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X

Die Baronin saß mit ihrer Tochter vor dem mit Gas geheizten Kamin und betrachtete ihre auf das Gitter gestützten schmalen Füße, während sie sagte:

»Was meinst du, Mingo, wenn ich dir die Erlaubnis zum Studieren gäbe?«

Mingo stand im Rücken ihrer Mutter am Fensterrand und starrte auf das nach einem raschen, starken Frühlingsregen schwarzblanke Pflaster, in dem die eben angezündeten Lichter sich spiegelten. Ihre Stimme klang schwach und müde zu der Fragenden hinüber, wie sie die Gegenfrage stellte: »Hast du denn die Absicht, es mir zu erlauben?«

»Ich habe gedacht«, antwortete die Baronin, »daß ich es doch nie übers Herz bringen werde, dich zu einer dir unsympathischen Heirat zu zwingen, und daß also daran gedacht werden muß, was aus dir werden soll, wenn du spät oder gar nicht heiratest. Glaubst du denn, daß das Studium dich glücklich machen wird?«

»Glücklich?« sagte die schwache Stimme vom Fenster her. »Ach, Mama! Aber es wird mich doch auf eine interessante und nützliche Art beschäftigen.«

»Früher«, sagte die Baronin erstaunt und fast ein wenig unwillig, »als du mich mit diesem Wunsche so sehr quältest, tatest du, als ob deine Seligkeit davon abhinge.« Mingo trat vom Fenster weg und kauerte sich in einen Sessel, den sie neben den ihrer Mutter gerückt hatte.

»Ob wohl alle Wünsche verblassen«, sagte sie, »wenn sie ihrer Verwirklichung nahekommen? Aber Mama, vielleicht kann ich mich nur heute abend nicht so recht freuen, weil ich müde bin. Wenn du mir jetzt die Erlaubnis mit ins Bett gibst, werde ich morgen früh ganz glücklich damit erwachen.«

Die Baronin warf einen nachdenklichen, freundlichen Blick auf ihre Tochter.

»Nein, geh noch nicht zu Bett, Kleines«, sagte sie. »Ich finde es so hübsch, mit dir allein zu plaudern. Weißt du, das Heiraten steht dir ja immer noch frei, aber es ist lange nicht so unterhaltend, wie du es dir jetzt wohl vorstellst, besonders wenn man nur um des Geldes willen heiratet.«

»Hast du Papa um des Geldes willen geheiratet?« fragte Mingo.

»Nun, nicht in dem Sinne, daß er mir ohne Geld unannehmbar gewesen wäre«, sagte die Baronin, »im Gegenteil, er gefiel mir gut und zog mich an. Nur hätte das vielleicht nicht zu einer Heirat geführt, wenn er nicht so vermögend gewesen wäre.«

»Gefiel er dir später nicht mehr so gut?« fragte Mingo zaghaft.

»Oh, gefallen«, sagte die Baronin, »muß er einem doch. Er ist so außerordentlich vornehm, nie aufdringlich, nie geschmacklos. Nur langweilig ist er, kannst du dir das denken?«

»Ja«, nickte Mingo, »ich kann es mir vorstellen. Aber ich dachte, wenn man sich liebt.«

»Ach, die kleine Torheit«, lachte die Baronin. »Liebe allein füllt nicht einen einzigen Abend aus, wenn man einmal verheiratet ist.«

»Ach«, sagte Mingo und träumte mit ihren großen, dunklen Augen auf die rotwogende Kupferplatte des Kamins. »Aber man hat doch Kinder«, fuhr sie nach einer Weile fort.

Die Baronin lachte ihr junges, anmutiges Lachen. »Du Kind bist mir bald genug davongelaufen.«

Mingo fühlte plötzlich eine große Welle von Liebe und Mitleid für die Mutter in sich aufsteigen, setzte sich mit einem Sprung auf ihren Schoß, schlang die Arme um sie und küßte sie.

»Du, meine Frisur und meine Spitzen«, rief die Baronin erschreckt; doch war ihr anzumerken, daß sie sich der Erschütterung dieses Zärtlichkeitsausbruchs nicht ungern hingab.

»Siehst du«, sagte Mingo fröhlicher als vorher, »daß es doch besser ist zu studieren! Das ist nicht langweilig und läuft nicht fort.«

»Für mich ist es zu spät«, meinte die Baronin; »aber für dich mag es das Richtige sein!«

Mingo tröstete, ihre Mutter sei so klug; wenn sie wolle, könne sie es auch.

Die Baronin schüttelte den Kopf. »Mein Verstand hat nie geturnt«, sagte sie, »er kann mit Grazie über einen Bach hüpfen und eine Blume pflücken und dergleichen, aber nichts, wozu man Muskeln braucht. Anstrengen kann ich mich in gar keiner Weise mehr. Vielleicht hätte ich es früher gekonnt, wenn die Notwendigkeit oder sonst ein starker Antrieb dagewesen wäre.«

»Mama«, sagte Mingo, die noch immer auf dem Schoß ihrer Mutter saß, »warst du nie verliebt? Vor deiner Heirat oder nachher?«

»Nein, so eigentlich verliebt nie«, antwortete die Baronin. »Weißt du, früher, als ich in deinem Alter war, hielt ich für Liebe das schmeichlerische Gefühl, das man hat, wenn man angebetet wird. Je besser einem der gefiel, der einen anbetete, desto angenehmer war es; selbst zu lieben, hatte ich gar kein Talent oder Bedürfnis. Und als ich verheiratet war, hatte ich mir vorgenommen, mir nichts Ernstliches zuschulden kommen zu lassen, und das stand mir immer im Wege.«

Mingo hatte sich inzwischen zu Füßen ihrer Mutter auf den Boden gekauert und starrte wieder in den geheimnisvoll wogenden kupfernen Feuerkessel. »Dann weißt du gar nicht, wie es ist, von einer Leidenschaft hingerissen zu sein?« fragte sie.

»Du scheinst es mir fast vorzuwerfen«, sagte die Baronin mit einem Anflug von Schärfe im Ton, aber nach einer Weile fuhr sie milder fort: »Es mag sein, daß ich deswegen nicht schlechter wäre. Übrigens nahm ich mich nicht eigentlich um deines Vaters willen zusammen, sondern es war ein Ausfluß meiner Natur. Große Aufregungen und Umwälzungen lagen mir nicht, und das, was ich einmal gewählt hatte, wollte ich durchführen. Ich halte das für ein Erfordernis des guten Geschmacks.«

»Ja, Mama«, sagte Mingo, indem sie auf die gepflegte, mit vielen kostbaren Ringen allzu belastete Hand ihrer Mutter einen Kuß drückte, »und Papa und ich haben Ursache, dir dankbar zu sein. Nur für dich macht es mich fast traurig.«

»Mach dir darüber keine Gedanken, mein Kleines«, sagte die Baronin. »Was einem nicht ansteht, das würde einen auch nicht glücklich machen. Ich habe mir einen anderen Weg zu meinem Glück ausgedacht.«

»Was meinst du, Mama?« fragte Mingo erschreckt.

Die Baronin errötete, ohne daß es im roten Widerschein der Kaminglut sichtbar geworden wäre. »Das erzähle ich dir ein andermal, Liebling«, sagte sie. »Ich höre eben ein Auto vorfahren. Das wird dein Vater sein.«

»Mama«, sagte Mingo rasch. »Du hast mir noch nicht versprochen, daß du von dem Prozeß zurücktreten willst. Ohne das kann mich nichts, nichts glücklich machen. Ich will gern auf das Studium verzichten und immer, so lange ich lebe, bei dir bleiben, damit du dich nicht langweilst, wenn du mir nur das zuliebe tust.«

»Rege dich nicht auf, Mingo«, sagte die Baronin abwehrend, »du weißt, daß ich das nicht liebe. Nichts in der Welt ist wert, daß man sich darüber aufregt. Ich habe dir gesagt, daß ich es mit dem Anwalt besprechen will!«

»Ach, dein Anwalt«, sagte Mingo, »der hat dich ja gerade hineingehetzt. Er ist ein widerwärtiger Mensch! Er hat etwas Kriechendes, Schleimiges, Saugendes, als ob er zum Spion geboren wäre. Ich begreife nicht, daß du mit einem solchen Menschen verkehren magst.«

»Das ist doch kein Verkehr«, entgegnete die Baronin. »Ich bediene mich seiner Gaben, die ihn für diese Arbeit geeignet machen. Wenn er ein Edelmann wäre, würde er mir vermutlich weniger nützen können. Es mag sein, daß er auch mich ausnützt, aber er könnte das ja gar nicht, wenn er nicht meinte, daß ich recht habe und daß meine Sache Erfolg haben kann. Du tust, als handle es sich um eine Privatangelegenheit, aber es handelt sich um ein Verbrechen, an dem die Öffentlichkeit Interesse hat.«

»Du sollst die Hand nicht darin haben«, drängte Mingo. »Du hast mir selbst zugegeben, daß du an deiner Überzeugung von seiner Schuld irre geworden bist.«

»Meine Überzeugung ist nicht maßgebend«, sagte die Baronin. »Die Geschworenen sind dazu da, das Recht zu finden. Es handelt sich einfach um das Recht. Ich will nichts für mich erzwingen, was nicht dem Rechte gemäß ist.«

»O Mama, Mama«, rief Mingo. »Der Schein ist aber auf dir, als wolltest du dir das Vermögen erzwingen, das dir nun einmal nicht bestimmt war.«

Die Baronin war sichtlich verletzt. »Ein Kind, das im Überfluß aufgewachsen ist, pflegt nicht nachzudenken, woher er fließt«, sagte sie. »Du hast es leicht, das Geld geringzuschätzen. Habe ich ein Recht darauf, so wäre es lächerlich von mir, darauf zu verzichten. Ob ich das Recht darauf habe, das heißt, ob Deruga es nicht hat und ich meine Ansprüche mit einiger Aussicht auf Erfolg werde geltend machen können, das wird dieser Prozeß ergeben. Dann ist es immer noch Zeit, zu erwägen, ob ich es mit einer Klage wegen des Vermögens versuchen soll.«

»Einstweilen könntest du aber doch deinem Anwalt sagen, daß er seine Nachforschungen aufgibt«, bat Mingo.

»Ich werde mich mit ihm besprechen«, sagte die Baronin ausweichend, »und seine Auffassung hören. Hält er Deruga jetzt für unschuldig, so bin ich die erste, mich darüber zu freuen. Persönliche Wünsche in diesen Angelegenheiten kommen weder dir noch mir zu.«


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