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Elftes Kapitel.
Friede nach dem Sturm

Die Stadt Mainz genoß bis zu jener Stunde, wo Adolph von Nassau sich ihrer Thore bemächtigt hatte, so viele Freiheiten, daß sie unter den freien Reichsstädten des deutschen Vaterlandes obenan stand. Der Mut der Mainzer Bürger und deren unbegrenzte Liebe zu ihrer Stadt waren es gewesen, welche Freiheiten und mehrfache Rechte im Verlauf der früheren Jahrhunderte des Mittelalters errangen. Bereits im zwölften Jahrhundert hatte der Erzbischof Adalbert I. die Freiheit der Mainzer dadurch anerkannt, daß er auf zwei metallene Kirchenthürflügel die Worte eingraben ließ: »Ihre angeboren Rechte!« Er erweiterte dieselben noch ansehnlich durch Abtretung mehrerer Majestätsrechte, welche die Erzbischöfe als gleichzeitige Kurfürsten zu Mainz ausübten. Die deutschen Kaiser hatten die Freiheiten der Stadt und ihrer Bürger anerkannt und bestätigt, und trotz alledem genügte eine einzige Nacht, die noch kurz vorher durch Handel und Gewerbe blühende, volkreiche Stadt – das goldene Mainz – all ihrer Privilegien zu berauben und so ziemlich zu Grunde zu richten.

Simon und Judas! das Märtyrertum der beiden Apostel war auch über die beklagenswerte Bürgerschaft der alten Reichsstadt gekommen. Erst der neue Tag zeigte das Unglück in all seiner gewaltigen Ausdehnung. Die edelsten Bürger waren getötet, die meisten ihres Vermögens beraubt worden. Viele hatten sich aus der Stadt geflüchtet und dadurch das bessere Los erwählt, denn an den Zurückgebliebenen ließen die rohen Kriegsknechte und Verräter all ihre Bosheit aus. Kein Alter und kein Stand blieb da verschont.

Auf dem Marktplatz ward die von den Söldnern gemachte Beute an eine kauflustige Menge verschachert, welche sich immer rasch in eroberten Städten einzufinden pflegte. Das erlöste Geld verteilten die Kriegsknechte unter sich.

Nach dem Dietmarkt ließ der neue Kurfürst den kleinen Teil der in Mainz zurückgebliebenen Bürgerschaft bescheiden, und unter den Vorgeladenen befand sich auch der an Händen und Füßen gefesselte Bürgermeister.

Adolph von Nassau erschien mit einem reichen Gefolge, das aus Kriegsobersten seines Heeres und jenen Männern bestand, welche ihm Mainz überliefert hatten. Mit tiefer Verachtung blickten die Bürger auf die Verräter, welche triumphierten, als der neue Kurfürst sich in zürnender Rede gegen die Bürger wandte. Er konnte es ihnen nicht verzeihen, daß sie dem kaiserlichen Gebote getrotzt und, im Bunde mit Diether von Isenburg, ihm den Eintritt in die Stadt und die Besitzergreifung seiner Rechte gewehrt hatten.

»Es wäre nur gerecht von mir,« schloß er den stürmenden Erguß seiner Rede, »wenn ich diesen heimtückischen, rebellischen Bund dadurch strafte, daß ich sein Haupt von dem Rumpfe trennte,« – dabei deutete er auf den Bürgermeister – »allein es ist schon zu viel Blut geflossen, und so vermag der winzige Rest sein Leben behalten. Aber Jakob Fust ist mit allen Ratsherren für ewige Zeit aus Mainz verbannt!«

Diese Worte riefen große Bestürzung hervor und vermehrten den allgemeinen Jammer …

Als am nächsten Tag ein großes Gastmahl die Mitglieder des Domkapitels in dem Saal des Schultheiß vereinte, woselbst Erzbischof Adolph sein Absteigequartier genommen, trat der greise Propst Lichtenau in demütiger Haltung vor ihn hin und sagte:

»Ueber alle, die treu zu Diether von Isenburg gehalten haben, fällte Ew. Eminenz den richterlichen Spruch. Nur ich harre noch desselben. Ich stehe im Winter meines Lebens und werde bald vor Gottes Throne erscheinen. Rein muß daher meine Seele bleiben und vor jeder Lüge zurückschrecken. Deshalb bekenne ich Ew. Eminenz offen, daß ich meinem Erzbischof Diether treu gedient, daß ich in ihm den mir von Gott bestimmten Herrn verehrt habe. Ja,« schloß er mit thränenfeuchten Augen, »meine Verehrung und Treue für ihn wird nicht erlöschen, so lange mein Herz noch atmet, – und demütig erwarte ich nunmehr den Richterspruch Ew. Eminenz.«

Kurfürst Adolph ergriff die Hand des Greises.

»Unser Dasein,« entgegnete er mit bewegter Stimme, »ist ein ewiger Kampf, und je höher der Mensch steht, je zwingender ist oft die Macht, die ihn zu Handlungen nötigt, welche seiner Sinnesart widerstreben, die er aber doch vollbringen muß, wenn er nicht im Kampf um Ehre, Macht und Ruhm erliegen will. Diether von Isenburg war mein Gegner; seitdem er bezwungen, ist er es nicht mehr. Wohl bekenne ich es, daß er durch den Verlust seiner kurfürstlichen Würde viel eingebüßt hat, aber ein Edelstein ist ihm geblieben, den ihm niemand zu rauben vermag und um welchen ich ihn beneide. Dieser Edelstein, dessen lauteres Licht sich bis zum Himmel erhebt, ist Eure Treue, ehrwürdiger Herr. Ich wäre stolz, wenn ich mir Eure Liebe im Laufe der Zeit zu erringen vermöchte. Darum bitte ich Euch, verbleibt in Eurem Amte.«

»Herzinnigen Dank, Eurer Eminenz,« versetzte der alte Propst, »allein der Sturm, der über Mainz gebraust, hat das morsche Gebäude meines Körpers erschüttert. Trübe sind meine Augen und mein Herz sehnt sich nach Ruhe. Darum entlaßt mich in Gnaden!«

Es kostete Adolph von Nassau einen harten Kampf, der Bitte dieses treuen Dieners nachzugeben. Aber die freundlichen Augen des Greises waren so flehentlich auf ihn gerichtet, daß er mit leiser Stimme antwortete: »Es sei!«

Der Propst atmete erleichtert auf. Nachdem er dem Kurfürsten gedankt, näherte er sich den Domherren, reichte ihnen der Reihe nach die Hand und sagte mit seinem herzgewinnenden Lächeln:

»Laßt uns in Frieden scheiden! Wir haben manche Stunde der Erhebung zu Gott und manche Stunde heiteren Beisammenseins mit einander verlebt. Dessen gedenkt, wenn ich nicht mehr bin!«

Der Greis verblieb nicht zum Mahle, und noch an demselben Tage verließ er Mainz für immer, um in der Nähe seines ehemaligen Bischofs zu leben.

Für Diether von Isenburg wollte zwar Friedrich von der Pfalz eine Lanze brechen und ihn durch Waffengewalt wieder zu seiner Kurfürstenwürde verhelfen, allein auch Diether war des Kampfes müde. Er hatte die Einsicht gewonnen, daß die Christenheit noch nicht reif sei für reformatorische Bestrebungen, deren durchgreifender Erfolg einer besseren Zukunft vorbehalten bleiben sollte. Er verzichtete daher auf Amt und Würden, gegen die Abtretung einiger Städte des Fürstentums.

Das volkreiche Mainz war verwaist, und weder Handel noch Wandel blühten mehr. Eine große Menge von Häusern stand leer, von der entflohenen und der verbannten Einwohnerschaft kehrten nur wenige zurück. Auf Anraten des Domdechanten, welcher zur Würde eines Propstes erhoben worden war, erließ Kurfürst Adolph mehrere öffentliche Ausschreiben, in denen er allen, die ein Gewerbe oder einen Handel in Mainz treiben wollten, Schutz für ihre Person und Güter versprach. Doch selbst dieses fürstliche Wort hatte nur einen geringen Erfolg.

Auch die beiden Buchdruckerwerkstätten der Stadt Mainz lagen verödet und verlassen da, denn sämtliche Arbeiter hatten sich, durch ihre fanatischen Feinde bedroht, nach anderen Ländern und Städten geflüchtet, indem sie sich durch die schreckensvolle Katastrophe ihres Eides entbunden glaubten, den sie ihren Herrn über die Bewahrung des Geheimnisses geschworen, brachten sie in viele Städte des deutschen Vaterlandes die Segnungen der neuen Kunst. Allerorten thaten sich jetzt Buchdruckereien auf, große Massen von Büchern erschienen, und mächtig ergoß sich der Strom aufklärender Bildung in alle deutschen Gauen. Das Volk lernte denken und verstehen, es reifte für den Aufschwung der neuen Zeit, und so gestaltete sich Gutenbergs Erfindung der Buchdruckerkunst so recht zur Vorläuferin der lutherischen Reformation.

Selbst die Mönche überwanden ihre abergläubische Furcht, da sie das Geheimnis der neuen Kunst kennen lernten, und in vielen Klöstern entstanden Buchdruckereien.

Johann Fust durchlebte schwere Tage. Die Macht und das Ansehen seiner Familie waren durch die Katastrophe und die Verbannung seines Bruders geschwunden, und die Zerstörung seiner Druckerei hatte ihm einen schweren Verlust beigebracht. Es war eine sichtbare Vergeltung der Vorsehung, unter welcher er und sein Haus leiden mußten. Angesichts der vielen Druckereien, die schnell nach einander entstanden, durfte der geldhungerige Mann nicht auf eine baldige Wiedereinbringung seines erlittenen Schadens rechnen. Er richtete daher auf Paris all seine Hoffnung. Nachdem er seine zerstörte Druckerei mit Hilfe Peter Schöffers wieder eingerichtet und den Druck neuer Werke beschleunigt hatte, begab er sich nach der französischen Hauptstadt. Die Pest wütete daselbst mit so furchtbarer Macht, daß sie innerhalb von zwei Monaten gegen 40 000 Menschen hinwegraffte. Auch Johann Fust ward ein Opfer der Seuche.

Peter Schöffer war nunmehr der alleinige Inhaber der Druckerei zum Humbrecht. Um sein Geschäft zu vergrößern, kaufte er noch den anstoßenden Hof zum Korb hinzu. Er ward ein wohlhabender Mann, der mit seiner Dyna recht glücklich lebte. Als sein Sohn, der nach dem Großvater Johann hieß, das Alter der Selbstständigkeit erreicht hatte, überließ ihm Schöffer die Buchdruckerei. Die Konkurrenz hatte dem Vater das Geschäft verleidet und außerdem erhielt er das ehrenvolle Amt eines Richters bei dem weltlichen Gerichte zu Mainz, wodurch seine Zeit vollauf in Anspruch genommen wurde.

Wennschon Peter Schöffer an dem Ruhme der Erfindung der Buchdruckerkunst keinen Anspruch nehmen durfte, so gebührt ihm, als den ersten Verbesserer, doch ein Denkmal neben jenem Gutenbergs, und es wäre undankbar von der Nachwelt, den Namen Peter Schöffers der Vergangenheit anheim zu geben.

Johann Gutenberg stand im Begriff, seiner Vaterstadt Mainz gleichfalls ein Lebewohl zu sagen. Mannigfache Gründe bestimmten ihn zu diesem Beschluß.

Die schreckensvolle Nacht des 28. Oktobers hatte sein alter Diener Lorenz nicht zu überwinden vermocht. Er siechte rasch dahin und eines Morgens fand ihn Gutenberg tot im Bett.

Nun befand sich der Meister allein in dem großen, öden Hause. Nur selten besuchte ihn Humery, den der neue Kurfürst in seinem Amt gelassen hatte. Die über Mainz hereingebrochene Katastrophe war auch an dem humorvollen Manne nicht ohne Folgen vorübergegangen. Er erschien fortan ernst und in sich gekehrt, und eines Tages teilte er Gutenberg mit, daß er die Präsidentschaft bei seiner von ihm gestifteten lustigen Gesellschaft aufgegeben habe.

»Es ist alles eitel in dieser Welt,« schloß er kopfschüttelnd, »und was wir erhofft, erstrebt – war nur ein flüchtiger Traum. Dort oben erst werden wir wirklich zu leben anfangen.« Dabei deutete er gen Himmel.

Er kam immer seltener zum Vorschein und ward schließlich zum Menschenfeind.

So stand denn Gutenberg in seiner Vaterstadt gänzlich vereinsamt da, denn auch sein treuer Freund Günther hatte der Welt Valet gesagt.

Ein unverhoffter Besuch seines Neffen Jakob Sorgenloch rüttelte den Meister aus seiner Schwermut auf.

»Ich nahe mich Dir mit einer fröhlichen Botschaft,« äußerte der stattliche junge Mann, aus dessen Augen das Glück des Herzens glänzte. »Am nächsten Sonntag findet meine Verlobung mit Else Bechtermüntz statt, und die ganze Familie läßt Dich herzlich bitten, nach Eltvill zu kommen und der Feier beizuwohnen.«

»Ich passe zwar mit meiner Trübsal schlecht in eine heitere Gesellschaft, die sich noch des Lebens zu erfreuen vermag,« erwiderte Gutenberg, »trotzdem nehme ich Deine Einladung an.«

Die unverhohlene Freude, welche Jakob bei dieser Erklärung kundgab, rührte den Meister. Er legte seine Hand segnend auf des Neffen Haupt und sagte:

»Mögest Du in friedlicher Eintracht mit Deinem jungen Weibe das Glück finden, welches das Schicksal mir versagte! Im Herzen der Jugend schlummert eine Welt von Idealen und kühner Pläne. Auch ich zog dereinst in die Welt mit einer Hoffnungsfreudigkeit, die sich vor keinem Hemmnis fürchtet. Ich habe ja errungen, was ich erstrebt, dank der Güte des allmächtigen Gottes, der mich nie verlassen! Mit Achtung nennt die Welt meinen Namen. Aber glücklich, mein herzlieber Neffe, glücklich bin ich doch nicht. Der Ruhm ist Nahrung für die Jugend, je älter der Mensch wird, je mehr schrumpfen seine Ideale zusammen, er findet sein wahres Glück nur in der Mitteilsamkeit eines andern Herzens, das treu an ihm hängt, das ihn liebt und versteht. Dieses Herz bewahre Dir für Dein ganzes Leben, laß es zu Deinem Altar, Deinem Heiligtum werden, – und wenn Du dereinst auch ohne Ruhm aus diesem Leben scheidest, so nimmt Deine Seele doch das Bewußtsein mit sich, daß jenes Herz ihm früher oder später in eine bessere Welt folgen wird. Der Ruhm ist irdisch, er bleibt auf Erden zurück.«

Gutenberg bedeckte seine Augen und winkte seinem Neffen zu gehen …

Es war ein sonniger Frühlingstag, an welchem die Verlobung des jungen Paares in dem elterlichen Hause zu Eltvill stattfand. Frohsinn leuchtete aus aller Blicken, und selbst über Gutenbergs Züge glitt ein Lächeln, als die mutwillige Else zu dem Bräutigam äußerte:

»Das sage ich Dir im Voraus, ich heirate Dich nur als Jakob, Deine schrecklichen andern Namen magst Du für Dich behalten.«

,Das geht eben doch nicht an,« lachte der Hausherr.

»Es geht alles an,« erwiderte Else, »wenn man nur will, – und ich will

»Dann bin ich begierig, wie Du das anfängst,« meinte die Mutter.

»Ich habe mir schon darüber Rats erholt,« erklärte die Tochter zur allgemeinen Verwunderung.

»Ei, so sprich doch!« riefen alle.

»Da müßt Ihr in den Garten mitkommen,« lachte Else. »Doch halt,« fügte sie schnell hinzu, »wie spät ist es wohl an der Zeit?«

Der Vater nannte die Stunde.

»Ja,« fuhr Else fort, »dann wird er an dem Garten bald vorüberkommen.«

»Wer?«

»Das werdet Ihr schon sehen.«

Die Verwunderung nahm zu, indessen mußte man sich in den Willen der mutwilligen Else fügen.

»Es wird nicht viel dabei herauskommen,« lachte der Vater.

»Warte es erst ab,« widersprach die Tochter, und gleich nachher gab sie Jakob einen herzlichen Kuß.

Lachend und kopfschüttelnd folgte die Gesellschaft dem voranschreitenden Brautpaar nach dem Garten. An dem der Landstraße zugekehrten Ende desselben befand sich ein künstlicher Schneckenberg, an dessen Fuß Else die kleine Gesellschaft aufstellte.

»Wartet hier,« sagte sie mit ihrer frischen Stimme, dann sprang sie zierlich die kleine Anhöhe hinauf.

»Ihr Mutwille hat uns zum besten,« äußerte der Vater und die andern pflichteten ihm bei.

»Aufgepaßt! Jetzt geht's los!«

In der Begleitung eines kleinen Gefolges ritt Kurfürst Adolph die Straße herauf. Nach Art seiner Vorgänger hatte er sein Hoflager nach Eltvill verlegt, dessen reizende Umgebung größeren Genuß darboten, als der Anblick der von ihrer Zerstörung sich noch immer nicht erholenden Stadt Mainz.

Als das Roß des Kirchenfürsten sich jetzt der kleinen Anhöhe näherte, auf welcher Else stand, rief diese unter einem tiefen Knix:

»Grüß Gott, Eure Eminenz!«

»Ei, sieh da, mein liebes Beichtkind,« erwiderte der Erzbischof freundlich und fügte, sich zu seinen Begleitern wendend, hinzu: »Die Kleine da hat es fertig gebracht, daß ich mich noch einmal in den Anfang meiner geistlichen Laufbahn versetzte und ihre Beichte anhörte.«

»Ei nun,« lachte Else, »eine Beichte war es nun wohl nicht. Ich suchte Ew. Eminenz nur auf, um mir Rats zu holen.«

»Hast Du mir nicht gebeichtet,« widersprach der Kirchenfürst gutgelaunt, »daß Du einen jungen Mann gern hättest?«

»Ei, das habe ich dem jungen Mann vorher selbst gesagt,« versetzte Else mutwillig, »und deshalb war er noch lange kein Beichtvater.«

»Diese Behauptung ist zu logisch, als daß ich ihr zu widersprechen vermöchte,« lächelte der Erzbischof. »Soviel ich mich erinnere,« fuhr er nach kurzer Pause fort, »mangelte Dir noch die Erlaubnis Deiner Eltern.«

»Ach,« meinte Else, indem sie den Kopf rückwärts wandte und zu Vater und Mutter herabsah, »die kam ganz von selbst. Ich wußte schon längst, daß ich den Eltern einen großen Gefallen erweisen würde, wenn ich den Jakob heiratete.«

»Du bist ein sehr gutes, braves Kind,« versetzte der Erzbischof, während es um seine Mundwinkel eigentümlich zuckte. »Das Opfer ist Dir wohl recht schwer geworden?«

Else seufzte tief auf, wandte abermals das Köpfchen rückwärts und warf dem vor Freude erstrahlenden Jakob eine versteckte Kußhand zu.

»Die Sache hatte aber doch noch einen Haken?« fuhr der Erzbischof fort.

»Er hängt sogar jetzt noch,« gab Else mit komisch weinerlicher Stimme zurück.

»Nun, so beichte.«

»Also will sich Eure Eminenz mir zu liebe noch einmal in den Anfang Eurer geistlichen Laufbahn versetzen?«

»Ja, Du Jungfer Kobold!« lachte der Erzbischof.

»Das ist sehr schön von Euch. Also gebet fein acht. Der junge Herr, dem ich das große Opfer bringe, heißt Jakob.«

»Richtig,« unterbrach der Erzbischof, »jetzt fällt es mir wieder ein: sein Familiennamen bereitet ihm Schmerzen, und Du suchtest bei mir um die Erlaubnis nach, daß er sich anders nennen dürfe.«

»Ja,« nickte Else, »so war es, und Eure Eminenz hatten die Gnade, mir die Gewährung meines Wunsches in Aussicht zu stellen. Mittlerweile begabt Ihr Euch aber nach Mainz und bliebet gar lange dort.«

»Sagtest Du mir nicht,« fragte der Erzbischof, »daß Dein Jakob noch einen zweiten Familiennamen habe?«

»Allerdings, aber der ist wahrhaftig nicht viel besser.«

»Wie lautet er denn?«

Else holte tief Atem und sagte dann: »Gensfleisch!«

»Ei,« rief der Erzbischof, »das ist ein gewichtiger Name, welcher dereinst noch von der Nachwelt mit großer Achtung genannt werden wird. Weißt Du nicht, daß unser Meister Gutenberg auch Gensfleisch heißt?«

»Gewiß weiß ich das,« lachte Else, »mein Jakob ist ja der Neffe.«

»Von Gutenberg?« rief der Erzbischof überrascht.

Else nickte.

»Ist das aber auch wirklich wahr, Mädchen?«

»Eure Eminenz kann ihn ja selbst fragen.«

»Wen?«

»Je nun, den Johannes Gutenberg.«

»Wo ist er?«

»Da unten,« kicherte Else und deutete mit der Hand nach dem Meister, der ihr vergebens abwinkte. »Er will aber nicht herauf,« fuhr sie dann unter stärkerem Lachen fort.

»Meister Gutenberg!« rief der Erzbischof, indem er sich auf seinem Pferde streckte, »wollt Ihr Eurem Kurfürsten ausweichen?«

Langsam schritt der Gerufene zur Anhöhe empor.

»Seid mir gegrüßt,« bewillkommnete ihn der Erzbischof. »Ich habe mich schon lange nach Eurem Anblick gesehnt und gerade in letzter Zeit mich viel mit Euch beschäftigt. Warum sagtest Du mir denn nicht,« wandte er sich halb zürnend an Else, »daß der Meister in der Nähe sei?«

»Weil noch mehr Leute da unten stehen,« platzte das Mädchen heraus.

Die Eltern wollten mit Jakob und den Gästen sich schleunigst zurückziehen, dies erhöhte aber nur den Mutwillen Elsens, welche rief:

»Eminenz, sie wollen alle ausreißen!«

Der Erzbischof lachte herzlich auf.

»Ich will sie alle sehen,« bedeutete er.

Else hielt beide Hände vor den Mund und rief:

»Vater – Mutter – Jakob – und alle andern dazu, schnell herauf! Die Eminenz hat es befohlen!«

Da blieb den Versteckten freilich nichts übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten.

»Ich heiße Euch alle herzlich willkommen!« rief ihnen der Erzbischof zu, dann deutete er auf Jakob und sagte: »Das ist wohl der –«

»Der Gensfleisch-Sorgenloch,« vollendete Else seufzend. »Ach Gott, ja wohl!«

»Schämt Ihr Euch wirklich Eurer Namen?« fragte der Erzbischof.

»Nein,« versetzte Jakob etwas zaghaft, »allein die Else will mich nicht zum Manne nehmen, wenn ich mir nicht einen andern Namen beilege.«

»Das ist freilich ein gewichtiger Grund,« entgegnete der Erzbischof. »Wie wäre es denn, wenn Ihr Euch den schönen Vornamen Eures großen Ohms erwähltet!«

Gutenberg blickte bescheiden zu Boden.

»Das ließe ich mir gefallen,« knixte Else. »Frau Johannes klingt garnicht übel.«

»Nun wohl,« entschied der Erzbischof, »so soll es dabei bleiben. Wir wollen es morgen zu Protokoll bringen. Ich erwarte Eltern und Brautpaar in meinem Schloß, und wenn sie der Meister Gutenberg, den ich verehre, begleitet, so wird er mir eine herzliche Freude bereiten. Gottes Frieden ruhe auf Euch allen!«

Mit diesem Segensspruch ritt der Kirchenfürst weiter.

Else verschränkte die Arme, nahm eine komisch stolze Haltung an und sagte:

»Man kann alles erreichen, wenn man nur will, – und ich habe gewollt!«

Der lachende Vater nahm das muntere Töchterchen in seine Arme und drückte einen herzlichen Kuß auf die frischen Lippen.

»So,« fuhr Else fort, »und jetzt wollen wir uns wieder nach dem Saal begeben.« Sie reichte Jakob ihren Arm dar indem sie ihm mutwillig zurief: »Darf ich bitten – Herr Johannes

Unter fröhlichem Lachen kehrte die kleine Gesellschaft nach dem Hause zurück …

Das heutige Zusammentreffen mit Erzbischof Adolph hatte noch weitere Folgen.

Als die Familie Bechtermüntz sich am nächsten Tage mit Gutenberg nach dem erzbischöflichen Schloß begab und die amtliche Handlung, betreffend der Namensänderung, beendet war, mußte der Meister, auf den Wunsch des Erzbischofs, noch längere Zeit bei ihm verweilen.

In ziemlich großer Erwartung sah die Familie Gutenbergs Rückkehr entgegen. Indessen verhielt er sich schweigsam. Er verbrachte mehrere Stunden in dem behaglichen Gastzimmer, welches Frau Grete ihm eingerichtet hatte. Als er dann aber wieder in den Kreis der Familie trat, erschien sein Antlitz heiter, und unaufgefordert begann er:

»Kurfürst Adolph verehrt mich mehr, als ich eigentlich verdiene.«

»Darüber ließe sich streiten,« unterbrach Else, ihren Arm um des Ohms Nacken legend und mit ihrem fröhlichen Kindergesicht schelmisch zu ihm emporblickend.

Er erwiderte ihre Liebkosung und fuhr fort:

»Der Kurfürst möchte mich für immer in seiner Nähe haben und hat mir einen gar sonderbaren Vorschlag gemacht. Er will mich nämlich zu seinem adeligen Hofdienstmann erheben.«

»Das nähme ich an Eurer Stelle an,« erwiderte Frau Grete, »denn ein adeliger Hofdienst verschafft ein gar gemütliches Leben.«

»Das meinte der Kurfürst auch,« versetzte Gutenberg. »Jedenfalls wären mir die Sorgen für den Abend meines Lebens abgenommen, denn der gütige Fürst will für alle meine Bedürfnisse sorgen. Ich soll in seinem Schlosse leben, meine eigenen Pferde haben, ja,« schloß er lächelnd, »er will mir sogar die Kleidung und das Taschengeld eines Edelmannes liefern.«

Else klatschte vor lauter Freude in die Hände und rief:

»Ihr dürft die Güte des Kurfürsten nicht zurückweisen, Ohm. Ach, wie stolz werde ich sein, wenn ich Euch dann einmal hoch zu Rosse sehen werde und der Tappert (Mantel) Euch dann im Winde nachflattert! Und dann können wir täglich mit einander verkehren, denn der Vater kehrt doch nicht wieder nach Mainz zurück.«

»Das ist noch nicht endgültig beschlossen,« widersprach der Hausherr, »denn noch fühle ich mich zu rüstig, um meiner geschäftlichen Thätigkeit entbehren zu können.«

Gutenberg legte seine Hand auf des Sprechers Arm.

»Euer Wort in Ehren,« sagte er ziemlich lebhaft, »ich hätte da einen Vorschlag, vorausgesetzt, daß ich des Kurfürsten Anerbieten annehme.«

»Ihr handeltet thöricht, wenn Ihr es nicht thätet,« erwiderte Bechtermüntz. »Was habt Ihr in Mainz? Einsam vergehen dort Eure Tage, während Ihr hier am Hoflager des Kurfürsten Unterhaltung genug findet.«

»Was mich nach Eltvill zieht,« versetzte Gutenberg, »das ist Eure Familie. Ich kann sagen,« fügte er feuchten Auges hinzu, »ich habe mich während meines ganzen Lebens nie so wohl und behaglich gefühlt, wie in Eurem trauten Kreise.«

»Meister Gutenberg,« rief Frau Grete strahlenden Auges, »ist das auch wirklich wahr?«

»Der Johannes Gutenberg hat noch nie ein unwahres Wort gesagt,« antwortete mit sanfter Stimme der Meister, die Hand der liebenswürdigen Frau an seine Lippen drückend.

»Oh«, rief sie im Verein mit Else, »so bleib doch in Eltvill.«

»Was hätte ich hier,« seufzte Gutenberg, »wenn es Freund Bechtermüntz wieder einfiele, nach Mainz zu ziehen.«

»Ihr spracht von einem Vorschlag, den Ihr mir machen wolltet,« versetzte der Hausherr. »Teilt ihn mir mit, und wenn er nur einigermaßen annehmbar ist, so bleibe ich gern für den Rest meines Lebens hier wohnen.«

Gutenberg blickte erst zu Boden, dann erwiderte er:

»Das Alter klopft bei mir an. Die Stürme des Lebens sind nicht spurlos an mir vorübergegangen. Ich habe meine Jahre in treuer Arbeit verbracht und darf daher wohl den Wunsch hegen, mich endlich nach Ruhe zu sehnen, allein den mir von Gott anvertrauten Posten darf ich nicht verlassen, ehe ich nicht einen würdigen Nachfolger gefunden habe. Wollt Ihr Euch mit meinem Freunde Humerys ins Benehmen setzen und meine Druckerei übernehmen? Ich weihe Euch in die Geheimnisse der neuen Kunst ein und bleibe bis an das Ende meiner Tage Euer treuer Ratgeber.«

»Das ist ein Vorschlag, welcher der Ueberlegung wert erscheint!« rief Heinrich Bechtermüntz in freudiger Ueberraschung. »Würdet Ihr in den Hofdienst des Kurfürsten treten, wenn ich hier am Orte ein Druckgeschäft errichtete?«

»Verlaßt Euch auf mein Wort,« antwortete Gutenberg.

»Wohlan, so laßt uns morgen weiter davon sprechen.«

Und als der nächste Tag gekommen war, erhob Heinrich Bechtermüntz den Vorschlag Gutenbergs zum endgültigen Beschluß. Der Handelsherr reiste nach Mainz, übertrug seinem Bruder Niklas das dortige Geschäft, verständigte sich mit Humery und kehrte alsbald zu Schiffe mit der gesamten Druckeinrichtung nach Eltvill zurück. –

Das neue Geschäft blühte unter der Protektion des Kurfürsten schnell empor und Jakob trat, nachdem er seine Else heimgeführt, als Teilhaber in dasselbe ein.

Freundlich gestaltete sich der Lebensabend des hochverdienten Gutenberg. Mit größter Auszeichnung behandelte Kurfürst Adolph den neuen Edelmann seines Hofes, während Frau Grete, im Verein mit Else, alles aufbot, dem lieben Freunde die Stunden, welche er in ihrer Familie verbrachte, zu verschönen und angenehm zu gestalten.

Behaglich floß nunmehr das Leben für Gutenberg dahin, bis zu Anfang des Jahres 1468 der fromme Meister zu einem bessern Dasein entschlummerte.

Auch des Kurfürsten Leben neigte sich alsbald seinem Ende zu, und nach seinem Tode erschien noch einmal Diether von Isenburg auf dem historischen Schauplatz. Sein Gegner Pius war gestorben und einstimmig wurde der verdiente Kirchenfürst zum Erzbischof von Mainz erwählt.

Im Jahre 1477 stiftete er in der altehrwürdigen Stadt eine Universität, deren juristische Kollegien in dem Haus zum Gutenberg abgehalten wurden. Kurfürst Diether hatte das denkwürdige Gebäude für diesen Zweck angekauft, »da dort« – wie seine Worte lauteten – »der Geist des heimgegangenen großen Meisters segnend auf der akademischen Jugend ruhen mußte, die dem Studium edler Wissenschaften oblag, für welche Johannes Gutenberg durch seine Erfindung den Weg geebnet und gelichtet hatte.«

War es dem genialen Meister auch nicht vergönnt gewesen, den Dank der Mitwelt einzuernten, so nennt dafür die Nachwelt mit umso größerer Verehrung, Liebe und Dankbarkeit seinen Namen. Und mit vollem Recht! Denn seine Erfindung schuf eine neue Zeit und in ihr lag die Macht der Zivilisation, welche allein des Menschen Geist und Herz veredelt. »Alle denkenden Menschen wurden« – wie Herder trefflich sagt – »eine gesamte sichtbare Kirche, worin die Presse das Wort ersetzt. Gutenbergs Hand leitete die Menschheit aus den Regionen der Finsternis in die des Lichtes und erschuf eine neue Periode in ihrer Bildungsgeschichte.«

Die Stadt Mainz aber kann mit besonderem Stolze sich ihres großen Mitbürgers erinnern, denn sie allein hat die Berechtigung, sagen zu dürfen:

» Er war unser


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