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Der Trunk in Geschichte und Völkerkunde

Auf welche Weise sind die Menschen in den Besitz des Geheimnisses gelangt, aus Zuckerlösung berauschende Getränke zu bereiten? Wann und wo gelang zum ersten Male diese für die Kultur so überaus bedeutungsvolle Umwandlung? War es ein natürlicher, unüberwindlicher Drang, ein Instinkt, der sie auf die Suche nach dem Genußgifte schickte, so wie sie Nahrung und Wasser mit Einsatz des Lebens zu erringen bemüßigt waren?

Die Antwort auf die beiden ersten Fragen können wir nicht geben, sie wird wohl auch niemals gefunden werden, denn ohne Zweifel fällt die erste Bereitung eines geistigen Getränkes in vorgeschichtliche Zeiten, über die der Schleier ewiger Dunkelheit gebreitet ist. Auch ist es gewiß, daß die Entdeckung der Gärung nicht einmal, sondern wiederholt und an verschiedenen Orten der Erde auf's neue gemacht wurde; denn dieser Vorgang kann durch Zufälle, wie sie sich im Leben der Naturvölker besonders in warmen Gebieten überaus leicht ereignen, bei nur einigermaßen fortgeschrittener Beobachtungsgabe unschwer entdeckt werden. Die dritte Frage können wir auf Grund unserer Kenntnisse aber mit Sicherheit beantworten: es ist kein Zwang, kein natürlicher Trieb, der die Menschen zur Bereitung der gegorenen Getränke geführt hat, lediglich durch Zufall lernten sie das verführerische Genußmittel, seine merkwürdige Wirkung auf die Seele kennen, um dann freilich, sobald sie der nur allzu rasch erworbenen Sucht verfallen waren, mit heißem Bemühen und gierigem Hasten nach dem Besitze des ersehnten Trankes zu streben. Es gab Stämme und Völker, die Jahrtausende ohne geistige Getränke lebten, ohne auch nur deren Dasein zu ahnen oder irgend ein Verlangen danach zu empfinden. Von dem Tage aber, an dem ein solches in ihr Dasein eintrat, waren sie ihm verfallen, ergaben sich zügellos seinem Genüsse, um oft genug die kurze Lust mit dem Verfalle und dem Tode zu büßen.

Auf demselben Wege des zufälligen Fundes sind die Menschen ohne Zweifel auch in den Besitz aller anderen recht zahlreichen Genußgifte aus dem Pflanzenreiche gelangt, die gegenwärtig teils neben den geistigen Getränken, teils an ihrer Stelle auf dem ganzen Erdenrunde verbraucht werden: Kaffee, Tee, Tabak, Haschisch, Opium, Betel, Kola, Koka, Mate, um nur die wichtigsten zu nennen; sie alle aber unterscheiden sich in einem sehr wichtigen und belangreichen Punkte vom Alkohol: der Stoff, um dessen willen sie genossen werden, ist vorgebildet in ihnen enthalten und bedarf keiner oder nur geringer Bearbeitung, um genußfertig zu werden, während keines der Gewächse, aus denen Alkohol bereitet wird, eine Spur von ihm aufweist: bekanntlich muß er erst durch einen mehr oder minder verwickelten Vorgang aus dem Zucker, bezw. der Stärke der Weintraube, der Gerste, des Reises, der Kartoffeln, des Honigs usw. hergestellt werden. Und noch etwas: Kaffee, Tabak, Mate usw. sind für den Menschen wertlos bis auf das Nervengift, das aus ihnen gewonnen wird; sie würden nicht beachtet, geschweige denn angebaut werden, würden sie es nicht enthalten. Ganz anders steht es mit den Gewächsen, die zur Gärung oder Destillierung verwendet werden: es sind wertvolle Kulturpflanzen, die zu den unentbehrlichsten Nahrungsmitteln der Menschen gehören; sie müssen zerstört, zur Ernährung unbrauchbar gemacht, in ein zwar die Sinne umschmeichelndes, den Organismus aber untergrabendes Genußmittel umgewandelt werden.

Von den geistigen Getränken waren bis zur Erfindung des Branntweins Wein und Bier die bei weitem wichtigsten und verbreitetsten; welches von beiden älter ist, wird sich schwerlich entscheiden lassen. Sicher ist, daß in Aegypten bereits 2500 Jahre v. Chr. die Biererzeugung und der Bierverbrauch eine ansehnliche Höhe erreicht hatte; die Anfänge der Bierfabrikation müssen daher dort noch viel weiter zurück verlegt werden. Die ersten beglaubigten Nachrichten über die Pflege des Weinstockes und Weinerzeugung werden aus Vorderasien und den Mittelmeergegenden gemeldet: wann und von wem zuerst der Honig zur Methbereitung, der Reis zur Erzeugung des in Ostasien verbreiteten Sake verwendet wurde, entzieht sich ganz unseren Kenntnissen.

Das Bier wurde in geschichtlichen Zeiten auf lange hinaus fast ganz vom Weine verdrängt; die Kulturträger des Altertums, die Griechen und Römer, die führenden Völker des Mittelalters befriedigten ihr Bedürfnis nach Alkohol fast ausschließlich mit Wein; wurde auch in Deutschland Bier gebraut, so war es doch so schwach alkoholhaltig, daß es nur als Hausgetränk in Betracht kam und kaum als berauschend angesehen wurde. Was uns an Nachrichten über Trinksitten und Trinkauswüchse aus jenen Zeiten zukommt, bezieht sich so gut wie ausschließlich auf den Wein. Erst gegen das Ende des Mittelalters nahm die Brauerei in Deutschland einen solchen Umfang an, daß Luther sich zu seinem bekannten Ausspruche gedrängt sah: »Wer erstlich Bier gebraut hat, ille fuit pestis Germaniae.« Und so weit die Nachrichten über die Kenntnisse der geistigen Getränke zurückgehen, so weit reichen auch die Urkunden über ihren Mißbrauch, über das Umsichgreifen der Trunksucht. Im alten Ägypten muß schon unheimlich getrunken worden sein, ausgegrabene Papyrusse bringen Jahrtausende alte Klagen über die Saufereien der Studenten ans Tageslicht, auf künstlerischen Darstellungen findet man Abbildungen der bekannten Rückwirkung des Magens auf die Zufuhr zu großer Alkoholmengen. Welche Rolle der Dienst des Dionysos bei den Griechen spielte, daß der Wein bei den Mysterien reichlich floß, und zur Blütezeit Athens bereits eine sehr verderbliche Wirkung auf Charakter und Sitte ausübte, ist bekannt. In Alexander dem Großen finden wir ein klassisches Schulbeispiel für den Einfluß, den der Trunk auf die Weltgeschichte genommen hat; wer kann sagen, welche Wendung die Geschicke des mazedonischen Reiches genommen hatten, wenn Alexander kein Alkoholiker gewesen wäre?

Die Römer waren nüchtern, so lange sie Selbstzucht kannten und übten, so lange sie im harten Kampfe mit ihren Feinden lagen. Sie verfielen dem Trunke, als sie reich und sorglos wurden, und der Trunk hat ihre Kraft untergraben, hat sie dem Verfalle und dem Untergange preisgegeben. Das kaiserliche Rom zeigt uns die verhängnisvolle Wechselwirkung zwischen Entartung und Trinkgebräuchen; beide sind Ursache, beide sind Wirkung, eines vermehrt und fördert das andere.

Dieser verhängnisvollen Verkettung fielen auch die vielen Germanenheere zum Opfer, die die Alpen überschritten und dem römischen Reiche die Herrschaft über die Welt entrissen, die schon durch das Christentum ins Wanken gekommen war. Es ist unleugbar, daß dem Deutschen ein besonderer Hang zum Trinken innewohnt und deshalb die Alkoholsitten bei ihm tiefer ins tägliche Leben eingedrungen sind als bei irgend einem anderen Volke und zwar, was beachtet werden muß, nicht etwa erst in der Zeit des Verfalles und der Entartung wie bei den Griechen, Römern oder Romanen, sondern auch schon zur Zeit der Entwicklung und des Aufstiegs. Das Zu- und Wetttrinken, die Ausbildung der Trinkgebräuche, die Verherrlichung des Trunkes hat nirgends einen solchen Grad erreicht, wurde niemals so ausgebildet und gepflegt wie an den fürstlichen und bischöflichen Höfen Deutschlands, auf den Ritterburgen und in den Ratskellern. Die Auswüchse und Ausschweifungen, von denen uns in unzähligen Schriftbelegen berichtet wird, sind haarsträubend und unglaublich.

Es drängt sich natürlich die Frage auf – und sie ist von Freunden des »guten Tropfens« auch schon oft genug gestellt worden –: »Wenn die Deutschen schon seit vielen Jahrhunderten so arg gesoffen haben, müßten sie denn dann nicht schon längst entartet und zu Grunde gegangen sein, falls der Alkoholgenuß wirklich jene vernichtende Wirkung auf Einzelwesen und Nation hätte, die ihm von den »Fanatikern« zugeschrieben wird? Liegt denn nicht darin, daß diese unbändigen Saufereien ungestraft geblieben sind – und das sind sie, wie der Aufstieg des deutschen Volkes beweist – ein unwiderlegbarer Beweis dafür, daß es mit den Gefahren des Trinkens, selbst des unmäßigen, lange nicht so weit her ist wie schwarzseherische Bangemacher uns befürchten lassen wollen?«

Nein! Nicht ein einziges Beweismittel der Wasserfanatiker wird durch die Geschichte Lügen gestraft. Denn mag auch der unmäßige Trunk im Leben des deutschen Volkes seit jeher eine verhängnisvolle Rolle gespielt haben – bis in die neueste Zeit hinein gab es Stände und Volksschichten, die sich von seiner Herrschaft freizuhalten verstanden haben und aus denen sich die durch die Völlerei verdorbenen und abgestorbenen Glieder wieder ergänzten. Von jenen Rittergeschlechtern, von jenen fürstlichen Familien, von jenen Patriziern, die den Wein aus ungeheueren Pokalen tranken, schon morgens zum Humpen griffen, wüste Gelage feierten und dem Leben den Suff als Hauptinhalt gaben, sind nur wenige übriggeblieben. Aus dem Bauern- und Kleinhandwerkerstande, der jene Sitten zwar vielleicht bewunderte und neidete, aber aus dem sehr triftigen Grunde der Mittellosigkeit nicht mitmachen konnte, stiegen erst allmählich junge, unverdorbene Kräfte hervor, die dem deutschen Volke in späterer Zeit Heerführer, Adel, Dichter und Denker wurden. Erst in jüngster Zeit verschwindet rasch und immer rascher der von der Trinksitte unberührte Ersatz; durch den neuzeitlichen Verkehr und den Kapitalismus wurde die Trinkgewohnheit zum Gemeingute des ganzen Volkes gemacht, wurde ein Netz der Verführung über reich und arm, groß und klein geworfen, dem sich weder Bauer, noch Arbeiter entziehen kann. Gefahren, die früher niemals bestanden, sind dadurch heraufbeschworen worden.

Zwei Ergebnisse haben im Laufe der Entwicklung weitgehendsten Einfluß auf die Beziehungen des Menschengeschlechtes zu den Rauschgetränken genommen: das Weinverbot des Islams ist das eine, die Erfindung der Destillation das andere.

Zwar hatte Buddha schon 1000 Jahre vor Mohammed das viel strengere und allgemeinere Verbot erlassen: »Du sollst keine berauschenden Getränke genießen«: aber die Enthaltsamkeit der Mohammedaner ist aus verschiedenen Gründen viel bemerkenswerter und wichtiger. Das Verbot des Buddhismus ist nur ein Teil des asketischen Lebensgrundsatzes, der dieser Religion zu Grunde liegt; auf alle Sinnesgenüsse zu verzichten und die irdischen Freuden zu verachten ist ja das Ziel und die Pflicht der Brahmanen seit jeher gewesen und wurde auch in die Religion Buddhas aufgenommen. Dann aber ist der Europäer mit den Indiern bis vor verhältnismäßig kurzer Zeit nur in ganz oberflächliche Berührung gekommen, so daß ihm das Leben dieser seltsamen Menschen fremd und geheimnisvoll war, jedenfalls ganz ohne Einfluß auf seine Anschauungen bleiben mußte.

Anders bei den Anhängern des Islams. Mohammed war bekanntlich alles eher als Asket, und auch die Gläubigen sind den Genüssen des Lebens keineswegs abhold: der Weingenuß einzig und allein ist verboten und eben darum machte die Enthaltsamkeit der Islamiten auf alle christlichen Völker, die mit ihnen in Berührung kamen, tiefen Eindruck. Die Gelegenheit dazu war in den Jahrhunderte währenden erbitterten Kriegen, die mit Türken und Arabern geführt wurden, während der Kreuzzüge und der Herrschaft der Khalifen über so viele christliche Völkerschaften in reichstem Maße gegeben.

Über die Gründe, die Mohammed zu seinem Verbot veranlaßt haben mögen, lassen sich nur Vermutungen aussprechen: das wahrscheinlichste ist wohl, daß er, der persönlich keinen besonderen Gefallen am Trinken fand, die Gefahren und Unzukömmlichkeiten des Trunkes klar erkannte und seinem Volke die gesundheitlichen und sittlichen Schäden ersparen wollte, die sich ihm als Folgen der Trinksitte darboten. Das Weinverbot wäre sonach in eine Reihe mit den anderen gesundheitlichen Vorschriften zu stellen, wie sie das alte Testament und der Koran ja in großer Zahl enthalten.

Für die Abstinenten ist die durch einen einzigen Gesetzparagraphen verordnete und die Jahrhunderte hindurch gehorsam befolgte Vorschrift (denn die Ausnahmen, die erst in den letzten Jahrzehnten häufiger werden und auch jetzt noch bei den Arabern fast unbekannt sind oder strenge bestraft werden, können gar nicht in Betracht gezogen werden) ein leuchtendes und klassisches Beispiel für die Richtigkeit des Satzes, daß Enthaltsamkeit leicht einzuführen und einzuhalten, Mäßigkeit (nicht für den einzelnen, wohl aber für die Gesamtheit) jedoch unerreichbar ist. Wer glaubt wohl, daß Mohammed mit einer Vorschrift, die Gläubigen sollten nur mäßig Wein genießen, das allergeringste erreicht hätte? Genau so wenig wie die zahllosen christlichen Kirchenväter und Prediger, die von der Kanzel herunter gegen Trunksucht und Völlerei gedonnert haben! Trinke nichts, ist leicht befolgbar, trinke wenig, für die meisten ein leeres Wort. Selbst wenn zugegeben wird, daß die semitische Rasse von Haus aus weniger Neigung zum Alkoholgenusse hat, erscheint die sogar in der Gegenwart trotz Weltverkehr und Verführung von 300 Millionen Menschen gewahrte Abstinenz als unwiderlegbares Zeugnis für die Erfolgssicherheit des Enthaltsamkeitsgrundsatzes.

Daß wir neben dieser Erkenntnis auch den Namen des Weltgiftes den Mohammedanern verdanken, ist einer der bitteren Scherze, die sich die Weltgeschichte gerne leistet.

»Al kol« wird das Reinste und Feinste im Arabischen genannt; so nennen darum die Alchymisten seit dem 16. Jahrhundert den wichtigsten Bestandteil des Weines. Die Kunst des Destillierens ist auf das Altertum, auf ägyptische und griechische Magierkünste und chemische Forschungen in Alexandriens Laboratorien zurückzuführen.

Langsam begann der Siegeszug der Aqua ardens, des Feuerwassers, des Weingeistes, über die Erde, um dann immer rascher zu werden; zunächst waren es die Alchymisten, die in ihren wunderlichen Apparaten den kostbaren Stoff bereiteten, dann erlernten die Apotheker die Kunst und verschafften dem geheimnisvollen Destillate den Ruf eines Lebenselixirs, einer Aqua vitae. Bald aber verbreitete sich die Kenntnis, daß man sich die ersehnte Wirkung des Weins durch Genuß des Weingeistes viel rascher und sicherer verschaffen könne, und nun war es nur noch notwendig, die Entdeckung zu machen, daß es nicht des kostspieligen Weines bedürfe, um Spiritus zu bereiten, sondern derselbe Zweck weit wohlfeiler durch Zerstörung der billigen Volksnahrungsmittel Roggen, Kartoffel oder Reis erzielt werden könne, um der Flut von Fusel die Dämme zu öffnen; mit unwiderstehlicher Gewalt ergoß sie sich in alle europäischen Länder und vervielfachte die entsetzlichen Verheerungen, die Krieg, Seuchen und Hungersnot in jenen traurigen Epochen anrichteten. Daß besonders Deutschland darunter zu leiden hatte, kann nicht Wunder nehmen, wenn wir einerseits an die Greuel des dreißigjährigen Krieges, andererseits an den unseligen Hang des deutschen Volkes zu den geistigen Getränken denken. Die verhängnisvolle Wechselwirkung zwischen Entartung und Trunk tritt uns übrigens auch da unverhüllt entgegen; die Zerstörung des Volkswohlstandes und Glückes durch eine wahnwitzige Politik, die Vertreibung zahlloser Familien von Haus und Hof, die Untergrabung aller Sittlichkeit und Zucht trieben die Menschen in hellen Haufen dem einzigen Trostspender, dem Branntweinrausche, in die Arme. Und auf der anderen Seite wäre eine so widerliche, äußerlich und innerlich unsaubere Figur wie der Landsknecht, der Soldat der damaligen Heere, wären derartige Verwilderungen in den höchsten wie in den niedrigsten Kreisen ohne die Vergiftung des Geistes und des Charakters gar nicht möglich gewesen. Zu dem tiefen Sturze Deutschlands im 17. Jahrhundert, an dessen Folgen es Jahrhunderte zu tragen hatte und dem es den niemals wieder zu ersetzenden Verlust seines Volkstumes, die gegenwärtig vier Fünftel des deutschen Sprachgebietes überziehende Rassen- und Stammesvermischung verdankt, hat die unersättliche Gier nach den Rauschgetränken, hat die Branntweinpest der Massen und die Weinvergiftung der Herren mehr als irgend etwas beigetragen. –

Werfen wir einen Blick über den Erdenrund; fragen wir uns, ob der Alkohol seinen Siegeszug vollendet hat und es kein Volk mehr gibt, das sich von ihm freizuhalten verstanden hat. Eines ist sicher: wohin christliche Kultur gedrungen ist, dort finden wir auch die Bier- und Branntweinfässer, die Wein-, Sekt- und Kognakflaschen. Eskimos, Indianer und Neger, die noch kein geistiges Getränk gekannt hatten, solange sie nicht mit den Segnungen europäischer Gesittung Bekanntschaft gemacht hatten, wurden durch das Feuerwasser vergiftet und oft genug vernichtet. In einem ganzen Weltteile, in Australien, war der Trunk unbekannt, bevor ihn die Europäer dorthin verpflanzten, und auf mancher Insel Polynesiens ist er heute noch so gut wie fremd. 500 Millionen Menschen, etwa ein Drittel der Gesamtheit, alle frommgläubigen Mohammedaner und Buddhisten nämlich, verschmähen den Genuß der geistigen Getränke.

Aber auch unter den Angehörigen der gelben Rasse, bei den Japanern und Chinesen, spielt der Trunk lange nicht jene Rolle wie unter den Weißen. Wenn es bei ihnen auch geistige Getränke verschiedener Art gibt, so sprechen sie ihnen doch nur äußerst mäßig zu; die Nüchternheit der Japaner ist ja weltbekannt und hat sich im Kriege mit Rußland glänzend bewiesen und bewährt. Wenn es gegenwärtig wenigstens in den Haupt- und Handelsstädten und unter dem Proletariats anders zu werden scheint und von den japanischen Beobachtern rasch zunehmende Verbreitung der Trinksitten beklagt wird, so zeigt sich auch da wieder die oft festgestellte Tatsache, daß das Umsichgreifen der Trinksitten eine der ersten Folgen ist, die durch innigere Berührung fremder Völker mit den Europäern hervorgerufen wird. Selbst jene Naturvölker, die sich bereits im Besitze selbstbereiteter alkoholischer Getränke befanden, von denen sie aber nur spärlichen Gebrauch machten, verfielen mit unheimlicher Geschwindigkeit der Trunksucht, wenn ihnen die Weißen, ob sie nun als Freunde oder als Feinde ins Land kamen, den »richtigen« Gebrauch dieser edlen Stoffe wiesen. Die »Reformtürken«, die sich darin gefallen, die Gebärden der Pariser Boulevards nachzuahmen, und das für »Kultur« halten, beeilen sich, ihren Freigeist dadurch zu beweisen, daß sie nach berühmten Mustern kneipen und saufen, wodurch sie den Untergang ihrer an sich minderwertigen Rasse natürlich nur beschleunigen werden. Alle Bewunderer und Nachahmer unserer modernen Zivilisation finden in den Trinkfitten einen ihrer unentbehrlichen Bestandteile, der den großen Vorzug hat, daß er bedeutend leichter aufzunehmen ist als anders, an Geist und Charakter schwerere Anforderungen stellende Kulturgrundstoffe: sie werden dazu gedrängt, westeuropäische Sitten ohne Rauschgetränke als unvollkommen und widerspruchsvoll anzusehen. Welche Berechtigung solch' wunderlicher Betrachtungsweise innewohnen mag, wollen wir prüfen, indem wir einen Blick auf die Trinksitten der Gegenwart, besonders natürlich auf jene des uns zunächst am Herzen liegenden deutschen Volkes, aber auch auf die der mit ihm im Wettbewerbe stehenden anderen germanischen, der romanischen und slavischen Völker werfen.


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