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Sechstes Kapitel.
Recht nach Willkür

Da saß er denn wieder in seiner einsamen Stube, der arme, bescheidene Gutenberg, hilflos und verlassen.

Es war ein schändliches Spiel, das jener Mann mit ihm trieb, der sich bisher seinen Genossen genannt hatte. Fust und Schöffer befanden sich im Besitz des Geheimnisses, das der Meister Johannes so lange und sorgfältig gehütet, die Druckerei war von ihm vollständig eingerichtet worden – und zum Danke für dies alles ließ man ihn jetzt fallen, denn man bedurfte seiner nicht mehr.

Fust wußte, daß Gutenberg selbst den kleinen Rest seines mütterlichen Vermögens bei der Druckeinrichtung verwendet hatte und sich außer stande befand, die ihm vorgeschossene Summe auf der Stelle zu ersetzen. Somit konnte es dem schlauen Fust nicht schwer fallen, sich in den alleinigen Besitz der Druckerei zu setzen und Gutenberg für alle Zeit unschädlich zu machen; denn woher sollte der Aermste wohl die Mittel nehmen, eine neue Druckerei zu gründen, um mit jener von Fust und Schöffer wetteifern zu können?

Schon am nächsten Tage, welcher der erregten Scene folgte, die sich zwischen Fust und Gutenberg abgespielt hatte, erhielt der letztere die gerichtliche Klage zugestellt. Darin forderte Fust die Zurückzahlung der beiden Darlehen nebst Zinsen und Zinseszinsen. Den hohen Prozentsatz suchte Fust dadurch zu begründen, daß er die betreffenden Geldsummen selbst erst bei Juden und Christen habe aufnehmen müssen, da er zu den betreffenden Zeiten durch anderweitige Ausgaben in Anspruch genommen gewesen sei.

Konnte man dies dem reichen Manne glauben, oder hatte er es in seiner schlauen Absicht wirklich gethan, um bei einer passenden Gelegenheit gegen den armen Gutenberg vorgehen zu können, ohne befürchten zu müssen, den Tadel der Welt auf sich zu laden?

»Das Gericht wird mich verurteilen!« äußerte Johannes seufzend zu seinem alten Lorenz und wiederholte die Worte, als sein Freund Günther, der Pfarrherr von St. Christoph, ihn besuchte. Hart fiel es dem letztern, Johannes nicht trösten zu können, denn er dachte unwillkürlich an die übergroße Macht, welche der Bruder des Klägers in seiner Eigenschaft als Bürgermeister noch immer besaß und die voraussichtlich selbst auf die Richter ihren Einfluß üben werde.

Nachdem das Gericht die gegnerischen Parteien gehört, fällte es folgenden Spruch:

»Gutenberg solle Rechnung ablegen über alle Einnahmen und Ausgaben, da die Richter beschlossen, sämtliche Büchervorräte der Druckerei zu gemeinschaftlichem Nutzen zu verkaufen. Wenn sich ergäbe, daß Gutenberg mehr Geld empfangen, als er ausgegeben habe, so solle er das Fust herauszahlen; dieser dagegen habe durch einen Eid darzuthun, daß er die Darlehen seiner Zeit selbst gegen Zinsen aufgenommen und nicht aus seinem eigenen Vermögen vorgeschossen habe. Könne er das erweisen, so müsse ihm Gutenberg auch die Zinseszinsen bezahlen.«

Nach dem damals landesüblichen Gesetz war es zwar streng untersagt, für Darlehen sechs Prozent zu verlangen und Zinsen von Zinsen zu nehmen, deshalb bestritt denn auch Gutenberg die Gültigkeit des Spruchs. Allein es nützte ihm dies nichts, da das sich aus einem Kämmerer, einem Schultheiß und vier Richtern zusammensetzende Kollegium aus lauter guten Freunden der beiden Gebrüder Fust bestand.

Es kam jetzt alles darauf an, ob Johann Fust den ihm auferlegten Eid leisten werde. Er war zu diesem Zweck in den Großen Refender (Refektorium) des Franziskanerklosters geladen, wohin sich zur bestimmten Stunde auch der Pfarrherr Günther begab, um die Rechte seines Freundes zu wahren.

Es war ein recht trüber Novembermorgen. Aus den bleigrauen Wolken fielen vereinzelte Schneeflocken, denen der am Fenster seines Arbeitszimmers sitzende Gutenberg melancholisch nachsah. Wie ein einziger Augenblick genügte, diese aus gewaltiger Höhe herabfallenden Eiskrystalle bei der Berührung mit dem Erdboden schmelzen zu lassen, so hatte auch eine flüchtige Spanne Zeit genügt, alle Hoffnungen, die der Himmel im Herzen Gutenbergs entzündet, auszulöschen.

Der alte Lorenz stand vor ihm und sprach viel von Vergeltung, von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Aber Johannes hörte nicht auf ihn. Er sah heute so kalt und teilnahmslos aus, wie draußen der Novembertag. Bewegungslos blickte er durch die kleinen Fensterscheiben, und erst, als Freund Günther ins Zimmer trat, wandte er das Haupt dem letzteren zu.

»Mein armer Gutenberg,« begann der Pfarrherr in schmerzlich bewegtem Ton, seine Hand auf des Freundes Schulter legend. »Fust hat den Eid geleistet und darüber von dem gleichfalls im Kloster erschienenen Notar eine Beglaubigung verlangt und erhalten. Diese legt er jetzt dem Gericht vor, und was nunmehr geschieht, kannst Du Dir denken.«

Johannes neigte das Haupt. Er vermochte die Darlehen nicht heimzuzahlen, und so wanderte denn das gesamte an Fust verschriebene Unterpfand in dessen Hände, nebst allem vorrätigen Pergament und Papier.

So weit also war es mit dem genialen Erfinder der Buchdruckerkunst gekommen, daß er in dem Augenblick, wo er hoffen durfte, endlich einmal die Früchte seines Fleißes und so vieler gebrachter Opfer zu ernten, sich durch die Ränkesucht der Menschen um alles gebracht sah. Aermer und hilfloser, wie je zuvor, stand er jetzt da.

Aber er verzagte trotzdem nicht; denn da droben über den grauen Wolken, die so grämlich und kalt auf ihn niederblickten, als ob sie der gestorbenen Hoffnung nachtrauerten, wohnte der alte, treue Gott, der ihn noch nie verlassen. Auf seine Hilfe baute er in seiner Hilflosigkeit, er war sein Trost und Anker in dem Schiffbruch seines Lebens.

Der Pfarrherr Günther empfand in seiner großen Teilnahme für Johannes dessen hilflose Lage womöglich noch schwerer als der Getroffene selbst. Der alte Herr hatte sich in seinem langen Leben nie nach dem Besitz irdischer Güter gesehnt. Seine Bitte zu Gott bestand darin: »Reichtum und Armut gieb mir nicht, laß mich aber mein bescheidenes Teil Speise dahinnehmen!« – doch jetzt würde Günther aufgejauchzt haben, wenn er über ein kleines Vermögen geboten hätte. Dann wäre sein Freund Johannes von jeglicher Sorge befreit gewesen und seine gehässigen Feinde konnten nicht über ihn triumphieren.

Wie die Sachen nun aber einmal standen, vermochte der Pfarrherr nichts für Gutenberg zu thun, und dies schmerzte ihn tief. Er ließ die lange Reihe der ihm befreundeten Familien im Geiste Revue passieren, und fand unter den begüterten nur Heinrich Bechtermüntz heraus, dessen wohlwollende Gesinnung und freundlicher Charakter ihm eine gewisse Gewähr dafür bot, daß er sich Gutenbergs annehmen werde.

Stadtsyndikus Humery war freilich auch ein reicher Mann, aber als selbstsüchtig bekannt. Auch hatte der Pfarrherr von dem Streite Kenntnis erhalten, der zwischen ihm und Gutenberg stattgefunden, und schon deshalb war auf eine Hilfe des Stadtsyndikus nicht zu rechnen.

So begab sich denn Günther in das Haus der Bechtermüntz, und da es ein Werktag war, so suchte er den älteren der beiden in seinem Komputatorium (Kontor) auf.

Der Handelsherr befand sich mit seinem Sohn allein, der soeben in einem Exemplar der Gutenbergischen Biblia latina vulgata blätterte und sich in lauter Bewunderung über die Genialität des Mannes erging, der die Buchdruckerkunst erfunden.

Nach der Begrüßung des eingetretenen Pfarrherrn fuhr er zu diesem gewandt fort:

»Wie beneide ich Euch um den Freundschaftsbund, den Ihr mit Johannes Gutenberg geschlossen! Mein Vater hat die große Güte gehabt, mich mit einer gedruckten Bibel zu beschenken, und staunend stehe ich vor dem Heiligen Buche, das jetzt erst der Besitz des gesamten christlichen Volkes geworden ist. Ich vermag die Tragweite der Erfindung Eures Freundes kaum zu fassen, aber ich fühle so recht, daß die Buchdruckerkunst der Damm ist, welcher es unmöglich macht, daß die Menschheit wiederum in geistige Nacht und Finsternis zurückfällt. Der Lichtstrahl, der dem genialen Kopf Gutenbergs entsprungen, erhellt die ganze Welt, denn er läßt sie teilnehmen an der Bildung des Geistes, und die Klöster werden fortan nicht mehr die einzigen Pflegestätten der Wissenschaft sein. Der gedruckte Buchstabe schließt eine Macht in sich, die alle Hemmnisse siegreich überwindet, und indem ich die Blätter der gedruckten Bibel umschlage, fühlt meine ahnende Seele das Anbrechen einer neuen Zeit.«

In freudiger Bewegung lauschte der Pfarrherr den Worten des begeisterten jungen Mannes.

Als dieser geendet, sagte er: »Ja, Ihr habt recht, von Johannes Gutenberg ging das Licht einer neuen Zeit aus: zum Dank dafür muß er jetzt in der Finsternis schmachten, denn turmhoch baut sich die Last von Sorgen auf, mit welcher die Ränkesucht schlimmer Menschen ihn umgeben.«

Den fragenden Blicken von Vater und Sohn begegnete er dadurch, daß er ihnen ausführlich über Gutenbergs Schicksal berichtete.

»Dem edeln Manne muß geholfen werden!« rief der junge Gelehrte, seinen Vater bedeutsam anblickend.

»Fusts Handlungsweise,« versetzte der Handelsherr, »ist freilich als eine höchst unedle zu bezeichnen, wennschon er sich Gutenberg gegenüber in seinem Recht befindet.«

»Die Pflicht der Dankbarkeit,« wandte Johann ein, »mußte ihn auf dieses Recht verzichten lassen. Gutenberg gab ihm mehr als hunderte von Darlehen, da er ihm sein Geheimnis offenbarte. Ohne ihn würde Fust ein unbekannter Mensch geblieben sein, während er jetzt an der Ehre der genialen Erfindung mit teilnimmt.«

»Du hast von Deinem Standpunkt aus recht,« meinte der Vater. »Du bist eine ideal angelegte Natur, der aber der praktische Blick mangelt. In Deiner Begeisterung für Gutenberg übersiehst Du, daß er die schönen Erfolge seiner Erfindung nur dadurch erzielte, daß ihn Fust genügend unterstützte.«

»Das hätte auch jeder andere gethan,« entgegnete der Sohn.

»Darüber läßt sich streiten,« gab der Handelsherr zurück. »Das geheimnisvolle Wesen Gutenbergs stößt so manchen ab, daher glaube ich kaum, daß er in hiesiger Stadt das Vertrauen irgend eines reichen Mannes gefunden haben würde.«

» Dich aber nimmst Du doch davon aus, Vater?« äußerte der Sohn mit erhobener Stimme.

Heinrich Bechtermüntz zuckte die Achseln.

Es entstand jetzt eine unangenehme Pause. Johann biß die Lippe und der Pfarrherr spielte verlegen mit den Fingern seiner Hand.

Der Handelsherr suchte dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, indem er an Günther die Frage richtete, ob er mit seinem Besuch einen weiteren Zweck verbinde und womit er in diesem Falle ihm dienen könne.

Günther geriet dadurch nur noch in größere Verlegenheit. Indessen hielt er es für seine Pflicht, die an ihn gerichtete Frage wahrheitsgetreu zu beantworten, deshalb erwiderte er:

»Ich kam allerdings hierher, um Euch eine Bitte vorzutragen. Dieselbe betraf meinen Freund Gutenberg. Ich weiß nicht, ob ich sie jetzt noch aussprechen soll, nachdem ich Eure Ansicht über den Fall und die hilflose Lage meines Freundes kennen gelernt.«

Der Kaufherr schien die Art der Bitte zu erraten, denn er versetzte achselzuckend:

»Ich muß Euch dies gänzlich anheimstellen. Ihr werdet selbst am besten wissen, ob Euer Ersuchen mit meinen Grundsätzen übereinstimmt und Ihr auf einen Erfolg rechnen dürft.«

»Sprecht nur immer, hochwürdiger Herr,« rief Johann ermunternd. »Der Vater stellt seinen Charakter schroffer dar, als er in Wahrheit ist.«

Heinrich Bechtermüntz warf seinem Sohne einen mißbilligenden Blick zu.

»Nun wohl,« begann der Pfarrer mit einem tiefen Atemzuge, »so will ich meiner Freundschaftspflicht genügen, selbst auf die Gefahr hin, von Euch einen abschlägigen Bescheid zu erhalten. Johannes Gutenberg ist aller Mittel bar. Das Gericht hat ihm mehr genommen, als er von Fust dereinst erhalten, und er muß verzweifeln, wenn ihm nicht bald Hilfe wird. Wollt Ihr sein Wohlthäter werden, Herr Bechtermüntz?«

»Was meint Ihr damit?« versetzte dieser ausweichend.

»Wollt Ihr meinem armen Freunde,« fuhr Günther mit bewegter Stimme fort, »eine Summe Geldes vorstrecken, damit er sich ein neues Druckzeug anschaffen kann?«

Der Handelsherr hatte den Arm auf den Tisch und die Hand vor seinen Mund gelegt. Er blickte angelegentlich nach der Decke.

Vergebens wartete der Pfarrherr auf eine Antwort.

Der Sohn blickte ziemlich finster nach seinem Vater hinüber, und je länger dieser schwieg, je heftiger klopfte sein Herz.

Endlich ließ Heinrich Bechtermüntz die Hand sinken und sagte: »Entschuldigt, daß ich Euch so lange auf einen Entscheid habe warten lassen, allein ein Kaufmann darf sein Herz nicht sprechen lassen, bevor er nicht gerechnet hat. Die Zahlen sind nun einmal seine Welt. Ohne sie fängt er ebensowenig an, als Euer Freund Gutenberg ohne Buchstaben. – Ich bin ein Feind unnützer Vertröstungen. Der Bittende verliert dadurch nur Zeit. Trotzdem vermag ich mich in diesem Augenblick nicht bestimmt auszusprechen. Mein Bruder Niklas befindet sich gegenwärtig auf einer Geschäftsreise, um unsere mehrfachen Außenstände einzuziehen. Haben seine Bemühungen Erfolg, so bin ich nicht abgeneigt, Gutenberg eine mäßige Summe darzuleihen. Ich sage ausdrücklich: eine mäßige Summe, da ich größere Geldbeträge in meinem Geschäft nicht missen kann.«

»Aber Vater,« wandte Johann ein, der nur schwer seinen Unmut zurückhielt, »was wollen bei einem so großen Geschäft, wie Du und der Ohm es besitzen, ein paar tausend Gulden bedeuten?«

»Sehr viel,« widersprach der Handelsherr in sehr bestimmtem Tone, »denn sie können mir plötzlich fehlen und mich in Verlegenheit bringen. Hättest Du Dich statt mit den toten Sprachen mit dem Handel beschäftigt, so würdest Du wissen, daß, je größer ein Geschäft ist, je geringer oft die baren Mittel sind.«

»Du bist ein reicher Mann,« schaltete der Sohn ein.

»Allerdings,« gab der Vater zu, doch hörte man seiner Stimme den inneren Aerger an, »aber ich verfüge nicht jederzeit über flüssiges Kapital. Meine Gelder roulieren, und sie befinden sich oft in weiter Ferne, wenn ich sie am nötigsten brauche. Deiner jugendlichen Beschränktheit mag dies wunderlich erscheinen, doch Ihr, hochwürdiger Herr, werdet mich verstehen.«

Der Pfarrherr neigte das Haupt und verabschiedete sich nach kurzer Rede. Dem ihn bis zur Thür begleitenden jungen Gelehrten drückte er gerührt die Hand, denn seine warme Fürsprache nötigte ihm größere Achtung ab, als die feinen, kaufmännischen Grundsätze des Vaters.

Unterwegs stieß der Pfarrherr auf Humery.

»Wißt Ihr es schon?« rief er diesem zu.

»Was?« lautete die kurze Antwort.

»Das Gericht hat Fust Recht zugesprochen und der arme Gutenberg ist um all sein Druckzeug gekommen.«

»War vorauszusehen,« brummte der Stadtsyndikus und verfolgte seinen Weg weiter.

Günther blickte ihm schmerzlich bewegt nach.

»So sind die Menschen,« sagte er leise vor sich hin, »von dem Hilflosen wenden sie sich ab, unter dem Vorwand Tausender von Gründen, während sie dem vom Glück Begünstigten ihren Beifall zollen. Ach, warum bin ich so arm?«

Indem er sich über die Augen fuhr, schritt er schnell seinem Pfarrhause zu, denn die Stunde der Vesper nahte heran und es war Zeit, daß er sich mit seinem Priestergewand bekleidete. Nach beendigtem Gottesdienst wollte er den hilfsbedürftigen Gutenberg aufsuchen, welcher während des ganzen Tages nicht aus seiner Behausung gekommen war.

Er saß zumeist am Fenster und blickte zu den grauen Wolken empor, die noch immer den Himmel bedeckten. Die verschiedensten Stimmungen wechselten in seinem Herzen, wennschon sein festes Gottvertrauen die Oberhand behielt.

»Alle unsere Vorräte gehen zu Ende,« barmte der alte Lorenz. »Wer wird jetzt, da Ihr ohne jeglichen Verdienst seid, für neue sorgen?«

»Gott,« lautete Gutenbergs Antwort.

»Möchtet Ihr recht haben,« seufzte der Greis. »Wie aber, wenn die Menschen Euch gänzlich verlassen, woher soll dann die Hilfe kommen?«

»Auch von Gott!«

»Ich habe noch nicht gehört,« versetzte Lorenz halb ärgerlich, »daß er Speise und Trank vom Himmel herabfallen läßt.«

»Nein,« pflichtete Gutenberg bei, »aber wenn alles uns verläßt und wir nichts mehr haben, so ruft er uns zu sich in sein Himmelreich, wo er uns köstlichere Gaben spendet, als die Erde sie uns zu geben vermag.«

»Ihr wollt doch um des Himmels willen nicht etwa verhungern?« rief der sich von jeher eines guten Appetits erfreuende Lorenz.

Gutenberg stieß ein kurzes Lachen aus, dann blickte er wieder zu dem grauen Himmel empor und versank in Träumereien.

Leise und kopfschüttelnd entfernte sich der alte Diener.

Die Dämmerung kam und die grauen Wolken entschwanden Gutenbergs Blicken. Im Zimmer ward es empfindlich kalt, denn im Kamin prasselten keine wärmespendenden Flammen. Der Meister hüllte sich fester in die Schaube, die er über sein Wamms gezogen hatte, lehnte den Kopf an die Seitenwand des Fensters und blickte von neuem zu dem nächtlichen Firmament empor. Durch die Wolkendecke blitzte jetzt ein Stern und sein himmlisches Licht entzündete eine Art von Hoffnungsfreudigkeit in des verlassenen Meisters Herzen.

Da klopfte es an die Thüre, und auf Gutenbergs Ruf erschien eine Gestalt, deren Umrisse bei der herrschenden Dunkelheit kaum zu erkennen waren.

»Oho,« rief der Eingetretene, »hier sieht es ja aus, wie im Heiligen Grabe!«

Gutenberg erkannte zu seinem großen Staunen die Stimme des Stadtsyndikus. Dessen Besuch hätte er am wenigsten erwartet.

»Alter Mann,« rief Humery dem hinter ihm stehenden Lorenz zu, »habt die Gewogenheit, Licht zu bringen.«

Der sich entfernende Tritt des Dieners bewies seine Bereitwilligkeit, dem erhaltenen Befehle nachzukommen.

Bis zur Rückkehr des Greises sprach weder der Syndikus noch Gutenberg ein Wort. Lorenz leuchtete mit der angebrannten Lampe dem sonderbaren Gaste ins Gesicht, der ihm zum Danke dafür eine derartige Grimasse schnitt, daß der Alte erschrak. Er stellte die Lampe rasch auf den Tisch und entfernte sich. Hinter der geschlossenen Thür aber blieb er stehen und lauschte, denn mit dem Fremden schien es ihm nicht recht geheuer zu sein.

Humery hatte sich vor dem Kamin niedergelassen, merkte aber gar bald, daß er dort vergeblich auf eine behagliche Wärme rechnete, die ihm, bei der niederen Temperatur des Zimmers, erwünscht erschien.

»Ihr wollt wohl darin einen Kirchhof anlegen?« fragte er in seiner bissigen Weise, auf die finstere Leere des Kamins deutend.

Gutenberg, der seinen Platz am Fenster verlassen hatte, schraubte lächelnd den Docht der Lampe etwas höher.

»Oh, laßt nur,« rief Humery, sich die Hände reibend, »deshalb wird es im Zimmer doch nicht wärmer.«

Er trampelte mit den Füßen und schwieg.

Gutenberg folgte in letzter Beziehung seinem Beispiel.

»Es weht eine rauhe Luft draußen,« fuhr nach längerer Pause der Stadtsyndikus polternd heraus, als ob er ein personifizierter Orkan wäre. »In der Nacht giebt es wohl Schnee.«

»Ein Stern blitzt durch die Wolken,« bemerkte Gutenberg.

»Das kümmert den Schnee wenig,« meinte der Syndikus, »er fällt trotzdem.«

Eine neue Pause erfolgte. Humery erhob sich und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Kamin.

»Na,« brummte er, »der Fust hat seinen Prozeß gewonnen und Euch alles wegnehmen lassen?«

Gutenberg bejahte stumm.

»Hahaha,« lachte der Syndikus, »das ist wirklich ein prächtiger Mensch, wert, daß man ihn in die von Euch erfundene Presse legte, auf daß sein Leichnam für das Herbarium der Weltgeschichte aufbewahrt bliebe.«

»Ich neide ihm seinen Triumph nicht,« versetzte der gutmütige Johannes.

»Das glaube ich Euch, ohne daß Ihr es erst zu sagen braucht,« lachte Humery.

Abermals stockte das Gespräch. Der Syndikus verkürzte sich die Zeit, indem er zu pfeifen begann. Er verließ jetzt den Kamin und ging, seine frierenden Füße bei jedem Schritt hochziehend, im Zimmer auf und ab. Nach einer Weile hörte er zu pfeifen auf und sagte:

»Wenn mir recht ist, so haben wir uns neulich einmal gezankt?«

»Ihr wohl mehr mit mir als ich mit Euch,« meinte Gutenberg treuherzig.

»Kann auch sein,« gab der Syndikus zu. »Dumm war es jedenfalls.«

»Ich glaubte, Euch nie wieder zu sehen,« äußerte Gutenberg. »Euer Besuch freut mich daher doppelt.«

»So?« brummte Humery, »hättet Ihr Euren Prozeß gewonnen, so würde ich wohl noch nicht gekommen sein, aber so –«

Er begann stärker zu traben.

»Ihr werft mich wohl mit dem andern Volk zusammen?« rief er ärgerlich. »Denkt, daß ich nicht nach Euch sehen würde? Hahaha, da irrt Ihr Euch gewaltig. Hui, wie würde sich dieser Fust ins Fäustchen lachen, wenn Ihr keinen Freund fändet, der Euch zu einem neuen Druckgerät verhälfe, so daß Ihr, abgeschreckt durch die vielen Kränkungen und den Verlust Eures Vermögens, auf die Errichtung einer neuen Druckerei freiwillig verzichtet. Ich glaube, der Fust würde sterben vor Lachen. Aber ich fühle Mitleid mit ihm, er ist ein gar zu guter Mensch, der noch lange leben bleiben und sich recht – ärgern soll. So,« rief er, stehen bleibend und die Arme übereinander schlagend, »jetzt ist mir wieder warm. Was meint Ihr, Meister, wollen wir den Abend mitsammen verbringen und unsern Streit von neulich beim edlen Rheinwein der Vergessenheit anheimgeben?«

»Eure lustige Gesellschaft wird Euch erwarten,« meinte Gutenberg ausweichend, da die Erwähnung vom Rheinwein ihn bedenklich stimmte, wie der Griff nach seiner leeren Tasche bewies.

»Die lustigen Brüder sollen heute einmal versuchen, ohne mich auszukommen,« versetzte der Syndikus, indem er an die Thüre trat und den hinter derselben rasch zurückweichenden Lorenz herbeirief.

»Sagt, alter Mann,« redete er ihn an, »würdet Ihr uns wohl ein paar Kannen Laubenheimer aus der Nachbarschaft besorgen?«

»Oh ja,« erwiderte Lorenz gedehnt, indem er, sich am Kinne reibend, verlegen nach seinem Herrn hinüberschielte.

»Ihr habt wohl Geld genug,« fuhr der spottlustige Humery fort, »um die paar Heller auszulegen?«

»I nu –«

Der Syndikus lachte bei dem possierlichen Gesicht, das der Alte zog, laut auf. Er drückte ihm einen wohlgefüllten Beutel in die Hand und schob ihn zur Thüre hinaus.

»Wollt Ihr mir wohl einen Gefallen erweisen?« äußerte Humery zu dem verlegen dastehenden Gutenberg.

Dieser blickte ihn fragend an.

»Ich möchte Euch nämlich gern zum Schuldner haben,« fuhr der Syndikus fort. »Dürfte ich Euch wohl so viel vorstrecken, als Ihr zur Einrichtung einer neuen Druckerei gebraucht? Aber ohne Zinsen natürlich, denn so gutmütig, wie mein Freund Fust, bin ich nicht –«

Gutenberg eilte auf Humery zu, riß stürmisch dessen Hand an sich und rief, während die hellen Thränen ihm über die Wangen rannen:

»Freund! Helfer in der Not –«

»Engel und was dergleichen mehr ist,« vollendete der Syndikus lachend, sich dadurch gewaltsam der Rührung verwehrend, die ihn bei dem Anblick Gutenbergs überkam. »Also, das wäre abgemacht, und nachdem wir uns erst durch einen guten Schluck Rheinweins erwärmt, wollen wir das Geschäft in Ordnung bringen. Diese Labung aber thut uns not, denn es ist bitter kalt und Ihr werdet sehen: es schneit heute Nacht.«

»Nein,« rief Gutenberg mit hellleuchtenden Augen, indem er den edelmütigen Mann an das Fenster führte und, nach oben deutend, die Worte sprach: »Dort leuchtet ein Stern. Den hat mir Gott gesandt durch Eure Freundschaft!«

»Euer Freund bin ich, des seid gewiß,« antwortete der Stadtsyndikus in herzlichem Tone, »und darauf wollen wir den Becher leeren!«

Mit diesen Worten schritt er auf den ins Zimmer tretenden Lorenz zu, ihm eine der Kannen abnehmend.


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