Wilhelm Holzamer
Vor Jahr und Tag
Wilhelm Holzamer

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Bevor die Mainzer Straße das Wirtshaus »Zur schönen Aussicht« erreichte, machte sie zweimal ein Knie, das erste Mal, als sie aus einer tiefen und breiten Mulde sich erhob, das zweite Mal, als sie sich zu der Richtung wendete, die sie von nun an, an der »schönen Aussicht« vorbei bis zu den ersten Häusern der Dorfstraße und durch das Dorf selbst, nur mit geringen Biegungen verfolgte. Diese Biegungen waren durch das Terrain bestimmt. Das rheinhessische Hügelland in seinem beständigen Auf und Ab eignet sich nicht besonders gut zum Straßenbau, zumal der fette Boden und der Mangel an festen Steinen nicht helfen, die Formationsschwierigkeiten zu überwinden. Aber Napoleon I. war ein glänzender Straßenbauer, und die Straße von Mainz nach Paris ist so vortrefflich angelegt wie nur die alten Heerstraßen, die einst die Römer durch Germanien gezogen haben.

Am zweiten Knie, ehe die Chaussee auf die »schöne Aussicht« hin führte, stand die Ziegelei vom Cyriak Goschel. Sie war nicht groß, war nie groß gewesen. Denn so geeignet der Letten hier für Ziegel und »Plotzer« war, so ungeeignet war die Stelle des Wassers wegen. Wo man bohrte, gab's wohl einen Brunnen, aber wenn es regnete, so ging der ganze Ablauf von dem »Berg«, dem Rebenhügel, der sich auf der andern Seite der Chaussee der Ziegelei gegenüber mählich erhob, über das Gebiet des Cyriak Goschel hinweg. Nach jedem Gewitter gab's nicht nur Schaden an Steinen und Ziegeln, sondern auch Ausbesserungen. Der Goschel mußte immer Röhren legen, das Wasser zu fassen, und Mauern aufbauen, es abzuleiten. Das war der Nachteil der Ziegelei, die sonst im Rufe stand, den besten Lettenboden zu besitzen, der die Eigenschaft hatte, hart zu brennen, ohne sprüngig und glasig zu werden.

Vor ein paar Jahren war dem Goschel die Frau gestorben. Er hatte zwei Mädchen von ihr, die im Alter von vierzehn und fünfzehn Jahren standen und schon anfingen, ihm die Wirtschaft zu führen, die übrigens ziemlich einfach war, weil der Goschel außer Hühnern und Enten kein Vieh hielt. Nicht mal eine Geiß – seine Milch ließ er in der »schönen Aussicht« holen. Nach dem Tode seiner Frau hatte er die Ziegelei brach liegen lassen, hatte sich in seinem Garten ein Bienenhaus gebaut und war ein eifriger Bienenzüchter geworden. Man sagte: aus purer Trauer um seine Frau. – Er habe sich von der Welt zurückgezogen. Ältere Leute waren nicht recht gläubig dieser Trauer gegenüber, denn sie kannten die Jugend des Cyriak Goschel. Sie sagten: er war zu Lebtag ein Scharwenzeier. Es war kein schön Mädchen in der Gegend gewesen, dem er nicht die Kur gemacht hätte. Und man sagte auch, es trügen heute ein paar Leute nicht den Namen Goschel, die ihn eigentlich tragen müßten. Es gab ein paar Gesichter – besonders in den umliegenden Dörfern – deren Ähnlichkeit mit dem Cyriak Goschel man bemerkte, von der man aber nicht sprechen durfte. Nun sollte er ganz und gar ein Einsiedler geworden sein? Er war zwar grau, auch schon stark welk; aber man mußte nur seine Augen sehen. Und seine dürren Hände. Freilich, wenn sie über den Napoleonsbart strichen – er hatte dabei so eine besondere, langsame Bewegung – dann waren sie wie mit Buttermilch gewaschen, so weiß und zart und sogar rund. Es lag nur an der Haltung, die richtigen Schwerenöterhände. Wer aber so Augen hat und so Hände, der hat der Welt noch nicht valet gesagt. Freilich, 's gibt ein Wort von den alten Betschwestern – am Ende könnt das auch auf die Männer zutreffen – und der Goschel hatte dazu schon große Kinder.

Immerhin, es gab ein paar Leute im Dorfe, die verhielten sich abwartend und trauten der Stille und der Bienenzüchterei nicht. Der Goschel war noch lebenslustig und auf der Sörgenlocher Kirchweih hatte er im Spärjahr wieder getanzt. Erst mit seiner Tochter – um einen Übergang zu haben – und dann mit allen Sörgenlocher Mädchen von der dicken, runden Krämerssophie bis zur langen, dürren Batzeträud – und er hatte noch Beine gemacht, der alte Geißbock, trotz den Jungen. Er tanzte heute noch besser wie sie alle, denn er hatte noch was von früher her, das sich immer mehr verlor, etwas Feines, Leichtes, Zierliches, das die Franzosen einmal ins Land gebracht hatten. Er sah ja übrigens aus wie ein Franzose, und es war auch französisch Blut in ihm. Wer hatte das aber nicht im Mainzerland – doch wirkte es bei keinem so wie beim Goschel.

Mit dem neuen Frühjahr hatte der Goschel wieder langsam Arbeiter in seine Ziegelei eingestellt. Es waren nicht mehr die Bienen allein, die ihn beschäftigten. Er brannte wieder Kalk und formte wieder Ziegel, und bald hatte er das Geschäft wieder im Betrieb, als habe es nie stillgestanden. Er kutschierte wieder auf den Dörfern herum, hatte die kleine schwarze Geldtasche umhängen und rückte das Hütchen auf ein Ohr, wenn's heimwärts ging, denn er war auch einem guten Schoppen nicht abgeneigt, als sei er nicht hoch in den Fünfzigern, als habe er kaum die Dreißig auf dem Buckel. Er sang auch: »Schein ist die Jugend, sie kommt nicht mehr« – immer nur diese selben Worte, weil er nicht weiter wußte, und immer statt »schön« »schein«, weil er beim Singen das »ö« wie ein »ei« aussprach.

Der Goschel kam täglich neuerdings in die »schöne Aussicht«. Die Annelies Brabender sagte: »Ich kenn ihn von früher her, für nix kommt er nit.« Sie schimpfte auf ihn, was das Zeug hielt. Heimlich dachte sie: wenn er am Ende kam und wollt mich doch noch heiraten! Ich hab lang genug Brabender geheißen, ich könnt auch noch ein paar Jahr lang Goschel heißen – und riskieren tät er nix. Er hätt eine Frau und hätt sein Ordnung und wüßt, daß ihm sein Sach zusammengehalten werden tät – na und kurzum. Dann sagte sie laut: »Er ist ein alter Bock, hör nur, wie er wieder meckert. Wenn man den in die Brennnesseln hockt, vergeht ihm auch die Lust noch nit.«

Die Blume Marie hörte das an, ohne etwas zu sagen. Sie nickte nicht einmal, sie wurde nur manchmal rot.

Die Annelies Brabender war wiederholt in dem Goschel seiner Wohnung gewesen, und sie konnte sich ganz gut vorstellen, wie sie angelegt und eingerichtet war. Man ging zur Tür hinein und kam in den Gang dann war gleich rechts eine Tür, die ging zum Wohnzimmer, da stand das Kanapee an der Wand und der runde Tisch davor, die Kommode in der einen Ecke und in der anderen der Sekretär – und hinter dem Wohnzimmer lag das Schlafzimmer – und vom Schlafzimmer kam man noch einmal in ein Zimmer, da schliefen wohl die beiden Mädchen, direkt vom Gang aus aber kam man in die Küche. Es fiel ihr immer so ein, wie das war beim Goschel, so oft sie wußte, daß er draußen im Wirtszimmer saß – und eine Zeitlang mußte sie dem auch nachhängen, bis sie sich selbst dabei ertappte, ärgerlich wurde und zu sich sagte: »Ich altes, dummes Mensch – ich könnt mir grad selbst aufs Maul schlagen. Noch so Fisematenten im Kopp, als tat ei'm noch der Hintern jucken, von sei'm Mann durchgeprügelt zu werden, als war man noch mal zwanzig. Alt Annelies, schlag dir die Possen aus dem Kopp – wer sich nit satt 'gessen hat, der nascht sich auch nit satt – 's gibt nix mehr für dich, die Zeite sin vorbei.«

Dann fuhr sie über die Blume Marie her, weil die auch wie die heilige Euphrosine in einer Ecke stand und keine Hand rührte.

»Wo ist denn das Fräulein Dorthchen?« fragte der Goschel, immer in seiner gespreizten Art, als wär sein Vater in Mainz am Dom Prälat gewesen.

Der alte Rosenzweig rief die Dorth.

Der Goschel dienerte und zog den Mund wie ein Hase, wenn er ein »Männchen« macht.

»Guten Tag, Fräulein Dorthchen. Wie steht's Befinden? Ich wollt mir nur die Nachfrag erlauben. Fräulein von Rosenzweig würde man in Wien sagen. In meiner Jugend bin ich mal in Wien gewesen – fein, sag ich Ihnen – der Stephansdom und der Prater und die Musik. Die Musik, sag ich Ihnen – und die Walzer! Gott, Fräulein Dorthchen, wenn wir das mal zusammen machen könnten!«

»Da müssen Sie sich eine andere suchen, Herr Goschel.«

»Na na – jemand was Schönes zeigen – und auch was Schönes sagen – das ist immer erlaubt. Das nimmt kein Mensch übel – und ein schönes Mädchen –«

Die Dorth wollte sich zum Gehen wenden. Der alte Rosenzweig konnte den Goschel überhaupt nicht ausstehen – aber der guten Nachbarschaft zuliebe – er hatte sich schon stillschweigend gedrückt.

»Fräulein Dorthchen, ein Schöppchen, wenn ich bitten darf. Neuen! Ist das nicht dumm in der Welt – die Jugend trinkt Neuen, und die Alten trinken Firnen. Die Jugend hat doch schon Feuer genug – der Neue macht Feuer – die Alten aber, die nicht mehr genug Feuer haben – und was ist das Leben, wenn man kein Feuer mehr hat! – die trinken Firnen, der kein Feuer gibt. Ich mach das nicht mit, ich trink Neuen. Sehen Sie, Fräulein Dorthchen, das ist die Lebenskunst. Lebenskunst nennt man das – und wer die nicht hat, ist ein armer Teufel. Er quält sich durch die Welt und ist ein Sauertopf und hat nichts von dem, was schön und gut in ihr ist.«

Die Dorth hörte nicht auf sein Geschwätz. Ihr war das zuwider.

»Ich fürchte, Fräulein Dorthchen, Ihnen fehlt es an der Lebenskunst.«

Da fuhr sie auf.

»Ach, was wissen denn Sie!«

Sie hatte sich neuerdings angewöhnt, da sie gemerkt hatte, daß es der Vater nicht gerne sah, wenn sie im Backensessel ruhte, daß sie sich mit einer kleinen Handarbeit in die Wirtsstube setzte. Da der Vetterlein doch nicht mehr gekommen war – und sonst Gäste sich nicht gerne an diesen Platz zwischen den beiden Türen setzten – so hatte sie seinen Platz für sich gewählt. Es war nichts Richtiges, was sie arbeitete, nur so ein bißchen Herumgestichel, aber dem Vater war der Willen getan, und obschon die Blume Marie da war, die ja recht anstellig in der Wirtschaft war, konnte sie doch die Wirtsstube nicht ganz meiden, so sehr sie sich innerlich gegen den Aufenthalt in ihr sträubte. Aber jetzt, seit der Goschel jeden Tag kam, jetzt war's ihr rein zum Fortlaufen. Aber nun durfte sie's erst recht nicht. Der Vater sagte: »Du hast zwei Ohren – und Nachbarschaft muß man halten.« »Da gibt's nix – und Wirt ist Wirt. Wer sich nit überwinden kann, ein Aug zuzudrücken und was durch die Ohren hindurchgehen zu lassen, der hätt nit sollen in einer Wirtschaft auf die Welt kommen – oder müßt halt das tun, was man ja in allem Guten geraten hat. Aber wer sein Kopp hat, muß auch für sein Kopp büßen.«

Er zeigte nicht weiter seinen Ärger, daß es ihm mit seinem Plänchen nicht geraten war, aber wenn die Dorth sich beklagte oder ihr irgend etwas quer ging, dann ließ er seine Stichelrede einfließen. Dafür aber hatte die Dorth ihre zwei Ohren.

»Was ich weiß?« sagte der Goschel auf ihren Anschnauzer und kam dabei näher. »Fräulein Dorthchen, was ich weiß! Wissen Sie, was die Liebe ist?«

»Ach, lassen Sie mir mein Ruh!«

»Na ja, da hapert's eben. Wer nicht weiß, was die Liebe ist, weiß nicht, was das Leben ist, weiß nicht, was die Jugend ist, weiß also auch nicht, was Lebenskunst ist, sag ich Ihnen, der alte Cyriak Goschel, der aber nie alt wird. Sehen Sie, Fräulein Dorthchen, und das ist die Lebenskunst, ich freue mich noch an einem schönen Kind, als war ich zwanzig, und ich liebe noch das Leben, als war ich fünfundzwanzig, und ich fühle mich noch zur Liebe fähig, als war ich dreißig. In diesen Jahren muß man sein Lebtag bleiben: zwanzig, fünfundzwanzig und dreißig nur nicht drüber. Über die Dreißig, da fängt's schon an, wackelig und ranzig zu werden. Aber wer immer in den Zwanzig, Fünfundzwanzig und Dreißig bleibt, der kann nie alt werden, und war er grau wie ein Esel und welk wie Sommerklee nach einem Nachtfrost. Sehen Sie, Fräulein Dorthchen, das ist die Lebenskunst. Der Mensch ist so alt, wie er sich selbst macht. Sagen Sie, ich hätt's Ihnen gesagt, der alte Cyriak Goschel.«

Er strich sich dabei über seinen grauen Kopf und glättete seinen Zwickel. Während er in sich hinein lächelte, ging er an seinen Platz zurück. Siegerhaft, gleichsam mit jeder Bewegung sich selbst schmeichelnd.

»Sehen Sie, Fräulein Dorthchen, und so Menschen wie wir hier, in einem hellen Land und mit dem guten und vielen Wein, wir dürfen nicht alt werden, wir dürfen's nicht. Da hinten im Odenwald oder da oben im Buchfinkenland, wo's den ganzen Tag nicht Tag wird und der gute Wein nicht wächst, da ist's was anderes. Gucken Sie sich die Menschen von dort an – schwerfällige Trampeltiere, mit Verlaub zu sagen. Aber hier – nein! Und nun geben Sie mir, mit Verlaub, wenn ich bitten darf, noch ein Schöppchen! Sie lassen den Kopf hängen, Fräulein Dorthchen – lernen Sie die Liebe!«

Sie stellte ihm den Wein hin, und er strich über ihre Hand. Sie zog sie rasch zurück und sagte kurz:

»Ich verbitte mir das.«

Er verneigte sich und bat um Entschuldigung. Sie konnte ihm nicht böse sein, er war ihr viel zu unausstehlich dazu. Sie wußte nicht, war er lächerlich oder einfältig oder kindisch – oder hatte er recht in dem, was er sagte. Gewiß war er ein alter Sünder – und nicht alles war gerade dumm gewesen in seinem Geschwätz. Nur seine Art war so sonderbar – er mußte doch einen Sparren zu viel haben.

In der Küche sagte die Dorth einmal zur Annelies: »Er ist wie eine gequöllte Kartoffel, die ein Feldhinkel sein will.«

Die Annelies lachte. Die Blume Marie aber wurde rot. Der Goschel kam jeden Tag. Bald fragte er nicht mehr nach der Dorth, denn er merkte es wohl, sie behandelte ihn jeden Tag ein bißchen kürzer und kühler – und ein paar Mal hatte er gerade noch gesehen, daß sie in der Tür verschwunden war, als er eingetreten war. Die Blume Marie bediente ihn. Und wenn die ihn bediente, trank er auch immer ein paar Schoppen mehr. Er war genau so höflich zu ihr wie zu der Dorth – nur manchmal sagte er ganz leise und leicht du – und wenn sie ihm den Wein brachte, streichelte er ihr die Hand oder tätschelte ihr die Wange, faßte sie unters Kinn – flüsterte »schönes Kind« und tat dann wieder ganz feierlich und vornehm und hielt seine Reden.

Einmal äußerte die Annelies einen Verdacht bei der Dorth. Aber die Dorth sagte: »'s wird ihr einfallen – so einen Fisematentenmacher, so einen alten –«

»Na, was das anbelangt.«

»Du mögst ihn am End – Annelies!«

Puterrot wurde die Annelies da, und sie wußte erst gar nichts zu sagen. Dann tat sie beleidigt – und nun wußte sie auch, daß sie ihn wirklich nicht wollte und daß es lächerlich wäre, wenn sie ihn wollte, – und sie sagte zur Dorth:

»Ich hab dir doch nie was Böses getan, daß du mich so zum Spott hältst, Dorth.« Die Dorth streichelte ihr die Wangen – und die beiden waren wieder gut. Da klang ein helles Lachen von der Wirtsstube her – die Blume Marie konnte sich fast nicht halten vor Lachen. Die Dorth und die Annelies öffneten ein wenig die Tür und lugten durch den Spalt. Sie mußten sich selbst auf die Zunge beißen, das Lachen einzuhalten. Dem Goschel war offenbar der Wein in den Kopf gestiegen. Er hatte den Hut auf ein Ohr gesetzt und tanzte »auf dem Strich« – auf einer Fuge des Fußbodens. Er zeigte der Blume Marie, wie man tanzen müsse – und wie er's noch könne. Nicht zollbreit kam er vom »Strich« weg, zierlich setzte er Fuß vor Fuß – der weiße Sand, der gestreut war, knirschte scharf – ungeheuer komisch sah es aus, wie der alte Mann den leichten und flinken jungen Burschen spielte. Er sang ein Lied, das gerade aufgekommen war, und tanzte nach seiner Melodie; den Text kannte er freilich nicht weiter als einen Vers lang: »Haste denn dein ritzerote Rock nit an ...«

Als die Blume Marie die beiden im Türspalt sah, schlug sie sich die Schürze vors Gesicht. Sie schämte sich.

Der Goschel verbeugte sich höflich vor ihr und sagte: »Habe die Ehre!« Da lief sie weg, spornstreichs in ihre Stube hinauf. Sie glaubte, weinen zu müssen – aber es schlug ihr in Lachen aus. Sie mußte furchtbar lachen.

Der Goschel war lieb zu ihr. Sie nahm den Spiegelscherben von ihrem Waschschemel und betrachtete sich darin. Sie gefiel sich. Sie hatte Augen, so rund wie Klicker, und Zähne, so weiß wie Porzellan. Sollte noch eine so aufweisen! Die Dorth, freilich die Dorth. Aber sie auch. Sie erhob sich und war sehr stolz.

Ihrer Lebtag war sie gestumpt und gestoßen worden – hier hatte sie's ein bißchen gut gehabt, obgleich die Annelies Brabender auch ihr Teil zu kommandieren verstand. Dem Alten wich man am besten aus, und wenn die Dorth gerade ihre Launen hatte, hatte man auch keinen Zucker zu lecken. Na ja – und – na ja – und wenn er sie wollte –

Hatte er sie die Liebe gelehrt? Keine Spur. Sie stellte sich ihren Mann ganz anders vor und hatte ihn sich immer ganz anders vorgestellt – aber wenn er sie wollte, sie war dann versorgt.

Sie tat ihm ein bißchen spröde. Er strich um sie herum wie eine Katze um den heißen Brei und überschlug sich förmlich in Liebenswürdigkeiten. Je mehr Geschmeichel und Gestreichel aber auf seiner Seite, desto mehr Sprödigkeit und Abweisung auf ihrer. Heut ein bißchen näher kommen lassen; morgen ein bißchen weiter weg von sich halten. Sie verstands. Ein Fingerheben, ein Drohen und ein bißchen Beleidigtsein und Barschheit, ein Augenleuchten und Schelmischtun ein andermal, neckisch die Zähne gezeigt, schmollend die Lippen geschürzt, nie ganz zu ihm hin, nie ganz von ihm weg: sie hatte für jede Gelegenheit, jede Bemerkung und Annäherung von ihm die richtige Art. Und er ging ihr um die Röcke, und er kroch ihr um die Gunst, mit jedem Tag mehr. Dann hatte sie ihn fest am Bändel. Heraus aus aller Armut und Gedrücktheit! Heraus! – und auch was haben vom Leben!

Es war am 13. Juni, als der Goschel den alten Rosenzweig um eine Unterredung bat. Er freite bei ihm mit allen Förmlichkeiten die Blume Marie – »das Fräulein Marie Blum«, wie er sich ausdrückte, und jedesmal schmatzte er ein wenig dabei.

Es schwirrten unruhige Gerüchte umher, und der Rosenzweig hörte kaum hin, was der Goschel schwätzte. Er sagte nur zu allem ja.

Krieg! Es war doch losgebrochen.

Die Bundesarmee war mobil gemacht.

Die Blume Marie sang wie ein Kanarienvogel. Sie sang von morgens bis abends, sie sang schon in aller Früh.

»Die Vögel, die so früh pfeifen, holt die Katz«, warf ihr der Rosenzweig hin.

Aber sie sang.

Ich gratuliere dir – nimm den alten Sägbock tüchtig unter die Fuchtel!« hatte die Annelies gesagt.

Die Dorth war stumm und stand wie eine Salzsäule. Krieg! Der Jörg-Adam war schon unterwegs nach Darmstadt zu den Chevau-legers – es waren schon alle unterwegs, die ins Feld ziehen mußten oder wollten, und wer wußte, ob der Jörg-Adam nicht auch gewollt hatte. Er war doch nicht so ganz frisch mehr vom Militär.

Die Dorth betete zum lieben Herrgott. Sie ließ eine dicke Kerze am Hauptaltar aufstecken. Und sie tat, was alle taten: sie fluchte auf die Preußen. Sie hatte auf einmal ein Verständnis für alle die Worte, die jetzt fielen: Freiheit, Republik, Bruderkrieg. In der Wirtsstube hob sich's. Einer sprang auf einen Tisch und rief:

»Wenn's uns alle kost't – alle miteinander – preußisch werden wir net, lieber österreichisch! Oder lieber wieder französisch – und wenn das nit sein kann: es lebe die Republik!«

Sie sah den Äges kommen. Der hatte ihr noch nie etwas Gutes gebracht. Sie wollte ihn nicht sehen und ging drum.


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