Hans Hopfen
Der alte Praktikant
Hans Hopfen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.

Ehe man sich's versah, war der Stammtisch beim Böswirth ziemlich entvölkert. Der Eine und Andere kam wohl noch so ein paar Mal in der Woche »schandenhalber!« und auch von denen wußte man's nicht genau, ob sie auf dem Heimweg nicht noch »für eine Stehhalbe« beim Zlabingerbräu einkehrten und die schöne Kathi noch um ein G'stanzel baten. Der wohlbeleibte Vater Florian ließ sich solche Treulosigkeit seiner Gäste nicht merklich anfechten. Er lehnte unter der Thüre, rauchte vielleicht des Tags ein Pfeifchen mehr und sagte zu seiner Frau nichts als: »Sie werden schon wiederkommen. Aller Schwindel vergeht. Nur ehrlich währt am längsten!«

War es dem Praktikanten Eisenhut um Einsamkeit zu thun, so konnte er seiner Laune jetzt genügen. Wenn der Herr Noderer sich nicht selber zu ihm setzte, um ihm die Zeit zu vertreiben, so blieb er bei allen Mahlzeiten allein. Die Mahlzeiten selber freilich gewannen noch an Güte. Der einzige Getreue mußte von einer so gefühlvollen Köchin, wie 112 Frau Noderer war, doch ausgezeichnet und belohnt werden. Frau Urschi nahm die Felonie der Honoratioren nicht so leicht hin wie ihr philosophischer Gemahl. Die Herren sollten nur wiederkommen, wenn sich die Mode wieder gewendet hätte, sie sollten den Unterschied schon merken. Der »brave, liebe, gute Herr Eisenhut« aber, der speiste derweilen wie ein König!

Schade nur, daß sich der treffliche Noderer bemüßigt hielt, Eisenhut so viel als möglich Gesellschaft zu leisten. Solches achtete Jener für ein Gebot der Artigkeit gegen den einzigen Stammgast. Da aber auch ihm der Mund davon überfloß, wovon das Herz voll war, so redete er einen Tag wie den andern das Nämliche, also meist vom Zlabinger, von dessen häßlichem Charakter und dessen hübscher Kellnerin.

Das war langweilig. Und noch ein Uebelstand war dabei. Wenn das Essen durch Frau Ursula's dankbare Sorgfalt immer schmackhafter, so wurde doch das Bier immer ungenießbarer, denn es währte nun mehrere Tage, bis die wenigen Mäuler ein Faß leergetrunken hatten, und in der Zwischenzeit stand der Rest ab, so daß eine gewisse Gesinnungstüchtigkeit dazu gehörte, nichtsdestoweniger das schale Zeug zu vertilgen.

Man muß es Herrn Noderer lassen, daß er das Menschenmögliche that, um den Prozeß zu beschleunigen und dem alten Praktikanten so rasch als thunlich zu frischem Getränke zu verhelfen. Sein schweigsamer Aerger erleichterte ihm die Mühe. Aber so ein Schlingeschlund war er denn doch nicht, 113 daß er jeden Tag oder auch nur jeden zweiten und dritten sein Zweieimerfaß hätte hinter die Halsbinde bringen können. Auch nicht, wenn ihm Herr Eisenhut tapferer geholfen hätte, der leider seit einigen Wochen nicht mehr bei Durst und Laune war.

Der sachverständige Wirth war ehrlich genug, um diesen Zustand und den Heroismus des alten Praktikanten vollauf zu würdigen. Seine Achtung für denselben steigerte sich von Tag zu Tag. So oft sich Eisenhut eine frische Halbe einschenken ließ, nahm der Wirth sich eine frische Maß. Mehr konnte er auch nicht thun. Aber wäre die Ehre nicht auf dem Spiel gestanden, der eigene Stolz und die Liebe seiner Frau – so wär' er selber zu seinem Nebenbuhler Zlabinger hinübergegangen, wo es hurtig und frisch vom Zapfen rann. Und im Stillen dacht' er, der alte Praktikant müßte viel zu denken haben, weil er nicht auch schon auf derlei Gedanken verfallen war.

Eines Nachmittags aber, da es eine solche Hitze hatte, daß sie auf dem Notariatsbureau in Hemdärmeln schrieben und ihnen nichtsdestoweniger der Schweiß von den Stirnen auf's Stempelpapier fiel, da machte Eisenhut früher Feierabend als gewöhnlich, ging heim und legte sich wider Gewohnheit im Schatten seines Häusleins unter Gottes freiem Himmel zum Schlafen auf eine Bank.

Im Traume war ihm, als hörte er starkes Klopfen. Just solch' Klopfen, als wenn man den Zapfen aus dem 114 Spundloch schlägt. Er sprang jählings auf und sprach im Halbschlaf, die Augen reibend: »Wird frisch angezapft?«

Aber der Traum hatte ihn geäfft. Ringsum war Alles sommerlich still und trocken im hohen Hofgarten, die Linden dufteten, die Mücken tanzten in der Sonne und die Blumen wiegten sich an den langen Stengeln, als wär' auch ihnen der Hitze Last zu schwer. Ab und zu surrten Käfer an seinem Ohr vorbei. Dann schlug ein Specht über ihm an einen Baumstamm und aus der Ferne hörte man einen Kukuk rufen.

Bei dem Kukuksruf fiel ihm seine alte Vogelhütte in den Sinn und wie lang er nicht mehr nach der Villa Distelfeld gegangen und wie lang er nicht mehr nach der Moosrainerin gefragt. Es that ihm leid, aber es machte ihn heute nur gähnen. Als sich der Kukuk wieder hören ließ, fing er an ihm nachzuzählen. Darüber wär' er beinahe wieder eingenickt. Er wollte das nicht. Er mochte die Leute nicht ausstehen, die am Tage schliefen. Er sprang auf die Füße und ging bergab. Der Schlaf war weg, aber ein empfindlicher Durst plagte ihn dafür.

Zum Böswirth! Er schauderte im Gedanken, wenn er an den braunen Saft dachte, den er gestern wie vorgestern sich eingequält hatte. Nur nicht von dem jetzt! Er rechnete nach. So leid ihm's that, er fand die Gewißheit, daß vor morgen Abend kein frisches Faß aus dem Keller gezogen werden konnte. Für heute gab's dort keine Rettung.

Ueber diesem Berechnen und Erwägen war er mitten in's 115 Dorf und, er wußte selbst nicht wie, vor des Zlabinger's Bräuhaus gekommen. Er schirmte das Auge vor der Sonne mit der Hand. Drüben lag das Haus im kühlen Schatten. Es lag so still mit offenen Fenstern, als schliefen drin alle Menschen und Thiere. Nur die Wanduhr hörte man aus der großen Stube ticken bis auf die Straße heraus; so still war's drinnen.

Am letzten Fenster saß ein Mädchen, die Stirn über einen Strumpf geneigt, an dem sie mit emsigen Fingern strickte. Die Finger waren auffallend weiß und fein. Schwerlich, daß noch zehn so weiße, so feine auf dem Dorfe zu finden sein mochten. Stricken schien die gröbste Arbeit, daran sie gewöhnt waren.

Jetzt fiel der Vornübergebeugten ein Zopf auf die Hand. Ein nicht allzu langer, aber außergewöhnlich starker schwarzer Zopf, schwer genug, daß er die Finger bei der Arbeit stören mußte. Unwillig warf das Mädchen mit der Hand ihr Haar in den Nacken zurück, auch den Kopf dabei schüttelnd.

Also emporblickend, sah sie den Mann auf der Straße.

Sie wollte offenbar lächeln wie Jemand, der in holde Verlegenheit geräth. Besann sich jedoch rasch eines Bessern, machte ein trotziges Mäulchen und stand wie eine Zornige vom Stuhl auf. Die Augen aber gingen doch noch einmal zu dem Mann auf die Straße und verweilten sogar recht ausführlich auf der schlanken Gestalt und den freien Mienen Eisenhut's.

Diese schwarzen Augen hatten die Eigenthümlichkeit aller 116 schwarzen Augen, die bei einigem guten Willen und bei einiger Entfernung immer so aussehen, als blickten sie aus inniger Theilnahme, aus tiefem Herzen, und wäre doch was Träumerisches über diesem seelenvollen Blick, wie ein verwirrendes Gefühl, uneingestandene Sehnsucht etwa. Zauberei des Unbestimmten, die in diesem Falle vielleicht auch durch etwas bewußte Kunst ergänzt wurde.

In der nächsten Minute senkte sie das Haupt tief auf die Brust und verschwand vom Fenster, das ihre rundliche Erscheinung so günstig eingerahmt hatte.

»Sie war nicht in dem Thal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam,
Und schnell war ihre Spur verloren . . . !«

sagte der alle Praktikant, lachte und trat lachend in des Zlabinger's große Stube.

Als ihn das Mädchen die Thür öffnen sah, zuckte es zusammen und wie rathlos in Bestürzung nahm es den Zipfel seiner weißen Schürze zwischen die Zähne. Einige Sekunden später ging es eilends bei der andern Thür hinaus.

Eisenhut setzte sich breit auf eine Bank nieder, streckte die Beine lang aus und freute sich der Kühle hier im bogigen Raum. Die Kellnerin ließ auf sich warten. Aber Eisenhut dachte sich: sie kommt schon noch von selber.

Endlich kehrte sie auch zurück mit einem schäumenden Krug in der Rechten. Es tropfte nur so an ihm herunter; man sah ihm von Weitem an: der kam vom frischen Faß. 117 Ein Seufzer des Behagens hieß ihn willkommen und eine ausgestreckte Hand.

Die schöne Kathi jedoch setzte das erfreuliche Gefäß nicht sogleich auf den Tisch.

»Mit Verlaub!« sprach sie und »Wohl bekomm's!«, führte den Rand an ihre rothen Lippen und trank dem Durstigen zu. Es schmeckte ihm darum nicht schlechter.

Dann wollte sie flugs wieder zur Thür hinaus.

»Oho, Jungfer Kathrin', warum denn gleich wieder davon?« rief Eisenhut, ohne vom Sitze sich zu erheben.

Und das Mädchen, an der Thür sich umwendend, senkte die Stirn, als könnten ihre schwarzen Augen den Blick der blauen nicht vertragen, und die Schürze glattstreichend sprach sie: »Der Herr Praktikant mögen ja Gesellschaft nicht leiden, und die meinige schon gar nicht.«

»So? Wer hat Ihnen denn das gesagt? Der Zlabinger?«

»Nein, der da!« antwortete das Mädchen, die Augen aufschlagend und den kleinen Finger der rechten Hand mit drolliger Geberde emporhebend.

»Allen Respekt vor dem kleinen Finger; er scheint ebenso weise als schön zu sein. Man müßt' ihn nur mehr in der Nähe bewundern dürfen.«

»In Gottes Namen!« seufzte Kathi, nachdem sie ein Weilchen unter vorgeneigter Stirn und hoch aufgeschlagenen Wimpern mit dem bekannten seelischen Blick den blonden Mann in der Joppe betrachtet hatte. Und sie saß auf seinem Schooß.

118 Eisenhut war einigermaßen überrascht. Aber sie saß so behaglich, so kindlich und ungezwungen da, sie sah so hübsch aus und plauderte so lustig, daß er sich die liebliche Last gern gefallen ließ, den Arm um ihre kurze Taille legte und mit ihr weiterschwatzte.

Sie schmeichelte ihm wie eine Katze, band ihm das Halstuch in eine bessere Schleife und strich ihm die Schaumperlen aus dem Barte. Dabei bat sie ihn, er möchte noch nicht fortgehen, und wenn er ginge, doch bald wiederkommen.

»Sie haben doch Gesellschaft genug, liebe Kathi.«

»Und was für eine! Bei allen vierzehn Nothhelfern, bei allen elftausend Jungfrauen, die Langweil' bringt einen um dahier!«

»Ich bin einer von den Langweiligsten.«

»Unsinn! Das hängt ja nur von mir ab . . . Oder wollen Sie denn, daß ich geh'? Langweilen Sie sich denn nicht auch?«

Da Eisenhut nicht gleich mit der Antwort herausrückte, sprang die Muthwillige auf die Füße und wandte sich schmollend zum Gehen. Kam aber nicht weit und blieb an der Tischkante lehnen. Mit den Fingern auf seiner flachen Hand trommelnd, sagte sie:

»Ich kann leicht gehen. Der Mühlbauer will mich leibhaftig heirathen. Meiner Seel', es ist wahr! Mit sammt seinem vielen Geld und seiner Stiefmutter sollt' ich ihn kriegen. Aber ich dank' schön für das Glück! . . . Dann könnt' ich dem Herrn Forstmeister die Wirthschaft führen 119 und alle Tag' seinen Schnurrbart auskämmen. Ja, aber die Wirthschaft und der Schnauzbart dauerten mich, wenn ich drüberkäm' . . . Nu, auf dem pretschenhauser Schloß wär' auch noch ein Platz für mich frei und dort und da deßgleichen . . . Soll ich? . . .«

Sie lächelte, daß die blanken Zähne sichtbar wurden, aber die Augen blickten darüber wieder so sehnsüchtig traurig, daß Eisenhut zu antworten vergaß. Er faßte nur ihre weiche Hand und behielt sie in der seinigen. Die Schwüle draußen, die Kühle hier im stillen Raum, nach der Anstrengung die Ruhe, nach dem Lechzen die Erfrischung, nach all' den langweiligen Gesichtern, die er auswendig wußte, dieß zierliche Antlitz mit den räthselhaften Augen und dem singenden Mund . . . es kam Lebensmuth und Behagen über Eisenhut, wie er sie seit Tag und Monat nicht empfunden hatte. Er hielt die weiche Hand so lange, daß er den Pulsschlag ihrer Fingerspitzen auf seiner Handfläche zu spüren meinte; aber er sprach noch kein Wort und das Mädchen auch nicht. Er horchte zu, wie die alte Uhr tickte und wie die Fliegen an den Scheiben summten und surrten. Und jetzt klang aus der Ferne ein gedehnter Pfiff. Der kam von der Eisenbahn im Thale. Vordem hatte es auch keine Kathi hier im Dorfe gegeben. Es schien ihm auf einmal recht gut, daß die Eisenbahn die schöne Kathi über dem Moos abgesetzt hatte. In diesem Glauben zog er das Mädchen sanft an sich.

Kathi ließ es geschehen, doch als ihre Häupter einander 120 so nahe waren, daß sie sich hätten küssen mögen, da drängte sie ihn zurück.

»Ich gebe keinen Kuß, niemals und Niemand!« sagte sie trotzig, zog die Brauen zusammen und biß zur Bekräftigung ihrer Worte und zur Abwehr fernerer Prüfung in ihren schwarzen Zopf.

Eisenhut lachte, trank, klappte den Krug zu und sang mit halblauter Stimme:

»Bist a grundfalsche Dirn!
Machst a runzlete Stirn,
Willst vom Busserln nix hör'n –
Busserlst dengerscht so gern!«

Kathi machte einen tiefen Knix, zog die Stirn noch finsterer zusammen, trank aus dem dargebotenen Krug und sang ebenfalls mit halber Stimme die Antwort aus dem Stegreif, wie sie gefragt worden war:

»Bild'st dir gar so viel ein?
Moanst, i g'höret schon dein?
Hast'n Schnabel schon g'spitzt
Und bist dengerscht ab'blitzt!«

Eisenhut rief ihr seinen Beifall zu. Noch mehr als die Schlagfertigkeit ihres Witzes hatte ihn die Schönheit ihrer Stimme, der schalkhafte und doch so einschmeichelnde Klang, den sie den Worten anhauchte, gefangen genommen. Aber es wäre gegen alle Lebensart und Landessitte gewesen, nach so kurzem Wettstreit klein beizugeben. Zwar der Krug war leer, doch nahm er ihn zur Hand, sah der Erwartenden eine 121 Minute lang in die schwarzen Augen und sang dann, etwas lauter als vorhin:

»Nu wer woaß, was no (noch) wird!
Ob dei' Herz si (sich) net irrt!
Ueber's Jahr um die Zeit
War' dir's Busserln nit leid!«

Leise das Haupt schüttelnd, ohne den Blick von seinen Augen abzuwenden, die Hand auf seiner Schulter, gab sie mit überraschender Innigkeit die Gegenstrophe:

»Plausch net so! Unterdess'n
Hast mi lang scho' vergess'n!
Um die Zeit über's Jahr
Is dei' Liab nimmer wahr!«

»No alsdann!« rief Eisenhut und lachte, ob er auch von der rührenden Stimme mehr als bewegt war.

»Was alsdann?« antwortete schelmisch das Mädchen und stemmte in Erwartung seiner Antwort beide Arme auf den Tisch. Denn sie wußte wohl, daß die paar Worte nur die Zeit ausfüllen sollten, bis er sich auf eine passende Strophe besonnen hätte.

»Alsdann . . .« sprach der Praktikant, schlug mit den Fingern an den Tisch und sang:

»Wenn der Frühling im G'müat
G'schwind wia's Bleamerl verblüat,
Wird die alsdann net bang,
Zierst di gar a so lang?« 122

Darauf sang die schöne Kathi, ohne sich zu besinnen:

»War gar z' g'schwind si (sich) verschenkt,
Wird an'n Nagel bald g'henkt!
Weil i a wengerl di (dich) plag',
Glaubst, daß i di net mag?!«

Es war ein Herzenston in der schalkhaften Stimme, der auch dem Widerstrebenden geradewegs zum Herzen sprach. Während Max ihre Hand in der seinen nach dem Takte der Melodie wiegte, beschloß er also den Gesang:

»Nu so wart' mir (wir) jetzund
No (noch) a kloa Viertelstund.
Und daß i d' Zeit net verlier –
Bring' mir no a Maß Bier!«

Sie lachten alle Beide. Das Katherl griff nach dem leeren Krug und hatte schon die Thüre zur Schenke in der Hand, als die Thüre nach der Straße rasch geöffnet wurde und ein unverständlicher Ruf, der halb wie Bitte, halb wie Befehl klang, die flinke Schenkin im Flug aufhielt und eine ungewohnte Erscheinung sie zwang, zu verweilen.

»Bitt' sehr, Mademoiselle, wo geht der Weg nach Offgarten?« sagte ein ältliches Frauenzimmer in städtischen, aber prunklosen Kleidern. Es war anscheinend sehr ermüdet, hüstelte ein über das andere Mal und blieb doch trotz der Zugluft zwischen Thür und Angel stehen.

Unwillig über die Störung, die ihr gerade jetzt am ungelegensten, ließ Katherl die Antwort nicht zu freundlich ausfallen. Mit zuckenden Achseln wiederholte sie: 123 »Offgoren? Unbekannt! Gibt's nicht! . . . Wollen's vielleicht eine Halbe Bier? Dann sagen Sie's gleich. Hab' nit viel Zeit zu verlieren.«

Vornehm die lange Nase rümpfend, zog sich die Französin zurück. Kam aber dabei doch nicht über den Schwellenstein hinunter.

Max Eisenhut konnte an seinem Tische sitzend nicht sehen, was sie am Fortgehen hinderte, aber gleich darauf merkte er an einer jungen Stimme, die sich vernehmen ließ, daß die ältere Dame nicht allein war.

»Mais oui, Mademoiselle! Entrons pour un tout petit moment. Il n'y a personne! Entrons!... Oui oui oui! Entrons! nous tombons de fatigue... Florence a une soif à mourir... Et toi, ma pauvre Violette, tu te trouve à ton aise, par exemple!«

Eisenhut horchte auf. Seltsamer Klang! Waren das zwei Stimmen oder ein' und die nämliche? Es hörte sich so lieblich an. Es war, was er eine – blonde Stimme nannte – er wollte darauf schwören, daß das Mädchen mit dieser Stimme blonde Haare habe – aber es war, als ob Zweie sprächen, und klang doch wie ein und dieselbe Stimme. Es klang, wie wenn Einer ein Gespräch abliest und sich dabei keine Mühe gibt, die Stimmlage zu verändern.

Die ältliche Dame stemmte die Hand gegen den Thürpfosten. Ein mißtrauisches Auge auf den schnurrbärtigen Mann in der alten Joppe werfend, sagte sie, schon zur Hälfte nachgebend, zum Katherl: »Ja, ja, bringen Sie Albe Bier.«

124 Dann sich zürnend nach Außen wendend, rief sie mit tadellosem Accent:

»Mais nous resterons dehors mesdemoiselles. Les dames n'entrent pas ici!«

»Mais mademoiselle Non-non, mademoiselle Non-non!« scholl es zudringlich bittend und zärtlich. Es mußten denn doch wohl zwei Stimmen sein, denn Eine konnte doch nicht zwei Worte zu gleicher Zeit aussprechen.

Eisenhut empfand etwas wie Neugierde oder sonst ein Gefühl, welches seinem Wesen ganz fremd war. Auch Waldmann, den vorhin der Wechselgesang in seinem festen Schläfchen nicht gestört hatte, schien jetzt von außerordentlichem Wissenstrieb geplagt zu werden. Da er als Vierfüßler nicht an Rücksichten menschlicher Höflichkeit und männlicher Würde gebunden war, ging er höchst einfach zur Thür und betrachtete sich die liebe Jugend, welche da vergebens um Einlaß flehte.

Er war wohl mit dem, was er schaute, sehr zufrieden, denn er wedelte verbindlichst und näherte sich ohne Umstände den Draußenstehenden.

Diese schienen nicht minderes Gefallen an ihm zu finden, denn abgesehen davon, daß der Dachs nicht wieder zum Vorschein kam, hörte man draußen schmeichelnder Worte genug: Regardez donc quel drôle de chien!... Est-il gentil... viens ici...! u. s. w.

Man mußte sogar Versuche machen, den Vierfüßler einzufangen, denn er purzelte plötzlich mit einem ausweichenden 125 Sprung in's Zimmer und eine haschende Hand in einem schwedischen Handschuh tauchte neben dem Hund auf. Der Hund wich aus, die Hand griff fehl. Eine zweite Hand kam ihr zu Hülfe, aber ohne Glück, und die beiden Hände, ein spitzer Hut, ein lockig Haupt, ein paar zarte Schultern, eine dünne Mädchentaille fielen über die Schwelle in die Stube herein.

»Au, au!« lispelte das Mädchen auf Deutsch, mit der einen Hand an den andern Ellenbogen fassend, während vom Flur Kichern und Brummen vernommen wurden.

»Haben Sie sich verletzt, mein Fräulein?« sagte Eisenhut, vom Tisch aufstehend und gegen die Thüre schreitend.

Wie gerufen erschien sofort die Gouvernante und starrte den Fragenden nicht eben aufmunternd an. Der aber hatte kein Auge für die gute alte Dame. Er reichte dem Mädchen die Hand zur Hülfe. Dieses hatte sich jedoch schon allein erhoben und nickte nur leise zum Dank. Dann sahen sich die Beiden ein Weilchen Aug' in Auge, bis die Schöne die rothgoldenen Wimpern senkte.

Eine schlanke, hohe, mädchenhafte Gestalt in einem blau und weißen Sommerkleide von dünnem Gewebe, aber mit so seinem Geschmack zugeschnitten, so wirksam und doch so bescheiden aufgeputzt, daß es dem Betrachter war, er hätte nie ein schöneres Kleid gesehen. Das fiel so hübsch über den jugendlichen Schultern ab, das paßte so knapp um die schmalen Hüften, die Bänder flatterten so munter in der Zugluft, der erschreckte Busen klopfte so sichtbar unter dem dünnen 126 Gewebe, daß Eisenhut mit beseligender Deutlichkeit empfand, wie ihm dieß schlanke scheue Mädchen mit jedem Augenblicke mehr gefiel.

»Wollen Sie sich nicht setzen, Fräulein; Sie sind so erschrocken!«

»Oh, cela ne fait rien, Monsieur. Mackt nix! mackt gar nix!« sagte die Gouvernante, während sie die zerknitterten Falten an ihres Zöglings Rock wieder glatt strich und also selber daran schuld war, daß Eisenhut ein Paar zierlich durchbrochene Schuhe sah, durch welche hellblaue Strümpfe kokett genug hindurchguckten.

Dame Non-non schwatzte wohl noch mehr, ohne daß Eisenhut sie hörte. Die Theilnahme, welche die Höflichkeit befahl, erlaubte ihm, das fremde Mädchen recht ausführlich zu betrachten. Das längliche Oval des Kopfes, das blasse Gesicht mit den geraden Zügen, die röthlich braunen, goldschimmerigen Haare, und gar die graublauen, lichten Augen, das stimmte Alles so gut zu diesem jugendlichen Wesen. Eine Jungfrau, die den Flaum und Duft der Kindheit noch nicht ganz abgestreift hatte. Ihm war, als säh' er eine Blume zum ersten Mal den duftigen Kelch vor der Sonne öffnen.

So Vieles in Gehaben und Tracht erinnerte noch an die Kindergewohnheiten. Das schlichte schwarze Kreuzchen am Sammetband um den Hals, das kurze Zöpfchen, das über die linke Schulter auf die Brust fiel, gleichfalls von einer Sammetschleife gehalten. Und vor Allem die herzige 127 Fröhlichkeit, die aus den lichten Augen blitzte, und die Scheu, die doch den Uebermuth bändigte.

Eisenhut hielt es gerathen, sich auch der Gouvernante nach Gelegenheit und Kräften nützlich zu erweisen. Er nahm das Französisch seiner Schulzeit zusammen und sprach vielleicht nicht ganz tadellos, aber zur Genüge verständlich im lange nicht geübten Idiom: »Wenn ich recht gehört, Madame, so fragten Sie vorhin nach dem Wege zum Hofgarten? Die Kellnerin hat in der Eile des Geschäfts Ihre fremdartige Ausdrucksweise nicht genug beachtet . . .«

Und nun beschrieb er ihr den Pfad. Dame »Non-non«, wie sie vorhin kurzweg genannt worden, war offenbar erfreut, in diesem barbarischen Sumpfland ein Wesen zu finden, das die merkwürdige Eigenschaft besaß, die Muttersprache Voltaire's zu radebrechen. Sie ward darüber sehr leutselig und ließ ihrer Lust um so unbedenklicher die Zügel schießen, als sie in dem Manne mit der Jagdjoppe und dem starren Barte nichts mehr als einen Forstgehülfen oder gar einen herrschaftlichen Jäger vermuthete, also eine Existenz, die gesellschaftlich für ihre Zöglinge höchst ungefährlich, ja genau betrachtet gar nicht vorhanden war.

Mittlerweile war das Katherl mit zweierlei Trinkgefäßen zurückgekehrt. Es zeigte sich sehr verdrossen, als es die neuen Gäste mit einander im Gespräch und noch dazu in einem unverständlichen Gespräche fand. Da wollte es nicht länger zuhören, eilte hinaus und warf schallend die Thür in's Schloß.

128 »Was für ein hübsches Mädchen!« sagte das Fräulein leise, erst nach der hallenden Thür und dann auf Eisenhut blickend, der vor diesem Kinderaug' erröthete. Es war ihm wenigstens so zu Muthe, als lief' ihm das Blut in die Wangen. Drum war es ihm nur willkommen, daß die junge Dame die Hand nach dem Glas ausstreckte, das just so unwirsch vor sie hingestellt worden war, und die hübsche Oberlippe – ganz vorsichtig, ganz bescheiden – mit dem braunen Safte benetzte. Sie trank nicht mehr, als etwa ein kleiner Vogel trinkt, schien aber sehr erquickt davon.

Dieß gab Eisenhut Veranlassung, sein rothes Gesicht abzuwenden, um gleichfalls nach seinem Bierkrug zu schauen, der in der andern Ecke des Zimmers stand.

Wie er sich auf den Hacken umgekehrt hatte, kam er doch nicht vom Fleck. Ein Erstaunen, das er nicht sogleich zu bewältigen vermochte, fesselte seine Schritte und noch mehr seine Augen.

Vor ihm stand, so däucht' es ihn, dieselbe Dame, von der er sich eben auf der andern Seite abgewandt hatte. Dieselbe zierliche, biegsame, blumenartige Gestalt, dieselben vornehmen Züge, das längliche Oval mit den schlicht geordneten Haaren in der Lieblingsfarbe der venetianischen Maler. Der nämliche kindlich muthwillige Blick aus den lichten Augen. Das gleiche Kreuzlein am schwarzen Band um den glatten Hals und auf der linken Schulter den Zopf, der die Sammetschleife auf den jungen Busen fallen läßt. Die erstaunliche Aehnlichkeit der Natur durch allerlei kleine Künste 129 in Tracht und Haltung noch gesteigert. Unwillkürlich hob sich die Hand des verwilderten Mannes nach seiner Brust; es war ihm, als fühlte er einen kurzen stechenden Schmerz in der Gegend, wo man das Herz zu suchen pflegt. Er mußte selbst über so knabenhafte Regung lächeln. Und vor und hinter ihm erklang dasselbe kaum verhaltene Kichern. Eisenhut verbeugte sich und ging zu seinem Tisch.

Als er sich wieder umdrehte, saßen die beiden Zwillingsschwestern neben einander auf der Bank, wischten sich mit seinem Tüchelchen die feinen Lippen und guckten mit gleichen Augen nach dem überraschten Manne.

Nicht zwei Blätter im Walde, nicht zwei Tropfen Thau auf einer Blume, nicht zwei Gedanken in eines Mannes Brust glichen sich so wie diese beiden Kinder.

»Welche merkwürdige Aehnlichkeit!« sagte Eisenhut und wieder lachten die Beiden und die Gouvernante schüttelte vergnüglich über des nichtsbedeutenden Jägers Ueberraschung ihr spitzes Kinn, nicht anders, als ob diese verblüffende Aehnlichkeit der beiden Pflegebefohlenen ihr eigenstes Werk wäre.

Eisenhut trat wieder ein paar Schritte näher. Es war ja gegenüber einer solchen, an's Wunderbare streifenden Doppelerscheinung keine Unhöflichkeit, sie näher und ausdauernder zu betrachten. Da wollt' es ihm wohl scheinen, als wäre die Eine um eine Linie größer als die Andere und hätte diese dafür ein wenig dichteres Haar. Und waren die Mundwinkel der Dame zur Rechten nicht ein Bischen 130 melancholischer gezogen und die Nase der Dame zur Linken nicht ein klein wenig schärfer gespitzt? Ein ganz klein wenig. So ein Jägerauge sieht ja genauer. Wohl! Aber wenn der Mann mit dem Jägerauge nun sagen sollte, wer vorhin über die Schwelle gestolpert war, mit welcher von den beiden Schwestern er kurz vorhin gesprochen hatte, dann wüßte ihm auch sein Jägerblick nicht zu rathen und er war mit seinem Latein, auch mit dem Jägerlatein, am Ende.

Er näherte sich der Einen, und als sie sprach, glaubte er richtig gerathen zu haben, denn das war ja die Stimme, die zu ihm gesprochen hatte. Aber sie verneinte das, und wirklich, als nun die Andere sprach, da athmete er auf, denn das war die Stimme, die er schon vorhin zu hören gemeint hatte und die er nun – je länger sie sich hören ließ, nicht mehr von der andern unterschied.

Er ergab sich in das Wunder, er hatte keine Lust, sich dem holden – wenn auch verwirrenden Zauber zu entziehen.

War der Dame Non-non der Eindruck, den die beiden blassen Zwillinge auf den Jägersmann hervorbrachten, zu deutlich, oder war ihr die Zeit zu lang, die Geduld zu kurz geworden, sie trommelte zum Aufbruch und wollte sich von dem »Offgoren«, von seinen schattigen Terrassen und schönen Fernsichten keine Minute länger zurückhalten lassen. Sie mahnte die schlanken Kinder zur Eile, strich ihnen die Kleider, die Haare, die Bänder zurecht und fragte Eisenhut noch einmal um den Weg.

131 Der war leicht zu finden, aber eine bessere Gelegenheit, den Zauber dieser holden Aehnlichkeiten auszukosten, schwer. Der Praktikant griff sein Hütchen vom Nagel und sagte in wohlerwogenem Französisch: »Ich wohne droben im Schloß. Wenn Sie erlauben, so zeige ich Ihnen selbst den Weg.«

Den Vorschlag nahm Dame Non-non dankbar an. Wenn der Mann aus dem Schlosse seine Wohnung hatte, so war ihr dieß nur ein deutliches Zeichen, daß er zur valetaille des Schlosses gehörte, ein dienendes Menschenkind sans conséquence war.

Eisenhut merkte wohl ihre Gedanken und, ein Philosoph, wie er war, kränkte ihn die Meinung, welche sein Aeußeres bei der weltkundigen Dame hervorbrachte, durchaus nicht. Er empfand gar keine Nöthigung, aus seinem unschmeichelhaften Inkognito herauszutreten, sich korrekterweise vorzustellen und so sich selbst die Freude zu kürzen, jene Damen zu geleiten.

Indessen hatte er auch so unterwegs kaum Gelegenheit, mit den beiden Schwestern ein Gespräch anzuknüpfen. Die eifrige Gouvernante nahm ihn mit unersättlichen Fragen über Land und Leute, Trachten und Gebräuche, Bodenkultur und Gemeindeverhältnisse so sehr in Anspruch, daß er wie in einem Examen zu antworten hatte. Und während er also im Weiterschreiten Rede stand, sprangen die schlanken Kinder zehn oder mehr Schritte weit voraus. Er sah nur, wie sie, zwei spielenden Libellen gleich, ihm vorausflatterten, wie sie sich jagten, haschten und auswichen; wie sie Beide vor Lachen 132 athemlos stillhielten, dann wieder weiter eilend sich ihres Muthwillens schämten, daß ihnen das Blut in die Ohren schoß. Dann brach die Eine ein herzförmig Blättchen vom Lindenbaum und steckte es zwischen die Lippen; kurze Zeit darauf flog das Blättchen mit dem Winde zurück und streifte Eisenhut's brennende Wange. Er haschte darnach – umsonst! und schon hatte die graue Fragemaschine neben ihm das Gebiet der Forstkultur beschritten, über das er nun in dem merkwürdigsten Französisch, das je gesprochen worden, die unerhörtesten Aufschlüsse gab. Dann fand er im Sande die zierliche Fußspur der andern Schwester. Vom Absatz bis zur Spitze hatte die Sohle sich abgezeichnet. Wie gern hätt' er sich ob so süßen Wildes zierlicher Fährte in Betrachtung verloren; aber der Wissensdurst Non-non's war eben darauf erpicht, sich in die Ursachen zu vertiefen, warum auf einem Torfmoor so üppige Vegetation wuchern könnte, und sie duldete kein Verweilen.

Es wollte Eisenhut, je länger er die beiden geschmeidigen Gestalten vor sich herschreiten sah, desto mehr einleuchten, daß er nie so malerisch flatterndes Gewand und Haar gesehen hätte. So lieblich trugen sie das Haupt, so rhythmisch war ihr Gang, so vornehm und doch so ungezwungen ihre Haltung, daß er sich beklagte, weil ihm solche Anmuth nicht früher begegnet war, daß er sich fragte, warum sie ihm nun in doppelter Gestalt erschien. Er ließ die Gouvernante reden, was er nicht hörte, antwortete ihr auf Gerathewohl, was ihm einkam, und konnte sich an den beiden 133 Zwillingsfeen nicht satt sehen. Zwar in ihre Gesichter konnt' er den ganzen Weg den Hügel hinauf nicht Einmal mehr schauen, aber die anmuthige Beweglichkeit ihrer Körper that es ihm jetzt nicht minder an, als vordem Wangen, Kinn und Augen.

»Wie alt sind die Damen?« fragte Eisenhut in einem Momente, da die Wißbegierde der Gouvernante frischen Athem holte.

»Demnächst werden sie Achtzehn!« versetzte Non-non. Doch was sie dann wissen wollte, mußte sich ihr Begleiter noch einmal sagen lassen, denn es klang ihm auf einmal so wunderlich in den Ohren.

Glücklicherweise standen sie nun oben auf der höchsten Terrasse des Gartens. Sie lehnten sich an die Brüstung der alten Schloßmauer und sahen hinaus über Fluß, Moor, Stadt und Gebirge. Die niedergehende Sonne strickte ein goldenes Netz über die Landschaft. Satter schienen die Farben, deutlicher die Formen und nähergerückt alle Ferne.

Da wandten sich auch die Mädchen mit einzelnen Fragen an Eisenhut. Sie ließen sich die Namen von Weilern, Städten und Bergen nennen, die hier oder dort im weiten Bild ihre Augen reizten. Sie fragten leise und lächelten immer, wenn sie Antwort bekamen. Eine lächelte genau so wie die Andere.

»Sie sehen sich so merkwürdig ähnlich!« sagte Eisenhut.

»Ach, gar nicht!« antwortete die Eine. »Betrachten Sie uns doch genauer, und Sie werden wohl Verschiedenheiten 134 finden: die Stirnbildung, die Nase, der Mund, das Alles ist doch bei meiner Schwester ganz anders.«

»Auch bin ich die Größere!« sagte die Andere.

So sehr er seine Beobachtungsgabe anstrengte, Eisenhut konnte diesen so überzeugungstreu gegebenen Versicherungen mit dem besten Willen nicht beistimmen.

»Kennen Sie die Damen auseinander?« fragte er scherzhaften Tones die Erzieherin.

»Meistentheils,« versetzte diese. »Ich habe es nach und nach gelernt.«

Sie lachten allesammt.

Während das Lachen verklang, sagte Dame Non-non, – oder um statt der beliebten Abkürzung endlich ihren wirklichen Namen zu nennen – Fräulein Bourgignon, leise zu dem einen Pflegling, der ihr am nächsten stand:

»Das ist ein ganz unterrichteter Mensch.«

»Warum wundert Sie das?« antwortete das Mädchen und über dem Tone ging Dame Bourgignon auf einmal ein Licht auf, denn sie merkte, daß ihre Kinder den Mann für gar nicht so konsequenzlos achteten, als sie vorausgesetzt hatte.

Mittlerweile hatte Eisenhut zu dem andern Fräulein gesagt:

»Wenn man Sie Beide neben einander sieht, sollte man glauben, daß Sie auch auf einen Namen wären getauft worden.«

»Dem ist aber nicht so. Wir heißen Florence und Violette!«

135 »Das will sagen, Sie heißen . . .?«

»Florence.«

»Und Ihre Schwester Violette?«

»Ja, ich! Die dort, Florence, ist die größere von Beiden!«

»Haben Sie genau aufgemerkt?«

»Ganz genau!«

»Nun also!«

Die Mädchen sprangen auf, liefen davon und wieder zurück, haschten einander nach rechts und links. Non-non ward ungeduldig und verwies ihnen das unablässige Tollen und Jene kamen heran.

Sie hielten sich bei den Händen und traten vor Max Eisenhut wie ein Urtheil heischend hin.

»Nun, mein Herr, wer von uns Beiden ist nun Florence und wer ist Violette?«

Es fiel ihm wie Aerger auf's Herz. Er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Er unterschied sie auf's Gerathewohl und wahrscheinlich falsch, denn die Muthwilligen lachten ihn aus, da er ihre Namen vertheilte.

Aber in der nämlichen Minute geschah's ihm, als ob sich plötzlich ein Schleier vom Auge höbe. Wie sie ihm schweigend auf den Mund gesehen, da war es ihm auf einmal, als säh' er zweierlei Gesichter. Allein der Unterschied lag nicht in den Zügen, er lag nur im Auge. Nein, nicht bloß im Auge – aber er konnte sich noch nicht Rechenschaft geben, in welchem Zuge der Eindruck der Verschiedenheit 136 begründet war. In keinem! Nur daß das eine Gesicht ihn ernsthafter betrachtete, als das andere. Ernsthafter . . . Ja fast traurig. Es war also doch nur im Blick der Augen, und mit dem Augenblick war's auch schon wieder verschwunden.

Doch als sie sprach: »Ich bin Florence,« da klang auch die Stimme ein ganz klein wenig ernsthafter, langsamer, müder, als wenn die Andere mit kaum gedämpftem Uebermuthe kicherte: »Und ich Violette.«

Ja, auch in der Stimme tönte es so, als läge tief unter all' den Kinderscherzen eine traurige Melodie in dieser Seele.

Oder narrten ihn nur seine erhitzten Sinne?

Er sah ihr zu, wie sie mit spielenden Händen Blätter vom Buchsbaume brach, der an der Mauer gezogen war, und während er die schlanken, wohlgepflegten Finger betrachtete, die wie blasse Blumen auf dem dunklen Grün lagen, meinte er noch immer die liebe Stimme zu hören, die so sanft, so scheu und doch so stolz gesagt: »Ich bin Florence!«

»Es ist Zeit aufzubrechen oder wir versäumen den Eisenbahnzug!« rief Dame Bourgignon, die jede Minute längeren Verweilens nicht mehr konvenabel dünkte. »Schnell, schnell, meine Fräulein, beeilen Sie sich! Sie wissen, wie ängstlich Mama ist.«

Die Mädchen beeilten sich auch wirklich, ein paar Flortücher um die Schultern zu wickeln, als fürchteten sie sich vor der Abendkühle. Wie sie so miteinander sprachen, 137 waren sie für Eisenhut wieder nicht mehr auseinander zu kennen.

Mittlerweile hatte sich die Gouvernante sehr förmlich bei Eisenhut bedankt; sie bedauerte sehr, ihm so viel Zeit genommen zu haben, und wiederholte den Mädchen, daß sie aber auch schon gar keine Zeit mehr zu verlieren hätten.

Als vollends aus der Ferne das Pfeifen einer Lokomotive sich hören ließ, knixte sie hurtig zum letzten Mal und trieb die flügge Jugend vor sich her.

Eisenhut stand oben auf der Terrasse zwischen Bank und Brüstung und sah den Davoneilenden nach, die mit jedem ihrer raschen Schritte um eines Lebens Weite sich von ihm zu entfernen schienen. Er hätte die Hand ausstrecken und rufen mögen: Bleibt! Wozu die Hast! Er hätte sie bei den flatternden Falten des Gewandes fassen und halten mögen . . . Er war es nicht gewohnt, mit den wenigen Dingen, die ihm in seinem einfachen Leben noch reizend erschienen, so viel Umstände zu machen . . . Und jetzt übte diese unbefangene, unerfahrene Jugend einen Zwang auf ihn aus, der ihn beschämte.

Ob er die Holden jemals wiedersehen wird! Und warum will er sie wiedersehen? Beide? Und wenn nicht, welche von beiden?

Noch flattern die weißen Kleider die grünen Büsche entlang. Noch fünf Schritte, dann biegt der Weg um die Hecke und sie werden deinem Aug' entschwunden sein. Die Gouvernante ist schon hinter den Zweigen . . . und nun 138 auch die eine der beiden Schwestern . . . nur die zweite bleibt, wo sich der steile Fußpfad verengt, nothgedrungen um einen Schritt zurück. Jetzt kommt auch an sie die Reihe. Der wilde Schlehdorn scheint seine Zweige länger nach ihr auszustrecken, als wollt' er sie umarmen. Da an der untersten Ecke des Weges wendet sich ihr Angesicht und es sieht mit seinen ernsthaften Augen nach dem Mann auf der Bank zurück. Ihm ist, als küßte dieß Auge seine Seele.

Er erhebt sich unwillkürlich von seinem Sitz, er öffnet die Lippen, als wollt' er fragen, welche von Beiden bist du mit dem innigen Blick, dessen Gewalt und Geheimniß du selbst nicht ahnst?

Vor seiner heftigen Bewegung erschrickt das sittige Mädchen, es wendet das Haupt und eilt davon, derweilen es aus der halberhobenen Hand ein Häuflein Buchsbaumblättchen fallen läßt.

Eisenhut sieht die kleinen grünen Blätter flattern, wirbeln, zu Boden sinken. »Du bist Florence!« spricht er leise hin, »und es sollte mich wundern, wenn ich nicht oft an Dich dächte!«

Das Mädchen ist schon verschwunden. Er hört noch ein Weilchen den Kies des Weges unter flinken Sohlen knirschen und lachende Stimmen in der Tiefe verhallen.

Dann setzt er sich wieder auf die Bank und sieht in's Thal hinab, wie es Abend wird, wie alle Gegenstände sattere Farben annehmen und dann allmälig verblassen. Am Himmel 139 leuchtet es noch und die Luft will sich noch immer nicht abkühlen. Ab und zu schießt trillernd noch eine Lerche gen Himmel, dann wird's immer stiller und man hört nur von fern her aus dem Moos die Frösche im Chorus quaken.

Es wird immer dunkler. Max Eisenhut legt die Stirn in seine Hand. Er denkt an seine Jahre. An seine und an ihre. Als ob ihn nichts Anderes von der Lieblichen trennte.

Auch an das Andere denkt er wohl. Aber daran nicht lange. Er schließt die Augen in der Hand und zaubert die schöne Gestalt vor sein Erinnern, alles Uebrige vergessend. Er denkt ihrer ohne Begehren, ohne Hoffnung, wie man eines holden Traumes gedenkt, mit süßer Wehmuth in lauterem Glück.

Als er die Hand von den Augen nimmt und das Haupt erhebt, ist es fast Nacht. Ihm gegenüber funkelt ein schöner Stern und unter seinen Füßen tief blinken aus den zerstreuten Häusern im Moos die Lichter feiernder Menschen. Tiefe Schatten lagern im Thale. Die Stadt ist nicht mehr wahrzunehmen. Eisenhut weiß dennoch die Stelle mit dem Blick zu finden, wo sie dort unten liegt, und seine Augen richten sich nach der Gegend. Wohnen die Mädchen dort? Er glaubt es kaum. Sie hatten etwas Fremdes in ihrem Wesen, auch in ihrer Art zu sprechen.

Da sieht er in der Gegend, wo er die Stadt suchen mußte, ein winziges Lichtpünktchen, kaum kenntlich. Ihm ist die Erscheinung nicht fremd. Es ist das Feuerzeichen vom 140 Thurm des Domes »zu unserer lieben Frau«, mit dem der Wächter einen ausgebrochenen Brand signalisirt.

Die Brandstätte selbst ist von Eisenhut's Standpunkt nicht zu entdecken und bald darauf verschwindet auch das Zeichen vom unsichtbaren Thurm. Oder es legt sich Dunst und Wolke dazwischen, daß es in solcher Ferne nicht mehr wahrnehmbar bleibt.

Eisenhut wird nachdenklich. Auch er könnte ein plötzlich ausgebrochenes, loderndes Feuer melden. Aber den Thürmer in der Stadt geht es nicht an. Auch sonst Niemand. Er will es schon für sich allein ersticken . . . Er denkt wieder an seine Jahre, an die verlorene Zeit . . .

Ein scharfer Wind kam über's Moor. Es wurde denn doch kühl in der Nacht. Es flog Eisenhut wie Schauder an. Er brach auf und dachte, daß das Feuer auf der Welt wäre, um sich daran zu wärmen. An der Ecke des Weges blieb er noch einmal stehen und brach aus dem Schlehdorn eine weiße Rose. Aber sie zerflatterte vom Stengel, kaum daß er sie gebrochen. Am kahlen Stengel war denn weiter auch nichts zu halten und so schritt er ohne Blume zu Thal. 141

 


 


 << zurück weiter >>