Hans Hopfen
Der alte Praktikant
Hans Hopfen

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XI.

Ehe Max Eisenhut diesen Brief des Ministerialsekretärs durch die Post erhielt, kam ihm ein anderer auf weniger gewöhnlichem Wege zu Handen.

Eines Morgens den Laden an seinem Fenster öffnend, fiel ihm ein länglich gebundener Nelkenstrauß auf das Brett, den man geschickt zwischen Laden und Scheibe gesteckt hatte. An dem Strauße hing ein kleiner Zettel und auf dem Zettel las der Praktikant folgende Verse:

»Ja, wo bist? na, wo bleibst? was verdirbst denn die Zeit?
Is dös Wegerl zu mir Dir denn gar so viel z' weit?

»Und was nutzt mi mei' Singen, hörst Du mir net zua!
Geh', komm heunt oder morign, sonst reut's Di no gnua!«

Eisenhut knitterte den Zettel geringschätzig zusammen und warf ihn beiseit'. Er wußte wohl, daß diese Zeilen in Zlabinger's Wirthsstube verfaßt worden waren. Ein Weib, das drohte, schien ihm wenig verlockend.

Es war ihm bisher nicht eingefallen, im Zlabingerbräu zum zweiten Mal einzukehren. Nun unterließ er es aus 218 Absicht, obwohl er am andern Morgen einen gleichen Strauß mit einem ähnlichen Zettel vor seinen Scheiben fand. Die einzige Folge dieser zarten Grüße war, daß er seinen Fensterladen besser verschloß, so daß dieser nicht so leicht mehr als Briefkasten sich verwenden ließ.

Auch nach Mariatannerl war er nicht wieder gegangen. Zur Moosrainerin zu gehen, ohne bei Rüdenhausen vorzusprechen, das dünkte ihn sehr unbefriedigend. Und mit welchem Rechte sollte er bei jenen Damen anklopfen? Er hatte sie in amtlichem Geschäft besucht, ausdrücklichem Rufe folgend. Die Sache war abgemacht, der Grund seines damaligen Kommens vollständig beseitigt. Die Frau des Hauses hatte in ihrem Anfall von Schwäche auch vergessen, ihn zum Wiederkommen aufzufordern. Und nun auf eigene Faust hinübergehen unter irgend einem aus der Luft gegriffenen Vorwande, wie etwa, nach dem Befinden der kranken Dame zu fragen oder für den genommenen Thee eine Indigestionsvisite zu machen, solche Höflichkeiten standen nicht in seinem Katechismus. Das wäre ihm nicht anders als wie Aufdringlichkeit erschienen. Und deren schämte er sich. Er war nicht von der Art, wie die flotte Sängerin im Zlabingerbräu und seine Art wollte nicht verkannt werden.

Freilich glühte ihm der Kuß Florencens noch auf den Lippen und in der Seele. Er hielt ihn nach wie vor für ein Versprechen, das nur mit seinem ganzen Leben einzulösen war. Er wollt' ihr das auch gerne sagen. Aber nicht jetzt. Er hatte mittlerweile den Brief seines Freundes 219 Schnauzenberg erhalten. Wenn diese gute Nachricht sich erst so weit bestätigt haben würde, daß er Namen nennen und von der sichern Sache reden durfte, dann wollt' er mit Florence reden, wollt' ihr Alles sagen und nicht zuletzt die Frage, ob sie mit ihm gehen und seine Hausfrau werden wollte.

Jetzt hätt' er auf die Frage, wohin sie denn mit ihm gehen sollte, noch nicht den geringfügigsten Bescheid geben können und wäre sich mit seiner Werbung nicht ernsthafter und ehrbarer erschienen, als ein Kind, das Seifenblasen in die Luft fliegen läßt und dazu eine andächtige Miene macht.

Freilich dehnten sich ihm die Tage. Aber auch das sehnende Leid, das ihm so lange fern geblieben war, that seiner männlichen Seele wohl.

Wie er eines schönen Nachmittags in der Kanzlei saß und seine Gedanken über die Akten weg sich das Bild der Geliebten vorzuzaubern strebten, klopfte der Zlabinger an die Thüre. Er hatte trotz der Hitze den langen Mantel an, war frisch geschoren und drehte vor Verlegenheit seinen Hut ein um's andere Mal in den fleischigen Fingern herum.

Er wollte durchaus mit dem alten Notar selber und allein mit ihm sprechen. Er mußte ihm auch Vieles und Wichtiges mitzutheilen haben, denn er blieb sehr lang, und Eisenhut hörte sie Beide, besonders den jähzornigen Notar, zuweilen laut schreien.

Als aber der Zlabinger endlich aus dem Kabinet des Alten wieder zum Vorschein kam, da strahlte sein Gesicht 220 nur so von Freude und Genugthuung. Er warf Max Eisenhut einen fast übermüthigen Blick zu, gerade als ob er sagen wollte: frage den da drin nur aus und Du wirst Dich über alle Maßen wundern, was Du vernehmen wirst.

Eisenhut hatte es durchaus nicht erst nöthig, den Notar auszufragen, denn dieser blieb, kaum daß der Bauer die Thüre hinter sich zugemacht hatte, vor des Konzipienten Pult stehen, kreuzte, die Dose krampfhaft mit den Fingern umklammernd, die Arme über dem Bauch und sprach:

»Wollen Sie einen haarsträubenden Beweis, daß die Menschen immer dümmer werden? Da haben Sie ihn! . . . Wie alt ist der Zlabinger? Sie wissen's nicht. Aber ich weiß es. Achtundsechzig hat's bereits bei ihm geschlagen. Wie sieht er aus? Wie ein Großvater, wie ein Spitalgreis. Was will er? Heirathen! . . . Ja, heirathen, der Fretter! Es ist zum umkugeln. Aber es kommt noch schöner. Wen will er heirathen? Ja, wen? Rathen Sie! Aber um auf den Gedanken zu verfallen, muß man nahebei Siebenzig sein. . . . Seine Kellnerin will er heirathen!«

»Das Katherl doch nicht?«

»Ebenbesagtes Katherl! Dieselbige feine Dirn' mit den rothen Lippen, mit den bewußten schwarzen Zöpfen, mit den anderen appetitlichen sieben Sachen und mit den schönen Liedern, die ihr die Polizei in der Stadt verboten hat und die die alten Herren auf dem Land gar so gern hören. Gesegnete Mahlzeit!«

»Unbegreiflich! Warum will denn der Kerl heirathen?«

221 »Warum? Theils aus Liebe, theils aus Geschäftskenntniß. Katherl hat ihm die längste Zeit erklärt, sie bleibt nicht mehr in dem langweiligen Nest. Um keinen Preis bleibt sie! Na, nunmehro hat er doch einen Preis gefunden. Wo's Eine als Kellnerin nimmer aushalten kann, findet sie's als Wirthin oft ganz nett. Und dem alten Narren war kein Preis zu hoch, um den Lockvogel mit dem raren Schlag vor seinem Schanktisch zu erhalten.«

»Ei der Teufel! Das treffliche Katherl kann doch als Honoratiorin und Frau Zlabinger hochwohlgeboren ihre gewissen Gesangsvorstellungen nicht mehr vor aller Welt zum Besten geben. Das geht doch nicht mehr an!«

»Nicht mehr? So? Das belieben Sie sich einzubilden, weil Sie eben die Welt nicht kennen. Ich aber sag' Ihnen, sie kann! . . . Und warum kann sie? Weil eben die Welt mit jedem Tag dümmer wird!«

Max Eisenhut schalt sich selber, daß er über die lächerliche Heirath des alten Zlabinger so nachdenklich ward. Aber ob er sich auch schalt und ob er auch nicht zu den ängstlichen Leuten gehörte, er konnte sich eines unangenehmen Vorgefühls nicht erwehren, als sollt' ihm von jener Seite noch Widerwärtiges zugefügt werden.

Nun konnt' er sich den übermüthigen Blick des glückstrahlenden Bauern, den dieser ihm beim Scheiden zugeworfen, erst erklären. Hatte der sich doch nicht anders gebärdet, als ob dem Eisenhut ein rechter Tort mit seiner Verlobung angethan werden sollte.

222 Das machte diesen lachen. Er konnt' es ruhig abwarten, was man ihm anhaben wollte. Ueber solche Geschöpfe nachdenken, hieß ihnen zu viel Ehre erweisen. Er ließ es gern genug sein.

Wie er am Böswirthshause vorüberschlenderte, sah er den Florian Noderer unterm Thorweg am Pfosten lehnen und mit rothen Augen in die Rauchringel stieren, die er aus seiner Meerschaumpfeife steigen ließ. Die Pfeife war gar sorgfältig angeraucht, der Silberbeschlag und Deckel zeigten feine Arbeit; nur ein wohlhabender Mann durfte aus solch' einer Pfeife rauchen. Aber der Mann, der sie vor dem Munde hielt, sah aus wie Einer, der sein Hab' und Gut in Rauch aufgehen läßt und dabei so rathlos und gedankenlos vor Verzweiflung ist, daß er nicht einmal weiß, was er thut.

Der alte Praktikant konnte nicht vorüber, obwohl der leise genickte Gruß und die mechanisch sich bewegenden Lippen ihn nicht zum Einkehren einluden. Aber bei Gott! Noderer sah aus, wie wenn er geweint hätte. Er, der gestandene Mann, hatte rothe, feuerrothe Augen, als ob die so schwer aus dem Herzen gepreßten Thränen ihm Lider und Aepfel wundgebeizt hätten mit ihrem ungewohnten, übersalzigen Naß. Es schien ihm ordentlich unbequem, daß ihn Einer ansprach und also zum Antwortgeben nöthigte. Denn er schämte sich seiner Stimme, die heut' in der That seltsam klang. Sie war ordentlich heiser und drohte bei jedem dritten Wort umzuschlagen. In der Verlegenheit spuckte er 223 weit von sich aus und redete die erste beste Dummheit, die ihm einfiel, wie:

»Pfui Tausend, der Tabak ist mir zu stark!«

»Florian!« sagte der alte Praktikant. »Wir kennen uns nicht seit gestern. Du siehst aber her heut', als hätt' ich Dich dreißig Jahr nicht gesehen. Bist wunderlich verändert worden über Nacht. Glaub' schon, daß der Tabak dran Schuld ist. Aber magst mir nicht sagen, was das für eine Sorte Tabak ist und wer Dir die Pfeifen gestopft hat?«

Mit diesen Worten hatte Eisenhut seinen Arm in den des Wirthes geschoben. Aber er bedurfte seiner ganzen Leibeskraft, um den stämmigen Florian von seinem Thorpfosten abzulösen. Dieser wollte sich nicht vom Fleck bewegen lassen. Und als es doch geschah, da war auch die krampfartige Anstrengung seiner Seele gebrochen und er hatte Mühe, nicht aufzustöhnen wie ein vom Beil getroffenes Thier.

»Meinetwegen!« war Alles, was er sagte. Er hatte Eisenhut's Hand mit der seinen umspannt und zog diesen jetzt mit einer gewissen Hast und Vorsicht, als wollt' er von keinem seiner Hausgenossen gesehen werden, über den Flur nach der Treppe. Und über die Treppe, über den Gang, bis er schwer aufathmend vor einer Thüre stehen blieb, einen Schlüssel aus seiner Tasche zog, aufschloß und dem Befreundeten einzutreten bedeutete.

Er setzte sich auf eine alte, mit eisernen Klammern beschlagene Truhe, barg Stirn und Augen mit der Hand und 224 schien des Andern vergessen zu haben. Dieser aber mahnte ihn durch neuen Zuspruch. Mit einer heftigen Bewegung, als sprengte er eine unsichtbare Fessel, hub Jener drauf zu reden an. Nun überstürzten sich seine Worte, und der Praktikant mußte mehr als einmal ihn gewaltsam unterbrechen, wenn er über das Gehörte klar werden wollte.

Florian Noderer war immer ein vernünftiger Mensch und guter Wirth gewesen. an Tüchtigkeit that es ihm Keiner gleich, aber so schimpfliche Mittel, wie sie der alte Zlabinger anwendete, um Gäste vor's Faß zu locken, die dünkten ihn unerlaubt und geradezu unmöglich, wo eine brave Frau wie seine Urschi im Hause waltete.

Das hinderte aber nicht, daß seit zwei Monaten kein frisches Faß mehr bei ihm angeschlagen worden war und daß, außer dem alten Praktikanten, der seine Mahlzeit hier einnahm, und einem oder anderem Versprengten, den der Zufall vorüberführte, nur die Fliegen in seinen Wirthsstuben wimmelten und sich laut machten.

Er wußte wohl, daß es mit der unlautern Herrlichkeit beim Zlabinger nicht dauern konnte und daß der Schwarm sich verlaufen werde, sobald die unerhörten Lieder des Katherl altbackene Waare geworden sein würden.

Auch hätt' es ihn zu anderen Zeiten nicht angefochten, ein paar Monate oder auch ein Vierteljahr zuzuwarten, bis die Gäste wieder den Weg zu seiner Thüre finden würden. Aber dießmal kam's wie eine Strafe. Er hatte, gegenüber den Zlabingern und den Barteln, immer der Eisenbahn und 225 dem Fortschritt das Wort geredet, lange genug umsonst. Wie aber nun mit der Eisenbahn Ernst gemacht werden sollte, ei da mußte doch er vor Allen zeigen, was dabei zu gewinnen war! Auch konnte er nicht anders denken, als daß man ihm, der immer für die Eisenbahn gewesen, auch die Restauration am Bahnhofe zusprechen werde. In diesem Glauben wartete er den ihm so sichern Beschluß gar nicht ab und baute auf einem Grundstück, das er unterhalb des Berges etwas voreilig erstand, ein Haus, darin er, sobald die Bahn in Betrieb, die Wirthschaft zu eröffnen gedachte. Da er seiner Sache ganz gewiß zu sein glaubte und von zaghaften Gemüthern in dem Vorhaben, welches ihm so viel Freude machte, nicht gestört oder auch nur verstimmt werden wollte, so sagte er Niemand davon, auch seiner guten Frau nicht eher, bis die weit gediehene Sache nicht wieder rückgängig zu machen war.

Auf einmal aber kriegte nicht er, sondern der Zlabinger die Restauration. Derselbe Zlabinger, der sich immer hoch und heilig verschworen hatte, gar nichts von der Eisenbahn wissen zu wollen und Keinem je einen Tropfen einzuschenken, der unchristlich genug wäre, sich von so einer Teufelsmaschine fahren zu lassen.

Da stand nun Noderer's halbfertiges Haus, eine Steinwurfsweite neben dem Bahnhof. Er hatte sich was Stattliches, was Kostbares ausgedacht und Kontrakte abgeschlossen, die nicht so leicht rückgängig zu machen waren. 226 Was aber sollte der Bau dort unten zwischen Schienendamm und Torfstich?

Die Bahnverwaltung hätte ihn noch am ehesten verwenden können. Aber da sie der alleinige Käufer war, der überhaupt in Frage kam, machte sie so jämmerliches Angebot, daß Florian, der vom alten Schory nicht nur das Böswirthshaus und das halbe Vermögen, sondern auch den ganzen Stolz des Besitzenden überkommen hatte, in der ersten Hitze alle Unterhandlungen abbrach.

Nun saß er fest. Jeden Tag kam eine andere Forderung, Mahnung, Drohung. Wäre die Wirthschaft im alten guten Geleise fortgegangen, die Posten hätten sich nach und nach wohl begleichen lassen. Aber mit des Zlabinger's mörderischer Konkurrenz auf der einen und den ganz nutzlosen Bauschulden auf der andern Seite verlor Florian Noderer den Gleichmuth.

Er war wohl ein mit Recht angesehener Mann. Aber der Reichthum des Böswirthshauses lag in liegenden Gründen, in Feldwirthschaft und Viehstand. Sein Stolz war es gewesen, zu dem, was der Heimgegangene hinterlassen, neue Wiesen und Felder zu kaufen und darauf hinzudeuten, daß er fast ebensoviel dazu erworben, als der alte Böswirth seiner Zeit besessen.

Sollte er jetzt anfangen, vom Grundeigenthum zu verkaufen, zu einer Zeit, wo Keiner fragen kam, jetzt, wo mehr als ein Bauer seine Habe leichtfertig losschlug, um nach der Stadt zu ziehen, jetzt, wo verkaufen nicht viel besser war als verschleudern?

227 »Ich find' mich nit draus!« rief er am Schlusse seiner langen Rede. »Aber Schand' will ich nit verleben. Ich bin nit umsonst Soldat g'wesen. Eh' ich der Urschi mit dem Armensünderg'sicht unter d' Augen tret', schlag' ich mich lieber ganz bei Seit'. Nix für ungut, aber es haben schon Bessere, als ich bin, ein' bleierne Kugel g'schluckt. Nachher werden's schon ohne mich Rath finden.«

»Na, na, es wäre doch gescheidter, bei Lebzeiten selber Rath zu finden. Die Arbeit, die Einer mitten drin verläßt, wird von Anderen selten zu seinen Ehren vollendet.«

»Gescheidt gered't! – Aber wissen Sie Einen, der mir hilft?« sagte Florian mit dem Hohn eines Verzweifelnden. Der alte Praktikant war ihm nur als Stammgast und Freund seines Zutrauens werth gewesen. Daß der Hülfe leisten könnte, daran hatte er nicht gedacht. Hätte er daran gedacht, die falsche Scham würde ihn gehindert haben, dem Mann ein so rückhaltloses Geständniß zu machen. In seiner Beichte hatte keinerlei eigennützige Absicht mitgesprochen. Daß Eisenhut Ersparnisse besaß, wußte außer dem Pfarrer Niemand. Von dem Verkauf des Distelfeldes hatte Noderer wohl gehört, aber in Berichten, so märchenhaft übertrieben, daß er an die ganze Geschichte nicht glaubte. Eisenhut selber war keiner von den Mittheilsamen und Noderer hielt das Ausfragen seiner Gäste für unschicklich.

Um so heftiger erstaunte er jetzt, als sein Tischgenosse ihm die Frage hinwarf, wie viel er denn brauche, um der Verlegenheit überhoben zu sein. Unwillkürlich fing seine 228 trockene Zunge zu lallen an und es kostete Mühe, bis er das fatale Wort herausbrachte:

»Zehn bis elftausend Gulden.«

»Au weh!« sagte Max, »da fehlt viel! Ich kann nicht Alles geben, was ich habe. Wir sind alte Freunde und Sein Haus, Florian, war mir in diesen achtzehn Jahren etwas wie ein Stück Heimat. Ich bin Ihm und Seiner Frau besondern Dank schuldig . . .«

»Ja, aber Herr Eisenhut!« stammelte der Wirth und schlug mehr noch vor Rührung als vor Staunen die Hände zusammen.

»Nur Geduld! Das Unangenehme kommt noch. Das heißt, unangenehm ist's nur für Ihn, nicht für mich. Er ist ja keine Charfreitagsratschen, Er plaudert nix aus . . .«

»Bei Gott nicht!«

»Nun also. Ich soll demnächst angestellt werden. Anderswo als hier. Ich brauche ein Stück Geld in die Hand zum Umzug und zur Einrichtung und – lieber Noderer! . . . Aber den Finger auf den Mund! Heirathen will ich auch!«

Noderer wäre vor Erstaunen fast von der Truhe gefallen. Ueber der Mittheilung vergaß er einen Augenblick seinen eigenen Gram und eine ehrliche Thräne lief ihm über die gebräunte Backe.

Eisenhut fuhr fort:

»Unter anderen Umständen hätt' ich gerade so viel als Er braucht. So aber . . . nun, so muß es in Gottes Namen mit der Hälfte langen. Schau' Er zu, wie Er den Rest aufbringt anderswo.«

229 »Ach, dafür wird Rath werden!« rief Noderer, leichtsinnig vor Glück wie jeder Schuldner, der im Moment der Noth den schwersten Stein von der Brust gewälzt fühlt.

Sie redeten weiter nicht viel mit einander. Der Wirth drückte nur immerfort die Hand des Praktikanten, die er nicht losließ, bis dieser auf der Straße war. Wer weiß, ob er sie auch dann schon losgelassen hätte. Aber Eisenhut mahnte ihn, daß es höchste Zeit sei, wenn er seinen Bankier noch daheim im Pfarrhofe finden sollte.

Der Wirth konnte sich noch lange nicht fassen über all' das, was er in so kurzer Zeit gehört hatte. So lang' er den alten Praktikanten noch in der Dorfgasse gehen sah, war er ganz wie von Freuden übergossen. Sowie jener aber um die Ecke, war auch dem Wirth der Trost wieder genommen.

Der alte Praktikant sollte Geld haben? Das war schon überraschend. Aber daß Einer von freien Stücken und in allem Ernst seinem Nebenmenschen ein Darlehen anbieten sollte und gar in dem Betrage, das war vollends unglaublich.

Das angeborene Mißtrauen des Bauern gegen Jedermann und gegen den Städter insbesondere regte sich immer peinlicher in seinen Gedanken. Es war ja dem Noderer nicht immer freundlich ergangen im Leben, und nach seinen Erfahrungen glaubte er leichter an die Hartherzigkeit der Menschen, als an unverhoffte Güte.

Den hülflosen Philosophen fand endlich sein Weib in 230 nicht viel besserer Verfassung am Pfosten des großen Thores lehnen, als ihn Eisenhut eine Stunde früher gefunden hatte.

Mann und Weib sind Ein Leib! meinte Florian. Nachdem er erst jüngst so empfindlich zu Schaden gekommen war, weil er seiner gescheidten Urschi die eigenen Pläne verheimlicht hatte, so dachte er heute um so weniger daran, daß Eisenhut mit dem Verbot, das Anvertraute auszuplaudern, auch seine eigene bessere Hälfte habe ausgeschlossen wissen wollen.

Die kluge Urschi sagte kein Wort und verrieth bei den überraschenden Neuigkeiten weder ihre früheren, noch ihre jetzigen Gedanken. Nur als der kleingläubige Florian die schöne Geschichte mit der Versicherung schloß, daß hier überm Moos, wie überall in der Welt, wo Einer in Noth wäre, sieben Freunde auf ein Loth gingen und es sich zeigen werde, daß auch der alte Praktikant nur solche Rederei gemacht hätte, um rascher von ihm loszukommen, da sagte Frau Ursula streng:

»Wenn er's gesagt hat, dann wird er's auch halten!« Sie kannte die Menschen besser.

Von der Minute an hob sich auch des Florian Zutrauen; er legte sich sehr vergnügt zu Bett – viel vergnügter, als Max Eisenhut selber, dem der treffliche Pfarrer Johann von Gott Brettschneider den ganzen Abend gar grausam in's Gewissen gepredigt hatte über so unerhörten Leichtsinn.

Am andern Morgen stand aber doch der Leichtsinnige wieder fröhlicher auf als der Schwermüthige, und auch dieser noch fröhlicher als der Pfarrer, dem der Abschied von den 231 so lang und so gut verwalteten Summen nicht wenig die Galle erregte.

»Wie gewonnen, so zerronnen!« sagte er ein über's andere Mal und: »Wer den Löffel nicht halten kann, dem setzt man umsonsten Suppe vor!«

Obwohl der andere Tag ein hoher Festtag war, ließ sich's der Pfarrer doch nicht nehmen, vor Tische selbst zum Florian zu gehen und das Geschäft in Ordnung zu bringen. Dem vertrackten Eisenhut war es zuzumuthen, daß er das viele Geld mir nichts dir nichts auf den Tisch warf, ohne ein Fleckchen Papier oder andere Bürgschaft dafür zu fordern. Da mußte er denn wieder Vormund des großen Kindes spielen.

Und er verstand sich ja auf solche Vormundschaft.

Noch vor dem Zwölfeläuten hatte der Noderer die zugesagte Summe in der Truhe, aber der Pfarrer hatte ein gültiges Schriftstück in der Tasche seiner Sutane, in welchem Florian für das geleistete Darlehen sein Haus an der Bahn verpfändete. Es war diesem nicht schwergefallen, diese Bürgschaft zu gewähren, und der Pfarrer mochte sich damit begnügen. 232

 


 


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