Hans Hopfen
Der alte Praktikant
Hans Hopfen

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VI.

Um diese Sommerszeit kam eine Bewegung eigener Art in's Dorf oder doch in gewisse Kreise des Dorfes.

Der alte Zlabinger machte zwar unten auf seiner neuen Restauration neben dem Bahnhofe ganz gute Geschäfte; er hätte aber nichtsdestoweniger auch oben im Brauhause gern die Stuben voll gesehen. Nun war ihm die alte Kundschaft zechlustiger Bauern und was so drum und dran hing, schon der lieben Neugier wegen nach dem frischen Hause gefolgt, wogegen die besseren Elemente und was man so die Honoratioren nannte, nach wie vor beim jungen »Böswirth« einkehrten. Derselbe war von Haus aus ein freundlicher und mildthätiger Mensch, der den Beinamen seines Schwiegervaters nicht verdiente; aber der Name lag nun einmal auf der Wirthschaft und dem Hause; er mußte ihn sich gefallen lassen, ob er wollte oder nicht. Und er konnte sich ihn gerne gefallen lassen, denn es war ein Name von gutem Klang. Ein Name so viel werth wie Baargeld und Sicherheit für rechtschaffenen Empfang aller Gäste. Der Junge 103 machte dem Namen auch keine Unehren. Keller und Küche bewährten ihren alten Ruf. Was ein Wort mit dreinzureden hatte in der kleinen Welt des Dorfes, das fand sich denn auch allabendlich um die eichenen Stammtische ein. Frau Urschi erschien jedesmal nach dem Gebetläuten in der Stube und wünschte guten Abend, fragte, ob Alles wohl bekommen wäre, wie es zu Hause mit der werthen Familie stände und was für morgen angenehm sein würde von jahreszeitgemäßen Speisen. Ja! Hier war Jedermann gut aufgehoben. Seit die Eisenbahn alle Zufuhr erleichterte, hatte die Sorgfalt nicht nachgelassen, ohne daß die Preise darum gestiegen wären. Nach wie vor florirte das Böswirthshaus und selbst aus der Stadt kamen zuweilen an schönen Sommertagen fröhliche Leute, die den alten Ruf der Wirthschaft erproben wollten.

Das Alles paßte nun dem frommen Zlabinger wenig. Er getraute sich leicht, in jedem Stück seinen Nebenbuhler zu überbieten, jenen »hergelaufenen Menschen, der gar nicht einmal zum Gastwirth war geboren worden«. Und überdieß getraute er sich auch noch, einen bessern Schnitt dabei zu machen, als Jener, der nur seine Freude daran zu finden schien, ihm das Geschäft zu verderben.

Zlabinger hatte sich mehr als einmal den Kopf zerbrochen, was er wohl angeben könnte, um sein altes Brauhaus über das Böswirthshaus in die Höhe zu bringen. Er war auch des Oefteren nach der Stadt gefahren und hatte sich mit fachmännischer Gewissenhaftigkeit in allerhand 104 Gastwirthschaften umgesehen, nirgend aber etwas gefunden, was ihm hätte taugen können. Die Neuerungen, welche den Stadtleuten zur Lockung dienten, hätten die Bauern meist abgeschreckt. Polstersitze und lakirte Wände, gedeckte Tische und geschliffene Gläser, verkleinerte Speisen und verdünntes Getränk – für die »Stadtfräck'« mochte das Alles reizend sein, aber einem Wirthshaus hinter dem Moos war damit nicht aufzuhelfen. Blechmusiken, Feuerwerke, Plakate, das lohnte draußen auch die Kosten nicht und zog nur ein- oder zweimal im Jahr.

Oefter als sonst rückte Zlabinger die Zipfelmütze über seinen grauen Haaren herum. Das viele Kopfzerbrechen war ihm sehr zuwider. Aber eines Tages kam er mit ganz anderem Gefühl nach Haus, als wie er fortgegangen war. Er sagte nichts, aber seine Lippen glänzten und seine Aeugelein blinkten, wie wenn sie sichern Gewinn in Aussicht hätten. –

»Na, na, Vater Zlabinger!« rief kurze Zeit später der Forstmeister, dem alten Wirth spaßhaft mit dem Finger drohend und ihn in der Dorfgasse anhaltend: »Was ist denn das für ein G'sichtel, das jetzund bei Dir zum Fenster 'rausschaut?«

»Bei mir?«

That der Zlabinger nicht so erstaunt, als fiele er aus den Wolken!

»Bei mir schaut sich leider gar nix 'raus in dera elendigen Zeit.«

»So? Is das nix, das mit die langen schwarzen Zöpf'? Alter Spitzbub'! Lugenschüppel ab'drehter!«

105 Diese Zärtlichkeiten, die freilich in schalkhafter Herablassung ausgestoßen wurden, kamen dem Gedächtniß des Zlabinger merkwürdig zu Hülfe. Nicht ohne Geringschätzung des Ausdrucks ließ er die Worte fallen:

»Ah! moant der Herr Forstmeister eppa (etwa) die neiche (neue) Kellnerin? Ich glaub', die hat schwarze Haar'.«

»Und schwarze Augen!« rief der Jägersmann, dem tückischen Wirth einen freundlichen Rippenstoß versetzend. »Aber sind die Haar' echt? Dös wirst Du wohl wissen.«

Der Zlabinger wußte das wirklich, denn anderen Tones als bisher, fast preisend, sprach er jetzt:

»Echt! Meiner Seel', die reine Natur! Und stark und kraus wie – wie Roßhaar. Und singen kann das Ding! Das Herz lacht mir alten Mann im Leib und – –« Hier stockte der Fluß seiner Rede. Er sah beiseite, zuckte die Achseln und erst nach einer Kunstpause, in welcher der Forstmeister seinen rothen Schnurrbart dreimal um den Finger gewickelt hatte, fügte er leicht, wie ein an Kränkungen gewöhnter Mann hinzu: »Euch sollt' das Herz schon auch lachen, aber – aber Ihr müßt's ja ein'n Abend wie den andern bei der Frau Noderer hinter'm Ofen hocken. 's is g'rad', als ob Jeder sein'n Steften (Stift) dort hätt', in den er nach'm Gebetläuten eing'hängt werden muß.«

»Was nit gar! Ich werd' schon einmal bei Dir einkehr'n die Tag'.«

»Wird mir eine große Ehr' sein, Herr Forstmeister!«

106 »– – Is's wahr, daß die neu' Kellnerin bei Dir so schön singt?« sagte der Herr Pfarrer Johann von Gott Brettschneider zwei Tage später zum Zlabinger.

»Wahr is's, Hochwürden!« antwortete der fromme Wirth und nahm gleich die Zipfelmütze zwischen beide Hände. »Sie sollten auch einmal kommen und den Vogel pfeifen hören. Meiner Six, es is der Müh' werth und kommen jetzt viel Herren des Abends in den Garten. Gestern is sogar der Herr Graf vom pretschenhäuser Schlössel 'rüberg'fahren, um's Dirndel singen z' hören. Mit noch drei so hohe Herren is er kommen. Ja. Und die haben 's Katherl weiter nit g'lobt! Am Sonntag soll's gar dem Landrichter was vordudeln. Sollt'n sich auch einmal den G'spaß machen, hochwürdiger Herr, 's is ein gar zu nett's Ding!«

»Schon richtig, Zlabinger. Aber was man so wispern hört, da geht's nit alleweil zum Feinsten mit dem G'sangel zu. Aus einem sanften Schnabel kommen oft recht unsaubere G'späß'. Wenn 's wahr ist, daß die Mamsell ihre G'stanzeln (Strophen) gar so verpfeffert auftragt, dann hätt'st Du's g'scheidter dort g'lassen, wo der Pfeffer wachst, statt daß Du Dein' alte Wirthschaft mit solch' ein'm Früchtel aufz'richten unternimmst! Verstand'n?«

»Ja was is dös, hochwürdiger Herr? G'wiß wieder so ein Tratsch von denen Noderer'schen. Hab'n die 's nöthig, sich das Maul zu zerreißen, weil jetzunder auch noch in meiner Herrenstub'n die Lichter ankennt (kennten – zünden) werd'n? Sind halt fuchswild, weil ein paar von die 107 Stammgäst' es auf einmal just beim alten Zlabinger lustiger finden. Muß man denn Alles allein ausnutzen wollen? Soll man nit christlich sein'n Nebenmenschen auch's Leben vergunnen? Ich bin das schon g'wöhnt . . . Aber dös arme Madel! Was thut's denn Schlimms? Rein gar nix! Das bisserl G'sang wird keine arme Seel' in's Fegfeuer singen, g'schweige gar in d' Höll'! Ich bitt' Ihnen um Gottes willen, was singen nit unsere Burschen alles daher! Und haben der Hochwürdige schon Ein'm von denen wegen ein'm Schnaderhüpfel im Beichtstuhl die Absolution verweigert?«

»Kommt erst d'rauf an . . . Und was ein'm Buben hingeht, dös schickt sich noch lang für kein Madel. Da ist ein Unterschied.«

»Freilich! ist auch noch kein Madel auf eine Kanzel g'stiegen zum Predigen. Sonst schicket' sich wohl wieder für uns viel nit, was ihnen erlaubt wär'.«

»Zlabinger!«

»Nix für ungut, hochwürdiger Herr, ich bitt' schön um Verzeihung. Aber soll Ein'm denn nit die Gall' überlaufen, wenn Ein'm der leidige Brodneid das Haus verschreit und selbst der gute Hirt . . .«

Zlabinger that, als ob er nasse Augen hätte und, um nicht in unziemliches Fluchen auszubrechen, lieber gar nicht weiterspräche.

Der gute Pfarrer sah es nicht ohne Mitleid.

»Hm, hm. Ich werd' schon selber zuhören müssen. Vielleicht heut' Abend, Zlabinger!«

108 »Gott sei Dank! Hochwürden, kommen S' nur g'wiß und b'stimmt. Es wird mir schon die allergrößt' Ehr' sein . . .«

*

– – Wieder fünf Tage später traf Eisenhut auf den frommen Wirth, der nun auf dem Hin- und Rückwege vom Bräuhaus zur Bahnhofrestauration recht häufig ober- oder unterhalb des Berges zu begegnen war. Hatte Eisenhut nicht den Wirth was fragen wollen? Richtig, er besann sich.

»Sag' einmal, Zlabinger, singt Deine Nachtigall nur immer vor alten Herren?«

»Aber Herr Praktikant, wie können's denn glauben?«

»Ich glaub' gar nix. Aber die Leut' sagen, Abends wimmelt's nur so von Grauköpfen in Deiner Stub'.«

»O beileib! 's sind schon auch blonde und braune Köpf' drunter! G'rad' g'nug! Es fehlt nit an Gästen aller Art. Selbst Hochwürden der Herr Pfarrer waren schon da, wenn auch nur im Nebenzimmer. Aber der Herr Rentamtmann, der Forstmeister, ja sogar Gnaden der Herr Landrichter erscheinen bereits jeden Abend. Nur der Herr Praktikant haben sich noch mit kein'm Aug' blicken lassen. Freilich bei der Frau Noderer –«

»Unsinn! Mir sind die vielen Leut' und die vollen Stuben zuwider. Und gar im Sommer. Man soll ja oft des Abends keinen Apfel bei Euch auf den Boden werfen können, so voll ist's.«

»Wär' schon gut! Wahr is's, Abends geht's G'schäft 109 – aber müssen's denn g'rad' erst spät Abends kommen, Herr Praktikant?«

Zlabinger lächelte schlau und ergeben. Auch Eisenhut mußte lachen: »So eine Nachtigall singt ja nur bei der Nacht.«

»Was nit gar! Ich glaub', der Vogel singet' am allerschönsten, wenn Sie kamen – und kamen's noch so früh am Tag, so früh meintwegen, daß d' Sonn' noch gar nit auf'gangen wär'!«

»Zlabinger!«

»Nix für ungut, Herr Praktikant! Bitt' um Entschuldigung. Aber schauen's: Für uns alte Kraxler singt das junge Madel ja überhaupt gar nit. Da schreit's bloß, schreit vor Langerweil'. Wenn aber so ein junger schöner Herr, wie Sie, daherkäm', da sollt' ihr's G'sangel anders von Herzen geh'n! Mir ist ja die Kathi der reine Segen in's Haus. Ich trag's auf den Händen. Was hilft's? Nix! Sie will mir nit bleib'n. Um kein'n Preis der Welt! Sie langweilt sich z' Tod, sagt's. Nu ja, ich begreif's. So ein wild's, unruhig's Blut will was Bessers vom Leben, als auf'm Dorf wachst. Hat ja auch schon was Anders g'seh'n und mitg'macht. Is auch was Besser's werth. Ja! . . . Was ich sagen wollt'?«

»Daß es dann gerathen wäre, den Schatz nach der Stadt laufen zu lassen.«

»Nach der Stadt? . . . Ei beileib nit! . . . Geht auch nit an! . . . Wissen's: das gute Madel hat drin so ein'n 110 Anstand g'habt. Ich glaub', man heißt's: mit der Polizei. Alles von wegen ihrem schönen Singen. Ja! Und von wegen dem feinen Sinn, der oft so in den Vers'ln drinliegt. Darum haben sie's halt chikanirt. Wird auch Brodneid dahinter g'wesen sein. Sie ist froh, daß sie außer der Stadt ist – in der heißen Sommerszeit. Und ich bin froh, daß sie bei mir ist. Ganz ein anders G'schäft jetzt. G'wiß und wahrhaftig! Aber schon ganz anders! . . . Der Herr Eisenhut sollten sich's nur einmal mit anhör'n, wie flott und fidel 's manchmal bei uns hergeht. Ich weiß's g'wiß, Sie kemat'n ein' Oeften (sehr oft) und ich . . . na, mir war's das reine Glück in's Haus. Zum fröhlichen Singen g'hört ein lachates Herz und so ein Herz von so ein'm Madel ist halt wie so ein Uhrwerk. 's will alleweil wieder frisch aufzog'n werd'n . . .«

»Zlabinger!«

»Was befehlen's?«

»Er ist ein Narr!«

»Wie Gott will, Herr Praktikant, wie Gott will!«

Der alte Schlaukopf sah dem ärgerlich Davongehenden lächelnd nach, als wollt' er sagen: Gar zu lang werden wir wohl auch auf Dich nicht mehr zu warten haben! Dann schlich er des Weges weiter, sich stillvergnügt die Hände reibend, wie es so seine Gewohnheit war. 111

 


 


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