Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Herr, wie oft muß ich meinem Bruder, der da sündiget, vergeben?

(Matth. 18, 21.)

 

Es war eine Woche später. Ein freundlicher Sonntagmorgen schaute zu den Fenstern der geräumigen Bauernstube herein, woselbst der stattliche Hausherr behaglich auf einem alten Lederstuhle saß und mit dem im Glase funkelnden Markgräfler liebäugelte. Ja, ja, der Flurenbauer wußte zu leben, das bewies das Frühstück, welches vor ihm auf dem Tische stand, und der gute alte Wein zur Genüge. Er konnte dies auch, denn er erfreute sich einer Wohlhabenheit, die nahezu an Reichthum streifte, und Jedermann würde ihm sein behagliches Leben gegönnt haben, hätte der Flurenbauer nicht dem selbstsüchtigen Satze gehuldigt: »Selber essen macht fett.« So aber gönnte er, seine respektable Person einzig ausgenommen, Niemandem einen guten Bissen, noch einen guten Trunk, zeigte sich vielmehr als ein Geizhals von der allerschlimmsten Sorte.

Er führte eben wieder mit behaglichem Lächeln den perlenden Markgräfler zum Munde, als die Sonntagsglocken zu läuten begannen und die Christenmenschen nach dem kleinen Gotteshause riefen, um dort dem Schöpfer für seine Barmherzigkeit und ewige Liebe zu danken. Der Flurenbauer hörte die feierlichen Töne und es wäre wol am Platze gewesen, daß er sich den Kirchengängern angeschlossen hätte, denn verdankte er nicht einzig und allein der Güte des Herrn seinen Wohlstand? Hatte Er nicht seine befruchtenden Sonnenstrahlen über die zahlreichen Rebhügel des Flurenbauer hingegossen und ihm den köstlichen Trank erstehen lassen, der des Menschen Herz erfreut? Und dennoch zeigte sich der Großbauer, gegenüber der mahnenden Aufforderung der Glockentöne, taub, ließ den gesegneten Wein in die Kehle hinab gleiten, schnalzte mit der Zunge und äußerte zu einer in der Stube beschäftigten Magd:

»Wo ist der Andreas? Er soll hereinkommen.«

»Ei, Herr,« entgegnete die Dirne, »Ihr wißt doch, daß der Andreas stets einer der Ersten ist, die zur Kirche gehen, – er ist schon seit fünf Minuten fort.«

Der Bauer brummte einige unverständliche Worte und zog die Stirne in Falten; er führte von Neuem das Glas zum Munde und der Markgräfler schien sein erregtes Gemüth zu beruhigen, denn er sagte in humoristischem Tone: »Wenn der Pfarrer Andreas nach Haus kommt, so sag' ihm, daß ich ihn sprechen will.«

Die Magd lachte und ging ihres Wegs.

Die kleine Dorfkirche stand unweit des stattlichen Hofs, den der Flurenbauer sein eigen nannte, und so konnte er die frommen Orgeltöne vernehmen, die aus dem Gotteshause zu ihm herüberdrangen. Und dennoch vernahm er sie nicht, da er mit weltlichen Gedanken beschäftigt war. Ja, er lächelte sogar auf höchst verschmitzte Weise, und es war ihm anzusehen, daß er über ein vortheilhaftes Geschäftchen nachdachte, gerade, als die Gemeinde in stiller Andacht sang:

»Erfüll' mich, Herr, mit Lust und Kraft,
Dem Nächsten beizustehen,
Betrübter Herzen Trost zu sein,
Mich mit den Fröhlichen zu freu'n,
Mit Weinenden zu klagen,
Und dem, der mir sein Herz vertraut.
Die Rechtlichkeit, auf die er baut,
Nicht treulos zu versagen.«

... Der Gottesdienst war zu Ende und, in der Seele neu gestärkt, schritten die Kirchengänger ihrem Daheim wieder zu.

An der Seite seiner alten Mutter ging Andreas, sie fürsorgend nach der kleinen Hütte begleitend. Wie gerne wäre er bei ihr geblieben, wie gerne hätte er im gegenseitigen Gedankenaustausch den Inhalt der vernommenen Predigt noch einmal an sich vorüber ziehen lassen, allein er durfte nicht länger säumen, sondern mußte in den Dienst seines weltlichen Herrn zurückkehren. Wol ruhte heute die Arbeit auf den Feldern, dagegen galt es, das Vieh in den Ställen zu besorgen, welches Geschäft an Sonntagen abwechselnd die Knechte und Arbeiter des Hofes traf. Heute hatte Andreas die Verpflichtung und als ein getreuer Untergebener eilte er auf seinen Posten. Noch war er mit Wassertragen beschäftigt, als eine der Mägde ihm zurief:

»Andreas, eil' Dich, der Herr verlangt nach Dir.«

»Ja, Du mein Himmel, ich muß doch erst die Thiere versorgen,« lautete seine Antwort.

»Ich will die Arbeit übernehmen,« entgegnete die gutmüthige Magd, »geh' lieber gleich zum Herrn, denn er scheint mir heute nicht besonders guter Laune zu sein.«

Andreas dankte dem Mädchen und wandte seine Schritte dem Herrenhause zu.

»Na, ist der Herr Pfarrer Andreas endlich da?« redete ihn der Flurenbauer an, dem der genossene Markgräfler ein wenig zu Kopfe gestiegen zu sein schien, wie sein rothglühendes Gesicht genugsam bezeugte. »Hab's nicht gerne, wenn der Knecht den Herrn warten läßt.«

»Ist meinerseits gewiß nicht mit Absicht geschehen,« entgegnete Andreas, »befand ich mich ja doch in der Kirche.«

»Ei was,« polterte der Bauer, »Herrendienst geht vor Gottesdienst.«

»Der Ansicht bin ich nicht,« widersprach Andreas ruhig, aber fest. »Gott ist der größte und erste unter allen Herren, und wer ihm nicht dient, wird gegen die weltlichen Herren erst recht lässig sein.«

»Potz Schnickschnack und kein Ende,« rief der Flurenbauer und auf seiner niederen Stirne zeigte sich ein ganzes Heer von Falten. Er erhob sich schwerfällig von dem Lederstuhle und schritt, die Hände in den Taschen, dem Fenster zu, eine Weile schweigend durch die Scheiben auf die Gasse blickend. Andreas, unschlüssig, ob er gehen oder bleiben sollte, sagte endlich:

»Ihr habt mich rufen lassen. Was ist's, was Ihr von mir verlangt?«

»Du wirst wol warten können, Bürschle, bis ich von selbst anfange,« gab der Flurenbauer grob zurück. »Seht mir doch den vorwitzigen Gelbschnabel!« Nach diesen Worten wandte er sich von Neuem dem Fenster zu, um abermals eine geraume Weile still zu schweigen.

Andreas sah ein, daß er dem launischen Bauer gegenüber nichts auszurichten vermöge, und ließ sich daher auf der Ofenbank nieder, das Weitere in Geduld erwartend. Nachdem der Flurenbauer längere Zeit vor dem Fenster gestanden, abwechselnd an dessen Scheiben getrommelt und dann wieder gepfiffen hatte, wandte er sich urplötzlich um und rief dem sofort sich erhebenden Andreas in barschem Tone zu:

»Dein Bruder ist ein schöner Lump, mit dem ich kurzes Federlesen machen werde. Seit acht Tagen ist er nun schon wieder aus Freiburg zurück, trotz alledem aber hat er sich nur auf Stunden bei der Arbeit blicken lassen. Denkt der Musjöh etwa, ich soll ihm für sein Faulenzen den hohen Lohn geben? Weiter fehlte mir nichts, namentlich jetzt, wo die Zeiten und der Verdienst schlecht sind und man kaum das liebe Salz auf's Brot hat.«

Andreas entgegnete nichts, warf aber einen vielsagenden Blick auf die leeren Weinflaschen, sowie die Frühstücksüberreste, welche noch auf dem Tische standen. Der Flurenbauer bemerkte dies und rief zornig die Magd herbei, sie scheltend, daß sie Alles umherstehen lasse und nichts aufräume. Nachdem die Magd die Stube wieder verlassen, ergriff der Flurenbauer von Neuem das Wort:

»Ich vermag Deinen Lüdrian von Bruder nicht zu Gesicht zu bekommen, da er sich bald hier, bald dort herumtreibt; deshalb sag' Du ihm, daß, falls er nicht von morgen an zur Arbeit zurückkehrt und fleißig die Hände rührt, er aus meinem Dienst entlassen ist. Es herrscht, Gottlob, kein Mangel an Arbeitern, und er ist nicht schwer zu ersetzen. So, das war's, was ich Dir zu sagen hatte; kannst jetzt wieder an Deine Geschäfte in den Stall gehen.«

»Ich würde meinen leichtsinnigen Bruder gerne warnen,« entgegnete Andreas, »wenn ich es vermöchte, allein ich bekomme ihn ebenso wenig zu sehen, als Ihr, und so müßt Ihr ihm schon selbst mittheilen, was Ihr mir aufgetragen.« Nach diesen Worten schritt Andreas der Thüre zu, der Bauer aber rief ihm nach:

»Dein Bruder ist ein Lump und Du bist ein hochnäsiger Bursch, dem ich am allerliebsten auch den Laufpaß gäbe, wenn –«

»Wenn Ihr mich nicht so gut brauchen könntet,« vollendete Andreas lächelnd, »sagt's nur grad' heraus.«

Der Bauer ballte die Faust und der Knecht ging seinen Geschäften nach. Mit der Arbeit wollte es indessen heute bei Andreas nicht recht vorwärts gehen, wie es stets zu geschehen pflegt, wenn der Mensch zerstreut ist und an andere Sachen denkt. Immer und immer wieder trat das Bild des leichtsinnigen Bruders ihm vor die Seele und er fragte sich in stiller Verzweiflung: »Was soll aus Ruppert nur werden?«

Traurig und verstimmt trat er spät am Abend den Nachhauseweg an. Schon hatte er den Fuß auf die Schwelle der armseligen Hütte gesetzt, als von dem Ende der Gasse her ein wüster Lärm ertönte. Schnell wandte Andreas seine Schritte dieser Richtung zu, da er unter den streitenden und zankenden Stimmen jene Ruppert's herausgefunden hatte. Vor dem Wirthshause angelangt, sah der arme Andreas den berauschten Bruder auf dem Erdboden liegen, die Fäuste drohend gegen den mit einigen Bauern vor der Thüre stehenden Wirth ausgestreckt.

»Wart' nur, Du dicker Wanst« schrie Ruppert mit heiserer Stimme, »Du sollst mich nicht straflos beschimpft haben, – ich werde mich schon an Dir rächen!«

»Das magst Du thun,« versetzte der Wirth verächtlich, »besser und ehrenhafter aber wär's, wenn Du Deine Zeche bezahltest.«

»Was ist denn eigentlich vorgefallen?« ergriff jetzt Andreas das Wort. »Ihr vollführt ja einen Lärm, als ob das ganze Dorf in Flammen stünde.«

»Ist der Pfarrer auch da?« höhnte Ruppert, sich mühsam vom Boden emporarbeitend. »Nun wird gleich die Predigt losgehen.«

»Halt' Dein Maul,« rief einer der Bauern dem leichtsinnigen Burschen zu. »Du hast wahrlich keinen Grund, Deinen Bruder zu schmähen. Er ist ein rechtschaffener, arbeitsamer Bursche, und Du dagegen ein grauslicher Lump, der dem lieben Herrgott seine Zeit stiehlt.«

»Was?« schrie Ruppert gereizt, »Ihr fangt schon wieder an? Verspürt Ihr etwa Lust, auf Eure dummen Gesichter einen Denkzettel zu bekommen? Und das wird gleich geschehen!«

Damit taumelte er, die Fäuste hoch erhoben, auf die vor der Thüre stehende Gruppe zu, kam aber einige Schritte von seinem Ziele ab und traf, statt die Köpfe der Bauern, die Wand des Wirthshauses, zum großen Ergötzen der Anwesenden. Andreas hatte Mühe, die Schadenfreude der Bauern zu zügeln, auch erfuhr er erst nach wiederholtem Fragen die Entstehung des Streits.

»Der Ruppert,« berichtete der Wirth, »hat einen Schoppen nach dem andern getrunken und ist dann händelsüchtig geworden, so daß schließlich nichts übrig blieb, als ihn an die Luft zu setzen. Nun hat sich aber herausgestellt, daß er nicht einmal die Zeche zahlen kann. Wenn Einer nichts verdient, so soll er hübsch daheim bleiben und Wasser trinken, und nicht ehrliche Gastwirthe um ihr bischen Verdienst bringen. Pfui der Schande!«

»Jawol, pfui,« stimmten die Bauern mit ein, »das ist der reinste Betrug!«

»Freunde und Nachbarn,« sagte Andreas beschwichtigend, »setzt um meinetwillen den Streit nicht fort.«

»Du hast gut reden, Andreas,« entgegnete der Wirth, »da Du nicht der geschädigte Theil bist; ich aber frage, wie komme ich zu meinem Gelde?«

»Ei, so gieb Dich doch zufrieden,« rief Andreas ärgerlich. »Die Summe wird denn doch wahrlich nicht so groß sein, daß ich sie Dir nicht ersetzen könnte.«

»Was? Du willst anstatt Deines Bruders zahlen?« fragte der Wirth in außerordentlich freundlichem Thone. »Nun, das ist schön von Dir. Ja, ja, ich hab's immer gesagt, der Andreas ist ein ehrlicher, kreuzbraver Bursche.«

»Das ist er auch,« riefen die Bauern, »und der Ruppert verdient ihn gar nicht zum Bruder.«

Andreas dankte weder für das schmeichelhafte Lob, noch entgegnete er etwas; wol aber zog er seinen kleinen, ledernen Geldbeutel hervor und befriedigte den Wirth, worauf er den wankenden Ruppert unter dem Arm faßte und mit ihm die Dorfgasse hinab schritt. Als sie aus dir Gehörweite der Bauern waren, begann Andreas in ruhigem, aber bestimmten Tone:

»Das muß anders mit Dir werden, Ruppert, ein solches leichtsinniges Leben darfst Du unmöglich länger weiter führen.«

»Hähä,« lachte Ruppert näselnd, »gelt, ich soll arbeiten, bis ich meine Knochen nicht mehr spüre, damit ich nur Dir und der Mutter Geld geben kann?«

»Es stünde schlimm um uns, wenn wir auf Deine Hilfe nur irgendwie rechnen müßten,« versetzte Andreas, »dagegen könntest Da leicht in die Lage gerathen, unser Mitleid in Anspruch nehmen zu müssen. Denn hörst Du nicht auf meine Warnung und setzest Du Dein lüderliches Leben fort, so wird kein Bauer Dich mehr in Dienst nehmen und Du stehst dann als Bettler da.«

»Haha,« lachte Ruppert, »noch ist es nicht so weit, Bruder Pfarrer, und wenn ich nur ein paar Tage in der Woche arbeite, so habe ich genug für meine Kehle und meinen Magen.«

»Je nun,« entgegnete Andreas achselzuckend, »wem nicht zu rathen, dem ist nicht zu helfen. Soviel aber kann ich Dir sagen, daß der Flurenbauer Dir sofort den Laufpaß geben wird, wenn Du nicht von morgen an regelmäßig Deine Arbeit besorgst; das hat er mir heute mitgetheilt, damit Du es durch mich erfahren sollst, und Du weißt recht gut, daß der alte Eisenkopf der Mann ist, die Drohung auszuführen. So, hier ist Dein Zuhause, ich kann Dich somit jetzt verlassen, zumal Du keine Treppe zu steigen hast. Ueberlege Dir reiflich, was ich Dir gesagt habe, gehe in Dich, und damit gute Nacht.«

Andreas ließ den Arm des Bruders, den er bisher geführt, frei und war im nächsten Augenblicke in der Finsterniß verschwunden. Der unverbesserliche Ruppert aber unterließ nicht, ihm nach kurzem Besinnen die Antwort laut dröhnend nachzuschicken, indem er zu singen begann:

»Z' Friburg auf der Post,
Tausigsappermost!
Trinkt ma nit a guete Wi?
Goht er nit wie Baumöl i?
D'rum muß getrunke si
Vi-e-l Wi!«


 << zurück weiter >>