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Vorwort.

Großvater Moßutho sitzt am Herdfeuer auf der Lapa. Hin und her flackert die Flamme und wirft die seltsamsten Schattenbilder an den hohen Rutenzaun. Das reizt zu Träumereien. Der alte Mann sieht die Kinder rings um das Herdfeuer sitzen. Er denkt an vergangene Tage, da auch er ein Kind gewesen. Alte Geschichten tauchen in ihm auf. Aber der Schimmer der Verklärung liegt jetzt über manchem Schweren, das er hat durchmachen müssen. Wie ein Märchen liegt die Vergangenheit hinter ihm. Etwas schrecklich, gruseln machend und doch wieder to traulich, freundlich. Er summt ein monotones Verslein vor sich hin von einem schönen Vogel. »Großvater,« schreit da das jüngste der Wollköpfchen, »erzähle uns doch wieder vom schönen Vogel!« »Ja, ja,« fallen die anderen ein, »bitte, bitte, ein Märchen, bitte, vom schönen Pfau!« Und Großvater fängt richtig an. Dem ersten Märchen folgt ein zweites, ein drittes. Der Alte gerät in Eifer; die Rede fließt; er webt Verslein ein und singt. Die Kinderschar antwortet ebenfalls singend im Chor. Und nun hört man bald, wie der – für den Europäer allerdings recht eintönige – Wechselgesang hier und da die Erzählung angenehm würzt. Erst singt der Alte, und händeklappend fällt die Kinderschar ein. Laut tönt es durch die stille Nacht:

»Gurre, gurre, husch, ihr Tauben,
O du Halm, wackle, wackle,
Bringe mich zu meiner Mutter in der Tiefe!
Meine Schwester Tlakalebale tut mir Unrecht,
Reicht mir die Speise in einem Mäusenapf
Und der Moßelampscha in der Schüssel!«

Aufmerksam lauscht der weiße Mann, der Missionar, den Tönen. Er sieht den Eingebornen in seinem Element. Könnte ich ihnen Gottes Wort doch ebenso schön vor die Augen malen, daß sie mit denselben glänzenden Augen der frohen Botschaft lauschen, wie hier den Märchen! Möchte ich's doch so recht verstehen lernen, ihnen von dem wahren »heiligen See« zu erzählen, vom kristallenen Meer, an dem die Harfenschläger Gott loben!

Und so schöpft denn der Glaubensbote auch aus den Volksmärchen und Fabeln: Weisheit, sowohl die Sprache recht zu handhaben, als auch den rechten Ton zu treffen, auf den die Herzenssaiten der Eingebornen gestimmt sind.

Gewiß muß er mit dem Umstand rechnen, daß, gleichwie die Sprichwörter bei den verschiedenen Stämmen verschieden lauten, also auch die Märchen in den verschiedensten Fassungen erscheinen. So werden die Märchen bei den Stämmen jenseits des Olifantflusses anders erzählt als diesseits. Mitunter glaubt man, ein neues zu hören, und zuletzt stellt sich heraus, daß es zusammengesetzt ist aus drei Märchen verschiedener Volksstämme. Anders erzählt der Stamm der Löwen, anders der Stamm der Hyänen, anders die Rotböcke, anders die Krokodile. Durch Kriegszüge oder Flucht schuldbeladener Stammesglieder oder durch andere Umstände ist es jedoch schon in uralter Zeit geschehen, daß dieser oder jener nach einem fremden Stamm hin verschlagen wurde, z. B. bei Mphome sind der Herrscherstamm die Wildschweine; sie überwanden die Elefanten und machten sie zu Untertanen. Friedlich herzu zogen die Löwen, Angehörige des Maßemolastammes in und um Arkona, sowie hier und da ein Büffel. Durch solche Vermischung gestaltet sich auch das Märchen.

Die besten und zuverlässigsten Erzähler sind die Alten, die von europäischen Einflüssen noch unberührt geblieben. Ihre Zahl ist gering und nimmt immer mehr ab, je mehr der Europäer dem Eingebornen seine Sprache aufdrängt.

Die Missionare dagegen suchen dem Volke die Sprache zu erhalten. Auch aus diesem Grunde sammeln sie Sprichwörter und Märchen und damit das unverfälschte Alt-Seßutho.

Möchte die nachfolgende Auswahl von Fabeln und Märchen mitsamt den dazugehörigen Illustrationen Liebhabern eine Probe geben aus der Gedankenwelt des Moßutho auf unserem Missionsfelde in Transvaal!

Missionsstation Mphome, Nord-Transvaal,
Februar 1906.
C. Hoffmann.


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