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Der heilige See.

Schöpfe mir Wasser aus dem See, der keine Frösche hat.

Es war einmal ein Mann, dessen Frau auf den Tod krank darniederlag. In der höchsten Not fiel ihm ein gutes Heilmittel ein, und alsbald machte er sich auf, dasselbe zu suchen. Er nahm seine Assageien und das Kriegsbeil und erlegte einen Büffel. Aus der Leber dieses Tieres kochte er eine Suppe, die seiner Frau sehr wohltat. Täglich zog er nun aus auf die Jagd. Bald erlegte er einen Hasen, eine Antilope, ein Reh oder gar Blauwildebeest, und stets bereitete er aus der Leber eine köstliche Suppe, die er seinem Weibe als Speise vorsetzte. Und siehe da, die Kranke genas.

Nun begab sich's aber, daß auch der Mann von einer gefährlichen Krankheit ergriffen wurde. Als es nun – wie es schien – zu Ende ging, bat er seine Frau, ihm Wasser zu holen aus dem See, der keine Frösche hat. »Woran soll ich aber den See erkennen?« fragte diese. »Geh' nur aus,« lispelte der Schwerkranke, »und wenn du an einen See kommst, so rufe laut: Mein Mann hat mir geboten, schöpfe mir Wasser aus dem See, der keine Frösche hat. Dreimal mußt du diese Worte laut ausrufen. Bekommst du auch nach dem dritten Mal keine Antwort, so ist es der heilige See, und du kannst schöpfen!« Da nahm die Frau ihre Kalabasse und den Schöpflöffel Aus Kürbisschale. und ging aus. Sie kam zum ersten See und rief dreimal laut: »Mein Mann hat mir geboten, schöpfe mir Wasser aus dem See, der keine Frösche hat!« Als sie das drittemal gerufen hatte, antwortete es aus dem See: »Kwaak, kwaak!« und sie mußte weiterziehen. Sie erreichte bald den zweiten See und tat wie beim ersten. Aber aus der Tiefe antwortete es ebenfalls: »Kwaak, kwaak!« Da kam sie zum dritten See und tat, wie ihr Mann geboten hatte. Als sie zum dritten Male gerufen hatte, blieb es ganz still. Sie bückte sich nun und schöpfte ihre Kalabasse voll Wasser, setzte sie auf ihren Kopf und trug es nach Hause. Dort angekommen, goß sie sich von dem frischen Naß etwas in die hohle Hand und wusch sich ihr Antlitz. Nach Gewohnheit der Kafferfrauen, wenn sie vom Wasserschöpfen nach Hause kommen. Dabei rannen ihr einige Tropfen auf die Lippen, und sie schmeckte, das Wasser war süß wie Honig. Vergessen war der sterbende Mann. Mit Gier leerte das Weib die große Kalabasse. Und auch daran hatte sie noch nicht genug, sondern sie eilte – so schnell sie laufen konnte – zum See zurück, legte sich platt auf die Erde und trank und trank, bis der ganze See leer war und sie zu einer unförmlichen Masse aufgeschwollen war, anzusehen wie ein Berg. Sie fiel auf die Seite und konnte sich nicht mehr regen.

Es war aber der heilige See der Tiere des Feldes und Waldes, den sie ausgetrunken hatte, über den der König derselben, der Elefant, zwei Wächter gesetzt hatte, den Löwen und den Tiger. Die mußten ihn hüten, damit kein Frosch oder gemeines Tier sich ihm nahe und verunreinige. Daß das Wasser allezeit honigsüß blieb, dazu mußte ein jegliches beitragen. Allabendlich, wenn die Tiere kamen, ihren Durst zu löschen, brachte jedes ein Stück Honigwabe mit und warf es in den See. Daß aber jenes Weib imstande gewesen, die heilige Stätte gemein zu machen, war Schuld der Wächter. Sie hatten an diesem Tage geschlafen.

Die Sonne neigte sich zum Untergange; da kam als erster der Hase, der sich stolz den königlichen Götterboten nennt. Der See war leer; daneben aber lag die unförmliche, bergeshohe Masse des Weibes. »Wer hat den See ausgetrunken?« fragte er dieselbe. »Ich weiß nicht,« lispelte sie kaum hörbar, »die Rinder der Regenpfützen werden es wohl gewesen sein.« Die Tiere kamen unterdessen herbei, eins nach dem andern, ihren Durst zu löschen, und jedes erschrak, daß kein Wasser im See war, und jedes fragte den Hasen, und der Hase wies jedes an das Weib, und das Weib antwortete jedem: »Ich weiß nicht; die Kühe der Regenpfützen werden es wohl ausgetrunken haben!« Zuletzt kam auch der König der Tiere, der Elefant. Die Erde zitterte unter seinen Tritten. »Wo ist das Wasser, Löwe? Wer trank den See aus, Tiger?« »Herr König,« flehten beide, »du weißt, der Schlaf ist ein Feind; er überkam uns, überwand uns und nahm uns gefangen.« Der Elefant aber wurde zornig und fragte abermals: »Wer trank das Wasser aus?« »Herr König,« antworteten die zitternden Wächter, »da ist der Hase, frage ihn!« »Hase,« wandte sich der Gestrenge jetzt an diesen: »gib Aufschluß, wer trank das Wasser aus?« »Da liegt der Sünder!« antwortete dieser und wies auf das Weib. »Herzu, Löwe, und zerreiß sie!« befahl der Elefant. »Erlasse mir, das zu tun,« bat dieser. »Auf, Tiger, zerkratze sie!« wandte sich der Elefant an den zweiten Wächter. »Gestrenger,« war die Antwort, »das kann ich nicht tun, erlasse es mir!« »So werde ich sie selbst töten,« erwiderte darauf der König der Tiere, »schleppt sie auf die Seite!« Darauf zertrampelte er sie mit seinen Beinen, daß nur eine unförmliche Masse überblieb. Den Boden des Sees aber befahl er zu reinigen, damit alles Entheiligte aus ihm entfernt werde. Darauf gab er ein Gebot: niemand solle aus irgendeinem See Wasser trinken, bis die Regenzeit den heiligen See von neuem gefüllt habe.

siehe Bildunterschrift

Märchen vom hl. See.
Daß aber jenes Weib imstande gewesen, die hl. Stätte gemein zu machen, war Schuld der Wächter. Sie hatten an diesem Tag geschlafen.

Der Mann aber jener vom Elefanten zerstampften Frau wunderte sich sehr, daß diese nicht mit dem so heißersehnten Wasser kam. Er litt große Pein. Doch wunderbarerweise genas er dennoch von seiner schweren Krankheit. Er war noch nicht ganz wieder hergestellt, als er bereits anfing, nach ihr zu suchen. Auf dem Hofe fand er die leere Kalabasse und den Schöpflöffel. Auf einen Stock gestützt, ging er aus, die Verschwundene zu ermitteln. Er kam zum ersten See. Aber sie war nicht da. Er kam zum zweiten; sie war nicht zu sehen. Da gelangte er beim dritten See an; der war ganz leer, und abseits lag ein Häuflein zerstampfter Menschengebeine. Da fing er bitterlich an zu weinen. Er sammelte die noch vorhandenen Knochen in einen Sack von Büffelhaut, band ihn ringsum mit Ochsenhautriemen und beerdigte sie daheim in seinem Viehkraal, wie man die Toten pflegt zu begraben, und trug Leid um sie lange Zeit.

Der heilige See aber füllte sich im Sommer mit frischem, klarem Wasser. Alles Getier des Waldes und Feldes trinkt aus demselben und bringt nach wie vor seine Dankesgabe in Honigwaben. Löwe aber und Tiger bewachen ihn unausgesetzt, daß kein Frosch hineinhüpfe oder irgendein Unreiner sich ihm nahe.


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