Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.
In der Nacht von Simon und Judas

Ueber Mainz lagerte die Stille der Nacht.

Seit einigen Tagen hatten die Ruhestörungen aufgehört. Die Tumultuanten schienen des fortwährenden Streites und Haders müde geworden zu sein, und in der That kehrten die mißvergnügten Zünftler zu ihrem Handwerk zurück. Die im Solde des Bürgermeisters stehenden Späher beobachteten dies alles, und sowohl der Rat der Stadt, als auch der bessere Teil der Bürgerschaft nahmen von dieser Wendung zum Besseren gern Kenntnis.

Auch Diether von Isenburg hatte ruhige Tage, denn die lästigen Boten aus Rom blieben aus, so daß es den Anschein gewann, als ob sich Pius II. stillschweigend füge und den Mainzer Kurfürsten gewähren lasse.

Die Häuser der Stadt thaten wieder ihre Augen auf, denn viele Läden waren während der Tumulte geschlossen worden. Auch die Fenster im Erdgeschoß zum Humbrecht und Jungen öffneten sich wieder und die Druckgehilfen kehrten zu ihrer Arbeit zurück. Um die verlorene Zeit wieder einzubringen, waren sie in der Fustschen Druckerei bis in die Nacht thätig, zumal der Prinzipal alles daransetzte, mit der neuen Bibel möglichst bald auf dem Büchermarkt zu erscheinen.

Eine bessere Zeit schien anzubrechen. In den Straßen und auf den Plätzen sah man nicht mehr herumlungernde Gruppen, die den geringsten Anlaß zur Revolte benutzten. Die Weber saßen daheim in ihren dumpfen Stuben, emsig das Schifflein hinüber und herüber schießen zu lassen. Die Schneider handhabten fleißig die Nadel und die Schuhknechte pochten, daß es eine Freude war. Kurzum, überall stieß man auf eine friedliche Thätigkeit.

In den Zunftstuben ging es zur Abendzeit sehr ruhig zu, zum Aerger der Wirte, die sich nach Gästen sehnten.

Sobald die Nachtwächter die elfte Stunde abgesungen hatten, waren die Straßen menschenleer, während noch bis vor kurzem schreiende Menschen sie durchzogen.

Außer den Wächtern und Türmern schien keine Menschenseele nach Mitternacht mehr in Mainz zu wachen. Die letzten Lichter in den Häusern erloschen, und nichts war zu vernehmen als das Geplätscher der Brunnen.

Zu den Formschneidern Gutenbergs gehörte ein dreißigjähriger, verheirateter Mann, dessen Namen Weidenbach lautete. Er wohnte im Südosten der Stadt und sah sich in der heutigen Nacht veranlaßt, einen Medikus herbeizuholen, da sein jüngstes Kind bedenklich erkrankt war. Der Weg zum Arzte führte ihn an dem Wirtshaus zum Bock vorüber. Obgleich das große Gehöft im tiefsten Dunkel lag, so kam es doch Weidenbach vor, als ob er ein Summen entfernter Stimmen vernähme. In der Besorgnis um sein Kind achtete er jedoch nicht darauf, sondern verfolgte unbeirrt seinen Weg weiter. Als er nach einer Weile mit dem Medikus an dem Wirtshaus wieder vorüberkam, war das eigentliche Summen noch deutlicher zu vernehmen, als vorher. Auch dem Arzt fiel es auf und er blieb horchend stehen.

»Es kommt unbedingt aus dem Innern des Hofes,« sagte er nach einer Weile.

»Wäre es ein anderes Haus,« meinte Weidenbach, »so würde ich auf das seltsame Stimmengewirr nicht viel geben. Allein im Wirtshaus zum Bock haben noch jüngst die aufrührerischen Zünftler getagt, und wenn ich jetzt auf die fernen Töne lausche, so muß ich unwillkürlich an das Gerücht denken, das von einer Verschwörung spricht.«

Der Medikus nickte.

»Ich will jetzt erst nach Eurem Kinde sehen,« sagte er, »dann können wir die Sache weiter verfolgen.«

Nach diesen Worten schritt er an Weidenbachs Seite der Wohnung des letzteren zu. Das Kind lag im Fieber, allein der Zustand war nicht besorgniserregender Art. Der Medikus verordnete kalte Umschläge und gab der ängstlichen Mutter die Beruhigung, daß das zahnende Kind bis zum Morgen sich um vieles besser befinden werde.

»Ihr gestattet daher wohl,« fuhr er lächelnd fort, »daß Euer Mann mich ein wenig begleitet.«

Die aufatmende Mutter willigte gern ein, und so begaben sich die Männer wieder nach dem Wirtshaus zum Bock zurück. Sie lauschten am verschlossenen Thor. Das Stimmengewirr war noch immer vernehmbar.

Die beiden Männer sahen einander unschlüssig an. Weidenbach meinte:

»Wenn wir nach dem Dietmarkt zurückgehen und dort die kleine Quergasse verfolgen, so gelangen wir an die rückwärtige Front des Hofes zum Bock. Es giebt da in der Mauer eine Stelle, die leicht zu übersteigen ist. Ich bin im Klettern gewandt.«

»Gut,« erwiderte der Medikus, »so wollen wir uns verteilen. Ich bleibe hier und beobachte den Zugang in das Innere des Hauses.«

Weidenbach zeigte sich damit einverstanden und ging seines Wegs. Die Glocken verkündigten die zweite Morgenstunde, als er am Ziele seiner Wanderung anlangte. Vorsichtig schwang er sich auf die Mauer und, nachdem er eine Weile gelauscht, sprang er auf der anderen Seite herab. Er befand sich nunmehr im Hof zum Bock, hatte aber erst verschiedene Scheunen und Oekonomiegebäude zu passieren, ehe er auf jenen freien Platz gelangte, wo die zechenden Gäste zur warmen Jahreszeit anzutreffen waren.

Das Gewirr von Stimmen drang jetzt mit großer Deutlichkeit an sein Ohr. Es kam aus dem Wirtshaus, obgleich dasselbe in tiefster Dunkelheit dalag.

Weidenbach schlich näher heran, bis er das Erdgeschoß erreichte. In demselben mußte eine zahlreiche Gesellschaft versammelt sein, denn der Lauscher vermochte sogar die Stimmen Einzelner zu unterscheiden. Hin und wieder drang auch ein Wort deutlich hindurch und zuweilen ertönte eine Art Gemecker, das an einen Ziegenbock gemahnte.

Weidenbach lugte durch die Fensterscheiben, hinter denen es vollständig Nacht war. Schon wollte er sich kopfschüttelnd wieder zurückziehen, als ein kleiner Lichtschein von dem oberen Teil des Fensters durch die Finsternis drang. Infolgedessen erkannte der Formschneider, daß die Fenster mit dicken Decken inwendig verhüllt waren, und mit Recht entnahm er daraus, daß der hinter denselben sich befindenden Gesellschaft viel daran gelegen sein müsse, unbemerkt zu bleiben, sonst würde sie sicherlich nicht die übergroße Vorsicht gebraucht haben, die nach der Innenseite des Hofes mündenden Fenster zu verhüllen und jeden Lichtschein abzusperren.

»Es müssen gar geheime, wichtige Dinge sein, welche hier verhandelt werden,« dachte Weidenbach bei sich. Doch so große Mühe er sich auch gab, von den Reden, die in dem Wirtshaussaale gehalten wurden, etwas zu erlauschen, so vermochte er seinen Zweck doch nicht zu erreichen.

Leise tastete er sich wieder an den Scheunen vorüber und nach der Mauer zurück, um gleich nachher durch das Quergäßchen den Dietmarkt zu erreichen, wo er plötzlich, im Dunkel der Häuser, gegen eine männliche Gestalt stieß. Ehe er einen Laut der Ueberraschung hervorzubringen vermochte, raunte ihm eine wohlbekannte Stimme die Worte zu:

»Verhaltet Euch still, ich stehe hier auf der Lauer.«

Es war der Medikus, und Weidenbach vernahm nun in leiser Rede von ihm, daß mehrere der nächtlichen Gäste das Bockwirtshaus verlassen hätten.

»Sie scheinen,« fuhr der Doktor fort, »einen Auftrag erhalten zu haben, denn ich vernahm eine Stimme, die ihnen nachrief: »ihr müßt sie auf der Stelle davon verständigen, denn der Bote wartet auf Bescheid. Es ist die höchste Eile nötig.« – Ich habe mich auf die andere Seite der Straße geschlichen und sie bemerkten mich nicht. Seht, da drüben kommen sie.«

Weidenbach sah mehrere dunkle Gestalten, die längs der Häuser dahinhuschten und offenbar bestrebt schienen, von niemand bemerkt zu werden. Wenn in größerer Nähe der Ruf des Nachtwächters erscholl oder dessen Tritt vernehmbar war, so standen sie unbeweglich still, und erst nachdem sich nichts mehr regte, setzten sie ihren geheimnisvollen Weg fort.

Der Medikus und Weidenbach ahmten ihr Beispiel nach, indem sie in einer Entfernung von etwa fünfzig Schritten ihnen nachfolgten. Bei der herrschenden Dunkelheit war es für die beiden Männer ziemlich schwer, die Fühlung mit den oft rasch dahinschreitenden Fremden zu behalten.

Nachdem sie ein wahres Labyrinth von Gassen und Gäßchen passiert, gelangten sie endlich zum Bischofsthor, welches zur Nachtzeit verschlossen zu sein pflegte. Der eine der aus dem Bockwirtshaus kommenden Männer ließ einen kurzen, eigentümlichen Pfiff ertönen und bald nachher vernahm man im Hof Schritte. Ein in dem Thor angebrachtes Schiebefenster that sich auf und eine Stimme fragte nach dem Namen des Einlaßbegehrenden.

»Bundesgenossen,« lautete die kurze Antwort.

»Aus welchem Teile?« examinierte die Stimme weiter.

»Vom Bockhof. Es ist Botschaft gekommen.«

»Die Losung?«

»Rom und Nassau!«

Jetzt erst wurden die Riegel des inneren Thores langsam zurückgeschoben und die Männer schlüpften durch die enge Oeffnung.

Sowohl der Medikus als Weidenbach hätten sich ihnen gern angeschlossen, aber die Gefahr war für sie groß. Ihre List würde bald entdeckt worden sein und die schlimmen Folgen waren dann für sie nicht abzusehen.

Nach der Richtung der sich entfernenden Schritte zu schließen, begaben sich die Sendboten nach der Trinkstube der Domherren. Der Medikus mußte mit seinem Genossen lange warten, ehe sich die Pforte des Bischofsthores wieder öffnete. Die Zahl der geheimnisvollen Männer hatte sich um einen Kopf vermehrt. Trotz der Dunkelheit erkannte der Medikus aus den Umrissen der neu hinzugekommenen Gestalt das domherrliche Gewand und das eigentümlich geformte Almutium.

»Geleitet mich auf sicherem Wege nach dem Bockwirtshaus,« gebot eine sonore Stimme, welche dem Domherrn angehörte.

»Es ist der Dechant,« flüsterte der Medikus hoch überrascht dem Formschneider zu. »Wir haben es hier unbedingt mit Verschwörern zu thun, doch unsere Kräfte sind zu schwach, um es mit ihnen aufzunehmen.«

»Auch würde uns der Sieg wenig nützen,« erwiderte Weidenbach. »Denn erstens einmal ist es kein Verbrechen, zur Nachtzeit die Domherren in ihrer Trinkstube aufzusuchen, und sodann würden sich für alles das, was uns verdächtig auffällt, Vorwände genug finden lassen.«

»Wir können nichts thun, als der seltsamen Deputation zu folgen,« pflichtete der Medikus bei, worauf sie den Rückweg nach dem Bockwirtshaus antraten.

Nach längerem Verweilen daselbst wurde der Domherr wieder zurückgeleitet.

Das war alles, was die beiden versteckten Männer beobachteten. Indessen berichteten sie es im Verlauf des Vormittags dem Bürgermeister. Derselbe legte keinen besonderen Wert darauf, ja, Weidenbach wollte es sogar scheinen, als ob er seine Mitteilungen mit einem geringschätzigem Lächeln aufnähme. Geschah es vielleicht deshalb, weil der Formschneider bei dem von den Gebrüdern Fust verhaßten Gutenberg in Diensten stand?

Auf die ernsteren Vorstellungen des Medikus erwiderte der Bürgermeister:

»Es kann ja sein, daß die Domherren gegen Diether von Isenburg heimliche Ränke spinnen und sich dabei gewisser Zunftgenossen bedienen. Der Sache ist indessen kein besonderer Wert beizumessen und sie wird um so eher im Sande verlaufen, je weniger man davon Notiz nimmt.«

»Möget Ihr Recht behalten, Herr Bürgermeister,« versetzte der Medikus, »meine Bedenken sind schwerwiegender.«

Jakob Fust lächelte.

Er war seiner Sache sicher.

Der Tag von Simon und Judas Nicht zu verwechseln mit Ischariot, welcher Jesum verriet. Judas Lebäus war vielmehr der Bruder des jüngeren Jakobus und verkündete im Verein mit Simon den Persern das Evangelium, wofür er den Märtyrertod erlitt., der achtundzwanzigste Oktober, nahte heran. An diesem Gedächtnisfeste zu Ehren der beiden Apostel pflegte der Erzbischof in eigener Person das Hochamt zu celebrieren und am Schluß desselben, mit Bezug auf den großen Getreide- und Mehlmarkt, der an demselben Tage zu Mainz stattfand, dem Himmel für den Erntesegen des laufenden Jahres zu danken.

Die Domkirche vermochte, trotz ihrer Geräumigkeit, bei diesem Gottesdienste die Menge des herbeiströmenden Volkes in der Regel kaum zu fassen. Der gesamte Rat wohnte der Feierlichkeit bei und in dem großen Kreise um den Altar standen die Offizialen der verschiedenen Klöster und Stifter.

Erzbischof Diether hatte für die diesjährige Feier einen besonderen Text gewählt: »Der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zu Schanden.« Er wollte in seiner Predigt noch einmal offen und ehrlich zu seinen Gegnern sprechen und hoffte durch seine Darstellung sie zu gewinnen. Verkehrte er ja doch seit seiner Entsetzung durch den Papst nur noch mit dem greisen Propst Lichtenau, der ihm von dem gesamten Domkapitel allein die Treue und Anhänglichkeit bewahrte. Der hochwürdige, alte Herr, welchem der Erzbischof die Festpredigt zu lesen gegeben, war davon so bewegt, daß er beim Gottesdienst des Vorabends am Schlusse des von ihm gesprochenen Gebets noch die Worte hinzufügte: »Verleihe morgen deinem auserwählten Knechte, o Herr, die Kraft der Rede, auf daß seine Feinde ihr Unrecht erkennen und sich wieder willig um ihren Hirten sammeln!«

Die Blicke der anwesenden Domherren ruhten nach diesen Worten nicht eben freundlich auf ihm. Der Probst fühlte das und ward nur noch trauriger. Nichts erinnerte mehr an den einst so freundlichen Sinn des wohlwollenden Greises. Sein Lehnstuhl in der Trinkstube der Domherren stand schon längst verwaist. Die jüngeren Amtsgenossen des Propstes machten demselben Vorwürfe darüber, daß er dem abgesetzten Kurfürsten nach wie vor treu ergeben sei. Er mußte den von ihm geliebten Wein mit einem bitteren Beigeschmack trinken, und deshalb blieb er lieber daheim in seiner Amtswohnung und plauderte mit dem alten Mütterchen, das ihm die Wirtschaft führte, von den sonnigen Tagen der Jugend, von den Trauben, die am herrlichen Rheinstrom unter dem himmlischen Lichte reifen und von tausenderlei anderen Dingen.

Als er am heutigen Vorabend von Simon und Judas aus dem Dome schritt, kam ihm der Stadtsyndikus entgegen, herzlich seine Hand schüttelnd, während er sagte:

»Ich habe nicht geglaubt, hochwürdiger Herr, daß Ihr noch eine Lanze brechen könnt. Aber jetzt bewundere ich Eure Kraft. Möge der Segen Gottes auf dem Schlußsatz Eures Gebetes ruhen!«

Der Propst nickte ihm gerührt zu. Der Blick der vorüberschreitenden Domherren zeigte Spott und Hohn …

Auf dem Dietmarkt herrschte ein frohbewegtes Leben. Zahlreiche Buden erhoben sich dort, in denen die Verkäufer bereits für den folgenden Tag ihre Waren ausstellten. Auch ein Zelt war zu sehen; dort beabsichtigten römische Gaukler Schaustellungen zu geben. Dicht daneben befand sich eine Spielbude fremder Meistersänger, deren dramatische Darstellungen bereits heute schon durch einen in den Straßen herumgehenden Trommler angekündigt wurden.

Der diesjährige Markt schien außerordentlich besucht zu werden, einesteils nach den mit Fremden überfüllten Gasthäusern, andernteils nach der Unmenge von Wagen zu schließen, die mit Getreide- und Mehlsäcken zu allen Thoren von Mainz einfuhren.

Jakob Fust hatte die ihm durch den Medikus und Formschneider gewordene Warnung doch nicht gänzlich in den Wind geschlagen wie die verstärkten Wachen der städtischen Söldner, die durch die Stadt patrouillierten und jedem Fremden streng auf die Finger sahen, bewiesen; allein die da kamen, waren meist nur Händler und Bauern. Nirgends zeigte sich etwas Verdächtiges.

Am späten Abend begab sich der Bürgermeister nach dem vor dem Dom sich ausbreitenden Marktplatz, auf welchem der eigentliche Markt stattfand. In den Erdgeschossen sämtlicher Häuser befanden sich Kramläden, welche dem Kurfürsten gehörten, der sie zu Lohn oder auch gegen Zins verlieh. Es durften darin nur bestimmte Waren feilgeboten werden. Ein Kürschner, an dessen Laden Jakob Fust eben vorüberkam, äußerte nach ehrfurchtsvoller Begrüßung zu ihm:

»Seht nur, Herr Bürgermeister, wie wenig Getreidewagen auf dem Platze stehen. Die Menge, welche während des Tages zu den verschiedenen Thoren hereingefahren ist, schien doch größer gewesen zu sein, als es sich nun in Wirklichkeit herausstellt.«

Der Bürgermeister warf einen prüfenden Blick auf den Marktplatz. Die Abenddämmerung hatte bereits begonnen, deshalb vermochte er die vorhandenen Wagen nicht genau zu überblicken. Er ging daher von Stand zu Stand. Der Kürschner hatte recht gehabt, es befand sich auffallend wenig Frucht auf dem Markte.

»Das können doch nicht alle Wagen sein, die heute die Thore passiert haben?« äußerte er zu dem Wägemeister, der bei der großen Stadtwage stand, die sich unweit von dem Marktbrunnen befand.

»Ich habe mich auch schon gewundert,« erwiderte der Gefragte und rief dann einem auf seinem Wagen beschäftigten Bauern zu: »He, Hans, wo sind denn alle die Getreidefuhren hingekommen?«

»Weiß nit,« lautete die kurze Antwort.

»Ihr sagtet mir doch selbst,« fuhr der Wägemeister fort, »daß Ihr auf dem Wege von Laubenheim hierher kaum durch die Menge von Wagen hindurch gekommen wäret, so sehr hätten dieselben sich gestaut.«

»Ja, ja,« nickte der Bauer.

»Sie sind aber nicht da,« rief der Wägemeister ärgerlich.

»Nein,« lachte Hans, »da sind sie freilich nicht.«

»So habt Ihr mich also wohl zum besten gehabt?« begehrte der Wägemeister auf.

»Ei, daß Gott verhüte,« versetzte der Bauer erschrocken und fügte, sich auf dem Marktplatz umsehend, hinzu: »mich wundert's selber, daß so wenig Wagen hier sind. Vielleicht haben sie irgendwo eingestellt und kommen erst morgen in der Frühe auf den Markt.«

Das war allerdings eine Erklärung, die indessen ebenso falsch als richtig sein konnte.

Kopfschüttelnd setzte der Bürgermeister seinen Rundgang durch die Stadt fort. Er forschte nach den verschwundenen Wagen, ohne daß er darüber genügend Aufschluß erhielt. Einige traf er allerdings in dem und jenem Gasthof an. Die Fuhrleute hatten ihre Fracht bereits hierher verkauft und verließen mit den leeren Säcken noch am Abend die Stadt.

Jakob Fust war sehr ärgerlich darüber, denn ein Vorverkauf sollte nach den bestehenden Marktgesetzen nicht stattfinden. Allein es war einmal geschehen und er vermochte es jetzt nicht mehr zu ändern.

Nachdem er noch die Wachen an den Thoren inspiziert und ihnen die strenge Weisung gegeben, zur Nachtzeit unter keiner Bedingung die Pforte zu öffnen, möchte der Einlaßbegehrende auch noch so hoch in Amt und Würden stehen, begab er sich nach dem Neumarkt, woselbst dicht neben der Domkustorie ein Eckhaus sich erhob, das ehedem einem Patriziergeschlecht gehört hatte und den Namen »zum Schultheiß« führte, jetzt aber eine Domstiftskurie bildete.

In dieses Gebäude hatte Erzbischof Diether seine Wohnung verlegt. Er fand hier mehr Bequemlichkeit, als in dem Haus zum Tiergarten, dessen Einrichtung ziemlich dürftig erschien und bei vorübergehenden Besuchen wohl genügen mochte. Seitdem Diether von Isenburg aber seines Amtes entsetzt worden war, verließ er nicht mehr die Stadt, weil er mit Recht argwöhnte, daß Adolph von Nassau seine Abwesenheit zur Besitzergreifung des kurfürstlichen Thrones benützen könnte. Außerdem fühlte sich der Erzbischof in dem Haus zum Schultheiß weniger den Beobachtungen der Domherren ausgesetzt, da nur der Kustos ihm gegenüber wohnte. Derselbe folgte indessen allabendlich seiner langjährigen Gewohnheit, indem er die Trinkstube der Domherren besuchte.

In seinem neuen Heim versammelte der Kurfürst gern zur Abendzeit seine Getreuen um sich, zu denen selbstverständlich auch der Bürgermeister Fust gehörte. Heute befand sich unter den Gästen auch Heinrich Bechtermüntz mit seinem Sohn, welchem der gleichfalls anwesende Pfarrherr Günther noch vieles von Gregor von Heimburg erzählte. Auch Propst Lichtenau war heute abend in dem hell erleuchteten Saale zum Schultheiß zu finden und der Erzbischof blickte nicht ohne Rührung auf den getreuen Diener, der eine so warme Bitte seinem heutigen Abendgebet im Dome eingeschlossen hatte. Er taute wieder einmal auf, der alte Propst. Schmunzelnd blickte er auf den gefüllten Weinbecher, der seitwärts von ihm auf einem kleinen Tische stand; die Hände hatte der greise Herr gemächlich über sein rundes Bäuchlein gefaltet, mit jedem der an ihm vorüberkommenden Gäste ein paar freundliche Worte wechselnd.

»Simon und Judas!« äußerte er jetzt zu dem vor ihm stehenbleibenden Erzbischof. »So wäre der Ehrentag der beiden Apostel wieder einmal herangenaht.«

»Ganz recht,« erwiderte Diether, »und es will mich bedünken, als ob wir zwei auf einmal den beiden Aposteln ähnelten.«

Der Propst blickte fragend auf und der Erzbischof fuhr fort:

»Sie verkündeten den Heiden das Christentum und ernteten dafür den Tod. Wir wollen den Christen die Freiheit des Glaubens lehren, wir wollen ihnen die reine Gotteslehre predigen, und mit welchem Lohn werden wir bedacht?«

Er blickte den Greis mit einem wehmütigen Lächeln an. Dann schritt er weiter …

Wieder lagerte die Stille des Abends über der kurfürstlichen Stadt. –

Johannes Gutenberg, der heute noch ziemlich spät in seiner Druckerei verweilt gehabt, erging sich in dem frischen Oktoberabend unter den Bäumen, welche den Dietmarkt in der Form eines Rechtecks zierten. Der Vollmond glänzte am Himmel und seine Strahlen erleuchteten die hohen Kirchenfenster des Agnesen- und des Weißenfrauklosters. In dem Garten des Schwalbacher Hofs, der sich auf der rechten Seite des Dietmarkts erhob und dem Bischof von Worms gehörte, schillerte das Laubwerk der Bäume in den feinsten Nüancierungen von Goldgelb und Purpurrot, getaucht in das grünlichblaue Licht des Mondes. Aus den Wirtshäusern zum Stiefel und Kranich, die inmitten der Häuserfronte standen, ertönte das herzliche Lachen fröhlicher Handwerker, während die nicht weit davon entfernten Herbergen zum roten Kopf und schwarzen Löwen keine Spur von Leben zeigten. Die Verkaufsbuden, welche sich an den vier Seiten des großen Platzes hinzogen, waren verschlossen, dagegen stand das Zelt offen, woselbst die römischen Gaukler ihr Heim aufgeschlagen hatten. Sie lagerten um einen mit glühenden Kohlen gefüllten Eisenkessel, doch nicht in dem phantastischen Kostüm, welches am nächsten Tage die Schaulust der Menge fesseln sollte, sondern in der einfachen, aber trotzdem malerischen Gewandung der römischen Hirten. Mit leiser Stimme sangen sie die Lieder ihrer Heimat und der lauschende Gutenberg fühlte sich seltsam ergriffen von den weichen, melodischen Weisen.

Plötzlich wurde er seiner Träumerei entrissen.

»Ich habe Euch schon überall gesucht, Meister,« ließ sich Weidenbachs Stimme vernehmen. »Der alte Lorenz vermochte mir nicht zu sagen, wohin Ihr gegangen wäret, und ebenso wenig der Stadtsyndikus, dem ich vorhin zufällig begegnete. Durch ein paar kleine Jungen, die in der Nähe standen und unser Gespräch vernommen hatten, erfuhr ich endlich, daß Ihr hierhergegangen wäret.«

»Ist etwas vorgefallen?« fragte Gutenberg unruhig.

»Noch nicht,« versetzte der Formschneider, »aber ich mache mich jeden Augenblick auf den Ausbruch von Unruhen gefaßt und ein eigentümliches ängstliches Gefühl treibt mich hin und her. Ihr äußertet selbst einmal zu mir, daß Ihr an Ahnungen glaubt. Solch ein banges Gefühl hat sich meiner bemächtigt, ich bitte Euch, laßt uns die kostbaren Vorräte aus der Druckerei nach Eurem Hause verbringen!«

»Was fällt Euch ein?« gab Gutenberg lächelnd zurück.

»Verspottet mich nicht,« fuhr Weidenbach fort, »ich meine es wahrhaft gut mit Euch.«

»Das weiß ich,« entgegnete der Meister, indem er dem treuen Genossen die Hand reichte.

»Also gebt meinen Bitten Raum,« drängte der Formschneider.

»Du bist ein seltsamer Geselle.«

»Ich könnte heute nacht vor lauter Besorgnis kein Auge schließen.«

»Nun gut,« lachte Gutenberg, »so will ich dir nachgeben. Allein du wirst sehen, daß deine Befürchtung unnütz gewesen ist.«

»Ich wünsche es,« versetzte Weidenbach, worauf die beiden Männer der Marktgasse zuschritten. Vorher aber warf Gutenberg noch einen Blick auf die singenden Römer, welche ihn so mächtig angezogen hatten.

Er schaffte mit Weidenbach und dem alten Lorenz den größten Teil des Druckgerätes, sowie die auf Lager befindlichen Pergamente und Papiere aus der Druckerei nach dem Hof zum Gutenberg, welche schwierige Arbeit mehrere Stunden in Anspruch nahm.

Die Glocken der Stadt verkündeten die mitternächtliche Stunde, als endlich Weidenbach das Haus des Meisters verließ. Er fühlte sich sehr ermüdet, aber um so leichter in seinem Herzen, aus dem die frühere Bangigkeit gewichen war.

Der Mond leuchtete noch immer am Himmel und beschien außer den Häusern und Kirchen nur noch einzelne nächtliche Wächter, die sich auf steinernen Bänken niedergelassen hatten und behaglich schnarchten. Der Nachtdienst war in letzter Zeit zu anstrengend gewesen, und da die Ruhe der Stadt für völlige Sicherheit sprach, so überließen sie sich gleichfalls dem ruhigen Schlafe. Ihre Hunde wachten ja an ihrer Statt und bei jedem verdächtigen Geräusch schlugen sie an.

Weidenbach schlenderte langsam durch die Gassen der Bockspforte zu, in deren Nähe das von ihm bewohnte kleine Haus stand.

Plötzlich aber fuhr er erschreckt zusammen. Von dem Thore her ertönte lautes Geschrei. Es waren Rufe der Verzweiflung, nicht etwa ausgestoßen von einem Einzelnen, sondern von einer größeren Anzahl der Menschen.

Der Formschneider eilte hastig vorwärts.

Im Licht des Mondes sah er einen verzweifelten Kampf. Die Thorwache war von einer großen Menge bewaffneter Männer überfallen worden. In dem Mondlicht blitzten die Klingen von Schwertern und Dolchen. Nach kurzer Gegenwehr war die Wache überwunden. Die Mannschaften lagen teils tot, teils verwundet am Boden. Die Sieger bemächtigten sich der Thorschlüssel, schoben sämtliche Riegel zurück und ließen die Flügel der Pforte weit auf. Im nächsten Augenblick stürmten Söldner herein, angeführt von Hauptleuten, deren Schärpen die nassauischen Farben zeigten.

Gleichzeitig vernahm man aus der entgegengesetzten nordwestlichen Richtung heftiges Schießen. Es war offenbar, daß auch das dort gelegene Petersthor der Gewalt des Feindes hatte erliegen müssen.

Unter lautem Ruf stürzte die wilde Soldateska vorwärts, so daß Weidenbach nur mit Mühe sich ihr zu entziehen vermochte, indem er spornstreichs seiner Wohnung zueilte und die Hausthüre fest verschloß.

Die trügerische Ruhe, welche in Mainz geherrscht, war einem fürchterlichen Wirrwarr gewichen, denn durch die Straßen, die nach den fünf Land- und zwölf Wasserthoren führten, fluteten feindliche Kriegerscharen. Die Türmer begannen die Sturmglocken zu läuten. Ihr schriller Klang, sowie der Schreckensruf: »Unsere Stadt ist überfallen! – Greift zu den Waffen!« weckte jäh die Schläfer aus ihrer nächtlichen Ruhe.

Die List der Verschwörer war vollständig gelungen. Eine große Anzahl Nassauischer Fußknechte hatte sich in den Getreidesäcken der tags zuvor in die Stadt gefahrenen Wagen zu Mainz eingeschlichen und, im Verein mit den Verrätern, die Thorwachen zur bestimmten Stunde überfallen. Vor der Stadt aber stand das Heer Adolphs von Nassau, das im weiten Umkreis seinen Vormarsch auf die zu überfallende Stadt nach Anbruch der Dunkelheit begann.

Hoch zu Roß hielt der neue Kurfürst seinen Einzug, empfangen von dem Jubelruf der Verräter.

Rasch sammelte sich die mutige Bürgerschaft, fest gewillt, dem Ueberfall heftigen Widerstand entgegenzusetzen. Kriegsgeübt war der nervige Arm dieser heldenmütigen Männer, die sich dem Feind stellten, um die altehrwürdigen Freiheiten ihrer Stadt zu wahren und gleichzeitig ihren Kirchenfürsten zu schützen, der sich während seiner Regierung keinerlei Uebergriffe hatte zu schulden kommen lassen, sondern, gleich dem Mainzer Rate, auf das Wohl der Stadt und ihrer Bewohner bedacht gewesen war.

Auch Jakob Fust hatte sich mit dem Schwert umgürtet, in wildem Trotz das ihm unterstellte Fähnlein dem Feinde entgegenführend.

Der ruhig seine himmlische Bahn wandelnde Mond ward der stille Zeuge blutiger Scenen. In allen Gassen und auf allen Plätzen tobte der Kampf. Die auf dem Dietmarkt errichteten Buden boten willkommene Verschanzungen und auf dem Marktplatz türmte sich eine Wagenburg.

»Rom und Nassau!« schrie es hier, – »Kurmainz und Diether!« rief es dort. Mit wilder Begier und todesverachtendem Mute trafen die feindlichen Parteien aufeinander. In das Getöse der Waffen, in den betäubenden Lärm der Kämpfenden und Hilfeschreienden mischte sich das Sturmgeheul der Glocken. Die Gaukler auf dem Dietmarkt hatten sich den kämpfenden Bürgern angeschlossen und teilten mit den ihnen überwiesenen Schwertern gewuchtige Hiebe aus. Doch kaum vernahmen sie, daß »Rom« das Losungswort der fremden Kriegsknechte sei, als sie zu dem Gegner überliefen und ihre Waffen gegen die Mainzer kehrten. Sie wußten nicht, um was es sich handelte. Das eine Wort Rom genügte ihnen.

Aus den Straßen der Stadt drängte alles dem Marktplatz zu, welcher der Schauplatz eines entsetzlichen Gemetzels ward. Immer mehr schmolzen die Fähnlein der heldenmütigen Bürger zusammen, und so manche der in wilder Verzweiflung durch die Straßen irrenden Frauen fand den Leichnam ihres im Kampf gefallenen Gatten.

Jakob Fust blutete bereits aus mehreren Wunden, doch noch immer sammelte er seine Scharen von neuem und stürzte sich mit ihnen auf den verhaßten Feind, bis er endlich überwältigt ward und zähneknirschend zusehen mußte, wie man ihn in Fesseln schlug, während man seine heldenmütigen Genossen elend niedermetzelte.

»Stoßt mir Euren verfluchten Dolch ins Herz!« schrie er einem der feindlichen Hauptleute zu.

»Wir haben strengen Befehl, alle Anführer von Mainzer Bürgern zu schonen,« lautete die Antwort.

Doch nicht nur die fremden Kriegsknechte übten das Amt der Furien aus, auch Scharen von Schreibern und Mönchen sah man mit hochgeschwungenen Fackeln durch die Gassen eilen. Ihr Ziel bildeten zwei verhaßte Häuser, in denen die teuflische Kunst des Bücherdrucks getrieben ward.

Da halfen keine Vorstellungen von seiten Johann Fust; ein rauhes, wildes Lachen übertönte seine Rede, und bald züngelten die Flammen an seinem Haus zum Humbrecht empor. Die Räume der Druckerei sollten dem Verderben geweiht werden. Eine Schar von Kriegsknechten mußte das Werk der Zerstörung vollenden helfen, indem sie alle Gerätschaften, die ihnen unter die Hand kamen, zertrümmerten und zuletzt die großen Pergament- und Papiervorräte in Brand steckten. Das gefräßige Element brach sich rasch weitere Bahn und nur zu bald standen auch die Nachbargebäude in Flammen.

Der Zweck war erreicht und die Zerstörer eilten nach dem Druckhaus zum Jungen. Als man die Werkstatt so gut wie ausgeräumt fand, bemächtigte sich der fanatischen Schar eine nicht zu beschreibende Wut.

»Nach dem Gutenberg!« schrieen hunderte von Stimmen, und vorwärts stürmte der Haufe nach dem bedrohten Hause. Schon sollten die Brandfackeln geworfen werden, als ein Kriegsoberster mit seiner Mannschaft den Anstürmenden ein gebieterisches »Halt« zurief.

»Wage es keiner, die Schwelle dieses Hauses zu überschreiten!«

Erstaunt zügelte die Menge den Schritt.

»Hier wohnt der Gutenberg,« schrieen die Stimmen einzelner, »der Erfinder der Teufelskunst, die so viel Nachteil über Mainz gebracht hat.«

»Er steht unter dem Schutze des Kurfürsten Adolph von Nassau!« rief der Kriegsoberste mit einer Donnerstimme, die alle einschüchterte. »Ich habe mit meinen Leuten das Haus zu bewachen, und jeden laß ich niederschießen, der es wagt, sich dem Gebote des Kurfürsten zu widersetzen!«

Eine große Anzahl von Feuerrohren streckten sich drohend der Menge entgegen.

Da fühlte keiner den Mut, vorwärts zu gehen und erstaunt wichen die Fanatiker zurück. Noch ahnten sie nicht, daß Adolph von Nassau zu jenen aufgeklärten Männern gehörte, welche die Erfindung der Buchdruckerkunst bewunderten. Durch seine heimlichen Boten, welche schon seit längerer Zeit alle Verhältnisse zu Mainz ausgekundschaftet, hatte er erfahren, wie schwer der geniale Meister durch die Gehässigkeit und den Aberglauben einer großen Anzahl bethörter Menschen in seiner Vaterstadt leiden müsse. Darum erteilte er auch, als seine Söldner in Mainz eingerückt waren, dem tapfersten seiner Kriegsobersten Befehl, Gutenbergs Haus und diesen selbst vor jeder Gewaltthat zu schützen.

Inzwischen war es den vereinten Anstrengungen der Bewohner der Schustergasse, in welcher der Hof zum Humbrecht sich befand, gelungen, des Feuers Herr zu werden, so daß nur das Erdgeschoß des Fustschen Gebäudes und jene der angrenzenden Häuser im Innern Schaden gelitten hatten.

Durch die Straßen der Stadt aber tobte noch immer der Kampf, denn mit einer an Wahnsinn grenzenden Verzweiflung wehrte sich der Rest der heldenmütigen Bürgerschar. In gar manchem Haus ward auf Leben und Tod gerungen.

Eine der wilden Rotten, unter welcher sich Spirer mit mehreren seiner Genossen befand, hatte sich dem Neumarkt zugewandt. Der Schneider zeigte den Nassauischen Kriegsknechten den Weg zur Domstiftskurie des Schultheiß.

Noch brannten die Lichter im Saal und noch verweilten einige der getreuen Freunde bei dem in größter Gefahr schwebenden Erzbischof. Sein männlich kühner Mut trat jetzt in bewundernswerter Weise zu Tage. Er fürchtete sich nicht vor der mord- und raublustigen Rotte, welcher es gelungen war, den verschlossenen Eingang zu erbrechen, und die jetzt die Treppe heraufstürmte.

Als die hohen Flügelthüren des Saals aufgerissen wurden und das Volk mit den Söldnern hereinstürmte, trat ihnen der Erzbischof in gebietender Haltung mit den Worten entgegen:

»Was sucht Ihr hier im Reiche des Friedens?«

»Das ist er!« flüsterte der heimtückische Spirer dem Anführer der Kriegsknechte zu.

»Ich verhafte Euch im Namen meines Herrn, des Kurfürsten Adolph von Nassau!« lautete die Antwort des Hauptmanns.

»Er hat weder ein Recht dazu,« erwiderte der Erzbischof mit Würde, »noch Gewalt über mich. Gelang es seiner List, sich der Stadt Mainz zu bemächtigen, so findet er in diesem Hause die Grenze seiner Gewaltthat.«

»Ich vollziehe den Befehl meines Herrn,« gab der Hauptmann zurück, »das andere kümmert mich nicht.«

Nach diesen Worten näherte er sich dem Erzbischof, doch in dem nämlichen Augenblick pflanzte sich Heinrich Bechtermüntz mit seinem Sohne und mehreren Patriziern vor dem bedrohten Fürsten auf. Alle hatten ihre Schwerter gezogen und in jeder ihrer Mienen prägte sich der Entschluß aus, den Erzbischof zu verteidigen und zu schützen.

Ueberrascht trat der Nassauische Anführer zurück.

»Drauf und dran!« rief einer der Patrizier, der nicht mehr müßig das Schwert in der Hand zu halten vermochte. »Haut die Rotte aus dem Saal hinaus!«

»Mainz und Diether!« erklang die Losung, und ehe es sich die den untern Teil des Saales füllende Menge versah, sausten die Schwerter auf sie nieder. Der vorwitzige Schneider, welcher sich am weitesten vorgewagt, empfing seinen wohlverdienten Lohn. Mit zerschmettertem Haupt sank der elende Verräter zu Boden.

Mit zerschmettertem Haupt sank der elende Verräter zu Boden.

Ein wildes Getümmel entstand.

Das zurückweichende Volk und die Kriegsknechte suchten wieder festen Fuß zu fassen, doch mit wahrer Todesverachtung stürmten die Patrizier gegen sie an. Furchtbar war der Erfolg ihrer Hiebe. Die Leiber der Gefallenen dienten ihnen als willkommener Wall, und den Kriegsknechten entsank der Mut, da sich ihr Anführer unter den Gefallenen befand.

»Laßt ab, Freunde!« rief Diether von Isenburg. »Um meinetwillen soll kein Blutbad entstehen!«

Allein die fechtenden Patrizier ließen sich nicht mehr zurückhalten, und als jetzt einige herbeieilende Diener ihnen Feuerrohre überbrachten, schossen sie in die Menge.

Unter Klagen und Wutgeheul räumte die letztere den Saal, dessen Flügelthüren von den nachdrängenden Patriziern rasch geschlossen und verrammelt wurden.

»So viel Blut um meinetwillen!« rief der Kurfürst klagend.

»Es ist das Blut von Verrätern!« entgegnete Johann Bechtermüntz, der sein Schwert so tapfer geführt hatte, als ob sein Arm schon längst auf dem Felde der Ehre gestählt worden sei.

»Wir haben nur wenig Zeit, Eminenz,« rief einer der anwesenden Patrizier. »Die Rotte wird bald mit Verstärkung zurückkehren. Ihr müßt Euch flüchten.«

»Wohin soll ich mich wenden?« erwiderte der Erzbischof dumpf.

»Ich will Euch führen,« rief Heinrich Bechtermüntz begeistert. »Vergönnt mir die Gnade, Euch nach Eltvill zu begleiten. So viel ich weiß, besitzt dieses Haus hier einen zweiten Ausgang.«

»So ist es,« antwortete statt des in finsteres Brüten verfallenenen Erzbischofs einer der Diener. »Wir können Se. Eminenz über die rückwärtige Treppe nach dem anstoßenden Hofe zum Stecken bringen, von wo ein Entkommen leicht ist.«

»Vorwärts also!« riefen die Patrizier.

»Nein,« sagte Diether von Isenburg zähneknirschend. »Ich will der Macht Adolphs von Nassau nicht weichen!«

»Will Ew. Eminenz ihm die Freude gewähren, sein Gefangener zu sein?« stellte Heinrich Bechtermüntz vor. »Was vermögt Ihr gegen die tobende Menge?«

»Ist kein Gott, der das Unrecht straft?« rief der Kurfürst mit hoch erhobenen Händen.

»Wenn die rechte Stunde kommt, wird er gewiß vergelten,« entgegnete Johann Bechtermüntz.

»Fort! fort!« drängten die Patrizier. »Jede Minute ist kostbar.«

Halb gewaltsam mußte der Erzbischof aus dem Saal geführt werden. Es war die höchste Zeit zur Flucht, denn aus dem Vorhaus tönte der wilde Lärm der zurückkehrenden Menge.

Eilig ging es nun vorwärts über die rückwärtige Treppe. Aus dem auf dem Hofe befindlichen Stallgebäude wurden mehrere Rosse geholt, welche von dem Kurfürsten und den beiden Bechtermüntz bestiegen wurden. Das nach dem Stecken führende Pförtchen war bald geöffnet und der Weg ins Freie dadurch geebnet.

»Gott mit Euer Eminenz!« riefen die Patrizier dem entfliehenden Kurfürsten nach, der alsbald mit seinen beiden Begleitern in der nächtlichen Finsternis ihren Blicken entschwand, denn der Mond hatte seinen Lauf beendet und war untergegangen.

Auch mit dem Kampfe war es aus und Mainz eine eroberte Stadt. –

Durch Nebelschleier graute ein neuer Tag, und als dann wenige Stunden später der feurige Sonnenball sich im Osten erhob, beschien er eine blutige Wahlstatt und zerstörte Straßen. Die Glocken schwiegen und schlugen nicht einmal die Stunden an, denn die Türme waren in der Ausübung ihrer Pflicht gefallen von feindlicher Hand. Ein leises Wehklagen zitterte durch die Lüfte, – die alte, ehrwürdige Stadt Mainz hatte ihre Freiheiten verloren.


 << zurück weiter >>