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VIII

»Das war schön von Ihnen, daß Sie die Kaution für mich hinterlegt haben«, sagte Deruga zu Peter Hase, indem er ihm die Hand reichte. »Ganz wie Sie, Gentleman durch und durch. Ich bin Ihr ergebener Diener.«

Ein Anflug von Röte färbte das blasse Gesicht des Schriftstellers.

»Man hatte mir fest versprochen, daß mein Name nicht genannt werden sollte«, sagte er, die Augenbrauen zusammenziehend. »Ich verstehe nicht, wie man davon abgehen konnte.«

Deruga lachte.

»Ich habe Ihnen nur eine Falle gestellt, und Sie sind hineingegangen«, sagte er. »Also Sie sind es wirklich! Geben Sie zu, daß ich ein Menschenkenner bin! Wenn ich stillsitzen könnte wie Ihr Deutschen, wäre ich vielleicht auch ein Dichter.«

»Ein besserer als ich«, sagte Peter Hase ernsthaft. »Sie verstehen es jedenfalls besser, Ihr Leben zu dichten.«

»Das fällt bei Ihnen wohl eher trocken aus«, meinte Deruga. »Gesellschaftslöwe, reiche Frau, Liebling des Publikums, Geheimrat, etwa noch der persönliche Adel. Etwas schematisch, aber doch ganz behaglich. Wie? Immer in einer so leicht parfümierten Atmosphäre.«

»Ich möchte den Abend mit Ihnen zubringen«, sagte Peter Hase ablenkend. »Wenn Sie nichts Besseres vorhaben?«

»Das wäre Bett und Schlaf«, sagte Deruga. »Beides wundervoll, aber ich kann es immer haben, Sie dagegen vielleicht nur heute. Machen Sie mit, Justizrat?« wendete er sich an seinen Anwalt.

Dieser sagte, er müsse sich nach seiner Familie umsehen, ein halbes Stündchen habe er noch Zeit. Er freue sich, sagte er, als sie in dem abgeteilten Raum einer Restauration beim Essen saßen, Peter Hase kennenzulernen. Er sei zwar nur ein einfältiger Fachmensch, habe keine Zeit für die schöne Literatur übrig, doch sei der Ruf von Hases Namen zu ihm gedrungen. In seiner Jugend habe er sich für einen Kenner und Feinschmecker in den Künsten gehalten, das sei aber wohl jugendliche Selbstüberhebung gewesen.

»Das glaube ich auch«, sagte Deruga. »Ein feines Beefsteak, etwas blutig, am Rost gebraten, darauf verstehen Sie sich besser.«

Der Justizrat lächelte gutmütig. »Nun ja«, sagte er, »das zu studieren hat man auch täglich Gelegenheit, eine gutes Buch ist selten. Und wissen Sie, wahre Geschichten, die würde ich lesen. Dabei kann man etwas lernen. Aber mich von fremder Leute Phantasien an der Nase führen zu lassen, dazu ist mir meine Zeit zu kostbar.«

»Das Leben ist leider im allgemeinen alltäglich und fade«, sagte Peter Hase, »und die Dichtung soll ein schöner, bunter Teppich sein.«

»Ja«, sagte Deruga, »ein purpurnes Meer voller Ungeheuer, Wunder, Kostbarkeiten und Seltenheiten. Grün wie Glas, süß wie Opal, schwarz wie Sturm, unerschöpflich, unergründlich, immer von zauberhaften Geburten gärend und gefräßig nach allem Lebendigen. Aber gerade so ist doch das Leben.«

Peter Hase betrachtete Deruga aufmerksam, in dessen schmalen Augen sich die Vorstellungen zu spiegeln schienen. »Sie sind eben ein Dichter dem Gefühle nach«, sagte er. »Ihr Gefühl macht es so.«

»Und im Grunde ist es alles derselbe gemeine Straßendreck«, sagte Deruga in verändertem Ton.

»Nun, da gehen Sie wieder zu weit«, sagte der Justizrat. »Betrachten wir einmal unseren Prozeß! Sie sind mir gerade originell genug, und die Baronin Truschkowitz ist jedenfalls auch keine gewöhnliche Nummer.«

»Ich hasse diese Art Weiber«, fiel Deruga schnell ein. »Selbstsüchtig, habsüchtig, beschränkt, kalt und ewig nach neuen Sensationen lüstern. Ohne Geld wäre sie nur eine Dirne.«

»Aber, aber, Verehrtester«, sagte der Justizrat, gelinde scheltend, »da scheinen Sie mir doch ein bißchen parteiisch zu sein.«

»So«, sagte Deruga, sich erhitzend, »finden Sie es anständig, aus Geldgier einen Unbekannten des Mordes zu verdächtigen? Einen Menschen, der ihr nichts zuleide getan hat? Was für eine Gesinnung! Ich sollte eine alternde Frau, die mein Weib war, die Mutter meines einzigen, meines teuren, heiligen Kindes töten, weil sie mir kein Geld oder nicht genug Geld geben wollte, womöglich, um ein paar Monate früher in den Besitz ihres Vermögens zu kommen? Ich, das schwöre ich Ihnen, wäre nie auf einen solchen Gedanken gekommen.«

»Herrgott«, sagte der Justizrat, »solche Sachen kommen doch aber vor. Man kann das Leben nicht immer in rosa Beleuchtung sehen. Es sind schon Menschen um ein paar Taler umgebracht worden. Außerdem vergessen Sie oder wollen Sie vergessen, daß die Baronin Ihnen dies Motiv nicht ausdrücklich unterlegt hat, und wenn man Sie für rachsüchtig, hitzig und tollköpfig hält, tut man Ihnen eigentlich nicht so unrecht.«

Deruga stützte den Kopf in die Hand und antwortete nicht.

»Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen zu sagen«, hub Peter Hase nach einer Pause fort, »daß ich der Baronin auf ihre Aufforderung hin einen Besuch gemacht habe. Sie machte mir den Eindruck einer Dame.«

»Was für einen Eindruck sollte sie auch sonst machen?« sagte Deruga scharf. »Einer Straßenputzerin oder eines Stallknechtes? Übrigens ist es ja einerlei. Sie will vermutlich mit dem berühmten Schriftsteller kokettieren.«

»Sie kokettiert nicht mehr, als es jede Dame tut«, sagte Peter Hase. »Sogar in einer besonders geschmackvollen, ihrem Alter angemessenen Art und Weise. Es kommt mir eher so vor, als wäre der Wunsch in ihr aufgetaucht, ich sollte ihre Tochter heiraten. Sie sprach mir immer wieder von. ihrer Tochter.«

»Nun ja«, sagte Deruga, höhnisch lachend, »Dirne und Kupplerin, das ist ja fast dasselbe. Nur ist es besonders gemein, die eigene Tochter zu verkuppeln. Eine Frau, die die Männer kennen muß. Sie werden mir doch zugeben, meine Herren, wir haben uns alle gehörig im Schlamme gewälzt.«

»Wir sind allerdings nicht so rein wie ein Mädchen aus guter Familie«, sagte Peter Hase unverändert ruhig und höflich, »aber ich weiß nicht, ob das überhaupt zu wünschen wäre. Die Frauen selbst wünschen es augenscheinlich nicht.«

»Nein sie lieben augenscheinlich den Schmutz«, sagte Deruga. »Basta, wie denken Sie über die kleine Baronesse?«

»Bevor ich sie gesehen und gesprochen habe«, sagte Peter Hase, »enthalte ich mich jeder Entscheidung. Da ihr Vermögen nicht außerordentlich ist, muß sie ungewöhnliche Qualitäten haben, um für eine Heirat in Betracht zu kommen.«

»Auf mein Vermögen rechnen Sie also nicht«, sagte Deruga. »Das ist anständig und auch sehr verständig. Die Deutschen sind zwar gute Hunde, doch ein italienischer Hirsch, wenn er vielleicht auch nicht so schnell läuft, ist gewandter und läßt sich nicht fangen.«

»Sie sind mir heute verdrießlich, Deruga«, sagte der Justizrat, indem er aufstand, um sich zu empfehlen, »und in Ihrer Lage wäre ich es vielleicht auch. Was die deutschen Hunde betrifft, so kann ich zwar nicht besonders gut laufen, aber leidlich bellen und beißen, und stelle mich ihnen in dieser Hinsicht zur Verfügung. Auf Wiedersehen!«

»Gott sei Dank, erst übermorgen«, sagte Deruga, dem ein Versuch, liebenswürdig zu lächeln, mißlang. »Morgen ist Sonntag.« Er werde doch vielleicht zum Zweck einer kurzen Unterredung vorsprechen, sagte Fein.

»Auch gut«, erwiderte Deruga, »ohnehin ist der Sonntag der Selbstmörderwagen am Zuge des Lebens. Montag ist Totengräber.«


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