Wilhelm Holzamer
Vor Jahr und Tag
Wilhelm Holzamer

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Also war's mal wieder Bündelchestag. Es war helles, klares Wetter und der Frost so hart, daß er krachte.

Die Dorth hatte wieder die ganze Nacht nicht geschlafen. Sie hatte auf das Frostknacken in den Bäumen vor ihrem Fenster gelauscht. In aller Frühe waren dann die Raben gekommen. Es mußten sehr viele sein, denn ihr Schreien erfüllte arg die Luft. Also gab's auch noch Schnee. Die Dorth drehte sich auf die andere Seite und versuchte einzuschlafen. Aber es gelang ihr nicht. Es war beständig dies arge Rabenschreien, das sie störte. Oder meinte sie nur, daß es das sei?

Als sie am Morgen zum Fenster hinaussah, war der Himmel nicht mehr frostklar, wie er das die ganzen Weihnachtstage über gewesen war, er war völlig bedeckt, richtig »schmuddelig«, und es fiel Tauschnee. Nach einer Stunde schneite es nicht mehr, es regnete. Ein richtiger trüber, trauriger Bündelchestag.

Die Dorth seufzte. Sie mußte es sehr verstohlen tun, denn wenn's ihr Vater merkte, war gleich Feuer unterm Dach. Zweierlei forderte er: Fröhliche Gesichter und lautloses Arbeiten. Konnte man's nur einrichten, daß ihm darin nichts quer kam, so konnte man sonst bei ihm machen, was man wollte, dann ließ er Gott einen guten Mann sein. Um fünf Uhr morgens stand er auf, hantierte im Hause herum, sah im Stall nach, machte den Tauben- und den Hühnerstall auf und war so gegen sieben in der Stube am Kaffeetisch. Da mußte er gar nichts zu sagen und zu verlangen haben, es mußte alles fix und fertig bereit stehen. Wenn er seinen Kaffee getrunken hatte, ging er in den Keller und holte sich ein Krügelchen Wein. Nach dem ging sein Schaff los. Daheim oder im Feld, je nachdem, und da gab's kein Stillestehn bis zum Mittag, und nach dem Mittag bis zum Vesperbrot und nach dem Vesperbrot bis zum Feierabend. Dann ein paar Krügelchen Wein, ein Kartenspielchen, eine Unterhaltung, höchstens noch ein Ab- und Zugehen, dann ins Bett. Er war sehr fleißig. Sommer und Winter keine Ruhe. Das ist beim rheinhessischen Bauer so: er ist kein Winterschläfer. Das hat ihm die Wingertarbeit so beigebracht. Da gibt's kein Aussetzen. Außerdem kann er sich nicht auf die faule Haut legen. Er hat's Blut nicht dazu. Da hämmert zu viel Temperament drin, da kocht zu viel Wein drin. Ist denn ein Bauer vornehm und hat Winters keine Arbeit, dann geht er wenigstens auf die Jagd. Und sie sind famose Jäger und waren's immer. Den alten Schott mußte man gekannt haben, den Georg Greiner, den Tone Schemehl und den Bürgermeister Heitz von Hahnheim, was das für Nimrode waren. Am ganzen Rhein bekannt, von Oppenheim und Worms bis Bingen, von Alzey bis Mainz. Nicht ganz so eifrig, aber doch ein bißchen von ihrer Art, war der alte Rosenzweig. Nun hatte er auf heute gerade eine Jagdeinladung nach Wörrstadt. Es war ihm nicht ganz recht. Der Bündelchestag brachte viel Arbeit in der Wirtschaft. Und das Wetter war miserabel. Doch das geniert einen richtigen Jäger nicht. Einen Augenblick besann er sich: Geschäft oder Vergnügen? Er wählte das, was in diesem Falle ein echter Rheinhesse immer wählt: Das Vergnügen. 's ist keiner eine Flöhhaube, daß er sich vor einem verlorenen Tage fürchtete.

Da hörte er die Dorth ein wenig seufzen.

»Himmelsaker...«

Weiter kam er nicht. Der Jean Steinert stand in der Wirtsstube, das Gewehr über der Schulter, den Jagdmuff um.

»Alla, Rosenzweig!«

In diesem Augenblick hielt der Char-à-bancs vom Tone Schemehl schon draußen, und gleich darnach fuhr der Belmont von Mainz vor.

Der Rosenzweig rief der Dorth. Sie mußte einen Krug »Firnen« holen. Indessen machte sich der Alte fertig. Der dicke Belmont soff den Krug beinahe allein aus. Die Dorth mußte noch einmal laufen. Indessen kam der Rosenzweig mit Gewehr, Muff und Jagdhut zurück.

»Du«, sagte der Belmont, »du, ist's bald Zeit zu einer Treibjagd bei dir?«

»Wieso?«

»Noch nichts in Aussicht – he?«

»Was willst du denn eigentlich?«

Die andern verstanden längst und lachten.

»Na, Dachskopp, mit deiner Kleinen da – scheinst mir auch der Richtige – du merkst erst, daß der Fuchs im Stall war, wenn die Gäns gefressen sind.«

»Oh mein – halt dein Maul!« erwiderte der Rosenzweig geärgert, einmal, weil die Dorth gerade kam, und dann, weil er's nicht leiden konnte, gefoppt zu werden. Darin war er nicht artecht, denn das Foppen gehört hierzulande zum Leben wie das Weintrinken.

Der Rosenzweig pfiff seinem Hund.

»Treff – kusch!« Und er hieb ihm eine über den Rücken. Das war ein bißchen ungerechter Zorn gegen den Hund, weil ihn der Belmont gereizt hatte.

Nun stieg er in den Char-à-bancs vom Tone Schemehl, obgleich ihn der Belmont in seine bequeme Chaise eingeladen hatte. Ohne der Dorth eine Weisung zu geben, fuhr er mit der Gesellschaft ab.

Das Haus war bei ihr in guten Händen.

Aber daß sie geseufzt hatte? Er schielte noch einmal nach ihr. Sie trat gerade auf die Treppe. Und nun lachte sie und winkte Abschied. Wahrhaftig, der Belmont hatte recht, mit der Dorth fing's jetzt an brenzlig zu werden, und er mußte auf sie acht haben. Das beunruhigte ihn einen Augenblick. Dann fühlte er aber einen rechten Vaterstolz. Die Dorth war ein Prachtmädel geworden. Er wendete noch einmal den Kopf ganz herum, sie zu sehen. Aber da stand sie schon nicht mehr auf der Treppe.

Es lief nicht recht heute, die Dorth brachte nichts vor sich. Immer ging ihr der eine Gedanke im Kopfe herum, der sie schon quälte seit dem Gansessen gestern mittag: war's wahr, was die Burschen da gesagt hatten, daß der Jörg-Adam nicht auf dem Gut hier bleiben tät, und daß er als Verwalter von's Kretzers Weingut nach Nackenheim ging? Wie gern hätte sie gewußt, ob's wahr wäre, und doch hatte sie nicht den Mut gehabt, die Wahrheit zu erfahren. Sie hatte nicht zu fragen getraut. Sie hätte ja unauffällig fragen können. Sie waren alle so mit Essen und Trinken beschäftigt gewesen, es hätte gewiß keiner weiter drüber nachgedacht. Aber nein, daß ihr einer gesagt hätt: Ja, so ist's, und 's ist kein Ulk, den da einer gemacht hat, sie haben dich nit uzen wollen, Dorth, 's ist so – das hätt sie nicht ausgehalten. Lieber quälte sie sich mit dem Vielleicht herum. Vielleicht war's doch nit wahr. Vielleicht war ihr das nur zu Gehör gesagt, daß sie einen Schrecken kriegen sollt. Ein Trick vom Jörg-Adam, den er mit seinen Freunden ausgemacht hatte. Zwar – der Jörg-Adam war nicht zum Gansessen gekommen. Sein »Aha!« – sein schlechtes Kegeln – und daß er die Gans zum »Rabsch« geworfen hatte – es war bestimmt etwas los. Und sie spürte auch, daß es mit ihr zusammenhing. Nun mußt sich's ja aber heute zeigen. Wenn's wahr war, daß ihm der Kretzer den Posten in Nackenheim gegeben hatte – und warum sollte es nicht wahr sein, der Jörg-Adam war ein tüchtiger Kerl – dann mußte er geradesogut heute »wandern«, wie die Knechte und Mägde. Dann entschied sich's also heute.

Sie wünschte, der Tag wäre herum. Nicht wegen der vielen Arbeit – die machte ihr nichts aus – aber es lag so was in ihr. Die Raben schrien ihr beständig in die Gedanken hinein. Warum waren die aus dem Feld hereingezogen – es war nicht kälter geworden, im Gegenteil, das Wetter war plötzlich umgeschlagen – und es hatte auch keinen Schnee gegeben.

Der Äges Schmidt kam. Er verlangte einen Tisch für sich allein.

Warum, wozu er einen ganzen Tisch für sich allein haben wollte?

»Das wirst du schon sehen. Aber welchen Tisch kann ich haben? Den am Fenster, ich muß gut Licht haben.«

»Seid Ihr verrückt, Äges?«

»Verrückt – nein nit – aber durstig. Guck mal zum Fenster hinaus, da kannst du's sehe – mit 'me Wägelche hab ich's herausgefahre – und nun hätt ich gern en halbe Schoppe.«

Draußen stand ein Schreinerwagen – und darauf war ein merkwürdig geformtes Ding aufgeladen, das man nicht erkennen konnte, weil es ganz zugedeckt war.

Der Äges trank seinen halben Schoppen rasch hinunter.

»So, Dorth, un jetzt kannst du mir helfe. Schwer ist's so arg nit – aber Vorsicht!«

Was er hatte, war ein großes Modell des Kölner Doms, wie er einmal vollendet aussehen sollte. Der Äges hatte einen Winter lang mit der Laubsäge dran gearbeitet – alles fein getiftelt, das Allerkleinste, nichts vergessen – und groß! Es nahm einen ganzen Tisch ein. Die Dorth fand vor Erstaunen keine Worte. Man wußte ja, was der Äges für ein geschickter Kerl war – schade, daß er vom Saufen nicht lassen konnte und von Zeit zu Zeit seinen »Stuß« kriegte – aber daß er so was fertig bringen könnte – nein, das war doch nicht zu begreifen.

Der Äges wollte das Modell verlosen. Heut sollten die ersten Lose ausgegeben werden – und da am Bündelchestag besonders viel Leute in die »schöne Aussicht« kamen, so hatte er's hier herausgebracht. Und die Knechte und Mägde hatten heut Geld – hatten erst ihren Lohn ausgezahlt bekommen, da besannen sie sich nicht erst lange, ein Los zu nehmen, denn was kam es da auf einen halben Gulden mehr oder weniger an!

Nein, es war ein wahres Wunderwerk, was der Äges da gemacht hatte. Jetzt, wie der Dombau auf dem Tische stand, vom Fenster aus das Licht hineinfiel, da konnte man's so recht sehen: die farbigen Fenster, die durchbrochenen Türme, die so fein in Holz waren wie gehäkelte Spitzen, die Glocken, die dazwischen hingen, die feinen Türmchen und Figuren, die roten Schweizer auf der Treppe, die Wasserspeier, die kleinen Kapellchen und die paar angebauten Häuser mit den Läden und Schildern, die der Äges ganz bunt gehalten hatte, so naturgetreu, als war er selbst in Köln gewesen – und deutlich konnte man auf dem einen den Namen lesen: »Johann Maria Farina«, mit einem großen Schnörkel drunter.

Bald füllte sich die Wirtsstube. Fremde Knechte und Mägde, die nun ins Dorf kamen. Sie besannen sich nicht lange und kauften Lose. Und da ihnen beim Anschauen der Dombau immer mehr gefiel, kauften sie noch weitere hinzu, ohne daß der Äges extra Lust zu machen brauchte. Er saß nur da, trank seinen Wein und schrieb die Namen in die Listen.

Von zwölf Uhr an begann der Aufbruch. Es mußten die »wandernden« Knechte und Mägde aus dem Dorf geholt werden, und so gerne auch mancher sitzen geblieben wäre, man konnte doch nicht das neue Dienstjahr mit einem »Blauen« anfangen.

Der Äges hatte nun schon »einen sitzen«. Er nockelte ein bißchen ein. Da nahm die Dorth die Liste und die Lose an sich und besorgte das Geschäft für ihn. Sie war froh, ihre Pausen ausfüllen zu können. Sie hätte noch zehnmal mehr arbeiten mögen. Denn wenn sie einen Augenblick stille stand, dann fühlte sie ordentlich, wie ihr das Herz aussetzte. Das trieb sie in Schaff und Unruhe hinein.

Ein kleiner Char-à-bancs fuhr vor. An der Seite des Kutschersitzes war ein Schild: Weingut August Kretzer, Nackenheim am Rhein. Die Dorth unterdrückte einen Schrei. Sie mußte sich festhalten, nicht umzusinken. Und da kam der neue Verwalter herein. Er war noch einen Kopf größer als der Jörg-Adam, hatte tiefe, finstere Augen, einen langen, schwarzen Bart und sprach sehr wenig. Er bestellte sich Wein und einen Handkäse – in einem Dialekt, der ganz spitz und ungemütlich klang – und beachtete den Kölner Dom des Äges mit keinem Blicke.

Das war der neue Verwalter! Also war's wahr, daß der Jörg-Adam nach Nackenheim kam!

Der neue Verwalter war das! Dieser finstere, wortkarge Mann, der nicht einmal nach dem Äges seinem Wunderwerk hinguckte. Es war kein Zweifel mehr.

Ja, das war der neue Verwalter – und auf's Kretzers Hof begann von diesem Tage an das neue Regiment der kurzen Befehle und der ungemütlichen Schweigsamkeit. Es wurde nicht schlechter auf dem Hofe und die Leute hatten's nicht schlimmer; aber es war nicht nach der Art und Gewohnheit der Hiesigen, so wie es unter dem neuen Verwalter war, der etwas Unheimliches für sie hatte, etwas Fremdes und Kaltes, direkt etwas Feindliches, was sich auch in dem Spitznamen ausdrückte, der dem Verwalter schon gleich in der ersten Zeit beigelegt wurde: Der Höllenkretzer.

Nun saß er zum ersten Male in einer hiesigen Wirtschaft – und es war auch zum letzten Male. Er besuchte nie ein Wirthaus, so lange Jahre er auch im Orte blieb.

Die Dorth hätte ihn ermorden mögen. Sie suchte ihm den Handkäse heraus, der am wenigsten faul war, den Laib Brot, der am trockensten war – und wenn sie einen geringeren Neuen gehabt hätte, hätte sie ihm auch den vorgesetzt. Aber sie hatte keinen – und es hätte auch nichts gewirkt, denn der Verwalter rührte den Wein kaum an – er hatte ihn nur pro forma bestellt. Dann ging er – und eine Viertelstunde war die Dorth allein – nur der Äges war als Gast da – und der duselte.

Die Dorth hätte gerne geweint. Aber die Tränen kamen nicht. Sie hätte davonlaufen mögen – immer laufen – hinaus ins Feld – meilenweit – bis ans Ende der Welt. Sie hätte in den Rhein laufen mögen. Aber sie konnte nicht hinter der Einschenke weg. Diese Kleinigkeit Pflicht hinderte all ihre großen Vorhaben. Sie mußte hier aushalten. Das nahm sie ganz groß und wichtig und als eine Riesenaufgabe, die ihr bei ihrem inneren Zustande jetzt aufgeladen war, als einen unzerbrechlichen Zwang, dem sie nicht entrinnen konnte. Und sie lachte nicht darüber – sie nahm es in einem tödlichen Ernst.

Es kamen wieder Gäste. Ein paar wenige aus anderen Dörfern, Neuankommende – aber nun fing's auch schon mit den Fortziehenden an, und sie waren bald die meisten. Es waren ein paar junge Burschen dabei, mit denen die Dorth ganz gut freund war. Sie ließ sie ziehen, ohne viel dabei zu empfinden. Ein Händedruck – ein Blick in die Augen – was bis jetzt nicht ausgesprochen war, nun wurde es nie mehr ausgesprochen – und was Augen jetzt verrieten, das verstanden der Dorth ihre Augen nun nicht – es war alles Gleichgültigkeit in ihr geworden, allen gegenüber. Ihre Gedanken und Empfindungen waren auf eines gespannt, drehten sich um eines: »er« zog heut auch weg – und würde er noch mal kommen? Das war so arg und fürchterlich, als müßte alles in ihr zerreißen. Von Zeit zu Zeit mußte sie nach Luft schnappen. Aber seufzen tat sie nicht mehr – auch die Seufzer staken ihr nun in der Brust fest und waren so scharf und spitz darin, wie lauter kalte Eisen und wie unzählige feine Nadeln, die sie schon stachen, wenn sie nur die Brust ein wenig hob.

Gegen drei Uhr kam der Nackenheimer Char-à-bancs von Kretzers Weingut zurück. Er war leer, nur eine große Kiste stand zwischen den Bänken. Eine Stunde später kam der Jörg-Adam mit seinen Freunden. Er hatte erst nicht in der »schönen Aussicht« einkehren wollen, aber schließlich hatte er nachgegeben, halb, weil ihm heimlich doch das Herz dran hing, halb, weil er sich nicht vor den Freunden verraten wollte. Es dachten sich's wohl alle, daß etwas zwischen den beiden vorgefallen sein müsse, zwischen der Dorth und ihm, aber was es war und wie es mit ihnen stand, das wußten sie nicht. Der Jörg-Adam war keiner, der sich leicht beklagte. Der war eher doppelt übermütig, wenn ihn etwas bedrückte.

Als die Freunde in die Wirtsstube traten, stand die Dorth gerade hinter der Einschenke, der Tür fast direkt gegenüber. Als sie den Jörg-Adam sah, war das erste, das sie empfand, nicht Freude, sondern ein Schreck. Von dem Jörg-Adam ging ihr Blick auf die Uhr im Kasten, die neben dem Äges seinen Dom stand.

»Jesses!« dachte die Dorth, »nun wird auch gleich der Schullehrer kommen!«

Als sie dann wieder den Jörg-Adam prüfend angesehen und es ihm auf dem Gesichte abgelesen hatte, daß er schon seine paar Schoppen heut gebechert haben mußte, mußte sie wieder an den Schullehrer denken:

»Jesses! er wird doch dem Schullehrer nit etwas antun wollen, weil er grad jetzt gekommen ist!«

Dieser Gedanke schnürte ihr die Brust, und sie mußte zu beiden Seiten mit den Händen gegen ihre Brust drücken, ums nur aushalten zu können. Als sie grad wieder einen freieren Atem spürte, ging die Tür auf, und der Vetterlein trat ein. Da ergoß sich ihr eine Blutwelle in die Wangen, und es war ihr, sie könne nicht mehr aus den Augen sehen, so angeschwollen fühlte sie die Backen. Einen Moment lang mußte sie die Augen zumachen. Sie hatte Angst um den Vetterlein, und in diesem Augenblick wünschte sie, der Jörg-Adam wäre lieber so ohne weiteres fortgegangen und wäre nicht noch einmal in der »schönen Aussicht« eingekehrt. Doch als sie den Jörg-Adam jetzt mit den wiedergeöffneten Augen ansah, war sie doch froh, ihn so leibhaftig vor sich zu sehen.

Sie schenkte dem Vetterlein einen halben Schoppen Wein ein und stellte ihn stillschweigend vor ihn hin. Nicht mal das übliche »Wohl bekomm's!« konnte sie heute sagen. Scheu ging sie hinter die Einschenke zurück.

Der Äges war wieder nüchtern geworden und erklärte dem Jörg-Adam und seinen Kameraden den Dom. Dabei fiel es auf, daß er immer »Herr Verwalter« sagte. Der Äges war aber ein Schlauer. Er hatte den Schullehrer sitzen sehen, hatte einmal hinüber zu ihm und zur Dorth geblinzelt und wußte nun schon, wie die Hasen liefen. Er betonte den »Verwalter«, der Dorth zum Gehör – im Gegensatz zum Schullehrer – und dem Jörg-Adam zu Gefallen.

Der Jörg-Adam hörte gerade jetzt das »Herr Verwalter« gerne. Jedesmal, so oft es der Äges sagte, rief's höhnisch in seinen Gedanken: »Der Schulmeister!« Es spielten sich die beiden Titel gegeneinander aus – Herr Verwalter, darin das Befehlende, Beherrschende lag, – der Schulmeister, das seinen lächerlichen Beigeschmack hatte, und darin Gedrücktheit und Unterdrücktheit enthalten war.

Auch die Dorth hörte es so – und jedesmal ging ihr Blick zu dem Vetterlein hinüber, so oft der Äges das »Herr Verwalter« aussprach.

Der Vetterlein war der einzige, der nichts von dem hörte, was die anderen vernahmen. Er saß still an dem kleinen Tischchen, das ein bißchen abseits zwischen den beiden Türen stand – die eine ging in die Wohnstube, die andere auf den Gang nach der Kegelbahn – und die immer, wenn nicht verschlossen, so doch zugehalten wurden. Es war der bequemste Platz nicht, aber er hatte ihn einmal für sich ausgesucht, und deshalb behielt er ihn bei. Wollte er an dem teilnehmen, was in der Wirtsstube vorging, so mußte er seinen Stuhl seitlich rücken und konnte nicht gerade am Tischchen sitzen. So saß er auch, wenn die Dorth mit ihm sprach, nur daß er den Stuhl dann nach der anderen Seite herumschob und die Wirtsstube hinter seinem Rücken hatte. Das machten seine Gespräche mit der Dorth vertraulicher – er konnte dann so ganz allein zu ihr reden. Und sie konnte dabei die Wirtsstube übersehen, wie es zur Führung der Wirtschaft notwendig war.

Heute saß der Vetterlein so, daß er in die Wirtsstube sah. Er betrachtete aus der Entfernung den Dom vom Äges. Die Frage schwebte ihm auf der Zunge: Wie lange haben Sie daran gearbeitet? Er fand aber den Mut nicht, sie zu stellen.

Wie viel Fleiß und Geschicklichkeit gehörte dazu! Und daß gerade der Äges beides für eine solche Arbeit vereinigen konnte! Der Vetterlein hatte ihn wiederholt gesehen, daß er seiner fünf Sinne nicht mehr mächtig war. »Aber«, dachte er, »'s ist ja oft so, die größten Lumpen sind die beanlagtesten Kerle.«

Die Erklärungen, die der Äges dem »Herrn Verwalter« gegeben hatte, wurden nun von Erfolg gekrönt: der Jörg-Adam nahm zehn Lose auf einmal. Fünf blanke Gulden warf er auf den Tisch.

Die Dorth hatte unaufgefordert und stillschweigend jedem schon seinen Schoppen hingestellt. Der Jörg-Adam und seine Freunde nahmen nun ihre Plätze ein.

»Wollen Sie nicht auch ein Los nehmen, Herr Lehrer?« kam der Äges zum Vetterlein heran.

In diesem »Herr Lehrer« kicherte jetzt etwas mit, das hörte die Dorth und hörte der Jörg-Adam und hörten alle Gäste, nur der Vetterlein hörte es nicht.

Der Vetterlein machte eine abwehrende Handbewegung, wie sie Schullehrer leicht an sich haben: ein bißchen von oben herab und ein bißchen doziernd auch.

»Na na«, sagte der Äges, »tun Se nit so, Herr Lehrer.«

Das machte den Vetterlein ernst.

»Nicht, daß ich Ihre Arbeit verachten würde, Herr Schmidt. Ich bewundere sie schon die ganze Zeit.«

Da schlug der Jörg-Adam einen lauten Lacher an, und sein ganzer Tisch brüllte mit.

Der Vetterlein merkte nichts.

»Herr Lehrer«, sagte der Äges, »sehn Sie mal, wann Se mal e Frau hawwe – denke Se nor, was die e Freidche dran hawwe werd. Unn dann e doppelt so groß Freidche an Ihne, Herr Lehrer, wann Se den schöne Dum gewunne hätte.«

Der Vetterlein wurde jetzt rot. Die ganze Wirtsstube brüllte. Die Dorth biß sich auf die Unterlippe.

»Ich habe ja aber gar keine Frau«, suchte er dem Äges auszuweichen.

»Nein«, ahmte jetzt der Äges seine Sprache nach, »Sie habe keine. Aber Sie könnte eine kriegen – wann Sie eine wollte – oder wann eine Sie wollt – je nachdem, denn wisse Se, Herr Lehrer, das Lewe hott allemol zwa Seite gewöhnlich is es so: was mer will, des krieht mer net, und was mer krieht, des will mer net.«

Er wartete ab, bis der Witz belacht war.

»Nun also, weil Se den Dum gern wolle, do wem Se 'n aach net kriehe, awwer deshalb kenne Se doch e Losche nemme.«

Es wurde wieder gelacht. Der Äges sonnte sich in den Lacherfolgen. Sein Gesicht wurde immer verschmitzter.

»Herr Lehrer, sehn Se, so 'n Schullehrer, der hot doch immer Geld. Schafft nix unn werd bezahlt defor. Des bißche Schulhalte is net grade Arweit – na ja, unn sehn Se, do ist so e Losche gar nix für Sie. Nemme Se gleich zwaa, Herr Lehrer!«

Wieder eine Lache.

Der Vetterlein nahm ein Los.

Der Äges fühlte sich, er wurde immer frecher und anzüglicher:

»Ein Los nimmt der Herr Lehrer, ein ganzes« – er ahmte wieder die vornehme Sprache nach – »unn der Herr Verwalter hot zehe genumme. Ja, die reiche Schullehrer, wer des meiste Geld hot, gibt am wenigste devun her. Wann Sie erst emol e reich Fraa hawwe werde!«

Der Äges kratzte sich hinter den Ohren, dann stellte er sich mit eingebogenen Knien hin und hielt beide Hände auf seine Hosentaschen, um damit auszudrücken, daß der Vetterlein die Taschen dann erst recht fest zuhalten werde und nichts mehr heraus gäbe.

Keiner, der nicht gelacht hätte. Aber über allen Stimmen war die des Jörg-Adam.

»Der Herr Verwalter hot zehe genumme, der Herr Lehrer nimmt aans! An ganzes!«

»Äges, geht an Euren Dom und laßt die Gast in Ruh, oder Ihr könnt anderswo sehen, wo Ihr Eure Lose verkauft!«

Barsch und mit einer festen Stimme, in der kein leisestes Schwanken war, hatte es die Dorth von der Einschenke aus gerufen. Der Äges war emporgeschnellt dann, als er noch einen Blick auf die Dorth geworfen hatte, schlich er zu seinem Dom hin. Mit der war nicht zu spaßen – die konnte einem zeigen, wo Bartel den Most holt.

»Aha!« dacht der Äges, »so steht's!«

Der Vetterlein aber machte wieder seine Handbewegung und lächelte.

»O, lassen Sie ihn doch, Fräulein Rosenzweig.«

Einen Augenblick hätte man ein Mäuschen können pfeifen hören, so stille war's in der Stube. Aber dann brach wieder eine Lachsalve los, und vom Tisch des Jörg-Adam hörte man rufen: »Fräulein Rosenzweig!« Es war der Jörg-Adam selbst, der so höhnte. Die Dorth hörte es wohl, aber sie verzog keine Miene. Und auch, als ihr zugerufen wurde:

»Fräulein Rosenzweig, noch einen Schoppen für jeden von uns und einen für den Äges auf unser Rechnung!« führte sie den Auftrag aus, ohne mit einer Wimper zu zucken.

»Der Jörg-Adam zeigt sich jetzt«, dachte sie, »wie er wirklich ist.«

Der Vetterlein saß an seinem Tisch und zeichnete aus den Weinringen, die sein Glas auf der Platte gelassen hatte, Verwandlungsfiguren. Er konnte es nicht wissen, daß für die Dorth jeder Ruf, der vom Tisch des Jörg-Adam kam, ein Peitschenschlag war, und wie hätte er's wissen sollen, daß sie seinetwegen aushalten mußte. Er hatte noch nie etwas davon gehört, daß zwischen der Dorth und dem Jörg-Adam ein Verhältnis bestehen sollte. Außerdem war er nicht aus dem Dorfe und hatte also kein Ohr für die Untertöne, die hier die Worte annehmen konnten. Daß man vorhin zum Geschwätz des Äges gelacht hatte, das hatte er nicht begreifen können und hatte es einfach dumm gefunden.

Es war ein großer und andauernder Tumult in der Wirtsstube. Der Jörg-Adam lärmte mit seinen Freunden, der Äges führte Stichelreden, und gebieterisch-spöttisch – oder spöttisch-bittend – rief's oft: »Fräulein Rosenzweig, einen Schoppen!«

Der Äges blinzelte die Dorth jedesmal mit einem frechen Grinsen an, das sagte: »Du hast mich zurechtgewiesen in deiner Wirtschaft, das kannst du, aber wo ich dir was dafür antun kann, du siehst, heut schon, da tu ich dir's an.«

Die Dorth blieb äußerlich ganz ruhig. Aber in ihr stürmte es. Sie hatte Mitleid mit dem Vetterlein und ängstigte sich um den Jörg-Adam. Ja, sie ängstigte sich so sehr um ihn, daß der Zorn, den sie auf ihn hatte, ganz in der Angst unterging. Sie hätte ihn hinauswerfen mögen und hätte ihn doch mit zehn Armen festhalten mögen. Sie fühlte, so wie er jetzt war, das war nicht seine eigentliche Natur, wie sie's vorhin von ihm gedacht hatte – es bohrte etwas in ihm – es war ein Gift in ihm, das ihn zur Raserei brachte. Ja, ja, er raste, das war ja das Verzweiflungsvolle für sie. So roh wie er lärmte, und wie er soff rein nicht mehr menschlich, sondern wie ein Stier – das war keine Natur, das war die reinste Unnatur. Wenn sie ihm nur helfen könnte! Aber für gut Wort war jetzt kein Ort bei ihm. Er würde sie auslachen. Er würde es nur noch toller treiben, würde sich noch unmenschlicher gebärden; denn er würde spüren, daß es ihr wehe tat. Und 's war ja alles wegen ihr, und alles, um ihr weh zu tun.

Ihr Blick ging nun zum Schullehrer hinüber. Wie still und unberührt der dasaß. Es mochte lärmen um ihn, er mochte aufgezogen werden, er bewahrte die Ruhe. Es war wie ein Schutz bei ihm. Und wenn ihre Gedanken um den Jörg-Adam so ganz und gar in Wirbel und Sturm geraten waren, dann flüchteten sie hin zum Schullehrer. Es genügte ein Blick zu ihm – und sie spürte schon ein Stillerwerden. Er war wie eine warme Stube in der Winterhälfte, es war der Dorth fast so friedsam in der Seele, wenn sie zu ihm hinblickte, wie wenn sie zum Beichtstuhle ginge. Es löste sich dann etwas ganz sanft von ihr, es wurde etwas weich und gut in ihr, sie stand keine Angst mehr aus.

»Noch einen!« rief jetzt der Jörg-Adam – »was liegt mir noch dran! 's kann alles die Kränk kriegen, ich pfeif drauf. Ich sauf! Und ich werd saufen, daß die Schwart kracht! Und drum hab ich mich auch nach Nackenheim gemeldet – und wenn ich ein Lump werd – und keiner weiß warum – ich weiß warum! Pfeif drauf! Und jetzt noch ein', Dorth!«

In diesem Augenblick fiel der Blick des Schulmeisters auf die Dorth. Ihre Augen waren ganz groß geworden ihre Nasenflügel zitterten. Sie stand anscheinend ganz ruhig, aber man sah's ihr an, es mußte eine große Aufregung in ihr sein. Der Blick ging groß über den Jörg-Adam und ruhte schwer auf ihm, als seien ihre Augen Hände, die sich über jemand herabgesenkt haben.

Da begann ein seltsames Begreifen in der Seele des Vetterlein zu dämmern – da fing es langsam in ihm an, das Verständnis von Zwiespalt und Leid, von Angst und Zorn, von Liebe und Ungewißheit in ihrer Seele, da fing es langsam in ihm an aufzugehen. Da wurde alles fürsorglich Schulmeisterliche in ihm zu einem schützend Väterlichen, und es war ihm, er müßte seine Hand hinüberreichen zu ihr, daß sie sich an ihr halten könnte. Aber zugleich empfand er eine merkwürdige Scheu vor der Dorth: indem alles in ihm lebendig wurde und klaren Begriff annahm, was sie durchmachen mußte in diesem Augenblick, schien ihm das etwas so Großes und Hohes, daß er's kaum zu begreifen wagte, duckte er sich so klein davor, fühlte er sich so sehr wie zu Unrecht, daß er ganz erstarrt und unbeweglich dasaß.

Nun zogen die Vorgänge des Abends noch einmal vor seinem Geiste vorüber. Er verstand jetzt alles, er verstand, wie er die Ursache des maßlosen Lärmens und Trinkens, wie er die Zielscheibe des Spottes gewesen war. Da fiel alle Weltunberührtheit von ihm, und die Scham stieg ihm einen Augenblick ins Gesicht. Doch dann ward's wie ein freudiges Pochen in ihm – daß er so gelassen und unverstehend geblieben war, und daß, wenn er die Gegner auch dadurch gereizt hatte – ja, er hatte auf einmal Gegner – er sich doch nichts vergeben hatte. Er war ihnen gegenüber sicher, fein und vornehm geblieben.

Er prüfte den Blick der Dorth, der ihn einen Moment streifte. Es lag nichts gegen ihn darin – es war etwas Helles in ihrem Blick, meinte er, und sie war ihm gewiß nicht zürnend und böse.

»Dorth!« kommandierte der Jörg-Adam, »Fräulein Rosenzweig«, lispelte er, »wenn du das lieber hörst, einen Schoppen will ich!«

Er war nicht nur aufgestanden, er hatte sich voll zu ihr gewendet.

Sie hob sich ein wenig in den Hüften und gab ihrem Körper einen Ruck.

»Nein – ich geb dir nichts mehr!« sagte sie.

»Du gibts nichts mehr?«

Sie maßen einander mit festen Blicken.

»Nein, du hast genug getrunken, Jörg-Adam. Pfui Teufel, schäm dich!«

Da sah der Jörg-Adam den Vetterlein an, und er knirschte mit den Zähnen, als habe er Glas dazwischen. Und doch war er ohnmächtig – diese Ruhe des Vetterlein machte ihn ohnmächtig.

»Du gibst keinen?«

»Ich hab's gesagt, nein! – und was ich gesagt hab, hab ich gesagt, da hilft alles nichts mehr!« sagte sie mit einer besonderen Betonung.

»Dann gehen wir in ein ander Wirtshaus!«

»Gut, aber ich geb dir nichts mehr, nichts, nit einen Tropfen mehr!«

»Nit?«

»Nein!«

Und ihre Blicke hielten einander stand.

Nun kam gerade der Äges aus seiner Ecke hervorgekrochen und hielt dem Jörg-Adam sein Glas hin.

»Trink, Jörg-Adam – so lang sie dich noch nit unnerm Pantoffel hot, kannst du noch trinke!«

Die Dorth war hinter der Einschenke hervorgesprungen und hatte dem Äges das Glas aus der Hand gerissen. Mit einem kräftigen Schwung flog's in den Dom hinein und zerklirrte in ihm.

»Du sollst nit saufen, Jörg-Adam, tu's nit, ich bitt dich, tu's nit, sauf nit! Sauf nit!

Dann sank sie weinend in sich zusammen und schlug dem Jörg-Adam zu Füßen auf den Boden hin.

Der Äges hatte sich zeternd über sein Dommodell geworfen. Der Vetterlein, als er den Herzensschrei der Dorth gehört hatte, war aufgestanden, hatte sein Geld auf den Tisch gelegt, und hatte stillschweigend gehen wollen. Nun er die Dorth hinsinken sah und keiner herbeisprang, sie zu halten und zu heben, denn die Burschen waren betrunken und verwirrt, da trat er zum Jörg-Adam heran und sagte mit seiner ruhigen Stimme in etwas dozierender Art und dem breiteren Tonfall seiner Sprechweise:

»Wir müssen sie doch aufheben, Herr Verwalter, kommen Sie, ich helfe Ihnen.«

Der Jörg-Adam war aber wie erstarrt, er konnte kein Glied rühren. Der lange Vetterlein bückte sich tief über die Dorth, schob ihr die Unterarme unter die Achselhöhlen, verschlang unter ihrer Brust seine beiden Hände und hob sie auf. Er brachte sie in das anstoßende Zimmer durch die Tür neben seinem Tischchen, und hier fand sich die dicke Annelies Brabender ein und netzte der Dorth, die im alten Backensessel ruhte, die Schläfen mit Essig.

Als sie die Augen aufschlug, sah sie den Vetterlein. Er meinte ein Erstaunen in ihrem Blick zu sehen. Sie hatte rasch wieder die Lider gesenkt, als schäme sie sich. Gleich darnach aber hob sie sie wieder und lächelte.

Die Annelies Brabender fuhr fort, der Dorth die Schläfen mit Essig zu netzen.

»Sorgen Sie weiter«, sagte der Vetterlein, »ich glaub, ich bin jetzt überflüssig.«

Da schüttelte die Dorth ein wenig mit dem Kopfe.

»Noch ein bißchen!« hauchte sie.

Er blieb und traf noch ein paar Anordnungen.

Draußen wirrten Stimmen durcheinander. Ein Peitschenknall, Hufschlag und rollende Räder.

Die Dorth atmete tief aus und richtete sich auf.

Sie lauschte hinaus, gespannt, mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Gehen Sie jetzt!« sagte sie – und ihre Stimme kam wie aus einer Höhle.

Der Vetterlein ging. Die Wirtsstube war leer. Auf den Tischen lag Geld.

Der Vetterlein ging dem Dorfe zu. Er fand seine Gedanken jetzt nicht zusammen, er glaubte, alles existiere nur in seiner Einbildung.

Aber nun kam er am Äges vorbei, der seinen zertrümmerten Dom schimpfend nach dem Dorf zu fuhr.

»Ja, ja«, dachte der Vetterlein, »es ist alles wirklich – aber ich weiß doch nicht – ich weiß nur, daß ich daran beteiligt bin – und sie muß doch den Jörg-Adam sehr lieb haben – vielleicht hab ich doch Schuld, denn man soll die Augen nicht nach einer Frau erheben, die durch die Liebe geheiligt ist.«

Darüber sann er im Schreiten nach.

»Und ich tat's doch, bis zum letzten Augenblick – vielleicht fängt da erst das Unrecht an. Ich werde wieder gut zu machen suchen, so weit man so etwas überhaupt gut machen kann.«

Am Rathausbrunnen standen viele Mägde und holten Wasser – es waren wohl meist neue – und als er so lang und dürr mit dem wehenden Faltenrock daherkam, gab es ein lautes Auflachen.

Am Rathaus selbst standen Burschen in einer Gruppe.

»Fräulein Rosenzweig!« riefs mit einer spöttisch-piepsenden Stimme aus ihrer Mitte. Dann mischte sich Männerlachen mit Weibergelächter.


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