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XVI

Nachmittags ließ sich die Baronin bei Deruga melden. Er erhob sich aus dem unbequemen Sofa, auf dem er gelegen und geschlafen hatte, und blinzelte verdrossen gegen das Licht. »Lieber Doktor«, sagte sie, indem sie ihm die Hand entgegenstreckte, »ich komme, mir Ihre Verzeihung zu holen. Dem reuigen Sünder vergibt selbst Gott. Sie werden nicht unerbittlich sein.«

»Ich maße mir nicht an, mit Gott vergleichbar zu sein«, sagte Deruga, »aber es kommt nicht darauf an, da ich Ihnen nichts zu verzeihen habe. Sie verfolgten ja nicht mich, sondern traten für das vermeintliche Recht ein.«

»Sie weichen einer Versöhnung aus«, sagte die Baronin. »Ich verstehe Sie wohl; aber ich lasse mich nicht so leicht abweisen. Von einem Manne, der so lieben kann wie Sie, erträgt man wohl auch Haß und Schlimmeres. Welche Frau gäbe nicht alles hin, was sie hat, um einmal so geliebt zu werden, wie Sie geliebt haben!«

»Wahrhaftig!« rief Deruga. »Von Ihnen will das, glaub ich, etwas sagen.«

»Das klingt boshaft«, sagte die Baronin, »und doch kränkt es mich nicht, weil ich fühle, daß Sie es nicht böse meinen. Es ist wahr, ich wüßte nicht, wie ich ohne Geld und sogar ohne ziemlich viel Geld sollte leben können. Mein Gott, jeder hat seine Gewohnheiten. Aber habsüchtig bin ich nicht, am Gelde an und für sich liegt mir nichts. Und wissen Sie, warum ich so außer mir war, daß die Erbschaft mir entging? Ich war sehr erpicht auf das Geld gewesen, das leugne ich nicht, und Ihnen, nur Ihnen will ich sagen, warum. Ich habe mich in meiner Ehe unbeschreiblich gelangweilt.«

»Ja, die Langeweile ist das größte Problem und die größte Gefahr des Lebens«, sagte Deruga. »Aber Ihr Mann scheint eine liebe, feine Person zu sein.«

»Natürlich«, stimmte die Baronin zu, »man kann sich nichts Angenehmeres denken. Er ist wie reine Luft, man spürt ihn gar nicht, und ich bildete mir auch fast ein, ihn ein wenig zu lieben, als ich ihn heiratete. Aber ich habe mich in seiner Gesellschaft so gelangweilt, daß ich ihm wahrscheinlich untreu geworden wäre, wenn sich das mit meinen Grundsätzen vertragen hätte. Da es sich aber um den einzigen Grundsatz handelt, zu dem ich mich bekenne, habe ich daran festgehalten.«

»Sie hatten doch eine Tochter«, entgegnete Deruga.

»Sie fand es vermutlich bei uns ebenso langweilig wie ich«, sagte die Baronin, »denn seit sie herangewachsen war und mir eine Gesellschafterin hätte sein können, ergriff sie jede Gelegenheit, um von zu Hause fort zu sein. Inzwischen verkürzte ich mir die Zeit mit meinem Zukunftsplane: dem, mich von meinem Manne freizumachen, sobald meine Tochter versorgt, das heißt verheiratet wäre.«

In Derugas Miene malte sich aufrichtiges Erstaunen. »Sie denken wirklich daran, sich jetzt noch scheiden zu lassen?« sagte er.

Ein reizendes Lächeln, das sie jung machte, glitt über das Gesicht der Baronin.

»In meinem Alter, wollen Sie sagen? Solange ich den Wunsch habe, bin ich offenbar jung genug dazu«, entgegnete sie.

»Und dann wollen Sie einen amüsanteren Mann heiraten?« fragte Deruga.

»Oh, heiraten!« wiederholte sie. »Darauf kommt es mir nicht an, auch nicht auf förmliche Scheidung, nur darauf, frei zu sein und die Atmosphäre der Langeweile zu verlassen.«

Deruga zuckte die Schultern.

»Im Grunde herrscht auf der ganzen Erde dasselbe Klima«, sagte er.

»Nein, nein«, rief sie lebhaft, »ich kann mir zum Beispiel nicht denken, wie man sich in Ihrer Gesellschaft je langweilen sollte!«

Sie hatte so eine freie Art, die Dinge naiv wie ein Kind herauszusagen, daß selbst Deruga, der sich für einen Kenner der Frauen hielt, nicht unterscheiden konnte, ob die Blüte echt oder künstlich war.

»Das hat auch seine Kehrseite«, antwortete er gutmütig. »Erinnern Sie sich nicht an den Vers, den mir die arme Marmotte in ein Buch schrieb:

›Deruga, du bist eben
so schön als wunderlich;
Man kann nicht ohne dich
und auch nicht mit dir leben.‹«

Die Baronin errötete ein wenig, vermochte aber noch mit leidlicher Unbefangenheit zu sagen: »Nun ja, das tägliche Sichaneinanderreiben, das die Ehe mit sich bringt, das würde ich freilich wohl nicht wieder auf mich nehmen, und ich halte es auch für verderblich und gemein. Aber nun«, setzte sie hinzu, indem sie aufstand, »geben Sie mir zum Abschied einen Versöhnungshändedruck!«

»Gern, Baronin«, sagte er, indem er ihr die Hand reichte. »Ihre Strafe haben Sie ja ohnehin, indem das Geld Ihnen entgangen ist.«

»Ja, das Geld«, sagte sie wehmütig, »das mir den Käfig öffnen sollte. Wir waren vorhin davon abgekommen: Einzig der Umstand, daß ich kein eigenes Vermögen habe und nicht wüßte, wovon ich leben sollte, wenn ich meinen Mann verließe, stand vor der Erfüllung meines Wunsches. Das Erbe meiner armen, kranken Kusine sollte mir das neue Leben geben! Nun aber genug von mir! Erlauben Sie mir, Ihnen dies Zimmer, für die Zeit, wo Sie es noch bewohnen werden, ein wenig zu erheitern? Mit Blumen?«

»Wenn es Ihnen Freude macht«, sagte er.

Während sie zögernd auf der Schwelle stand, ruhten ihre Augen auf seiner wohlgeformten braunen Hand, die sie immer noch hielt, und dann ging sie mit einem Lächeln.

Ihr war zumute, wie sie die etwas abgelegene düstere Straße entlangging, als habe sie sich noch nie, in ihrem ganzen Leben nie, in einer solchen das ganze Leben durchglühenden Aufregung befunden. Es war eine prickelnde, zugleich ängstigende und wohltuende Empfindung, in der sich, so schien es ihr, alle ihre Kräfte steigerten und veredelten. Freilich, noch ein wenig mehr, so könnte es unbehaglich werden, ja, schon jetzt lief ein leises Angstgefühl mit unter, das jedoch die Wonne des allgemeinen Aufruhrs noch übertönte.

Die Baronin beschloß, einen Spaziergang zu machen. Es war noch nicht spät, die Lichter auf den Straßen und in den Schaufenstern wurden allmählich entzündet und loderten wie feuergelbe Tupfen in das Durcheinander der dämmernden Farben. Langsam und lächelnd ging sie ziellos weiter. Wie reizend war es, sich so jung zu fühlen und wie ein verliebtes Mädchen verbotene Wege zu gehen! Ja, es war fast, als ginge sie zu einem Stelldichein. Als sie an einem Blumengeschäft vorbeikam, das das Aussehen eines pompösen Urwaldes hatte, fiel es ihr ein, etwas für Derugas Zimmer auszusuchen. Sie wählte lange und fragte kaum nach den Preisen, die sie sonst, besonders wenn es sich um Geschenke handelte, durchaus nicht unberücksichtigt ließ. Zufällig erblickte sie in einem Spiegel ihre Gestalt: schlank, tadellos, voll natürlicher Eleganz. Ein frohes Gefühl von Glück und Stolz durchzuckte sie. War sie auch keine frische, im Morgentau glitzernde Blume, so ersetzte den fehlenden Schmelz und das Farbenprangen die sichtbar gewordene Form und ein Parfüm, das erst die Dämmerung entwickelt. Sie fühlte, daß sie noch anziehen, noch bezaubern konnte; und hätte sie selbst nicht lieben können sollen? Sie hatte ja noch nie geliebt. Sie kämpfte mit sich, ob sie am folgenden Morgen zur Sitzung gehen sollte, denn es war ihr, als könne es Deruga mißfallen und als liege überhaupt etwas Geschmackloses und Gefühlswidriges darin, wenn sie sich jetzt auf dem Platze zeigte, den sie früher aus Neugier und dem ungeduldigen Wunsche eingenommen hatte, ihre Sache triumphieren zu sehen. Doch war es ihr unmöglich, dem Drange zu widerstehen, der sie in Derugas Nähe trieb, sei es auch nur, um sich Gewißheit über sein Befinden zu verschaffen.

»Hat man unrecht gehabt«, sagte sie beim Frühstück zu ihrem Mann und ihrer Tochter, »so muß man es dadurch wiedergutmachen, daß man es eingesteht. Ich möchte nicht nach Paris reisen, ehe ich weiß, was aus Deruga wird und was wir etwa für ihn tun können.«

Der Baron war derselben Meinung, und Mingo errötete vor Freude.

»Liebe Mama«, sagte sie, »ich bin froh, daß du doch ein guter Mensch bist.«

»Aber Mingo«, sagte die Baronin verweisend, indem sie sich doch nicht enthalten konnte zu lachen.

»Darf ich mitgehen, Mama?« bat sie, die aufgesprungen war und ihre Mutter umarmt hatte. »Du weißt, wie ich darunter gelitten habe, nun möchte ich auch dabeisein, nachdem es sich so schön gewendet hat. Er wird doch sicher freigesprochen?«

»Daran ist wohl nicht zu zweifeln«, sagte der Baron, indes die Baronin sich von Mingos Umarmung frei machte und ein peinliches Gefühl von Eifersucht, das plötzlich in ihr aufstieg, zu unterdrücken suchte. Ihr Blick glitt schnell prüfend über Mingo hin, deren Dasein sie plötzlich als Einengung und Hemmung empfand. Aber sie wollte ja studieren, sagte sie, und das war ja ein gutes, richtiges Gefühl von ihr, daß sie noch an sich arbeiten und sich entwickeln wollte. Die Berührung der frischen Lippen war doch unsäglich lieblich. Die Baronin legte ihre Hand liebkosend unter das noch kinderrunde Gesicht ihrer Tochter und sagte:

»Ich werde Deruga gelegentlich erzählen, daß du von Anfang an sein tapferer, kleiner Ritter gewesen bist.«

Mingo leuchtete vor Stolz. »Und ich stecke mein Schwert nicht ein, bis er frei ist«, sagte sie.


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