Hans Hopfen
Der alte Praktikant
Hans Hopfen

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XV.

Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand! sagten die Leute im Dorfe und wunderten sich nicht wenig, was für ein ernsthaftes, wortkarges Wesen über den sonst so lustigen und leichtsinnigen alten Praktikanten gekommen war.

Seine Tage über dem Moos waren nun gezählt. Er konnte nicht einmal die richtigen Herbstjagden mehr abwarten. Seltsamerweise schien das dem sonst so eifrigen Nimrod gar keinen Verzicht aufzuerlegen. Er hatte es über die Maßen eilig, sein Notariat anzutreten. Freilich konnte das ihm Niemand verübeln, denn lange genug hatte er darauf warten müssen. Aber daß er so gar kein Hehl daraus machte, daß ihm der gute Ort, wo er achtzehn Jahre lang anscheinend so glücklich und zufrieden gelebt, unter den Sohlen brannte, daß er den Tag kaum erwarten konnte, wo er ihm für immer den Rücken kehrte, das fanden Viele recht undankbar und über die Maßen befremdlich.

Manche meinten, mit der Bestallung zum Notar sei er auf einmal stolz geworden. Er, der sonst mit jedem 298 Kleinhäusler sich an einen Tisch setzte, mit jedem Knecht auf dem Acker ein heiteres Gespräch anbändelte, mit jeder Bauerndirn einen Spaß und mit jedem Bauernkind ein Spiel zu machen liebte – er ging steif, mit zusammengekniffenen Lippen einher und verkehrte nurmehr mit dem Pfarrer und allenfalls noch mit dem Florian Noderer.

Ordentlich blässer schien er geworden. So war ihm der Hochmuth, oder was es eben sonst war, zu Kopfe gestiegen.

Der Pfarrer ging auch verdrießlicher als sonst herum. Ordentlich wie ein Kater, dem sie das alte Haus, darin er aufgewachsen und eingewohnt ist, abgebrochen haben.

Aber bei dem wußte man den Grund seines Aergers schon genauer. Ei, ganz genau wußte man die Geschichte. Wie er am ersten Sonntag nach der berühmten Wundererscheinung in einer langen Predigt gegen sündhaften Aberglauben und einfältige Betrügereien gedonnert – das hatten alle Gläubigen in der Gemeinde gehört. Auch wie er sich vermessen, noch öfter auf das erbauliche Thema zurückzukommen, auch das hatten Alle in der Kirche gehört, und waren Alle sehr erbaut davon gewesen. Bis auf ihrer Wenige. Der Wenigen einer, der Bartel, der war wie ein Besessener aus der Kirche gelaufen. Eine schändlichere Lästerung, sagte dieser, wäre noch nie in einem geweihten Gotteshause verlautbart worden. Und es sollte auch nicht wiedergeschehen! Gleich am nämlichen Sonntag hatte er ausgepackt und war zu einem befreundeten geistlichen Herrn in die Stadt gefahren, zu demselbigen eifrigen Priester, der im 299 Walde von Mariatannerl jüngst die Pilger so schön entflammt hatte. Auf der nämlichen Stelle, wo das Wunder geschehen war, hatte der seine Predigt gehalten, eine andere Predigt, von anderem Geiste durchweht und zweifelsohne Gott wohlgefälliger, als die Brettschneiders. Das heißt dem Gotte, wie sich ihn Damian Bartel dachte.

So jung nun der fromme Mann war, so war er doch auch der richtige Mann, der den Schaden, welcher allen gläubigen Seelen von dem Pfarrer Brettschneider drohte, abzuwenden wußte oder doch wenigstens nicht zum Ausbruch kommen ließ.

Lang vor dem nächsten Sonntag schon hatte der Briefträger dem Aergerniß gebenden Hirten einen Brief gebracht, den Hochwürden Brettschneider keinem Menschen zu zeigen für gut fand. Aber der Postsekretär und der Postbote hatten doch das Siegel gesehen. Daß der Brief vom Ordinariate geschickt und gestempelt worden, das wußte nun Jedermann im Dorf. Und den Inhalt konnte man sich mit leichter Mühe ausdenken. Denn der Pfarrer predigte nicht wieder gegen den Wunderschwindel und predigte überhaupt nur so mit halber Stimme und halber Lust und schnitt ein gleichgültiges, ja ein beschämtes Gesicht dazu, während der alte Bartel sich, so breit er's nur machen konnte, in seinen Kirchenstuhl lümmelte und den kleinlauten Dulder auf der Kanzel so triumphirend angrinste, als wollt' er sagen: Dir hab' ich das Handwerk gelegt! Komm Du mir noch einmal so!

300 Stand es mit dem Pfarrer schief, so hatte der Florian seit kurzer Zeit wieder ein freundlicheres Ansehen. Er lehnte nicht mehr die langen Nachmittage unter der Einfahrt des Böswirthshauses am schwarzbraunen Thürpfosten, um mit den Rauchringeln, die aus seiner Tabakspfeife stiegen, Trübsal zu blasen. Es gab am Zapfen und in der Küche genug zu thun, und auch die Gäste verlangten nach gelegentlicher Ansprache des Wirths.

Ja, es waren wirklich wieder Gäste beim Noderer, jede Woche kamen ihrer neue, und je länger der Herbst und je kürzer die Tage wurden, desto mehr Herren kehrten an den alten Stammtisch im Extrazimmer zurück, und im Zlabingerbräu war es wüste und leer.

Das rührte daher, daß die junge Frau nach ihrer Verehelichung es tief unter ihrer Würde fand, den dummen Bauern oder den – wie sie meinte – noch dümmeren Honoratioren des Dorfes Späße vorzumachen und sozusagen auf Verlangen Liederchen vorzusingen, die sich für eine verheirathete Frau gar nicht schickten. Sie hatte nicht deßwegen einen alten Mann geheirathet, um nach Anderer Pfeife zu tanzen. Das war nun vorüber! Sie hatte ihr Lebtag genug Gefallen erweisen müssen, wovon das Herz nichts wußte, jetzt wollte sie Gnaden nach ihrem Belieben verleihen und die Anderen nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Diese souveräne Lebensauffassung paßte nun nicht recht in den Zlabingerbräu, wo die Gäste in letzter Zeit ziemlich verwöhnt worden waren. Die Anderen, die da nach Frau Katherls Pfeife 301 tanzen sollten, blieben einer nach dem andern weg. So mußte denn der gute fromme Zlabinger allein für ihrer Viele tanzen und hatte in seinem Alter ein elendes Leben. Seine Nachbarn aber waren grob genug zu sagen: er hätt' es nicht besser verdient und es schliefe halt Jeder, wie er sich gebettet.

Ob nun schon Frau Katherl ihrem Eheherrn die Hölle heiß genug machte, so genügte ihr doch das eine Opfer nicht und sie sann darüber nach, wie sie sich für den Hochmuth, den man ihr auch jetzt noch bezeigte, und den Mangel an Freundschaft, den ihr zärtliches Herz so hart empfand, an dem einen und andern ihrer Nachbarn rächen könnte. Der alte Praktikant that ihr nur leid. Auch lief er trotz seiner merkwürdigen Beförderung so verdrossen herum, als wär' er schon gestraft genug. Aber um so schärfer hatte sie's auf die Noderer'schen, »die an Allem Schuld waren« und durch ihre Konkurrenz jetzt wieder dem Zlabingerbräu so vielen Schaden thaten, wie damals, als noch ihr Alter allein für seine beiden Wirthschaften sorgen zu können sich vermaß.

Durch reifliches Nachdenken und Damian Bartels Beistand hatte sie's denn auch eines schönen Tages fertig gekriegt, daß Florian Noderer wieder einmal tief den Kopf hängen ließ, obwohl in seinen Stuben ein Gast den andern drängte und die Kellnerinnen, an jedem Finger einen Maßkrug, von der Schenke in die Stuben und aus den Stuben in die Schenke rannten, daß es eine Freude war.

Endlich, nachdem der verblüffte Florian lange seine 302 Gedanken nicht hatte entwirren können, wandt' er sich zum Gehen, und ob man dem Hausvater auch von allen Seiten zurief, und das lustig genug, so stieg er doch ohne Umsehen in die kleine Kammer hinaus und schrieb dort mit langer Mühe einen kurzen Brief. Als der Brief fertig war, schlich er in seinen Garten, pflückte die letzten Blumen des Herbstes, welche die rauhe Jahreszeit in dem geschützten Fleckchen noch hatte bestehen lassen, band sie in einen Strauß und rief seine jüngste Tochter Annamierl herbei.

Max Eisenhut hatte schon vor Wochen beim Landrichter seinen Abschied genommen und war nun auch beim Notar durch einen jüngern Nachfolger ersetzt worden. Er packte zusammen, was er von seinen Habseligkeiten nicht veräußert hatte, und dachte morgen oder übermorgen das Moos zu verlassen.

Er saß in seinem Stübchen, da der Abend verdämmerte, und dachte wer weiß woran, als man sacht an seine Thüre klopfte und Klein-Annamierl mit dem großen Strauß blasser Blumen hereinkam.

Eisenhut nahm die Blumen und las den Brief. Er enthielt die Bitte kurz und gut, der dem Florian einmal geholfen, möge es auch nun ein zweites und letztes Mal thun. Das Böswirthshaus käme zwar allmälig wieder in guten Flor. Binnen Jahr und Tag würd' es aller Schulden ledig sein. Aber die nächsten Wochen würden die schwersten in Noderer's Leben werden. Wechsel, mit denen er sich jüngst für die ungedeckte Hälfte seiner Verpflichtungen Ruhe 303 geschafft und die er in sicheren und anständigen Händen gelassen, seien durch Bartel's Umtriebe in Zlabinger's Eigenthum übergegangen. Der alte Widersacher und noch mehr sein junges Weib seien ihm todfeind. Sie würden Alles thun, um den lästigen Konkurrenten, der die bessere Kundschaft durch Fleiß und redliche Bedienung immer wieder zu sich herüberziehe, empfindlich zu schädigen und ihm womöglich einen Schimpf anzuhängen, der die braven Leute vor seiner Schwelle kopfscheu machen müßte.

Es schiene ja – so schloß des Florian gutgemeinter Brief – es schiene, daß Eisenhut's Hochzeit in allernächster Zeit noch nicht stattfinden sollte. Wenn aber das Böswirthshaus den Winter glücklich überstände, so wäre für alle Zeit gesorgt und nie wieder wollte sich sein ehrgeiziger Besitzer in kecke Spekulationen einlassen.

Eisenhut faltete den Brief zusammen, streichelte dem Kinde die Haare und sprach:

»Lauf' nach Haus, Annamierl, und sag' Deinem Vater, der alte Praktikant werd' es schon richten!«

Florian's Töchterlein wußte eigentlich nicht warum, aber es war ihm so zu Muth, als müßt' es dem ernsthaften Manne da für eine große Güte danken. Sie bückte sich still nieder und küßte demüthig Eisenhut's herabhängende Hand. Wie er sie darum schelten wollte, war sie schon über Stock und Stein.

Max zauderte nicht länger und schritt hinüber in den Pfarrhof.

304 »Lieber Alter,« sprach er den Pfarrer an, »gib mir, was Du noch von meinen Pfennigen in treuer Verwahrung hast.«

»Wozu denn? Willst Du vielleicht wieder einem Wirth aus der Patsche helfen?«

»In der That, Brettschneider, das will ich!«

»Willst Dein Erspartes wieder zum Noderer tragen, damit der seine Aecker hübsch beisammen behalten kann?«

»Seine Aecker sind sein Stolz. Müßt' er wieder klein werden unter den Bauern, die seine arme Jugend mit angesehen, die Schande würd' ihm das Herz abdrücken. Mir ist er wie ein Freund gewesen die achtzehn Jahre und ich –«

Eisenhut sprach nicht weiter. Es war der Pfarrer, der die Worte aufnahm.

»Und Du . . . Du brauchst ein Stück Geld in die Hand, um Dein neues Geschäft in Gang zu bringen.«

Max zuckte geringschätzig mit den Achseln.

»Tausend Gulden sind vorderhand genug. Die nimm davon und steck' mir sie in die Tasche. Den Rest mag Noderer haben. Mein Geschäft muß sich selber forthelfen. Und thut's das nicht – (er zuckte nochmals die Achseln) dann wird's mich auch nicht kränken. Ich brauche wenig.«

»Du . . . Ja!« sagte der Pfarrer zögernd. »Aber ich meinte, Du wolltest nicht länger mehr allein bleiben. Du dächtest daran . . .«

Eisenhut machte eine abwehrende Bewegung. »Dahin!« sagte er. Er war's nicht im Stande, mehr zu sagen.

»Armer Freund!« rief der Geistliche und erfaßte die 305 Hand des Traurigen. So standen sie eine Weile und trösteten einander ohne Worte und dankten einander ohne Worte und nahmen ohne Worte innigen, rührenden Abschied von einander.

Nach einiger Weile endlich, um sich von der traurigen Stimmung nicht übermannen zu lassen, zwang sich Eisenhut, etwas zu sagen.

»Ich bin dem guten Orte, darin ich länger als ein halbes Menschenalter gehauset, zu Dank verpflichtet. Ich dank' ihm dadurch, daß ich ihm einen guten Wirth erhalte. Das ist der Mühe werth.«

»Ja!« sprach der Pfarrer. »Und daß dafür gesorgt wird, daß die Zlabingerischen nicht ganz obenauf kommen, ist auch ein Verdienst um's Dorf. In diesem Sinne mag denn in Gottes Namen nach Deinem Willen geschehen. Aber, Maxl, Du gehst nunmehr wieder so arm über's Moos zurück, wie Du vor achtzehn Jahren gekommen bist.«

»Aermer, Johann! viel ärmer! Das schöne Amt, das sie mir aufgeladen, dünkt mich nur eine Bürde, die mir lästig ist. Dafür ist meine Unabhängigkeit dahin, dahin mein zufriedener Sinn, dahin die derbe Lebenslust und der uneigennützige Gleichmuth, dahin das Behagen in und an mir selbst, und das Letzte, was mir noch Freude machte, muß ich auch hier zurücklassen, Deine Freundschaft, alte brave Seele! Wer weiß, ob wir uns noch einmal wiedersehen!«

»Ich hoff's zu Gott!« antwortete der Pfarrer, und dann 306 gingen sie miteinander hinüber, um den Florian Noderer aller seiner Sorgen zu entledigen. –

Am andern Tag fuhr Max Eisenhut nach der Hauptstadt, wo er den Rest seines Urlaubs verbringen wollte, bis er in einigen Tagen an den Ort seiner neuen Bestimmung sich verfügte. Der biedere Waldmann, von Kohlenstaub, Zugluft und den verlassenen Flöhen früherer Reisender geplagt, machte sich in seinem abscheulichen Hundecoupé trostlose Gedanken und konnte nicht begreifen, was die Menschen für ein Vergnügen an der pfeifenden, rasselnden, schmutzigen Eisenbahn fänden. Er zog den Schweif ein, ließ die Ohren hängen, dachte an den freien, grünen Wald und knurrte: Pfui, was für eine scheußliche Erfindung!

Und auch sein Herr vorn im Wagen zweiter Klasse machte sich über diese Erfindung allerhand Gedanken. Er hörte es pfeifen und sah dem Rauche nach, der über die kahlen Felder, durch die fröstelnden Wälder hinfegte. Wäre die Eisenbahn nicht über's Moor gelegt worden, wie anders wäre noch hier draußen Alles geblieben! Ohne die Eisenbahn wäre die Moosrainerin nie nach Mariatannerl gekommen, er wüßte heute noch nicht, daß er auf Distelfeld einst eine Vogelhütte besessen, er hätte nichts gewonnen, nichts verloren, er striche noch heute mit der Büchse über den Torfschollen hin, schöße Feldhühner und wäre nach wie vor ohne Wunsch, ohne Sorgen, ohne Herzweh der alte Praktikant geblieben, der er nun nicht mehr war.

Aber ohne die Eisenbahn wäre auf Distelfeld auch keine 307 Villa erbaut, kein Garten gepflanzt worden und er hätte Florence nie gesehen.

Und daß er sie gesehen, war denn doch mehr werth, als all' sein Verlust und als alle seine Schmerzen. Ein trauriger Gewinn, allein Gewinn denn doch. 308

 


 


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