dann wird es ohne Zweifel Eure Majestät glücklich machen, der Tochter des Lord Talbot die Güter ihres Vaters zurückzugeben? . . .

Königin Ja gewiß, und sie Fabiano wieder zu nehmen! Aber hat man Beweise für das Dasein dieser Erbin?

Gilbert Man hat sie.

Königin Übrigens, wenn wir keine Beweise haben, so machen wir welche. Wir sind nicht umsonst Königin.

Gilbert Eure Majestät wird der Tochter des Lord Talbot die Güter, die Titel, den Rang, den Namen, das Wappen und den Wahlspruch ihres Vaters zurückgeben. Eure Majestät wird sie von jeder Ächtung frei sprechen und ihr das Leben zusichern. Eure Majestät wird sie mit diesem Herrn vermählen, welcher der einzige Mann ist, den sie heiraten kann. Unter diesen Bedingungen, Madame, könnt Ihr über mich verfügen, über meine Freiheit, mein Leben und meinen Willen, wie Euch beliebt.

Königin Gut. Ich werde tun, was Ihr gesagt habt.

Gilbert Eure Majestät wird tun, was ich gesagt habe. Die Königin von England schwört es mir Gilbert, dem Arbeiter, auf ihre Krone hier und auf das offene Evangelienbuch da.

Königin Ich schwöre es dir auf die königliche Krone hier und auf das heilige Evangelium da.

Gilbert Der Vertrag ist geschlossen, Madame. Laßt ein Grab für mich und ein Hochzeitbett für die Gatten bereiten. Der Herr, von dem ich sprach, ist Fabiani, Graf von Clanbrassil. Die Erbin Talbot's, – hier ist sie.

Jane Was sagt er?

Königin Habe ich mit einem Wahnsinnigen zu tun? Was bedeutet das? Meister, gebt Acht, Ihr seid sehr tollkühn, die Königin von England zu necken! – Die königlichen Zimmer sind Orte, wo man die Worte wägen muß, die man spricht; es gibt Fälle, wo der Mund den Kopf fallen macht!

Gilbert Meinen Kopf, Ihr habt ihn, Madame. Ich, ich habe Euern Eid.

Königin Ihr sprecht nicht im Ernst. Dieser Fabiani! Diese Jane! . . . – Geht doch!

Gilbert Diese Jane ist die Tochter und Erbin des Lord Talbot.

Königin Bah! Gesichter! Fixe Ideen! Narrheit! Die Beweise, habt Ihr sie?

Gilbert Vollständig. Er zieht ein Paket aus dem Busen. Les't diese Papiere.

Königin Habe ich Zeit, Eure Papiere zu lesen? Habe ich Eure Papiere verlangt? Was geht mich das an? Eure Papiere, bei meiner Seele, ich werfe sie in's Feuer, wenn sie etwas beweisen, so daß nichts übrig bleibt.

Gilbert Als Euer Eid, Madame.

Königin Mein Eid! Mein Eid!

Gilbert Auf die Krone und auf das Evangelium, Madame! Das heißt auf Euer Haupt und auf Eure Seele, auf Euer Leben in dieser und auf Euer Leben in der anderen Welt.

Königin Aber was willst du denn? Bei meinem Eide, du bist wahnwitzig!

Gilbert Was ich will? Jane hat ihren Rang verloren; gebt ihr ihn wieder! Jane hat ihre Ehre verloren; gebt ihr sie wieder! Erklärt sie für die Tochter des Lord Talbot und die Gemahlin des Lord Clanbrassil, – und dann nehmt mein Leben!

Königin Dein Leben! Was soll ich dann mit deinem Leben anfangen? Ich wollte es nur, um mich an diesem Menschen, an Fabiano zu rächen! Du begreifst also nichts? Ich begreife dich eben so wenig. So also rächst du dich? O diese Leute aus dem Volke sind dumm! Und dann, glaube ich denn an deine lächerliche Geschichte mit deiner Erbin Talbot's? Die Papiere! Du zeigst mir die Papiere! Ich will sie nicht ansehen. Ha! ein Weib verrät dich, und du spielst den Großmütigen! Wie du willst. Ich bin nicht großmütig, ich! Ich habe Wut und Haß im Herzen. Ich werde mich rächen, und du wirst mir helfen. Aber dieser Mensch ist ein Narr! »Ein Narr! Ein Narr!« Mein Gott! Warum habe ich ihn nötig? Es ist zum Verzweifeln, wenn man mit solchen Leuten bei ernsthaften Dingen zu tun hat!

Gilbert Ich habe Euer Wort als katholische Königin. Lord Clanbrassil hat Jane verführt, er soll sie heiraten.

Königin Und wenn er sich weigert?

Gilbert So werdet Ihr ihn zwingen.

Jane Oh nein! Habt Erbarmen, Gilbert!

Gilbert Nun denn! Wenn er sich weigert, der Schurke, so mag Eure Majestät mit mir und ihm machen, was beliebt,

Königin freudig: Ha! das ist Alles, was ich will!

Gilbert Wenn das geschieht, so werde ich Alles tun, was die Königin mir aufträgt, im Falle die Krone der Gräfin von Waterford feierlich auf das heilige und unverletzliche Haupt der Jane Talbot hier gesetzt wird.

Königin Alles?

Gilbert Alles.

Königin Du wirst sagen, was du sagen sollst? Du wirst des Todes sterben, den man will?

Gilbert Des Todes, den man will.

Jane O Gott!

Königin Du schwörst es?

Gilbert Ich schwöre es.

Königin Die Sache kann so gehen. Das genügt. Ich habe dein Wort, du hast das meinige. So sei es. Sie scheint einen Augenblick nachzudenken, zu Jane: Ihr seid hier überflüssig, geht. Man wird Euch wieder rufen.

Jane O Gilbert, was habt Ihr getan? O Gilbert! ich bin eine Elende, ich wage die Augen nicht vor Euch aufzuschlagen! O Gilbert! Ihr seid mehr, als ein Engel; denn Ihr habt zugleich die Tugenden eines Engels und die Leidenschaften eines Menschen. Sie geht.


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