Hans Hopfen
Der alte Praktikant
Hans Hopfen

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II.

So ganz ohne Nachwirkung auf den Gleichmuth seiner Seele war der heutige Morgen denn doch nicht an Eisenhut vorübergegangen. Mehr als einmal hatte – anfangs ganz leise, dann immer dringlicher – der Gedanke bei ihm angeklopft: Wenn die neue Zeit dir das Bleiben in alter Stellung unmöglich oder auch nur unleidlich machen sollte, welche Veränderungen würden dir deine Ersparnisse gestatten? Wenn es sich darum handelte, einen andern abgelegenen Ort, vielleicht im Hochgebirge oder im bayerischen Wald, aufzusuchen, oder wenn es hieße, für eine bessere Stelle zum Anfang Opfer bringen, besitzest du so viel, daß du überhaupt damit rechnen kannst?

Er wußte es nicht. Der Sorglose lachte von Herzen, daß er sich mit einem solchen Gedanken abplagen sollte. Hatte er doch kaum einmal daran gedacht, daß er überhaupt Ersparnisse mache. Da spürte man schon den unbequemen Einfluß der neuen Zeit.

31 In später Nachmittagsstunde zwischen seinen vier Wänden kam der Gedanke, den er während der Bureaugeschäfte immer abgeschnauzt hatte, so zudringlich, daß er ihm gerecht zu werden beschloß. Auf dem Wege zum Wirthshause wollte er im Pfarrhof anklopfen, denn der Pfarrer war sein Bankier. Der hochwürdige Herr verstand mehr von Geldeswerth und Geldangelegenheiten als der Praktikant mit seinem weltlichen Leichtsinn und seiner bedürfnißlosen Philosophie. Eine sechzehnjährige Freundschaft verband ihn mit dem alten Gottesmann, der ihm als Verwalter und Mehrer seiner Pfennige ebenso überlegen war, wie der Pfarrhof sich besser zur Aufbewahrung werthvoller Gegenstände eignete als die unbeschützte Klause, die der Rechtspraktikant bewohnte.

Dieselbe lag zwar in der Umzäunung des Hofgartens und sozusagen im Schatten des königlichen Landgerichtes. Aber die Thore des Hofgartens wurden des Nachts nicht geschlossen und das kleine Häuschen befand sich nicht im Zusammenhang mit dem Hauptgebäude. Ein Theil des Gartens mit Beeten und Bäumen lag dazwischen. Nur im Winter, wenn von den Zweigen der grüne Vorhang gefallen war, sah man von einem zum andern.

Das Häuschen, das nur eine Stube und eine winzige Küche enthielt, mochte früher einem der Thorwärter, vielleicht auch einem Gärtnergehülfen oder Wächter bestimmt gewesen sein. Nachdem es seit unvordenklicher Zeit ledig und leer gestanden, hatte der neue Landrichter, um sich freundlich zu 32 erweisen, es wohnbar machen lassen und dem ebenso nützlichen wie anspruchslosen alten Praktikanten als Amtswohnung und Gratifikation angeboten.

Es war eine geräumige, behagliche Stube, freundlich und eingewohnt, wenn auch schlicht und schmucklos. Das Hausgeräth halb bäuerisch, halb bureaukratisch. Klobige Schemel und Tische. Im Winkel eine alte Schnitzerei, den Täufer Johannes vorstellend. Teller auf einem Simse, auf dem Fensterbrette die Verordnungsblätter und Seuffert's Kommentar. An der Wand ein ausgedienter Mensurschläger, vier oder fünf Jagdflinten, ein halb Dutzend ausgebälgte Raubvögel und etliche andere Trophäen, die aus dem Walde stammten. Eine Wildlederdecke über dem Bett, ein paar Fuchspelze auf dem blankgescheuerten Estrich. Einige Photographieen, ein gutes Jagdbesteck, ein neuer Revolver lagen hübsch geordnet vor dem Bücherbrett auf dem Schubkasten. Waren Waldmann und sein Herr daheim, so fehlte es nicht an Wache und Waffen, jedem Dieb einen Besuch zu verleiden. Aber die Beiden waren außer um Schlafenszeit nur selten zu Hause, und wollte ein Eindringling die Schlösser an den Thüren schonen, so brauchte er nur eine Scheibe an dem niederen Fenster einzudrücken.

Darum mußte Eisenhut zum Pfarrer gehen, wenn er mit dem Gelde, was er sich bei seiner Lebensweise zurückgelegt, Zwiesprach pflegen wollte.

Eben fuhr er mit den Hemdärmeln in seine Joppe, als es an seiner Thüre klopfte. Besuch war ungewohnt.

33 »Herein!« sagte er, erwartungsvoll mitten in der Stube stehen bleibend.

»Grüß' Gott, Herr Praktikant!«

»Grüß' Gott, Vater Bartel! Was bringt denn Sie zu mir?«

Der hagere Krämer hielt es nun weder für höflich, noch für nützlich, sogleich mit der Sprache herauszurücken. Er scharrte mit den Füßen, lächelte und verbeugte sich, kratzte sich am Kopf und redete von tausenderlei Dingen, die zu erwähnen er sicherlich nicht zu Eisenhut gekommen war.

Endlich zum Sitzen genöthigt, zog er ein flaches Glasfläschchen hervor, wie es den Bauern als Schnupftabakdose dient, schüttete von seinem »Schmalzler« bedächtig eine große Prise auf die dreieckige Hautfläche zwischen dem Knöchel des Daumens und des Zeigefingers und, nachdem der Praktikant für die Theilnahme an diesem Genuß wiederholt gedankt hatte, zog der Alte diese wohlriechende Mischung von Brasiltabak, Kalk und Schmalz mit allen Grimassen der Kennerschaft und der Verlegenheit in seine Nase. Niesen, Schnauben, Zusammenfalten des Taschentuchs, allerhand Spiel mit dem Tabakfläschchen und endlich die oratorische Frage: »Ja, wessentwegen ich halt eigentlich kommen bin?« Große Pause. Dann nach einigem Besinnen ein verbindliches Lächeln, das sich endlich in die Worte auflöst:

»Wissen's wos, Herr Praktikant? Sie kunnten mir eigentlich was verkaufen. I ja!«

Eisenhut staunte nicht wenig.

34 »Ich Ihnen?«

Der alte Krämer nickte. Der Andere ließ die Blicke über seine geringen Habseligkeiten schweifen. Ein Strahl der niedergehenden Sonne, der durch's Fenster sah, weckte auf den Flintenläufen kleine, blinkende Lichter. Sollte der Bauer ein Schießgewehr aus zweiter Hand erstehen wollen? dachte der Praktikant und etwas ungeduldig fuhr er heraus:

»Legen Sie los, Bartel! Frisch von der Leber weg! Was können Sie denn von meinen sieben Zwetschgen brauchen?«

»Zwetschgen? hihihi!« kicherte der hagere Bauer, »nein, Zwetschgen wachsen keine drauf. Es wachst überhaupt nix drauf als Distelköpf' und Unkraut. Die paar Fichtenstämmerln sind net furtkema. Es is ja net viel Gedeihen drauf. A G'lump, weiter nix! Und drum moan' ich, Sie können's billig ablassen.«

»Was denn?« rief Eisenhut.

»Na, dös Stückel Grund hinterm Wald, was ja wohl Ihnen g'hört.«

»Mir? Grund und Boden? Was schwätzt der Herr Bartel da für Zeug daher?«

»Ja g'wiß und wahrhaftig! Es g'hört Ihnen! Viel is's freilich net. A G'lumpet, wie g'sagt. Aber Ihnen g'hört's. Auf'm Rentamt drin bin ich's selber erst inne worden. Hätt' sonst 'glaubt, es g'höret auch schon mein. No und wenn Sie's selber nimmer wissen, können Sie's ja um so leichter verschmerzen.«

35 Der Bauer stand auf, steckte, ohne dem Andern in's Gesicht zu sehen, die hagere Hand in die Tasche, und indem er die Kronenthaler darin unter seinen Fingern klingen ließ, rief er so treuherzig und wohlwollend als es ihm nur möglich war:

»Na alsdann . . . wie viel?«

»Sind Sie bei Trost?« sagte Eisenhut. »Oder wie ist mir denn? Sie meinen doch nicht etwa . . .«

»Na g'wiß! Die alte Aufhütten? (Vogelhütte, Auf = Nachteule.) Ja, die mein' ich. Is freilich kein Auf und keine Hütten mehr zum sehen! Selber die Bretteln haben die Waldleut' vertragen. Aber s' Fleckerl im Wald g'hört halt doch noch Ihnen.«

Der junge Mann erinnerte sich nun, daß er in der That einmal vor zwölf oder vierzehn Jahren um einen Spottpreis von einem Bauern ein Stück wüstes Feld erstanden hatte, zwischen Wald und Ackerland gelegen, brüchig, mit Dorngestrüpp überwuchert und mit Steinen besäet. Er hatte nach Landesgebrauch in dieser Lichtung eine Vorrichtung machen lassen, auf der ein »Auf« allerhand Geflügel anlockte, das dann schußgerecht vor die Flinte des in einer nahen Hütte im Walde verborgenen Jägers kam. Seine Passion hatte sich nicht allzu lange bei dieser Art von Jägerei aufgehalten. Sein Pirschgang hatte ihn über ein Jahrzehnt nicht mehr an diesen Fleck geführt. Die Eule war lange todt. Von dem Hüttchen kein Brett, kein Nagel mehr zu finden. Eisenhut selber hatte nicht im Schlafe mehr daran gedacht, daß dieß Fleckchen unnützen, steinigen Bodens sein Eigenthum, 36 und konnte auch jetzt nicht glauben, daß es überhaupt mehr als eine Maß Bier werth war.

Er mußte laut auflachen, als ihm der alte Bartel endlich mit aller Mühe die Aufhütte in's Gedächtniß zurückgezaubert hatte, und die erste Regung, die er empfand, drängte ihn zu dem Ausruf: »Den Schmarren können Sie meinetwegen –« Er wollte sagen: »umsonst haben!« Aber ein eigenthümliches Aufblitzen in den Geieraugen des habsüchtigen Krämers und ein plötzliches Wiederauftauchen der Gedanken, die sich heute so oft bei ihm eingeschlichen, ließen ihn die Phrase nicht vollenden. Wollte er nicht wissen, wie viel er besitze? Viel konnt' es Alles in Allem nicht sein. Aber um so weniger war er berechtigt, ein bischen von dem Wenigen muthwillig zu verschleudern. Und wenn das Feld wirklich nichts werth war, warum wollte der geriebene Schlaukopf, der nur seinem Vortheil nachging und keinen Kreuzer um Gottes willen, geschweige gar aus Leichtsinn wegwarf, warum wollte der Bartel es für Geld erwerben! That er doch so umständlich und manierlich, daß man merken mußte, es war ihm daran gelegen und gar nicht wenig daran gelegen.

Er grinste denn auch, wie er den Eigenthümer stutzen sah, und drängte: »Na na, was is denn jetzt nachher mit dem Schmarren?«

Lebt Einer sechzehn Jahre unter Bauern, so gewöhnt sich auch der Unvorsichtigste an etwas mißtrauische Vorsicht. Je harmloser die Mienen des Kauflustigen wurden, desto ernsthafter erschien dem eingefleischten Jagdliebhaber sein 37 vergessenes Besitzthum. Je geringschätziger Bartel das Stückchen Feld in seinen Worten behandelte, desto größer dehnte es sich in der Phantasie des Eigenthümers aus! Eisenhut wollte von einem Verkauf nichts mehr wissen, eh' er das Land noch einmal in Augenschein genommen hätte.

Darum war es nun dem habgierigen Krämer offenbar nicht zu thun. Als sein gutmüthiges Zureden gar nichts fruchtete, beging er die Unvorsichtigkeit, ein Angebot zu machen, das an sich zwar nicht gar hoch, doch aber die geheime Werthschätzung des Praktikanten in so ungeahntem Maß überstieg, daß dieser die Wichtigkeit, welche der Besitz des Grundstücks für seinen Besucher hatte, nicht mehr verkennen konnte.

Um die Ursache dieser wunderlichen Sehnsucht nach so verächtlichem Gut gefragt, gab der Bauer nicht mehr zu, als daß Feld und Wald links und rechts längst an ihn gekommen wären, und daß es nur folgerichtig und vernünftig wäre, wenn er dieß fremde Inselchen mitten in seiner liegenden Habe gleichfalls in seine Bewirthschaftung aufgehen ließe. Wozu, so fragte der Bauer dagegen, sei es denn dem Praktikanten nütze, der es brach liegen und verkommen lasse?

Der meinte lachend, um wieder einmal eine Aufhütte hinzustellen, wenn ihm die Laune käme.

Das empfand Bartel wie Hohn und Spott, und was in ihm schon lange verhalten kochte, der Aerger, spritzte nun in groben Worten über seine Zunge. Eisenhut sollte sich's nicht etwa beikommen lassen, in seinem Wald eine Flinte anzulegen, wenn er ihn nicht von einer herben Seite kennen lernen 38 wollte. Sein Wald und sein Feld seien zu was Besserem da, als den Jägerlaunen der Herren vom Landgericht zu dienen, und dergleichen mehr. Darauf wies ihm Eisenhut die Thür. Und ob auch der Jähzornige flugs seiner Thorheit gewahr ward und emsiger als vordem bat und bettelte, der Andere wollte nichts mehr hören und schob den Zudringlichen unbarmherzig über seine Schwelle.

Aber auch außerhalb der Stube wollte sich Bartel noch nicht ganz abgewiesen erachten. Der Herr Praktikant sollte ihm wenigstens versprechen, mit ihm das Feld heimzusuchen. Er wollte morgen, früh oder spät, wann immer es der gnädige Herr beföhle, seinen Wagen anspannen lassen und ihn dahin begleiten, dieweil er ihm noch gar so viel über die Sache zu sagen hätte. Selbst nachdem Eisenhut seine Hand aus der zähen Umklammerung Bartel's losgemacht und ihm die Thür vor der Nase zugeschlossen hatte, ließ dieser noch nicht ab zu klopfen und zu zetern. Darüber ward Waldmann mit Fug sehr ungehalten und so entstand ein Heidenlärm: der Hund bellte, der Bauer schrie immer lauter und Eisenhut lachte dazu, daß die Wände schallten. Endlich des Scherzes müde, nahm er das erste beste Buch, seine Ungeduld zu täuschen, der Bauer ging wüthend davon und Waldmann schlich knurrend und die Ohren schüttelnd unter den Stuhl, in dem sein Herr den Schluß des Duetts erwartet hatte. 39

 


 


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