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Um eine Löwenhaut

»Höre, Hase!« sprach der Löwe, »wenn du gelegentlich den Elanhirsch findest, so melde mir das, aber heimlich.« »Jawohl,« antwortete der Hase, »den werde ich wohl schon mal finden.« Und richtig, eines schönen Tages begegnete der Hase dem Elanhirsch. »Höre,« flüsterte er diesem zu, »und wisse, der Löwe sucht dich!« »So?« war die Antwort, »schon gut, schon gut!« Damit ging der Gewarnte von dannen und fand seinen Vetter Rot-Rehbock. »Vetter,« sprach er zu ihm, »falls du jenen Mann siehst, der mich so schmerzlich sucht, sag' ihm, bitte, ich laß' ihn schön grüßen; aber fangen ließe ich mich nicht!« Der Löwe ärgerte sich wütend über diese Botschaft. »Wer mag dem Elan nur verraten haben, daß ich ihn suche?« sprach er bei sich selbst. »Ja, jetzt fällt mir's ein, das ist Freund Hase gewesen; aber warte, Verräter, fasse ich dich, geht dir's ans Fell!« Und darnach zog er aus und suchte den Missetäter mit Schmerzen. Da endlich eines Tages überraschte er ihn, er lag schlafend im Busch. »Halt, jetzt habe ich dich,« sprach er zu sich selbst, »jetzt zerreiße ich ihn mit meinen Tatzen!« Aber er war noch beim Denken, da fuhr ihm der Hase zwischen die Beine, kam unterm Schwanz wieder hervor und war auf und davon. Aber wie das so geht, eines Tages lief er dem Löwen doch in die Tatzen. Und als der Hase sah, daß Flucht unmöglich sei, gab er sich den Anschein der allergrößten Harmlosigkeit. Der Löwe fuhr ihn barsch an: »Wo kommst du her, erbärmlicher Zwischenträger?« »Herr König,« antwortete der Gefangene gelassen, »ich habe vernommen, daß du gerade dabei bist, ein Haus zu bauen; da dachte ich, ich müßte dir, meinem Könige, doch helfen.« »So, so,« sagte der Löwe geschmeichelt, »da hast du recht getan. So laß uns nur frisch daran gehen. Ich decke gerade das Grasdach. Nun kannst du gleich hinaufklettern und das Gras auflegen; ich werde von innen das Gras an die Latten binden!« »Ja – aber,« antwortete der schlaue Hase, »ich, ein unbedeutendes Geschöpf, soll draußen das Gras auflegen? Werde ich das verstehen? Nein, Herr, das gebührt den Großen und denen, die Erfahrung haben. Laß mich lieber drinnen sitzen und das Gras an die Latten festbinden, das du draußen auflegst!« – »Da hast du eigentlich recht,« antwortete der Wüstenkönig; denn die Rede des Hasen schmeichelte ihm. Und so arbeiteten sie denn zusammen. Der Löwe saß draußen oben auf dem Dach und legte Gras auf, durchstach die Graslagen mit der langen Holznadel, durch welche eine Schnur aus Baumbast gezogen war, und der Hase faßte dann – im Hause unterm Dach sitzend – die Spitze der Holznadel und zog an; hatte er festgezogen, so stach er wieder nach oben und der Löwe zog an. Auf diese Weise ging die Holznadel bald nach oben, bald nach unten, und so wurde das Gras auf die Latten geheftet. Nun hing aber der Schwanz des Löwen zwischen den Latten lang nach unten und ragte weit in das Innere der Hütte hinein. Im Eifer der Arbeit achtete der Wüstenkönig nicht darauf, daß auf diese Weise sein Schwanz leicht in Gefahr kommen könnte, mit dem Grase an die Dachlatten geheftet zu werden. Desto mehr achtete der Hase darauf. Im Nu band er den Löwenschwanz fest an die Latten. Der Löwe fühlte beim Anziehen der Schnur auch jedesmal einen kleinen Schmerz. »Frecher Kerl,« schnauzte er daraufhin von oben herab den Hasen an, »womit stichst du mich?« »Nicht doch, König,« gab der zur Antwort, »ich knackte nur ein paar Plagegeisterchen tot!« – Als nun Freund Lampe überzeugt war, daß die Riemen den Löwenschwanz tüchtig festhielten, bat er: »König, ich habe Hunger, laß mich essen, du hast da so prächtiges Fleisch liegen.« »Gut, geh nur,« war die Antwort; »aber daß du mir nicht meine guten Happen weg ißt; nimm von dem Mageren, das ist gut genug für dich!« Der Hase antwortete gar nichts, sondern setzte sich auf die Erde und aß. Der Löwe auf dem Dache beobachtete ihn scharf: »Heda,« rief er, »was habe ich dir gesagt? iß mir nicht meine guten Happen weg; iß das Magere, das ist für dich gut genug!« »Ich esse, was mir beliebt!« war die kühle Antwort. Da sprang der Löwe auf: »Du Lümmel von einem Zwischenträger,« schrie er, »kannst du nicht hören, was ich dir sage?« Und damit wollte er vom Dach auf den Hasen springen. Aber ach – sein Schwanz war eingeklemmt. Und je größer der Zorn wuchs, und je mehr der Wüstenkönig auf dem Dache raste, desto fester zog sich der Riemen um seinen Schwanz. Und siehe, da erhob sich der Hase und schlug den Löwen tot. Dann zog er ihm das Fell über die Ohren und bekleidete sich selbst damit. »So,« – sagte er, »nun werde ich alle Tiere in Schrecken versetzen;« sprach's und machte sich auf zur Stadt der Affen.

siehe Bildunterschrift

Märchen: Um eine Löwenhaut.
Der Löwe wollte vom Dach auf den Hasen springen. Aber ach – sein Schwanz war eingeklemmt.

Die Affen aber hatten gerade große Töpfe Moorhirsebier gekocht und schwelgten bereits im Vorgefühl des Genusses. Da trat plötzlich der Hase im Löwenfell in ihre Versammlung. Großes Zittern und Entsetzen überkam die Affen. Der Löwe! Was sucht der? Auf wen hat er's abgesehen? Dann aber grüßten sie ihn demütig und sprachen: »Willkommen, Löwe!« »Danke,« erwiderte er und ließ sich zu ihnen auf die platte Erde nieder. »Wie geht es dir, du großer Herrscher?« fragten höflich, aber kleinlaut die Affen. »Gut!« antwortete vornehm der Gefragte. »Dürften wir dir vielleicht ein Schöpflöffelchen Wasser anbieten, König?« fragte der größte Affe. Und damit setzte er auch bereits einen umfangreichen, irdenen Drei-Eimertopf voll Hirsebier vor dem vermeintlichen Löwen auf die Erde. Dann faßte er selbst erst den Schöpflöffel, trank einen kleinen Schluck und reichte den Löffel dem Gast, der ihn sofort tief in das unergründliche Gefäß hineinlenkte. Gefüllt bis zum Rande führte er ihn dann zum Munde. Dabei ging ein Rauschen durch die Versammlung der Affen. Man rief von allen Seiten: »Wohl bekomm's! König der Affen! Herrscher! Untier!« Diese Ehrenbezeugungen gefielen dem Hasen wohl. Als Herrscher aller Tiere gefeiert zu werden, dünkte ihn sehr schön. »Herr,« sprachen die Affen, »du wunderst dich vielleicht, daß wir gerade beim speisegefüllten Topf sitzen. Aber sieh', das Bier, welches du gerade vorfindest, war für unsere Freunde bestimmt, die uns – wie üblich – unsere Gärten bestellen helfen; du weißt, es ist jetzt gerade die Zeit, in der wir uns untereinander helfen, die Äcker umzuhacken.« »Jawohl,« erwiderte der Angeredete, »es ist jetzt gerade die Zeit; aber ihr solltet euch nicht stören lassen; geht nur auf eure Äcker; ich bleibe solange hier; wenn ihr nach Hause kommt, werde ich sicherlich noch hier sein.«

Da nahmen die Affen ihre Hacken und zogen im Gänsemarsch nach ihren Hirseäckern. Sie waren noch nicht weit gekommen, als es einem Mädchen einfiel, daß sie ja das Saatkorn vergessen hätten. »Warte,« sprach einer der Affenmänner, »ich eile schnell nach Hause zurück, es zu holen.« Als er nun aber bei dem Hofe anlangte, wo sie mit dem Löwen beim Bier gesessen, und er so eilig durch die lose Riettür des hohen Rutenzaunes hereintrat, siehe, da sah er hinter der Hütte ein Löwenfell in der Sonne ausgebreitet liegen und obendrauf saß der Hase. Der Affe war wie vom Blitz getroffen. »Aha,« sagte er bei sich, als er sich endlich von seinem grenzenlosen Erstaunen erholt hatte, »das war nur ein Hase in eines Löwen Haut!«, eilte spornstreichs wieder seinen Verwandten nach und teilte ihnen – noch außer Atem – mit, was er gesehen, nämlich nicht einen Löwen, sondern einen Hasen auf ausgebreitetem Löwenfell, Ungeziefer ablesend. »Auf, laßt uns den Hasen greifen!« riefen jetzt die tapferen Affen wie aus einem Munde. Da waren sie auch schon auf den Beinen, schnalzten mit der Zunge, als hätten sie ihn bereits, und rannten in wildem Durcheinander nach dem Dorf. Dem Hasen wurde unheimlich, als er das Gestampfe unzähliger Füße vernahm. Nichts Gutes ahnend, erkletterte er den Rutenzaun, sprang auf den Hinterhof und entfloh durch die dort befindliche, zwei Fuß hohe Türöffnung nach außen. Das Löwenfell aber hatte er im Stich gelassen. Die Affen jagten ihm nach. Als schlauer Hase jedoch verbarg er sich in einem hohlen Baum. Die Verfolger bemerkten ihn nicht, sondern eilten vorüber. Vergeblich suchten sie ihn in allen Büschen und im hohen Grase. »Wo ist er nur geblieben?« hörte der Hase rufen. Und aus Furcht, daß man schließlich doch noch im hohlen Baum nachsuchen könnte, entfloh er aus demselben. Da bemerkten ihn die Verfolger, und ein Wutgeheul ausstoßend, stürzten sie ihm nach. Freund Lampe war ihnen ein gut Stück voraus. Büsche und hohes Gras verbarg ihn vor ihren Augen. Doch, weil er wußte, daß sie ihn schließlich einholen würden, stürzte er sich in eine große Regenpfütze am Wege, wälzte sich ein paarmal tüchtig im Lehm herum und setzte sich dann neben die Regenpfütze. Es dauerte nicht lange, da erschienen die Verfolger auf der Bildfläche. Sie waren noch ganz außer Atem von dem schnellen Laufen, und sahen Freund Lampe lehmbeschmiert bei der Pfütze, hielten ihn aber für einen Fremden. »He, du Lehmmichel,« riefen sie, »hast du nicht ein Häslein hier vorbeilaufen sehen?« »Ja,« war die Antwort, »vor kaum einem Augenblick! Ihr müßt eigentlich sein Staubwölkchen noch gesehen haben.« Da eilten die Affen weiter an dem schlauen Hasen vorüber.

Der König der Affen aber schmückte sich fortan mit dem zurückgelassenen Fell des Löwen, ging auch in demselben auf die Jagd, die Tiere recht zu erschrecken. Eines Tages nun traf er auf seinem Jagdzuge den Tiger. Der hatte gerade ein Kudu erlegt. Der König der Affen in der Löwenhaut begann nun erschrecklich zu brüllen, als wäre er wirklich ein Löwe. Da das der Tiger hörte, floh er und ließ das erlegte Kudu zurück. Das war dem Affenkönig gerade recht; er rief alsbald seine Kinder und sein ganzes Volk. Die kamen und trugen das herrliche Wildpret nach Hause. Einige Zeit darauf erlegte der Tiger einen Bergbock. Und als er gerade seine Mahlzeit halten wollte, siehe, da erschien abermals der König der Affen im Löwenfell und erhob ein schreckliches Brüllen wie ein Löwe. Da machte sich der Tiger wieder aus dem Staube und ließ den schönen Bergbock dem vermeintlichen Löwen zur Beute. Dieser aber lachte sich ob der Furcht des Tigers eins in sein Affenfäustchen und trug das schöne Fleisch nach Hause.

Eines Tages jedoch geschah es, daß der Tiger die kleinen Affen spielend im Felde antraf. Diese Gelegenheit benutzte der Tiger und griff sich eines der Affenkinder. Die anderen rannten schreiend nach Hause. »Sage mir,« so begann er das Verhör des kleinen Gefangenen, »wo wohnt der Löwe, der mich ohne Unterlaß plagt? Ich hatte ein Kudu erjagt, und er hat mir's abgejagt; ich hatte einen Bergbock erlegt, und er hat ihn mir weggenommen. Sieh, dich loszulassen bin ich gern bereit, will dir dein Leben schenken, wenn du mir verrätst, wo der Löwe haust!« Da antwortete das zitternde Affenbüblein: »König, es ist kein Löwe, es ist unser Herr, der König der Affen; er hat nur die Löwenhaut angezogen. Doch, wenn ich dir das gesagt habe, Herr König, so darfst du mich nicht verraten; denn wenn du es unseren Leuten wieder erzählst, so wird der Häuptling mich töten!« Der Tiger aber antwortete: »Scher dich jetzt nach Hause; ich habe dich angehört!«

Bald darauf ging der Affenherrscher wieder einmal auf die Jagd. Der Tiger aber lag im Busch und lauerte ihm auf. »Da kommt der Mann,« sprach er und legte sich zum Sprunge bereit. Nichts ahnend kam der Gesuchte heran. Doch als er noch so in sich selbst verloren daherkam, sprang der Tiger auf mit einem mächtigen Satz und stieß ein schrecklich drohendes Gebrüll aus. Der Affe wollte fliehen, aber siehe da, der Tiger hatte ihn schon gegriffen und hielt ihn fest an seinem großprahlerischen Löwenfell. Als der Affenkönig einsah, daß Flucht unmöglich sei, legte er sich aufs Bitten und sprach: »Herr, ich bitte um Vergebung, laß mich dir etwas sagen!« »Sage an,« antwortete der Tiger; »aber mit welchem Lösegeld in der Hand erbittest du Vergebung?« »Herr,« versetzte der Gefangene, »laß uns miteinander gehen, daß ich dich führe und dir das Lösegeld zeige, mit dem ich Vergebung erbitte!« Da gingen sie miteinander und kamen zu einem Baum, der unten dicht belaubt war, oben aber herrliche Früchte trug: »Gehe da hinein, Herr, und verbirg dich im untern Gezweige; ich werde den Baum ersteigen!« Der Tiger aber sagte: »Zieh nur erst das Löwenfell aus und lasse es unten bei mir!« »Wahrhaftig, Herr König, du sprichst die Wahrheit!« gab der Gefangene zur Antwort und zog das Fell aus. Der Tiger faltete es zusammen und legte es unter den Baum. »Wenn ich nun auf den Baum gestiegen bin,« fuhr der Gefangene fort, »dann werde ich ihn schütteln, seine Früchte werden zur Erde fallen, und die großen Rotböcke und kleinen, grauen Wildböcke werden herzukommen, sie aufzulesen. Dann greife dir einen, welchen du willst!« Und damit begann er den Baum zu schütteln und schüttelte, daß all' die herrlichen Früchte zur Erde fielen, und die Wildböcke kamen, sie zu fressen. Der Tiger suchte sich den besten aus, sprang mit kühnem Satz hervor und griff sich seine Beute. Alsbald stieg auch der gefangene Affenkönig aus dem Baum herab, stellte sich demütig vor dem Tiger auf und sprach: »Da hast du mein Lösegeld, das Wildpret da in deinen Händen, Herr König!« »Dein Lösegeld habe ich empfangen,« gab der zur Antwort.

Nun faßte sich der Freigesprochene ein Herz und bat den Tiger um die Löwenhaut. »Herr,« sagte er, »wie wäre es, könntest du mir nicht das Fell schenken? sieh', ich lebe davon; wenn ich das anziehe, so fürchten sich alle Tiere vor mir; schenke mir's doch.« »Meinetwegen,« antwortete der Tiger, »ich brauche es nicht; ich lebe durch meine eigene Gewandtheit und Kraft; das Fell des Löwen habe ich nicht nötig; nimm dir's, wenn du es so gern magst!« Da nahm der Affe die Löwenhaut, zog sie an, dankte und verschwand.


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