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Hinrichsen war wieder auf der See und fischte. Das Fischen wurde ihm mit dem Motor leichter. Den Klüver und den Besan brauchte er nun nicht mehr, nur noch das Großsegel, um den Kutter in der See stetig zu halten. Auch die Kurrpausen wurden jetzt kürzer. Der Bestmann merkte schon auf dieser ersten Fahrt, daß vier Mann Besatzung beim Motorfischen nicht zuviel waren. Sie hatten zu tun. Einer stand am Ruder, einer stoppte ab, einer bediente den Motor und einer die Winde. Als wenn die Mechanik zwangsläufig die Menschen trieb, so trieben sie sich gegenseitig bei der Arbeit vorwärts. Manchmal kurrten sie kaum zwei Stunden, dann holten sie das Netz auf. Die Fänge waren nicht anders als bei den früheren Reisen, aber sie taten Zug um Zug, ohne Unterbrechung. Jetzt störte sie keine Windstille, auch nicht der Ostwind. Fünfeinhalbtausend Pfund Schollen hatten sie in vier Tagen in der Bünn.

»Oha, watt een Fang!« rief der Bestmann Hinrichsen zu, als der das »Ausscheiden« anriet.

»Mit fiefeenhalfdusend Pund könnt wi no Alteno!« Das sagte der Fischer mit vielsagender Betonung und kletterte nach vorn in das Logis, wo der Viertsmann beim Schollenbraten war. Hinrichsen langte sich eine Scharbe aus der Pfanne und drehte sie in der Hand. Der Raum stand voller Bratendunst, auch sonst war die Luft von Dünsten übersättigt.

Hinrichsen hörte nicht auf das, was ihn der Viertsmann fragte. Er war mit seiner Scharbe beschäftigt, biß in den knusprigen, braunen Fisch, spuckte die Gräten aus und wischte sich mit der Hand das Fett vom Mund. Die Handfläche reinigte er am Hinterteil seiner Hose.

Er rechnete in Gedanken, wieviel ihm vom Fang blieb. Nach einer Weile stieg er an Deck, ging zum Ruder und legte den Kurs um. Der Motor puffte schwer. Alle Kraft mußte er hergeben. Trotz des Motors hatte Hinrichsen die Segel gesetzt, denn der Wind war günstig. Der Kutter zog durch die See, er stieg in der Dünung auf und nieder. Manchmal schlug die Schraube aus dem Wasser, dann knatterte in der Achterplicht der Motor wie wild und beruhigte sich erst wieder, wenn die Schraube unter Wasser war. Von Helgoland blitzte das Feuer über die Nordsee. Mit der Morgendämmerung lagen sie beim Elbe-Feuerschiff. Land hatten sie noch nicht in Sicht, denn hier vereinigte sich der Strom mit der See, und die Ufer lagen weit zurück. Wer die Einfahrt nicht kannte, glaubte noch immer auf hoher See zu sein. Querab, bei der »Alten Liebe«, war noch starke Dünung. Die warf den Kutter, der gute Fahrt machte. So puffte der Motor bei Brunsbüttel vorüber, an Schulau und am Süllberg, bei Blankenese vorbei nach Altona hin. Die Leinwand hatte Hinrichsen bei Brunsbüttel wegnehmen lassen, er legte mit der letzten Flut bei Altona an den Brücken an.

Ein paar Fischer kamen zu ihm an Bord, um mit ihm über den Motor und den Fang zu sprechen. An der Innenseite des Pontons hatten die Ewer der Elbfischer festgemacht. Sie warfen ihren Fang aus dem Behälter an Deck und sortierten die Fische nach der Größe. Hinrichsen ließ die Luken aufschlagen und die Rochen und Knurrhähne aus dem Eiskasten nehmen. Seine Schollen schwammen lustig in der Bünn. Springlebendig wurden sie in Kisten verpackt, dabei schlugen sie um sich, krümmten ihren qualligen Leib und leuchteten zart auf der Bauchseite, rot gemustert auf dem Rücken. Wie knallige Geranien brannten diese roten Muster der Schollen auf dem graugrünen, schleimigen Körper.

Auf den Pontons standen Käufer für die Schollen, meist Frauen mit ihren Netzen. Sie prüften die Fänge der Elbfischer. Die hatten neben den Schollen auch noch anderes Getier im Garn gehabt. Das lag extra an Deck. Von den Elbfischern hatte jeder seine Kundschaft. Die Frauen guckten, fragten, handelten, zum Kauf wollten sie sich schlecht entschließen. Sie gingen an den Schiffen entlang, wurden von Zeit zu Zeit von den kurzen Wellen, die über die Pontons schlugen, benetzt, aber das war ihnen nicht fremd. Zum Schluß kauften sie dann doch bei ihrem alten Fischer, denn, so meinte eine der Käuferinnen, so eine nette Dicke, »se sind ja man doch alle aus datt gleiche Wasser«. Aus dem gleichen Wasser waren die Fische nun nicht, dagegen protestierten die Seefischer.

»Wi fangt nich in der Elbe, unsre Schollen sind bei Amrum her«, das sagte einer, der in Schulau beheimatet war; er faßte es als eine Beleidigung auf, mit den Elbfischern gleichgestellt zu werden.

»Ihr seid bessere Leute!« Der Elbfischer, der dem Seefischer am nächsten stand, sagte das in einem verbissenen Ton. Es schien trotz der Kühle des Morgens eine heiße Luft um diese Fischer zu wehen. Hier an Land waren sie sich im Wege, hier stießen ihre Marktinteressen aneinander. Auf See hätten sie sich in der Minute der Not bis zum letzten unterstützt. Hier ging es um Geld, hier feilschten sie um die Ware, hier drehte sich alles um den Verdienst, hier wuchsen die Profite, hier konnten sie zunichte werden, hier entschied sich, ob ihr Fang, ihre mühselige Arbeit einen Erfolg für sie brachte. Die Arbeit auf See war die Sonnenseite ihres Berufes, auf dem Strom waren sie unangefochten von der Gier der Menschen – hier an Land, auf dem Markt, war die Schattenseite zu spüren, hier verweilten die Fischer auch nicht gern.

»Watt hest, Hinnerk?« Das war Jan, der Bestmann, der den Elbfischer fragte, warum er so rorte.

»Watt hest mokt?« Damit meinte er den Fang und den Erlös, den Hinnerk erhoffte.

Sie kamen beide ins Gespräch. Die Luft hing voll salzigem Fischgeruch, der von den Hallen kam, die nahe am Ponton lagen.

»Nich veel! Jetzt war ich drei Tage hinter de Brücken gemeint sind die elbaufwärts gelegenen Elbbrücken und hab gefischt, der Ertrag ist hundert Pfund. Auf der letzten Reise war es weniger. Wenn es so weitergeht, verkauf ich den Ewer und geh auf die Werft!«

»Warum?«

»Je, Jan! Kannst du mit fiefuntwinzig Mark in de Woch leben? Süh, mehr wird das nicht, und wenn das Eis steht, dann giwt dat gorniks.«

»Wie lange fischst du im Jahr?«

»Man höchstens neun Monat, die andere Zeit lieg ich auf. Der Ewer kostet sechzehnhundert Mark, den muß ich abbezahlen. In zehn Jahren muß er bezahlt sein, das ist nicht viel, hundertsechzig Mark im Jahr und die Zinsen. Aber verdient will das sein. – Nee, ick verköp den Kram und geh auf de Werft.«

Um beide hatten sich andere Fischer gestellt. Sie hörten dem Gespräch zu, plötzlich sagte einer: »Ja, und wer soll de Schollen auf den Markt bringen?«

»Das machen die Dampfer und Hinrichsen mit seinem neuen Motor!«

Das Wort »Motor« durchschnitt die Luft wie ein Peitschenhieb.

Alles sah zu dem Motorkutter hin. Am Kutter standen Fischer, Frauen und Händler, andere kamen hinzu.

Vom Deck wurden die Kästen mit den Schollen gehoben und auf Karren verstaut, die in die Hallen zur Auktion gingen. Hinrichsen beeilte sich mit dem Löschen, er wollte wieder hinaus, er mußte die Zeit nutzen. Der Junge sollte die Trossen vom Poller lösen, der Bestmann warf den Motor an, der puffte ein paarmal, dann blieb er mit einem Knall stehen. Er ging nicht vorwärts und nicht rückwärts. Hinrichsen stieg zum Motor in die Plicht und untersuchte, ob die Brennstoffzufuhr klappte, dann drehte er wie ein Wütender an der Schwungscheibe. Mit Schweiß im Gesicht und voller Schmiere kam er an Deck. Alle lachten, es war die reinste Freude in ihnen, nämlich die Schadenfreude darüber, daß der Motor nicht zog. Nun mußte er doch die Segel benutzen oder mit der Tide die Elbe abwärts treiben!

Noch einmal stieg Hinrichsen in die Plicht. Plötzlich hämmerte der Motor wieder, aber das klang hohl. Wie wenn ein tuberkulöser Mensch hustete, so bellte er.

»Egal«, sagte Hinrichsen ruhig zum Bestmann, »bis zur Werft kommen wir.«

Unter Gelächter und Zurufen fuhr er die Elbe abwärts. Diese Leute gönnten ihm alle sein sogenanntes Glück nicht. Die Niederträchtigkeit des Lebens riefen sie lachend herbei, um sie über ihn auszuschütten.

Der Kopf des Motors war ausgeglüht, nun mußte er einen anderen aufsetzen lassen. Einen Reserveglühkopf hatte er, den wollte er mit auf See nehmen, um, wenn das auch draußen vorkam, sofort gerüstet zu sein, denn nun mußte er fischen.

 

Lee saß in der Diele. Sie hatte den Vertrag vor sich ausgebreitet und rechnete. Der erste Fang ihres Hinrichsen war gut. Er saß neben Lee und verfolgte ihre Rechnung.

»Wir müssen Buch führen, Hinrichsen. Wir müssen wissen, was wir haben!« sagte sie.

Dabei rechnete sie die Prozente vom Fang ab.

»Fünftausendvierhundert Pfund!« Der Auktionszettel zeigte siebenundzwanzigeinhalb Pfennige pro Pfund lebendige Scholle Verkaufsgeld. Sie rechnete. Ihre Endsumme stimmte.

»Vier Prozent Abzug für die Verkaufshallen G. m. b. H.«

»Zwanzig Prozent Harrald Johannsen.«

»Zehn Prozent der Bestmann«, sagte sie und sah Hinrichsen an.

»Sieben Prozent der zweite, drei Prozent der Viertsmann!«.

Sie ordnete die Zahlen untereinander und meinte unvermittelt: »Als Viertsmann kann der Klaas bald fahren.«

Das war wie ein Signal für Hinrichsen. Jetzt, wo sie rechnete, stießen die Zahlen auf des Jungen Arbeitskraft, die bald in den Dienst des Kutters gestellt werden sollte. So wurde Lee zwischen Gefühl und Rechnung hin und her gepeitscht, denn eigentlich sollte ihr Klaas nicht die See befahren, sollte nicht Fischer werden. Sie rechnete wieder: »Fünf Prozent Zinsen, zehn Prozent Abtrag für alte Schulden, das sind schon neunundfünfzig Prozent.« Bei dieser Zahl sah sie auf, rückte den Stuhl nach hinten und guckte Hinrichsen an. Der hatte die Augen geschlossen und atmete regelmäßig. Sie weckte ihn mit einem Lachen.

»Hinrichsen«, fuhr sie ernst fort, »neunundfünfzig Prozent Abtrag ohne Proviant, Brennstoff, Reparatur, Netze, Farbe, Teer und was du sonst noch brauchst.«

Hinrichsen war müde. Er wollte morgen reisen, die Prozente scherten ihn nicht, denn Schollen wollte er in der Bünn haben, das war für ihn die Hauptsache. So saß Lee noch lange über ihrer Rechnung und schrieb die Zahlen in ein Buch. Plötzlich fuhr sie auf: »Einen Posten habe ich noch vergessen«, dabei war es ihr, als wenn sie jemand vorwärts triebe – »die Steuern!« Nun begann sie von vorn zu rechnen. Bei ihrer neuen Rechnung merkte sie ein neues Loch – die Versicherung. Jetzt stellte sie alle Posten nebeneinander:

Verkaufsabzug      Reparaturkosten
Fanggelder           Monteurstunden
Abzahlung an die Werft           Brennstoff
Abzahlung an Johannsen           Proviant
Versicherung           Ne[tz]anschaffung
Steuern           Motorersatzteile

Als Lee diese vielen Posten sah, verließ sie der Mut, und sie legte sich neben Hinrichsen zur Ruhe.

»Morgen will ich weiterrechnen.« Mit solchen Gedanken wollte sie sich einschläfern. Das gelang ihr nicht, denn die Zahlenkolonnen verfolgten sie weiter, die standen wie drohend vor ihr. Mit offenen Augen lag sie im Bett, und dabei fielen ihr immer neue Posten ein. Sie sah einen großen Schatten, der sich wie ein Berg auf sie zu bewegte und erdrücken wollte. Das Holz der Wände arbeitete, und es schien Lee, als spräche das Haus zu ihr, das sie narren wollte; denn bei den springenden Geräuschen des Holzes wurde sie an den Unterhalt des Hauses erinnert und daran, daß es nicht ewig stehen würde. Auch der Kutter, wenn er nicht auf See bliebe, müßte eines Tages durch einen Neubau ersetzt werden.

»Morgen gehe ich zu Harrald Johannsen«, das rief sie fast in die Nacht hinein und erschrak vor ihrer eigenen Stimme, »Geld hinbringen, denn der Vertrag ist da!«

 

Die Nacht gebar den Morgen. Lichtstreifen wuchsen im Osten auf und verkündeten, daß der neue Tag im Anzug war.

Hinrichsen stand am Deich und sah den Wehen der Geburt des Tages zu. Oft hatte er das erlebt, aber heut schien ihm das Aufkommen des Tages wie ein besonderes Wunder. Er ging zum Kutter und rief in das Logis:

»Reise, reise – ausquartiert – wir haben gut Wetter – wir segeln vor dem Wind!«

Unten schnarchten die drei ganz fest. Er riß das Scheinleigt über Deck befindliche Fenster, die zur Erhellung und Lüftung des tiefliegenden Logis dienen über dem Logis auf und brüllte seinen Vers erneut nach unten. Von dort antwortete der Bestmann mit einem lauten Furz, der ihm bei der schnellen körperlichen Bewegung, die Hinrichsens Gesang hervorgerufen hatte, entschlüpft war.

»Holl di stief, Jan«, rief der Fischer von oben, »wo brukt dien Wind nich mehr, wi hebbt een Motor an Bord!«

»Och Hinrichsen, mit deinem Motor pfeifst du auf allen Wind. Denn wer ick man sparsamer mit dem Zeug umgehn, aber ich muß immer einen in die weite Welt senden, dormit een datt in'n Lief nich so eng ward!«

Hinrichsen lachte, er riß das Scheinleigt noch weiter auf, denn von dort unten wehte eine liebliche Brise herauf, sie schien von Arabien über Sardinien zu wehen, sie trug alle Wohlgerüche dieser Landstriche mit sich. Der Bestmann hatte seine Hosen noch in den Seestiefeln stecken. Seine Beine waren am Abend vorher so aus den Röhren gezogen worden. Jetzt bemühte er sich, wieder so in sie hineinzufahren, wie er sie verlassen hatte. Das gelang ihm aber nicht, und er nahm das Zeug über den Arm und kletterte damit an Deck. Die ersten rosa Streifen am Horizont zeigten im Osten die kommende Sonne. Ganz glatt lag das Wasser, unberührt, nur nach Westen zu lag ein Nebelschwaden wie ein Silberstreifen auf der Fläche.

Hinrichsen meinte: »Das Wasser dampft!«

Da zog der Bestmann das Hemd vom Körper, warf es über die zusammengewachsenen Hosen und Seestiefel und jumpte mit einem »Ahohoi Schipper!« über Bord. Im Wasser prustete er wie eine Seerobbe, tauchte unter und verlor dabei den Schlaf aus den Augen, kam wieder hoch und kraulte mit Gegrunze im Wasser herum. Der Drittmann und der Junge kamen an Deck und schlugen Wasser mit der Pütze Schöpfeimer aus dem Hafenbecken auf. Der Bestmann schwamm hinzu und hielt die Pütze fest. So trieben sie ein lustiges Spiel im Morgen. Hinrichsen sah das, nahm die Leine und zog den Bestmann wie einen gefangenen Hai über Bord.

Alle lachten in den frischen Morgen und weckten dabei die Frösche im Schilf am hinteren Ufer des Hafens. Die quarrten. Von den Gärten her schlugen die Amseln. Mit dem Lachen der vier Menschen war die Welt um sie her erwacht.

Der Bestmann streifte sich das Hemd über den nassen Körper und sortierte seine Hosen und Stiefel auseinander. Das glückte ihm jetzt.

»Ob de Mewes ok so freuh opsteiht, Hinrichsen?«

»Nee, der muß länger aufbleiben, von wegen seiner letzten Gäste.« Und dabei sah der Fischer den Bestmann an.

»Je, gestern obend hett he mi rutsmeten!«

»War das nicht früh, Jan?«

»Nee! Klock twölf.«

Der Schiffer sah nach seiner Uhr. Sie zeigte etwas über fünf. Er sah sich seinen Bestmann an, aber der war lebendig wie eine Scholle im Garn, trotz der Ladung, die er sich am Abend vorher gekauft hatte.

Unter derben Scherzen und Flüchen machten sie klar Schiff.

Der Bestmann stand im niedrigen Logis und sortierte seine Wäsche in einen Sack, stolperte die Treppe an Deck hinauf. »De mutt noch schnell an Land!« Mit diesem Zuruf eilte er vorwärts über den Setzbord, lief den Steg entlang, brüllte zurück: »Teuf een beten, Hinrichsen, ick bin gau torück!«

Ehe er den Sack zur Gesine, seiner Waschfrau, brachte, drückte er beim Gastwirt Külpers die Klinke nieder. Die Tür gab nach, und er stand im Schankraum. Seinen Hals, der trotz der nassen Last vom Abend vorher trocken war, wollte er schnell mit einem Korn reinspülen. Es wurden zwei Glas. Dann stakte er über die Straße, gab seine Wäsche bei der Gesine ab und ging zum Kutter zurück.

Hinrichsen wartete auf ihn. Der Motor puffte bereits. Als der Bestmann den Motor puffen hörte, brummte er vor sich hin: »Nu meint Hinrichsen, der Motor is een Helfer, datt Luder bestimmt, watt wi moken schallt, datt is een Andriewer. Se een Kerl – so een Kerl«, rumorte er unterwegs und kletterte an Bord. Die Trossen fielen, und wieder ging es nach See. Hinter der Bake lachte der Bestmann, ein wenig Salz kitzelte ihm bereits in der Nase, und am Steven rauschte das Wasser auf. Mit dieser Musik söhnten sich seine schlechten Gedanken aus, er war in seinem Element.

»Wi wüllt man wedder fischen, in de Bünn is Platz genog for de Schulln«, das sagte er lachend im Vorbeigehen zum Hinrichsen im Ruderhaus. Der freute sich, daß der Bestmann seine Landkrise überwunden hatte. Langsam befreundete sich Jan mit dem Motor, »wenn er man auch bannig rort«, wie er sich ausdrückte.

Sie fischten gut bei Juist. Eigentlich wollten sie weiter hinauf, aber hier fanden sie bereits die Schollen. Mit halber Kraft zog der Motor die Kurre hinter sich.

Mit Hinrichsens Motorkutter lagen andere Fischer in gleicher Höhe auf der See, aber sie lagen mit ihrem Segel still. An Bord mühten sie sich mit dem Aufbringen der Netze ab. Auf »Lee H. F. 13« ging das mühelos. Der Atem des Motors war stärker als der Atem der Menschen. Die Kurre kam an Bord. Hinrichsen stoppte den Motor ab. Jan riß den Netzstert auf, und klatschend fielen die Fische an Deck. Zwei Mann sortierten, zwei ließen die Kurre wieder ins Wasser. Bei Juist fischten sie nur einen Tag. Der Schwarm der Schollen war nicht stark. Hinrichsen wollte auch nicht mehr in der Nähe der anderen Fischer sein, er hievte sein Netz auf und fuhr nach Borkum zu. Hier fischte er weiter. Drei Tage lag er noch bei der Insel.

Es wurde Nacht. Vom Süderturm der Insel Borkum leuchtete das Blinkfeuer mit dem scheidenden Tag auf. Da schieden auch sie aus, um wieder nach Altona zu gehen. Das Wetter war schön. Wie weicher Sammet umgab sie die Nacht. Die Sterne leuchteten. Hell, bläulich blinkte die Wega. Hinrichsen sprach mit Jan wieder von den Reisen, die sie gemeinsam gemacht hatten und wie sie unterm südlichen Kreuz nur diesen Stern hatten leuchten sehen. Der nördliche Himmel war mit Sternen übersät. Sie versuchten einzelne Bilder zu entziffern. Bekannt waren ihnen die Sternbilder alle. In den langen Nächten, wenn sie fischten und fuhren, blieb ihnen die Zeit, sich die einzelnen Bilder einzuprägen. In ihrem Beruf wurden sie Kenner des Wassers und der Luft, bei Tages- wie bei Nachtzeit.

 

Bei Altona lagen die Kutter und Ewer und gaben ihren Fang zu den Hallen. Die Kisten mit den Schollen türmten sich auf den Wagen, die aufwärts zur Auktion gezogen wurden. Es war ein sonderbares Volk, das in den Hallen in Gruppen umherstand oder durch die Gänge schlenderte. Aus ihren Bewegungen heraus konnte man schließen, daß sie in Erwartung besonderer Dinge waren. Ihrer Kleidung nach waren sie keine schwerwiegenden Menschen, das heißt, ihr Äußeres ließ keine Rückschlüsse auf den Inhalt ihrer Brieftaschen zu. Eine eigentümliche Erregung hatte diese Leute ergriffen, wie im Fieber schritten sie einher. Riefen sich Worte zu, hielten sich gegenseitig an, machten auf die Ware aufmerksam, die rund um sie getürmt war, flüsterten sich in die Ohren und brüllten sich im nächsten Moment an. In Reihen gegliedert, standen nebeneinander die Kisten mit Schollen. Lebendige und auf Eis gehaltene. Da lagen Störe, Katzenfische, gefleckt und buntscheckig, Rochen, Butten und Zungen, Aale, Bleie, Karpfen, Hechte und Taschen, sämtliche Bewohner der Nordsee lagerten als Gefangene hier, so wie die Lebewesen der Süßwasserströme sich in den Kisten krümmten und schlängelten. Alle waren sie nach Art und Größe in Kästen sortiert. Diese Produkte des Meeres und der Ströme wurden von den Menschen umschlichen, die ihren Wert und das Quantum prüften. Vorsichtig umgingen die Händler das gestapelte Gut, dabei sprangen in ihren Gesichtern die Augen, fast so wie bei den gefangenen Fischen, immer hin und zurück. Es schien, als wenn eine zwangsläufige Gemeinschaft zwischen ihnen und dem Produkt, das sie erwerben wollten, bestände.

Eine Glocke rief mit zersprungenem Schlag. Dieser Augenblick war ein feierlicher Akt. Einer Prozession gleich schoben sich die Menschen in der Halle vorwärts und standen geballt um ein Quadrat von Kisten. In der Mitte des Quadrats stand der Auktionator. Er schien der Hohepriester inmitten eines Konvents zu sein und waltete quecksilbrig seines Amtes.

Stille lagerte in den Hallen, denn alle achteten auf ein Wort von diesem Zeremonienmeister des Verkaufs. Das fiel mit dem Schlag der Uhr, die sechs hämmernde Töne durch die Halle jagte.

»Angebot!« tönte die Stimme des Auktionators. Was dann folgte, war nur denen verständlich, die täglich hier diesen Hexensabbat des Schachers trieben.

Stimmen schrien auf. In allen Tonlagen fuhren sie durch die Luft. Hände schnellten in die Höhe, Finger spreizten sich, Zahlen schwirrten; diese Zahlen überstürzten sich. Die Leiber der Menschen, die diese Zahlen schrien, beugten sich vor, schossen hoch, krümmten sich zusammen, schrien wieder Zahlen, fauchten wie Tiere im Kampf um ein Stück Beute.

»Angebot!« schrie im schrillen Diskant wieder der Auktionator.

»Zwanzig Kisten lebendige Schollen!«

In seiner linken hohlen Hand lagerte ein Klötzchen Holz, in der rechten bewegte er einen kleinen hölzernen Hammer. Dieser Hammer war eine Macht, er tanzte auf und ab, er besiegelte das gesprochene Wort. Gegen seinen Schlag gab es keine Gegenwehr. Was er beklopfte, mußte gezahlt werden.

»Angebot!«

»Sechsundzwanzig!« Eine Frauenstimme durchriß die Luft. Das war das Signal zum Angriff in dieser eigenartigen Schlacht. Der Hammer hüpfte in der Hand des Auktionators. Wie Geißelhiebe auf den Körper eines vernarrten Heiligen klatschten neue Zahlen nieder. Immer hüpfte der Hammer mit einem viertel oder halben Pfennig höher. Die Leidenschaft des Spiels um die Ware, die mit viertel oder halben Pfennigen in die Höhe getrieben wurde, hatte die Menschen ergriffen. Objekt waren die Fänge der Fischer, ihre harte Arbeit wurde nicht gemessen, hier herrschte der Kampf um den Profit. Das war kein ehrliches Spiel, das war eine seltsam zelebrierte Messe vom geweihten Schacher. Widerlich, wie sich die Menschen um die Quote des Gewinnes zu betrügen versuchten. Wenn der Gewinn nicht lockte, sie wären übereinander hergefallen. Das Faustrecht in erhöhter Quadratur war hier erkennbar, nur daß der Sieger blieb, der die größeren Mittel in Bereitschaft hatte.

Manchmal war das Spiel umgekehrt, dann mußte der Auktionator treiben. Angebot und Nachfrage war das Gesetz dieses Marktes, aber auch dieses Gesetz wurde hier künstlich belebt – oder unterbunden.

»Angebot!«

Ein neuer Posten stand bereit. »Dreißig Kisten Eisschollen – Angebot!«

Eine Stille folgte. Endlich rief einer, der abseits stand: »Sechs!«

Bei sechs blieb es, mehr erzielte dieser Posten nicht.

Neue Kämpfe lebten um neue Posten auf. Ein Hexensabbat von Menschen, die der Gier nach Geld zum Opfer gefallen waren, tobte hier. Ein neuer Auktionator löste den ersten ab, der von seinem Stand wie ein erschöpfter Sieger aus einem beendigten Kampf kam. Schweiß lief von seiner Stirn.

Hinter ihm schlich ein Teil der Händler einher, die soeben Ware erstanden hatten; Frauen wie Männer sprachen auf ihn ein, sie zogen ihn am Arm, er wehrte sie ab.

»Was, keine Ehrlichkeit?« Hier war alles Ehrlichkeit. Vereidigter Auktionator einer Fischgesellschaft, die nach den gesetzlichen Bestimmungen der gesetzgebenden Ordnung aufgebaut war – da hatte er über die Ehrlichkeit der Handlung und der Gesetze zu wachen. Er wachte darüber mit aller Autorität, die ihm wiederum diese Gesetzlichkeit gab.

Ein ehrliches Spiel trieb der tanzende Hammer. Die Augen der Menschen, die von Gier erfüllt waren, konnten dem schnellen Spiel kaum folgen. Ihre mißtrauischen Augen sahen überall Unehrlichkeit.

Hinrichsen hatte Jan mit zu den Hallen genommen. Sie sahen sich dieses Glücksspiel im Kampf um die Ware an. Abseits von den schachernden Hökern standen sie und wunderten sich über das aufgeregte Treiben. Ihre Schollen unterschieden sich an diesem Ort nicht mehr von den Schollen der anderen Fänge. Hier war alles Ware. Den Wert bestimmten die G. m. b. H. und die Sucht der Händler nach Posten und Verdienst.

»Komm«, Jan zog Hinrichsen am Arm, »hier bleiben wir nicht, das ist schlimmer als im Tempel von Jerusalem!«

»Was meinst du damit?« Hinrichsen sah seinen Bestmann fragend an.

»Hier fehlt einer, der Ordnung schafft, das ist eine sonderbare Manier, Schollen zu handeln!«

Sie traten auf die Straße. In der Halle rief die zersprungene Glocke zu einem neuen Tanz um Fische und Preise.

Hinrichsen riß Jan zurück, der beinahe unter ein anrollendes Auto gekommen wäre. Aus dem Schlag stieg Harrald Johannsen, er ging in die Hallen. Hinrichsen sah, wie er ruhig durch den Trubel schritt und der Weg sich öffnete, wohin er kam. Die Händler traten zurück und grüßten ihn mit halber Unterwürfigkeit. Auch Hinrichsen grüßte ihn, aber erwidert wurde sein Gruß nicht.

»De hett mi nich sehn.« Damit tröstete sich Hinrichsen und ging mit Jan über die Straße.

Lasten rollten auf Wagen heran, Fische wurden hinweggekarrt, Arbeiter, die ewig nach Fisch rochen, hantierten mit langen eisernen Haken und hoben damit gefüllte Kisten auf Karren und Wagen.

Auch die Straße vor den Hallen war Stau- und Stapelplatz für Fische. Vier Stunden lebte dieser Platz, dann erstarb sein Leben, nach der Auktion lag er ruhig wie ein faules Tier, das seinen Fraß verdaut und sich dabei sonnt.

Jan sah aufmerksam dem ganzen Treiben zu. Er begriff nicht den tieferen Sinn des Prozesses, der sich hier abspielte. Vor seinem inneren Auge stand nur das biblische Bild, von dem er zu Hinrichsen gesprochen hatte. Auch Hinrichsen erkannte nicht die treibenden Kräfte dieses Handels, er wußte nur, daß hier seine Schollen verhökert wurden und die Preise von den verschiedenen Umständen dieses Marktes abhängig waren. Bei einem Vergleich sah er, daß die Preise für Schollen, die die Bevölkerung zahlen mußte, andere waren als die, die er für seinen Fang bekam. Über die Ursache dieser Erscheinung begann er nachzudenken.

An diesem Ort fehlte ihm aber die Zeit dafür. Die beiden wollten zurück ins Dorf. Sie gingen zu ihrem Kutter. Auf dem Strom fühlten sie sich wohler, nur in ihren Ohren tobte noch der Lärm der Hallen. Vom Wasser aus sahen sie die Gebäude liegen, die von weitem einen friedlichen Eindruck machten. Wenn der Kampf um die Ware erledigt war, lagen auch die inneren Hallen tot. Ein paar zerbrochene Kisten waren dann nur noch die Überbleibsel dieser feindseligen Schlacht um die Ware und den Profit. Die sammelte ein Hallenarbeiter und warf sie ins Hafenbecken. Dort schwammen sie mit dem Strom, um an irgendeinem Ufer zu versanden und zu verfaulen.

Hinrichsen stand mit dem Bestmann am Ruder, er hatte sein breites Lachen im Gesicht und unterhielt sich mit Jan über den neuen Fang und wie sie am besten den Motor ausnutzen könnten.

»Je – ausnutzen mußt du den Motor und das Schiff.«

Das klang ein wenig höhnisch aus dem Munde des Bestmanns, als wollte er daran gleichzeitig die Frage knüpfen, ob der Fischer ihn auch noch mehr ausnutzen wollte.

Hinrichsen mußte lachen und klopfte Jan auf die Schulter. »Deine Prozente sind nicht weniger geworden, und dein Einkommen hat sich gesteigert.«

»Das schon – aber die Arbeit auch, denn der Motor treibt uns ja ständig an. Wir haben auf See keine Ruhepause mehr, das geht Törn um Törn.«

Jetzt wurde Hinrichsen ärgerlich. »Watt wullt du, Jan, heff ick mehr Ruhe?«

»Nee, Hinrichsen – dich treibt der Motor auch.«

»Ja! De Seilschipperei geiht slopen – auch die anderen Fischer lassen sich Motoren einbauen. Zwei liegen bereits auf der Werft – Johannsen hat das Geld dazu gegeben.«

»Immer Johannsen!« Der Bestmann spuckte wütend aus. »De Kerl hett bannig Geld!«

 

Hinrichsen ging in Gedanken den Deich entlang. Das, was er in den Hallen erlebt hatte, brannte in ihm nach. Den Zettel über den Erlös seines Fanges hielt er in der Hand. Er hatte ihn fast unbewußt aus seiner Rocktasche gezogen. Mit dem Papier trat er durch die Tür in sein Haus. Lee erwartete ihn. Merkwürdig verändert erschien ihr das Gesicht Hinrichsens. Er setzte sich auf einen Stuhl gegenüber dem Bild, das ihm aufgefallen war, als er das erstemal diesen Raum betreten hatte. Das lag nun Jahre zurück. Der Kutter trug noch das gleiche Hoheitszeichen und seine äußere Form, aber innerlich war er verändert worden, und ganz unmerklich war auch mit Hinrichsen eine Veränderung vor sich gegangen. Seine große innere Ruhe und sein durch nichts zu erschütterndes Selbstvertrauen hatten ein wenig gelitten. Beim Nachdenken über diese Dinge kam ihm nicht zum Bewußtsein, welche Ursachen dieser Veränderung zugrunde lagen.

Lee hatte ihre Bücher hervorgenommen und rechnete wieder. Nach jedem Fang tat sie das. Gewissenhaft trug sie Posten um Posten ein. Auch mit den Prozenten vom Fang ging sie zu Harrald Johannsen und zahlte regelmäßig die Schulden ab. –

»Heut standen die Schollen günstiger als beim letzten Fang!« Das sagte Lee ganz beiläufig. Die Tür zur Diele öffnete sich. Ein Seefischer vom Dorf trat ein, er wollte mit Hinrichsen sprechen. Er beabsichtigte, einen Motor in seinen Kutter einbauen zu lassen, alle Fischer wollten das, ob sie nicht einmal die Sache zusammen besprechen könnten. Das war sein Anliegen an Hinrichsen, der jedoch nur mit einem halben Ohr hinhörte, denn es ging ihm etwas anderes durch den Sinn. Lees letzte Worte waren es, mit denen seine Gedanken sich noch beschäftigten. Lee horchte auf und beendigte ihre Eintragungen. Sie sah Hinrichsen starr an, dann fiel sie den beiden in die Rede.

»Wenn ihr Geld habt, könnt ihr das.«

»Das ist es, was wir mit Hinrichsen besprechen wollten. Da sind ein paar, die ausscheiden wollen, weil sie nicht weiterkönnen. Die Schuldenlast ist zu groß, sie wollen verkaufen oder abwracken lassen«, war seine kurze Entgegnung. Für manchen war das Geschäft nicht mehr lohnend genug. Von Zeit zu Zeit zogen die Dampfer mit auf den Schollenfang. Wenn diese ihre Ladungen brachten, dann fielen die Preise in den Hallen ganz bedeutend. Die Fischer wollten einen Ausweg zur Ausschaltung dieser lästigen Konkurrenz suchen. Täglich wuchsen die Fischdampferflottillen. Nach Altona kam Cuxhaven. An der Weser hatten sich große Gesellschaften gebildet. Alle sandten sie ihre Dampfer auf den Fang. Zu einer Zeit, wo sie nicht in ihren Revieren auf den Schellfisch und Kabeljau jagen konnten, waren sie hinter der Scholle her. »Die Dampfer machen uns nicht viel.« Hinrichsen meinte das so nebenher, als wenn es seine innerste Überzeugung wäre, daß die Dampfer keine Konkurrenz für ihn bedeuteten. Der Fischer sah ihn zweifelnd an, denn diese Ansicht war ihm unverständlich.

»Wie denkst du darüber – die Dampfer tun uns nichts?«

»Nein, die bringen Eisschollen!«

»Aber Schollen!«

»Keine lebendigen Fische, alles tote, auf Eis gelegte. Für unsern Markt kommt der lebendige Fisch in Frage.«

»Ja, der lebendige Fisch, der mit unserer Not gefangen wird.«

Hinrichsen schüttelte den Kopf. Er rechnete nach, wieviel Reisen er hinter sich hatte. Denn Jahre fischte er nun und lebte. Von der Not hatte er nichts kennengelernt. Was sagte ihm Harrald Johannsen damals, als er das Geld wollte? Er sei ein Fischer mit einer glücklichen Hand. Über diese Worte dachte er jetzt nach, dabei fand er heraus, daß keine dreihundert Kutter aus seinem Dorf mehr auf den Schollenfang gingen, so wie einst vor Jahren; es waren nur noch etwas über hundert. Andere Dinge fielen ihm ein, er stutzte und lud erst jetzt den eingetretenen Fischer an seinen Tisch, denn bis dahin standen sie in der Diele. Lee hantierte im Raum, aber sie sprach nicht. Sie wollte hören, was der Mann eigentlich beabsichtigte.

»Über deiner Haustür, Hinrichsen, steht: An Gottes Segen ist alles gelegen.«

»Was willst du damit sagen? Meinst du, daß es zwei Sorten von Seefischern geben soll?«

»Ich meine, daß alle gleich auf See fahren und fischen, daß aber mancher seinen Kutter verkauft hat, weil er nicht weiterkonnte. Es gibt welche im Dorf, die schon mit zwei Mann einen Kutter gemeinschaftlich bewirtschaften und andere, die zur Werft gegangen sind oder auf den Dampfern fahren.«

Hinrichsen horchte auf. Bisher war er an diesen Dingen vorübergegangen und hatte sich nur um seinen eigenen Kutter gekümmert. Was neben und um ihn lebte, war für ihn eine andere Welt. Die Frage des Fischers gab ihm zu denken.

»Zwei Sorten von Fischern?« Das war eine sonderbare Frage. Ja, es gab verschiedene Sorten Menschen, das merkte er erst jetzt. Seines Bestmanns Fragen und seltsamen Gespräche kamen ihm in den Sinn, und er dachte nach.

Harrald Johannsen war ein anderer als er; und die Elbfischer vom Deich wieder andere Menschen, die unter anderen Verhältnissen lebten als die Seefischer.

»Nee, da hat Gottes Segen nichts mit zu tun«, sagte er unvermittelt zu dem Fischer, »das muß mit anderen Dingen zusammenhängen. Der Spruch über der Tür ist zu alt, der ist von der Zeit überholt. Laß ihn stehn – dor kiek nich op, ich habe ihn nicht hingeschrieben!«

Damit war für ihn vorerst das Gespräch zu Ende. Er war in Nachdenken versunken.

»Einen Motor willst du haben?« Mit diesen Worten riß sich Hinrichsen aus seinen Gedanken heraus.

»Es gibt zwei Wege, man muß darüber sprechen. Einmal ist Harrald Johannsen da und das andere Mal – aber das ist fast unerreichbar – eine Stelle beim Senat der Stadt Hamburg. Geh zu Harrald Johannsen, dann geht das schneller.«

»Die anderen wollen auch Motoren einbauen, Hinrichsen!«

Diesem Problem stand Hinrichsen ratlos gegenüber.

»Du bist der Fischer Hinrichsen, auf dich hören die anderen. Wenn wir mal zusammensitzen, dann können wir darüber reden.«

Lee horchte auf und meinte: »Die Seefischer mit ihren Kuttern und Ewern können keine Reederei wie die Fischdampfer bilden.«

Das wollten die Fischer auch nicht. Jeder wollte Eigentümer seines Fahrzeuges bleiben, hier lag der Widerstand, an dem vieles scheiterte.

»Wollt ihr eine Produktion?«

Damit meinte Lee eine Genossenschaft die Hamburger Arbeiter-Konsumgenossenschaft führt seit ihrer Gründung den Beinamen »Produktion«; dieser Beiname ist in Hamburg und Umgegend sehr populär. Auch diese Form der Zusammenarbeit war eine Unmöglichkeit angesichts der Gedankenwelt, in der die Fischer dieses Dorfes, jeder für sich abgeschlossen und mit Traditionen belastet, lebten. Ihr Weltbild ähnelte dem starker, alteingesessener Bauern, die den Kampf um den Besitz in der eigenen Familie ausfechten, aber trotz der Fehden, die oft zu Gewalttätigkeiten und langwierigen Prozessen führen, fest an der Familie hängen und darauf achten, daß der Besitz ihnen immer erhalten bleibt. Aber die Bauern sitzen auf ihrer Scholle, halten Grund und Boden, der ihr Eigentum ist und Wertzuwachs bringt. Die Bodenspekulation erhöht ihre wirtschaftliche Kraft. Bei diesen Fischern war es umgekehrt. Wohl hatten auch sie den Willen, ihr Erbe zu wahren und zu mehren; auch sie waren im Besitz eines Produktionsmittels – aber das Objekt der Ausbeute für ihr Produktionsmittel war das weite Meer, ihr Feld hatte keine Grenzen, gehörte keinem und allen.

Frei war das Meer. Frei? Sie mußten mit ansehen, wie sie trotzdem von dem Großbetrieb verdrängt wurden und wie sie in immer größere Abhängigkeit von den Zufälligkeiten des Meeres und von den Gesetzen, die den Markt regierten, kamen.

 

Die Zeit ging über das Dorf und seine Menschen hin. Sie entwickelten sich zwangsläufig mit dieser Zeit. Der Motor hatte seinen Einzug gehalten, er puffte bereits auf den meisten Kuttern.

Klaas machte seine zweite Reise mit seinem Vater. Er war Fischer geworden und fühlte sich wohl in diesem Beruf, auch wenn er vorläufig nur als Viertsmann fuhr. Lee hatte das verhindern wollen, aber es gelang ihr nicht, denn Vater und Sohn und auch die Verhältnisse waren stärker als sie. Den Jungen zog es zum Meer, wie es den Vater zur See gedrängt hatte. In seinen Ohren klangen die Geschichten der alten Fischer vom Deich. Seine Augen sahen die Schiffahrt auf dem Strom, und die Sinne nahmen das Rauschen von der See her wahr, das immer in ihm nachklang. Dieses Rauschen und die Geschichten der Fischer verfolgten ihn zu jeder Zeit.

Oft fragte er den Vater über seine großen Reisen aus. Dann erzählte der von früheren Zeiten, jetzt war das anders. Matrose auf einem Dampfer zu sein, darin lag nun kein Stolz mehr.

»Deckswäscher sind das man bloß noch, Tagelöhner der großen Schiffahrtsgesellschaften auf der See«, sagte der Vater.

Hinrichsen hatte noch den Stolz des Segelschiffsmatrosen in sich. Diese Art der Fahrensleute war verschwunden, das Zeitalter der Technisierung brauchte andere Kräfte, Handlanger der Technik und nicht Handwerker des Berufes.

Pünktlich lieferte Lee die Prozente vom Fang an Harrald Johannsen ab. Oft betrat sie sein Haus. Persönlich sprach sie selten mit ihm, denn er war wenig anwesend. Das Geld nahm im Parterre des Hauses ein Mädchen, das nur das Notwendigste mit Lee besprach, gegen Quittung in Empfang. –

Eines Tages – Hinrichsen lag auf, denn sein Kutter hatte eine Bodenreparatur – saß die kleine Familie in ihrem Hause und sprach wie immer über Fischen und Fische, über Kutter und Dampfer, über einen, der wieder sein Schiff verkauft hatte, und über Harrald Johannsen. Lee geriet dabei in Eifer. Vor ihr lag ein gedrucktes Heft. Eine Seite darin hatte sie aufgeschlagen. Alle Dinge, die mit Fischen und dem Markt zu tun hatten, beschäftigten sie jetzt.

»Hier, Hinrichsen!« Sie war erregt. »Sieh, hier stehen komische Dinge. Alle Fischreedereien sind hier aufgezählt.« Ein Stück Papier hatte sie neben sich liegen und darauf gerechnet. Immer rechnete sie, die Zahlen ließen sie nicht mehr los, sie war ihnen unterworfen.

»Im Dorf gibt es noch siebzig Kutter und Ewer, aber die Fischdampfer ...!« Und nun zählte sie auf:

»Altona: fünfundzwanzig Dampfer – drei Millionen Mark Kapital.

Cuxhaven: vierundsiebzig Dampfer – acht Millionen Mark.

Hamburg: zwanzig Dampfer – zwei Millionen Mark.

Wesermünde: einhundertachtzehn Dampfer – zirka elf Millionen Mark.

Hinrichsen!« Sie schüttelte den Mann am Arm. Er war über den Millionen eingeschlafen, nur Klaas verfolgte die Rede seiner Mutter. Der Fischer reckte sich, er berührte mit seinem Kopf nicht mehr ganz wie früher die Balkenlage der Stube. Etwas nach vorn gebeugt ging er jetzt. Sonderbar blühte die Frau neben ihm. Jung und schlank war sie und innerlich rastlos bei ihrer äußeren Ruhe. Der Junge neben ihr konnte ihr Bruder sein, so jung erschien sie.

»Nordenham: sechsundzwanzig Dampfer – acht Millionen Mark Kapital«, fuhr sie fort. »Emden – Heringsfischerei, achtzig Fahrzeuge.« Dort gab es noch einundzwanzig Logger mit und ohne Hilfsmotor.

Sie rechnete rastlos, dann schrie sie es heraus, daß Hinrichsen wie Klaas sie anstarrten. Ihre Augen waren groß, und ihr Mund schrie:

»Über achtunddreißig Millionen Mark sind in den Fischdampferreedereien angelegt, und vierhundertunddrei Fischdampfer sind mit über viertausend Fahrensleuten bemannt!« Diese Zahlen erschreckten die drei für einen Augenblick. Dann fuhr sie fort, ihre Erregung hatte sich etwas gelegt, aber nur für einen kurzen Augenblick.

»Hier! Die Mengen vom Cuxhavener Markt: dreiundsiebzig Millionen Pfund Fische und über acht Millionen Mark Ertrag dafür in einem Jahr – und das nur in Cuxhaven, ohne die anderen Häfen, ohne Altona und Hamburg, ohne die Fänge dieser Dampfer, die in England bleiben!«

Lee stand auf, ging im Raum hin und her, dann setzte sie sich und las weiter.

»Im letzten Jahr hat sich der Umsatz gesteigert. Die Zufuhr war achtundsiebzig Millionen Pfund Fische mit einem Ertrag von rund zehn Millionen Mark.«

Hastig fuhren ihre Augen über die Zahlen. An ihrem Halse blühte der Fleck, er verwelkte nicht, sondern blieb, wurde größer. Sie las mit erhöhtem Eifer: »Fischmarkt St. Pauli«. Jetzt wurde Hinrichsen aufmerksam. Vor ihm stand das Bild der Hallen. Er sah die Menschen dort, diesen Konvent der Höker um die Waren. Er hörte sie schreien, sah ihre verkrampften Gesichter, den Hammer des Auktionators sah er tanzen, die viertel und halben Pfennige bohrten sich in sein Gehirn, in seinen Ohren summte der Lärm aller dort verbrachten Stunden nach.

Das Plakat an der Säule, das er in der Nähe der Hallen sah, sprang in seine Erinnerung: »Eßt Fisch, er macht schlank und gesund!«

Er lachte bei dieser Erinnerung auf, und Lee las weiter, ohne auf sein Lachen zu achten.

»Es landeten sechsundzwanzig Motorhochseekutter in drei Tagen siebenundsiebzigtausendzweihundert Pfund lebende Schollen. Die Zufuhr war infolge stürmischen Wetters gering und nicht annähernd ausreichend, den Bedarf zu decken. Die Küstenfischer landeten kleine Quantitäten an Elbfischen, die Störfischerei blieb ohne Erfolg. Die große Nachfrage hatte ein Steigen der Preise für Schollen und fast aller Fische zur Folge.«

Lee sprang auf, faßte Hinrichsen am Arm, mit großen Augen sprach sie auf ihn ein.

»Du mußt auf den Fang, die Preise ziehen an, es ist ein großer Bedarf vorhanden und kleines Angebot da!«

Der Fischer erkannte seine Frau kaum wieder. Er ging hinaus und trug sich mit dem Gedanken, einmal den Arzt zu seiner Frau zu holen. Draußen am Deich umwehte ihn die Luft, die vom Wasser kam; die roch so eigentümlich nach Frische und Losgelöstsein von allem. Dieses Land hatte die Menschen umkrampft, in ihnen war nur die Gier nach Erwerb. Auch seine Lee war davon erfaßt, das stimmte ihn ein wenig traurig. Selbst der Arzt könnte da nicht helfen, das macht die Zeit. Er sagte das still vor sich hin und ging zum Fahrzeug nach der Werft, um nachzusehen, wann er wieder zum Fang hinaus könnte.

 

Hinrichsen war wieder auf der See beim Fang. Mehrere Tage schon, aber mit einem Male war die Luft so eigentümlich. Das Wetter war beständig, und doch schien es dem Fischer, als wenn der Wind umspringen wollte. Das Barometer fiel schnell und kletterte schnell wieder auf »Schön Wetter«. Solch Fallen und Steigen des Glases hatte er bisher noch nie beobachtet. Er wußte nicht, ob er die Kurre einziehen oder weiterfischen sollte. Die Preise am Markt waren gut, die Fänge infolge des stürmischen Wetters in der letzten Zeit schwach. Seine beste Reise hatte Hinrichsen aber dieses Mal schon übertrumpft, fast sechstausend Pfund Fische hatte er in der Bünn und auf Eis. Aber die Schuld drückte ihn. Ausscheiden wollte er noch nicht, denn die Schollen standen dicht.

Klaas schritt über das Deck, er sah nach der Kurre, ob es Zeit zum Aufhieven wäre. Die Nordsee färbte sich so sonderbar schwarz, aber der Himmel war unbewölkt, nirgends deutete ein Anzeichen darauf hin, daß schlecht Wetter kommen würde. Plötzlich setzte eine Bö ein, das Wasser blieb still, nur die Dünung rollte unaufhaltsam. Der Bestmann sprach mit dem Fischer, Klaas kam hinzu, sie fragten sich, was das wäre. Ähnliches hatten sie bisher auf der Nordsee nicht erlebt. Die Bö war vorübergebraust, und die Windstille war wieder da. Keiner der Fischer hatte in den letzten Augenblicken auf den Himmel geachtet. Der war grau geworden. Jan machte jetzt darauf aufmerksam. Mit einem Male brauste es durch die Luft. Ein schneidendes Pfeifen war das. Hinrichsen sprang zum Motor und schaltete ihn auf die Winde um. Die raste vorwärts und zog die Trosse der Kurre auf, die Bretter scherten zur Seite aus, und langsam kam das Netz.

Jetzt achtete Hinrichsen auf Himmel, Wasser und Winde. Seine Augen übersahen alles. Sturm war das nicht, es heulte nur eigentümlich in der Luft. Da brach plötzlich das Wasser hoch, das Meer schien von unterirdischen Kräften gerüttelt zu werden, es bäumte sich auf. Die Motorwinde kreischte. Der Kutter wurde regellos umhergeworfen. Jan und der Junge machten zwei Reffe in das Großsegel. Hinrichsen blieb an der Winde stehen, um abzustoppen, wenn es notwendig wurde; Klaas achtete darauf, daß die Trossen klar durch die Scherbretter kamen. Jeder war mit seinen Gedanken und allen Kräften bei der Arbeit. Ein zweites Mal wollte Hinrichsen das Schleppnetz nicht verlieren und den Kutter, wenn möglich, hinter die Inseln bringen.

Er ließ außer Kurs drehen, daß er mit dem Winde käme. Der Seegang wurde stärker, und jetzt ritt der Wind heran. Der Bestmann zog ein paar Leinen über das Deck, der Junge half ihm dabei. Plötzlich setzte wieder Windstille ein, ein langgezogener Donner rollte über ihre Köpfe hinweg, und Blitze zuckten am Himmel entlang. Das war ein Gewitter über der Nordsee! Ein Naturereignis, das sehr selten ist und das wenige durchlebt haben. Es regnete noch nicht. Der Regen ging westlich vom Kutter nieder. Ganz deutlich schied sich die graue Regenwand von der dunklen Luft. Mit einem Male war alles schwarz um den Kutter. Hinrichsen stand unerschütterlich an der Winde, er rief dem Bestmann und Klaas Verhaltensmaßregeln zu.

Wieder Windstille! Ein furchtbarer Donner rollte über sie hinweg, der Kutter wurde hochgehoben und in die Tiefe geschleudert. Dabei schlugen die Scherbretter gegen den Setzbord, die Trosse wurde unklar, und Klaas kam in Gefahr, von der Trosse geprellt und in die See geschleudert zu werden.

Hinrichsen durchzog ein eigentümliches Gefühl, er stoppte den Motor ab und wollte dem Jungen zu Hilfe eilen. In diesem Moment holte der Kutter über, er sprang förmlich aufwärts, wie ein Pferd in der Wende, und drehte sich. Hinrichsens Hand hatte dabei einen Halt gesucht, er war durch den Druck gegen den Hebel der Winde geschleudert worden und hatte ihn herumgerissen. Die Winde lief in rasender Eile vorwärts. Der Gewittersturm tobte jetzt in voller Stärke, und ungeheure Spritzer fegten über das Deck. Der Bestmann hielt das Ruder. Der Kutter flog auf, die Kurre riß ihn zurück, Klaas lag lang an Deck und versuchte mit aller Muskelkraft, die Trossen klarzuhalten. Hinrichsen holte das Kappbeil.

Er brüllte mit dem Wind, denn den Jungen wollte er nicht in der Gefahr lassen. Klaas hörte seine Zurufe nicht, eisern hielt er mit seinen Händen die Kurrtrosse klar. Unter seinen Fingernägeln tropfte das Blut hervor. Eine klare Vorstellung von dem, was er tat, hatte er nicht. Die Wellen schienen sich gegenseitig bekämpfen zu wollen, so quirlten sie durcheinander. Das war keine aufgeregte See mehr, sondern ein brodelnder Kessel, der alles verschlingen wollte. In diesem Augenblick stieg der Kutter wieder auf. Hinrichsen hatte sich zum Klaas hingezerrt. Halb gebückt stand er über ihm und löste die Hände des Jungen von der Trosse, die sie eisern umklammert hielten. Da geschah etwas Fürchterliches! Der Bestmann sah es vom Ruderhaus aus. Er wollte in die Knie sacken, wollte aufschreien, wollte an Deck hinaus ...! Der Schreck hatte ihn erstarren lassen. Wie lange er gelähmt war, wußte er nicht, mechanisch hielten seine Hände das Ruder fest. Der Schrei, den er dann ausstieß, zerriß fast seine Kehle.

»Hinrichsen!« Das war kein Schrei mehr, sondern das war der Ruf eines Gemarterten, der tausend Jahre des Entsetzens in einer kurzen Sekunde erleben mußte ...

Der Kutter hatte aufgeholt, die Kurrleine zerrte ihn zurück, der Motor raste, da warf eine See das Fahrzeug zurück, die Trosse schlug hoch, fiel in einer Schlinge zurück, um den Hals Hinrichsens – in diesem Augenblick warf eine ankommende See den Kutter wieder vorwärts und riß Hinrichsen den Kopf vom Rumpf! Der Körper schwemmte mit einer schlagenden See über Bord. Das alles geschah so schnell, brach so plötzlich herein, daß sich niemand dagegen wehren konnte.

Klaas kam zu sich, richtete sich auf und griff verstört nach seines Vaters Kopf, den die See an den Setzbord geklemmt hatte. Den fürchterlichen Augenblick, als über ihm das Unglück geschah, hatte er nur halb erlebt, denn im gleichen Moment überspülte ihn die übergekommene See. Mit einer Hand hielt er den Kopf an den Haaren vor sich, mit der anderen zog er sich an der gespannten Leine zum Ruderhaus hin. Hier legte er den Kopf zu Jans Füßen nieder. Mechanisch tat er das, das ungeheuerliche Entsetzen über das Geschehene war noch nicht von ihm gewichen.

Der Bestmann starrte den Kopf an.

»Mok de Oogen dicht, Hinrichsen!« brüllte er.

Der Motor raste, die Trosse riß, das Netz schleppte zum Grund, der Kutter ritt auf der Nordsee.

Die Augen des Kopfes waren weit aufgerissen, wirr umhing ihn das Haar, aus dem noch Salzwasser tropfte. Klaas versuchte die Augen seines Vaters zu schließen. Seine Finger hielten die Lider nieder, aber die wollten sich nicht schließen lassen; es schien, als wollte der Blick die beiden Menschen im Ruderhaus verfolgen, ihre Hantierungen kontrollieren und noch Ratschläge geben. Der Bestmann drängte sich an Klaas heran.

»Du bist der Fischer jetzt – nimm das Ruder«, sagte er dumpf, drückte den Jungen zum Ruder hin, nahm einen Fetzen Persenning und hüllte den Kopf ein, legte ihn unter das Rad und wandte sich dann wieder zum Klaas.

Das Gewitter war vorübergezogen, der Himmel klarte auf. Sie hatten sich im Zentrum eines Luftwirbels befunden, der durch die reibenden Gewitterwolken hervorgerufen worden war.

Die See hatte sich beruhigt, und nur vereinzelte Spritzer stieben noch über das Deck hin.

Wie sich der ganze Vorgang abgespielt hatte, darüber konnten sie sich keine Rechenschaft ablegen. Hinrichsen war nicht mehr bei ihnen, den sie danach hätten fragen können. Beide standen sie noch im Ruderhaus und beratschlagten, was sie nun tun sollten.

»Den Kopf über Bord – das geht nicht, den nehmen wir mit zur Mutter, den begraben wir im Dorf.«

»Ja, Klaas! Wie wullt wi datt moken?«

»Erst de Fische no Alteno, dann zur Lee.«

Er nannte seine Mutter in dieser Minute so, wie sie der Vater immer nannte.

Der Bestmann wollte nun in Klaas den Fischer sehen.

»Na, lot man, Jan – bring du den Kutter no Alteno!«

Noch stritten sie ein wenig darüber, wer der Führer des Kutters sein sollte, dann übernahm Jan als der Ältere die Verantwortung. Sie legten bei und nahmen den Kurs nach Ost zu, Jan wollte dem Drittmann das Ruder übergeben, denn im Logis wollte er mit Klaas über alles Notwendige sprechen, das die Situation erheischte. Der Drittmann war nicht an Deck. Jan ging auf die Suche und fand ihn im Logis. Er lag in seiner Koje und hatte sich die Decken über den Kopf gezogen. Als Jan seinen Körper berührte, brüllte er auf. Das war nicht vor Schmerz, sondern ihn hatte der Schreck erschüttert. Mit weit aufgerissenen Augen lag er steif wie Holz in seiner Koje. Als Jan ihm die Decke vom Körper zerrte, stierte er den Bestmann an. Sein Gesicht war entstellt, die Zähne entblößt, sie bleckten gelblich, die Lippen hatte er verzerrt, der Mund stand schief.

Jan rüttelte ihn – da trat er mit seinem Stiefel zum Bestmann hin. Der fluchte und hieb mit der Faust auf ihn ein. Der Faustschlag mußte den Jungen zur Besinnung gebracht haben, denn er erhob sich und stierte den Bestmann erneut an.

»Nich den Kopp – lot datt!« schrie er und wollte sich auf den Bestmann stürzen. Der hieb wie ein Besessener auf den Jungen ein, machte ihn durch Schläge mürbe, dann umschlang er den Leib, hob ihn auf und zerrte ihn die Treppe aus dem Logis rückwärts hinauf zum Deck. Hier in der frischen Luft kam der Drittmann zur Besinnung und sah sich um.

»Wo ist der Kopf?« fragte er leise den Bestmann.

»Watt for een Kopp? Ant Ruder schallst du gohn!«

Er taumelte wie ein Betrunkener vorwärts und hielt sich mit einer Hand an der gezurrten Leine fest.

»Man nich den Kopp!« murmelte er noch einmal zum Jan hin.

Der Junge faßte sich unwillkürlich an den Hals und strich von dort mit der flachen Hand aufwärts über seinen Kopf, um sich zu überzeugen, ob er den Kopf noch auf dem Rumpf hätte. Jetzt begriff Jan des Jungen Benehmen, griff ihn unter dem Arm, redete beruhigend auf ihn ein und ging zum Ruderhaus.

Hier nahm er den Kopf in der Persenning auf, klemmte ihn unter den Arm und stieg in den Raum zum Motor, dort verstaute er ihn sorgfältig.

»Datt weur dien letzt Reis, Hinrichsen, dien best Deel geiht nu doch in de Eer!«

Er sprach das laut, um den Viertakt des Motors zu übertönen, denn er war überzeugt davon, daß er es sich und Hinrichsen schuldig war, zu betonen, daß sie eigentlich auf der See bleiben müßten.

Es war gewissermaßen die Grabrede, die er seinem Fischer hielt. »Schiet!« Er spuckte aus und schimpfte vor sich hin, wischte sich mit dem Handrücken die Augenwinkel trocken. »Nu is mi dor doch Soltwoter rinkommen, son Schiet!«

Mit diesen Worten kletterte er wieder an Deck.

»Holl den Kurs Ost zu Nord, zwei Strich nach Nord, bis wir dir einen anderen sagen.« Damit drängte er den Jungen in das Ruderhaus und zog Klaas mit sich.

 

Den Stander hatten sie an der Gaffel auf Halbmast gesetzt. Die Fische waren in Altona abgeladen. Gewissenhaft holte Jan den Auktionszettel vom Schalter und übergab ihn Klaas; der steckte ihn in seine Innentasche und ging langsamen Schrittes wieder an Bord.

Der Kutter sprang lustig am Ponton. Die kurzen Wellen des aufgepflügten Hafens warfen ihn hin und her, und es sah so aus, als wenn er es eilig hätte, heimwärts zu kommen, und ungebärdig an den Trossen riß, um los zu wollen. Als einzelne Fischer nach Hinrichsen fragten, gab der Bestmann immer nur die kurze Antwort: »De is buten bieben.«

In große Gespräche ließen sie sich nicht ein. Der Bestmann war wie umgewandelt, er handelte, wie Hinrichsen in der gleichen Lage ebenfalls gehandelt hätte, sachlich und bestimmt.

Mit Klaas besprach er gemeinsam, was sie tun sollten, wenn sie heimkamen.

»Du kannst Lee datt nich so seggen, wir müssen Hinrichsen« – er vermied es, nur vom Kopf zu sprechen, sondern sprach immer vom Fischer, nannte seinen Namen – »nicht gleich nach dem Haus tragen, am besten wird es sein, wir gehen zum Pastor!«

»Nee, dorvun hett Vadder nich veel hollen. Bi em weur een rechten Fahrensmann mehr wie een Pastur. Wir werden es Lee mitteilen, sie wird das verstehen, sie ist doch eene Fischersdeern, eer Vadder is ok op See bleben.«

Der Junge war um Jahre gewachsen, dieses Erleben draußen auf der See hatte ihn über alles hinweggehoben. Seine Mutter nannte er jetzt so, wie sie der Vater immer nannte. Schmerzen fühlte er wohl, aber er ließ es nicht merken; es war ein dumpfer Schmerz, der ihn niederhielt, aber doch vorwärtstrieb, so daß alle seine Handlungen zweckmäßig erschienen. Heimlich stieg er in die Motorplicht und sah nach dem Stück Persenning. Es ging ihm wie Jan, auch er hielt ein kurzes Selbstgespräch mit dem umhüllten Kopf seines Vaters.

Mit dem Stander auf Halbmast, legte der Kutter am Deich an. Oben auf der Bank saßen der alte Jan und die anderen Fischer stumm auf ihren Beobachtungsposten. Als sie das Zeichen der Trauer sahen, erhoben sie sich von ihrer Bank und gingen ein paar Schritte voran. Vom Kutter die Treppe aufwärts zum Deich kamen der Bestmann, Klaas und der Junge. Der Bestmann ging voran und hatte die Persenning unter dem Arm, dabei stieg er behutsam aufwärts. Die alten Fischer fragten nach Hinrichsen. Der alte Jan trat noch einen Schritt vor und sprach wie mit sich selber:

»He is bleben, nu hett em doch de fleegende Holländer holt! Nu kann een nieger an de Reeg kommen.«

Die Fischer nahmen die Mützen ab und gingen hinter den dreien her. Das war wie eine trunkene Prozession anzusehen. Auf dem Deich blieben die Frauen stehen, sahen den Zug und heulten los. Sie hatten begriffen, daß wieder ein Unglück über das Dorf hereingebrochen war. Das Unglück eines Fischers wurde wie ein Unglück gewertet, das das ganze Dorf betraf. Sie schlossen sich dem Zug an. Nicht nur Teilnahme, sondern auch Neugierde trieb sie. Die Umstände des tragischen Ende Hinrichsens wollten sie kennenlernen, damit sie es über den Deich in die Häuser tragen konnten. Jede wollte die erste sein, die die Neuigkeit weitergeben und mit den Nachbarn breit darüber sprechen konnte. So kamen sie alle zu Hinrichsens Haus. Lee sah durch das Fenster der Stube den Zug kommen und trat vor die Tür.

Der Bestmann schob Klaas vor, der begrüßte seine Mutter, die ihn fragte, wo der Vater wäre.

»Du mußt man nich weenen!« meinte der Bestmann zu Lee gewandt und schob sich hinter Klaas durch die Tür in die Stube. »He kummt schon, wi hebbt em mit.« Dabei suchte er unschlüssig in der Stube nach einem Fleck, wo er versinken könnte, denn es war ihm schlecht geworden. Ihm schien, als wenn der Kopf unter seinem Arm Leben bekäme, darum nahm er ihn unter dem Arm hervor. Bei dieser Hantierung löste sich die Persenning, und der wirre Kopf Hinrichsens kam zum Vorschein. Aus dem schwarzen Gesicht starrten die toten Augen in das Leben im Raum, es schien ihnen allen, als wenn er zu ihnen spräche. Dem Bestmann wollte der Kopf aus den Händen gleiten, als ihn die Menschen anstarrten, denn er glaubte, die entsetzten Gesichter galten ihm, aber alle blickten nur auf das grausam wirkende Haupt. Da ging Klaas hinzu und ergriff den Kopf seines Vaters.

»Lee!« – Er sagte nicht Mutter in dieser Minute, sondern rief sie wieder so, wie sie der Vater nannte und wie er das in den letzten Stunden oft getan hatte.

»Lee! Ich bringe dir Hinrichsen, er wollte mich retten und blieb dabei.« Er sah seine Mutter an.

Lee sprach nicht, nur ihre Hände, an denen sich die Finger auseinanderspreizten, streckte sie vor. In ihrer Gebärde lag weder Abwehr des Grauens, das sie erfaßt hatte, noch konnte sie als Begrüßung gedeutet werden. Nur ihre Augen wurden seltsam groß, und endlich formte ihr Mund langsam einige Worte:

»Wir wollen ihn auf seinen Platz betten!«

Ihre Füße schoben sich voreinander, sie ging in die Stube hinein, auf ihren Jungen zu. Dabei lag etwas Feindseliges in ihrem Blick; es war nur ein kurzes Aufflackern, dann ließ auch das nach.

Die Menschen gingen langsam rückwärts aus dem Raum und eilten die Straße entlang. Nur der Bestmann blieb. Er setzte sich auf die Bank an der Wand, auf die Hinrichsen auf der Rückenlehne die Worte hatte schnitzen lassen, die ihn seit seinem ersten Besuch beim Pastor nicht verlassen hatten:

Navigare necesse est.

Wie eine Flammenschrift leuchtete das hinter ihm auf, denn die Buchstaben waren golden auf blauem Grund. Lee sah zu ihm hin und sagte ganz ruhig: »Steh da auf, Jan, setz dich woandershin.« Der Bestmann gehorchte mechanisch, stand auf und setzte sich auf einen Stuhl, der unter dem Bild an der Wand stand, das den Kutter zeigte.

Lee bückte sich zu einer Truhe, entnahm ihr ein großes gebleichtes Tuch und überhing damit die Rückenlehne der Bank, dabei sprach sie laut: »Diesen Spruch soll keiner mehr lesen, er hat recht gehabt damals beim Pastor, der Hinrichsen – es ist Not bei der Seefahrt.«

Dann nahm sie ein zweites Tuch und faltete es über Hinrichsens Bett so, daß der Kopf bis über das Kinn bedeckt war. Darauf nahm sie Klaas am Arm, bedeutete dem Bestmann, daß er sich um den Kutter kümmern möge, verschloß das Haus und ging mit dem Jungen den Weg entlang, um alles zur Bestattung zu ordnen.

Die blechernen Klänge der Dorfglocken zogen über die Häuser hin, hallten über Wege und Straßen, klangen über das Wasser, aber ihr Schall war dünn, als ob er suchend klagte. Lee ließ sich durch nichts beirren. Wenn die Frauen am Deich sie anhielten, um ein Klagelied über die Größe des Unglücks zu singen, meinte sie mit langsamer Stimme: »Das könnt ihr alle erwarten!« War es eine Witwe, die sie ansprach, dann antwortete sie nur kurz: »Na, es ist eine mehr in eurem Kreis, das Dorf hat nun eine Witwe mehr, wir sind eben Fischersfrauen.«

Das Dorf hatte, nach seiner Einwohnerzahl geschätzt, den größten Prozentsatz an Witwen im gesamten Reiche. Langsam fanden sich die Frauen der Fischer mit dem Verlust ihrer Männer ab. Die meisten von ihnen hatten nicht einmal einen Platz auf dem Friedhof, wo der Mann lag; sein Körper trieb irgendwo auf dem Grund der Nordsee, die ihre Beute festhielt und selten herausgab. Manchmal gab die See ihre Opfer frei. Dann schwemmte mit der Strömung an einer Insel der Nordsee ein nicht zu erkennender Körper an. Den begruben die Inselbewohner dann auf dem Friedhof der Namenlosen, als namenlosen Toten des Meeres. Dieser Tote erhielt eine Nummer und existierte als Zahl im Totenregister der Insel fort.

Irgendwie schufen sich diese Fischerfrauen im Rahmen der Grenzpfähle des Dorfes ein neues Leben, das aber immer in irgendeinem Zusammenhang mit dem Meer und mit den Fischen stand. Selten war es, daß sie außerhalb ihres Dorfes einen Beruf suchten, um weiterzuleben; das Dorf hielt sie fest, es umgab sie wie ein eiserner Ring, dem sie nicht entschlüpfen konnten.

Auf allen Masten und Stangen der Häuser wehten die Fahnen auf Halbmast, denn die Trauer eines Hauses war die Trauer aller Häuser des Dorfes, und Fahnen besaßen sie alle. Die wehten auch bei anderen Gelegenheiten, bei den Hochzeiten und den Kindtaufen, nur daß sie dann bis zum Flaggenkopf gehißt wurden. Lee behielt den Kutter und übergab ihn an Klaas mit Beteiligung; sie war der Besitzer, denn unter dem Vertrag mit Harrald Johannsen stand ihr Name neben dem von Hinrichsen.

* * *

 


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