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Märchen von Chuveane.

Chuveane hütete seines Vaters Schafe und Ziegen. Den Eltern aber fiel es auf, daß er nur so wenig Milch ins Haus brachte. Noch vor einiger Zeit war es um die Hälfte mehr gewesen. »Was tut der Junge nur mit der Milch,« sprach eines Tages der Vater zur Mutter, »ich will doch einmal gehen und sehen.« Er schlich also dem Sohne nach. Der aber saß unter einem Morulabaum Wilder Nußbaum. und hielt ein Kind in seinen Armen. Das weinte, und Chuveane tröstete es: »Morulachen klein, weine nicht; Morulachen mein, weine nicht!« Der Vater erschrak. Er wußte nicht, wie Sein Sohn zu dem Kinde gekommen sein konnte; er hatte doch keine Mutter dazu. Chuveane aber hatte das Kind aus Lehm geformt, ihm Odem eingeblasen und säugte es nun mit der Milch, die er heimlich seinen Eltern entwandte. Eiligst lief der alte Kaffer zu seinem Weibe und erzählte ihr, was er gesehen und gehört. Die kam nun sofort herbei, sich selbst von der Sache zu überzeugen. Und richtig, es war so, wie der Alte ihr erzählt. Da sah Chuveane mit dem Wunderkind, streichelte und päppelte es wie eine zärtliche Mutter. Doch etwas mußte geschehen. Es war ja unerhört, daß ein Kind in die Welt kam ohne Mutter. So etwas konnte doch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Eines Tages, als der Sohn auf dem Felde bei der Herde sich befand, machten sich denn auch die beiden Alten über den Säugling her, wickelten ihn in ein altes Fell und versteckten ihn zwischen Töpfen, Holz und altem Gerümpel, das unter dem hervorstehenden Strohdach der äußerst niedrigen Hütte draußen aufgespeichert war. Als Chuveane am Abend vom Hüten nach Hause gekommen war, saß er wohl auf seinem alten Platz an der Herdstelle am offenen Feuer auf der Lapa Hof. wie immer, aber sein Angesicht schien sehr traurig; auch sprach er kein Wort. »Was fehlt dir, mein Sohn?« fragte der Alte. Ein Kopfschütteln war die Antwort. »Warum bist du so traurig, Kind?« fragte seine Mutter. Aber er antwortete nicht. »Junge, das Holz ist alle, lauf, hole mir ein paar Scheite von der Veranda!« befahl die Alte. Er kroch auf allen Vieren unter das niedrige Dach, das Gewünschte zu holen. Da gewahrte er ein sonderbares Bündel zwischen den Töpfen und dem Brennholz. Etwas bewegt sich darin. Seine Mutter hatte ihm aufmerksam nachgeschaut. »Sieh' da,« sprach sie jetzt zu ihrem Eheherrn, »der Junge lacht; er hat das Kind gefunden!« Die Eltern hinderten ihn fortan nicht mehr, das Morulachen zu pflegen. Daß das Kind aber, ohne eine Mutter zu haben, in die Welt gekommen sein sollte, dies Wunder konnten sie nicht begreifen; da mußte doch wohl eine recht böse Zauberei im Spiele sein.

Chuveane hütete fleißig seines Vaters Herde, wie bisher, und kümmerte sich nicht um das Gerede der Leute, die gar bald von dem Wunderkinde gehört hatten. Seinem Vater aber fiel es auf, daß sich sein Viehbestand nicht so vermehrte, wie es zu erwarten gewesen wäre. Ob Schaf oder Ziege, sie brachten stets nur ein Junges zur Welt, und nicht mehr – wie es oft geschehen war – zwei oder gar drei auf einmal. Chuveane wußte darüber keine befriedigende Auskunft zu geben. Daher folgte ihm sein Vater am nächsten Morgen von ferne, während der Junge die Herde zur Weide trieb. Verwundert sah der Alte, wie alle Schaf- und Ziegenmütter laut meckernd den großen Termiten- (weiße Ameisen-) Haufen zuliefen. Sein Erstaunen wuchs, als er aus den ausgehöhlten Erdhaufen das Schreien von Lämmchen vernahm, die stürmisch nach ihren Müttern verlangten. Das litt ihn nicht länger in seinem Versteck. Er sprang hervor, öffnete die ausgehöhlten, mit Steinen verschlossenen Termitenhaufen, und ergriff die Lämmer, sie zu ihren Müttern zu führen. Da er aber die einzelnen nicht unterscheiden konnte, gab es ein wirres Durcheinander, und Chuveane, bereits erbost, wurde dadurch noch aufgeregter, erhob seine Hand gegen seinen Vater und schlug ihn. Am Abend desselben Tages kam zum ersten Male die ganze, volle Herde ins Dorf und erregte den Neid aller Einwohner. Als diese den Staub der heranziehenden großen Schaf- und Ziegenschar aufsteigen sahen, schüttelten sie die Köpfe und fragten den Alten: »Sage an, wo hast du mit einem Male die übergroße Herde her?« »Mein Sohn hat sie bisher in den Termitenhaufen versteckt gehalten,« war die Antwort. »Heute lief ich ihm nach und kam auf diese Weise hinter seine Schliche.« Damit erzählte er die ganze Geschichte. Da steckten sie abermals die Köpfe zusammen und sagten: »Das geht keineswegs mit rechten Dingen zu; der Junge ist ein Moloï (Zauberer, Giftmischer)!« Und zu seinem Vater sagten sie: »Den müssen wir aus der Welt schaffen, denn erstens hat er ein Kind und keine Mutter dazu, zweitens ist auch die Lämmergeschichte nichts weiter als Zauberei; der bezaubert uns schließlich noch alle, das Dorf geht zugrunde, und wir kommen alle um. Da ist ein Gifttrank, den schütte in seine Milch, daß er trinke und sterbe!« Am Abend nun, als der so übelbeleumdete Jüngling auf seinem üblichen Platz am Herdfeuer auf der Lapa hockte, kam seine Mutter mit einem Töpfchen Milch. »Trinke, mein Sohn,« sprach sie und reichte ihm den Gifttrank. Er griff darnach und schüttete es auf den Lehmflur des mit einem Rutenzaun umgebenen Hofes. »Er hat's gemerkt,« murmelten die Alten. Die Dorfbewohner aber hielten abermals Rat und kamen überein, sein Vater müsse auf Chuveanes Platz an der Herdstelle eine tiefe Grube graben und leicht zudecken. Alsdann würde er abends da hineinstürzen und könnte unschädlich gemacht werden ohne Rumor. Der Mann führte den Auftrag aus. Aber als der Jüngling abends nach Hause kam, drängte er sich zwischen seine Geschwister, die rechts und links von der leichtbedeckten Grube am Herdfeuer saßen. Das gab ein kräftiges Schieben, bis schließlich der neben der Menschenfalle sitzende Bruder mit lautem Schrei in dieselbe hineinstürzte.

Die lieben Nachbarn jedoch fuhren unermüdlich fort, neue Anschläge gegen das Leben des zum Moloï erklärten Jünglings zu ersinnen. Der aber blieb unbekümmert, freute sich des Wunderkindes und hütete nach wie vor seines Vaters Herde. Im Toreingang des väterlichen Dorfteils Ein Eingeborenendorf hat verschiedene Dorfteile mit besonderem Eingang, Tor genannt, das von hohen Pfählen gebildet wird. nun wurde eine tiefe Grube gegraben, die dann leicht überdeckt wurde und mit Erde überschüttet. Allen Einwohnern wurde geboten, auf Seitenwegen die Herden einzutreiben, nur Chuveane tolle durch die Pforte eingehen und in die Grube fallen. Da kam er an vom Felde, fröhlich, nichtsahnend. Als er aber das Dorftor sah, wußte er schon Bescheid. Und zur höchsten Verwunderung der lauernden Nachbarn sprangen alle Schafe und Ziegen in einem Satz über die gefährliche Stelle, und der gehaßte Jüngling tat dasselbe.

Das Mißlingen auch dieses Anschlages ärgerte die Leutlein doch sehr. Aber noch einmal wollten sie es versuchen. Endlich mußte es ihnen ja doch gelingen. »Laßt uns,« so sprachen die schwarzen Leute, »jetzt einen bewaffneten Mann in eine große Garbe stecken. Wenn der Moßutho seine Hütte decken will, trägt er dazu das Deckgras in großen Garben von fünfzig und mehr Bündeln auf seinem Rücken heran. Wenn dann Chuveanes Vater am Abend sagt: ›Junge, hole mir die Grasgarbe, die dort unter'm Baum steht!‹ so soll der Mann in der Garbe den Moloï totstechen.« Gesagt, getan. Am Abend sprach der Alte zu seinem Sohne: »Dort unter'm Baum steht die Grasgarbe, geh' und hole sie!« Sofort erhob er sich, nahm aber eine Assagei und noch eine und noch eine, nahm auch den runden Büffelschild in die linke Hand. »Was bedeutet das, warum gehst du mit Waffen, das Gras zu holen?« fragte erschreckt der Vater. »Oh, nichts!« war die Antwort. Dann schleuderte er den Wurfspieß in die Grasgarbe. Der Mann in der Grasgarbe stieß einen Angstschrei aus und versuchte auszureißen, Chuveane hinterdrein. »Helft mir, helft mir!« rief er, »meines Vaters Grasgarbe reißt aus!« Und dabei schleuderte er die zweite Assagei. Das helle Blut floß aus der davoneilenden Garbe. Da kehrte er zurück und sagte: »Deinen Auftrag, Vater, kann ich nicht ausführen; die Grasgarbe ist mir davongelaufen!« – Da merkten die Leute, daß man ihm nicht beikommen konnte.

Der bisher Verfolgte gewann jetzt die Oberhand und begann nun, die Dorfbewohner zu narren. Eines Tages fand er auf dem Felde ein totes Zebra. Er setzte sich darauf und hütete von hier aus die Herde. Als er am Abend nach Hause kam, fragten sie ihn: »Wo hast du heute gehütet?« »Am Streifchen-Hügelein,« gab er zur Antwort; »da war's sehr schön!« Am zweiten Abend fragten sie ihn wieder, ebenso am dritten und vierten, und jedesmal sagte er: »Am Streifchen-Hügelein; da war's sehr schön!« Eines Tages aber, als er auf dem von der Sonne aufgedunsenen Zebrakadaver saß, geschah es, daß derselbe unter ihm zerplatzte. Als er diesmal daheim gefragt wurde: »Wo hast du heute gehütet?« gab er zur Antwort: »Am Bruchhüglein war ich heute!« Da wurden sie ärgerlich und sagten: »Was für schnurrige Namen alle deine Hügel haben, du bindest uns Bären auf; morgen wollen wir mitgehen, deine Hügel zu sehen.« Das taten sie auch, und er zeigte ihnen das tote Zebra: »Hier ist der Streifchen-Hügel!« »Wie, du narrst uns wohl? – Zeige uns nun auch den Bruchhügel!« – »Ihr steht ja vor ihm,« antwortete er. »Wo?« fragten sie. »Seht ihr denn nicht den zusammengesunkenen Zebrakadaver? Das ist das Bruchhüglein.« »Chuveane,« erwiderten sie darauf, »du bist kein Kind mehr, siehst du nicht, daß dies ein Stück Wild ist? Wenn man dergleichen findet, so macht man einen Verhau aus Baumästen gegen Raubtiere, geht nach Hause und ruft die Leute, mit Körben das Fleisch zu holen.« Die Schwarzen essen auch das Fleisch von verendeten Tieren. »Gut!« antwortete Chuveane, »das nächstemal mache ich's besser.«

siehe Bildunterschrift

Märchen von Chuveane.
Der Mann in der Grasgarbe stieß einen Angstschrei aus.

Nun fand er eines schönen Tages ein kleines, totes Vögelein. Es war ein Fingerglied lang. Sofort griff er zum Beil, schlug reichlich Äste und Sträucher und türmte sie auf zu einer mächtigen Hecke rings um das Vögelein. Dann eilte er nach Hause, rief die Leute zusammen und sprach: »Kommt herbei, ich habe ein totes Tier gefunden und mit einem dichten Gehege umgeben, wie ihr geheißen; eilt nun herbei mit Körben und holt euch das Fleisch!« Da zogen sie alle aus, Männer, Frauen und Kinder. Die Frauen und Mädchen trugen auf ihren Häuptern mächtige Körbe. Das Wort »Fleisch« hatte sie alle gleichsam elektrisiert. Von weitem schon sahen sie die hohe Umzäunung. »Sicher ein sehr großes Wild,« sagten sie. An Ort und Stelle angekommen, reckten sie sich die Hälse aus. »Wo ist denn das Wild, das du eingehegt hast?« fragten sie. »Ihr seht auch gar nichts,« antwortete Chuveane, »da liegt's ja!« »Ach, ein Kolibri,« stotterten sie enttäuscht. »Aber das ist ja kein Wild; das hängt man sich einfach um den Hals zum Schmuck!« sagten die Männer. »Gut!« antwortete er, »das nächstemal mache ich's besser.«

So kam er denn kurze Zeit darauf nach Hause, ein Rehböcklein am Halsband hängend. »Hier,« rief er, »das ist ja wohl nach euerm Rat von neulich.« Da schalten sie ihn und sagten: »Mit dir ist nichts anzufangen, du bist verkehrt!« Er aber narrte sie noch manches Mal, bis sie müde wurden, ihm Ratschläge zu erteilen.

Chuveane aber wurde berühmt, etliche sagen, es sei der große Gott selbst, der die Berge, Flüsse und Wälder geschaffen. Andere Stämme aber sagen, das sei nicht wahr. Der große Gott, Chuveane mit Namen, sei nach seiner Schöpfungstat verschwunden und ward nicht mehr gesehen. Der aber, von dem alle die hier berichteten Geschichten erzählt werden, sei sein Sohn Chutswane, der auch einmal wiederkommen werde, die Menschen zu Glück und Wohlergehen zu führen.


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