Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.
Ein sturmbewegter Tag

In dem Kreuzgang des Franziskanerklosters auf dem sogenannten Lorscherhof bewegten sich an einem Frühlingstage in lebhaftester Weise die schwarzgekleideten Gestalten der Mönche. Es mußte etwas ganz Absonderliches geschehen sein, das die sonst so ruhigen Brüder in einen solchen Aufruhr versetzte.

»Wie ich Euch sage,« äußerte der soeben von Worms zurückgekehrte Bruder Kellermeister, welcher auf dem Markt daselbst einige Fuder des von dem Kloster selbstgezogenen Weines verkauft hatte, »ich habe es aus dem Munde des Bischofs Reinhard von Sickingen selbst.«

»Diether von Isenburg,« rief der Bruder Lektor, »hat gewagt, sich der päpstlichen Annatenforderung zu widersetzen?«

Der Kellermeister nickte.

Sämtliche Mönche schlugen die Hände zusammen, mit Ausnahme des Bruders Oekonom, welcher äußerte:

»Laßt uns bedenken, daß es für den Erzbischof keine Kleinigkeit ist, der von Rom an ihn gestellten Forderung nachzukommen. Soll er doch statt der bisherigen zehntausend Gulden fernab über das Doppelte zahlen.«

Die Steigerung der Annaten, wie im Mittelalter jene Abgaben genannt wurden, die von Bischöfen und Aebten an die päpstliche Kammer zu entrichten waren, mußte als eine Art von Strafe für die freie Sprache betrachtet werden, welche die deutschen Kirchenfürsten auf den letzten Konzilien geführt hatten. Seitdem Diether von Isenburg ebenso furchtlos als heldenmütig für eine Reformation der Kirche eingetreten war, konnte es nicht fehlen, daß man zu Rom ihn mit feindseligen Blicken betrachtete. Pius II. war es im Verein mit dem Kaiser zwar gelungen, die Beschlüsse des von Diether nach Nürnberg berufenen Fürstentags zu vereiteln und den Zusammentritt eines neuen Konzils abzuwenden; der Mainzer Kurfürst sollte aber die Macht des Stärkeren empfindlich zu fühlen bekommen, und deshalb ward ihm die übergroße Abgabe auferlegt.

Der Bruder Oekonom, dem die Ausgaben seines Klosters Sorgen genug bereiteten, vermochte sich in Diethers Lage zu versetzen, und deshalb brach er eine Lanze für ihn. Aber er kam bei den Brüdern übel an, die sich in zürnender Rede gegen ihn ergingen.

»Und wenn die päpstliche Kammer zu Rom das hundertfache gefordert hätte,« rief der Lektor, »so war es Pflicht des Kurfürsten, sich dem Gebote willig zu fügen.«

»Du hast gut sprechen,« meinte der Bruder Oekonom, »woher soll man denn das Geld nehmen, wenn man es nicht hat?«

»Das ist Diethers Sache,« riefen mehrere Mönche, »er konnte irgend eine Steuer ausschreiben.«

»Jetzt, bei der schlimmen Zeit?« gab der Oekonom zu bedenken. »Die Mainzer würden da schön gemurrt haben.«

»Das thun sie bei jeder Gelegenheit,« meinten einige der Brüder.

»Wir haben bei der schlimmen Zeit noch mehr zu leiden als sie,« ergriff wieder der Lektor das Wort. »Oder vergeßt Ihr der Summen, die uns verlustig gehen, seitdem unser Kopiermonopol durch die Teufelskunst des Gutenberg bedroht wird?«

»Der Bruder Lektor hat Recht,« pflichtete die Mehrzahl der Mönche bei, und der Bibliothekar fügte zornig hinzu:

»Wäre Gutenberg nicht gewesen, so hätte weder Fust noch sein Genosse Schöffer eine Ahnung von dem Satanswerk bekommen, das uns um allen Verdienst bringt. Wie lange wird es dauern und sie drucken alle gelehrten und heiligen Schriften ab, deren Kopien wir im Schweiße unseres Angesichts besorgt.«

»Ich hatte,« äußerte der letztere, »mich schon der Hoffnung hingegeben, daß nach der Trennung dieser Teufelskünstler die Druckerei von Fust ins Stocken geraten würde, da er des Rats seines ehemaligen Genossen entbehrte, – allein von dem Guardian vernahm ich, daß er ein neues Buch vorbereitet, Gutenberg aber durch den Stadtsyndikus in die Lage gesetzt worden sei, eine neue Druckerei zu gründen, welche demnächst gleichfalls ein neues Teufelswerk ausspeien wird.«

Die Mönche ergingen sich in Klagen und Scheltworten, sahen sich aber durch einen Laienbruder unterbrochen, der sie im Auftrage des Guardian in den Kapitelsaal berief.

Der Vorsteher des Klosters, ein würdiger Greis mit freundlich ernsten Gesichtszügen, empfing die Mönche mit einer gewissen Feierlichkeit.

»Ich habe meinen Söhnen,« begann er mit tiefer, dröhnender Stimme, »Neuigkeiten mitzuteilen, die leider ihren Unmut herausfordern werden. Am gestrigen Tage erschien bei mir ein Zünftler, der sich Spirer nannte. Er trug mir die Kunde zu, daß mit dem heutigen Tag in der Fustschen Druckerei ein neues Werk zur Ausgabe gelangen werde und erbot sich, mir ein Exemplar davon zu verschaffen. Gleichzeitig teilte er mir mit, daß unsere Eminenz den Bücherdruck insgeheim nicht nur billige, sondern auch unterstütze. Ich weiß, daß die Ansicht meiner Söhne in diesem Punkte eine andere ist, als die meinige, da ich Gutenbergs Erfindung für eine Gnade Gottes halte.«

Die Mönche wagten ihrem Obern nicht zu widersprechen, aber ihre finsteren Mienen verkündeten mehr, als Worte es vermögen.

»Ich finde es erklärlich,« fuhr der Guardian fort, »daß Ihr der neuen Erfindung abgeneigt seid, da durch sie die Einnahmen unseres Klosters bedeutend vermindert worden sind und es voraussichtlich noch mehr werden. Ich fühle in dieser Beziehung mit Euch. Andererseits aber vermag ich meine Bewunderung der Gutenbergischen Kunst nicht zu entziehen. Ihr werdet mir beistimmen, wenn Ihr das von Fust herausgegebene neue Druckwerk in Augenschein nehmet. Dasselbe ist mir vor einer Stunde durch jenen Spirer überbracht worden.«

Bei diesen Worten winkte er zwei Laienbrüdern, welche abseits standen und jetzt mit einem mächtigen Folianten hervortraten, den sie auf einen Tisch aufgeschlagen niederlegten.

»Ein Psalterium! Eine officia divina!« riefen die Mönche erstaunt, näher an das mit großen Missaltypen (Frakturschrift) gedruckte Chorgesangbuch herantretend und es Seite für Seite betrachtend.

Solcher Psalterien bediente man sich im fünfzehnten Jahrhundert bei der Messe und im Chor der Stifte und Klöster beim Gesang. Sie enthielten 23 Psalmen Davids und waren von den Mönchen seither mit Rohrfedern so vollendet schön geschrieben worden, daß die Buchstaben wie gedruckt aussahen. Diese übergroßen, in hölzerne mit Schweinsleder überzogene Decken gebundene und mit Messingverschlüssen versehene Bücher verursachten, trotz ihres namhaften Gewichts, den geistlichen Chorherren keinerlei Unbequemlichkeit, da sie aufgeschlagen auf großen Pulten lagen, hinter denen sich die Geistlichen befanden. Die Buchstaben hatten eine derartige Dimension, daß sie in der Entfernung von mehreren Schritten zu lesen waren.

Das von Fust und Schöffer hergestellte Psalterium war ein wirkliches Meisterstück der Buchdruckerkunst, das durch seine Schönheit und Pracht die Mönche zu lauter Bewunderung hinriß. Sie vermochten sich nicht satt zu sehen an den künstlerisch geformten Buchstaben und an den mit reicher Ornamentik versehenen Initialen, mit denen jeder Psalm begann und die eine reiche Abwechslung in den Farben zeigten. Es war Schöffers geschickte Hand, welche die Zeichnungen zu diesen Holzschnitten entworfen hatte.

Die Bewunderung, mit welcher die Mönche das neue Druckwerk betrachteten, ward indessen gar bald beeinträchtigt durch die abergläubische Furcht, an welcher nicht nur das Volk, sondern auch die Gelehrten in der Zeit des Mittelalters krankten. Die Klosterbrüder vermochten es nicht zu fassen, daß diese wunderbare Schrift des vor ihnen aufgeschlagenen Psalteriums mit jenen der übrigen zur Ausgabe gelangenden Exemplare auf das genaueste übereinstimmte, und daß zur Herstellung all dieser vielen Bücher nur eine kurze Spanne Zeit nötig sei. Sie besaßen eben keinen Begriff von dem Mechanismus der Gutenbergischen Kunst, vor der es ihnen graute.

»Das Psalterium,« nahm der Guardian seine Rede wieder auf, »befand sich erst wenige Minuten in meinem Besitz, als ein Schreiben seiner Eminenz anlangte, das, gleich mir, alle Vorsteher von Stiften und Klöstern der erzbischöflichen Diözese erhalten haben, und worin wir aufgefordert werden, den Bedarf an Chorgesangbüchern fortan mit Exemplaren aus der Fustschen Druckerei zu decken.«

Den Mönchen fiel es schwer, mit ihrem Unwillen zurückzuhalten. Dem Guardian entging ihre Bewegung nicht, und da er eifrig darauf bedacht war, alle stürmischen Auftritte zu vermeiden, die seine Würde als Vorstand des Klosters beeinträchtigen konnten, so zog er sich ziemlich rasch aus dem Kapitelsaal zurück.

Nach seinem Weggang aber brach der Sturm los.

»Können wir solche Eingriffe in unser gutes Recht dulden?« rief der Lektor.

»Der heilige Vater zu Rom muß uns schützen!« antworteten andere.

»Jener Zünftler, dessen der Guardian erwähnte, scheint noch mehr zu wissen,« ergriff der Bibliothekar das Wort, »er soll uns Rede stehen.«

»Laßt uns ihn aufsuchen,« riet der Lektor.

»Bevor Ihr etwas unternehmt,« mahnte der Oekonom, »hört die Meinung anderer Ordensbrüder. Neigen sie sich Eurer Ansicht zu, so ist es immer noch Zeit, mit Vorstellungen an unsern Guardian heranzutreten. Er war uns stets ein gütiger Vater, auf unser körperliches und geistiges Wohl bedacht. Vertraut daher seiner Weisheit.«

Diese vernünftige Vorstellung beschwichtigte in etwas den Sturm der Gemüter. Nach längerem Hin- und Herraten ward beschlossen, eine Deputation an die übrigen Klöster der Stadt zu entsenden. Der Lektor erhielt daher den Auftrag, bei dem Guardian den nötigen Urlaub zu erbitten. Der Vorstand des Franziskanerklosters gab ungern seine Einwilligung, da er bei der Erregung der Gemüter schlimme Folgen fürchtete. Indessen mußte er sich diesmal dem Willen seiner Mönche fügen.

Es war am Spätnachmittag, als der Lektor mit einigen seiner Brüder den Lorscherhof verließ und sich zunächst nach dem Barfüßlerkloster begab. Durch die Gassen zog eine lärmende Menge, welche sich zumeist aus den niedern Volksschichten zusammensetzte. Auch auf Mönche der verschiedensten Orden stießen die Franziskaner und in rascher Rede tauschten sie ihre Meinung. Es war selbstverständlich, daß sie mit einander sympathisierten und gemeinschaftlich auf das neue Druckwerk und die Verfügung Diethers schalten.

Die Volksschaaren nahmen regen Anteil daran, denn jeder Streit und Zwist war ihnen willkommen. Sie stimmten in den Unwillen der Mönche ein, ohne daß sie Grund dazu hatten. Es geschah aus der ihnen innewohnenden Lust an tumultuarischen Auftritten.

Immer größer ward der Schwarm, der sich den Mönchen anschloß. Als diese endlich das Barfüßlerkloster erreichten, fanden sie auch dort bewegte Menschenmassen, die mehreren heftig gestikulierenden Barfüßlerbrüdern zuhörten, welche nach dem ihrem Kloster gegenüberliegenden Hof zum Humbrecht deuteten.

»Der Fust hat ganze Stöße von Psalterien nach seiner Wohnung schaffen lassen,« rief einer der Barfüßer, »weil er weiß, daß sie in seinem Druckhaus nicht sicher sind. Es wäre ein verdienstliches Werk, wenn man die Vorräte ihm entrisse!«

»Er muß sie herausgeben!« rief ein dürres Männchen.

»Nimm die Bücher auf deinen Buckel, Schneiderseele,« höhnte der Weber Klaus, der mit zum Bunde der unzufriedenen Zünftigen gehörte.

»Der Spirer soll den Redner bei Fust machen!« jubelte die Menge.

»Halt! einen Augenblick!« ließ sich die Stimme des Lektors vernehmen, der sich rasch an den Schneider herandrängte. »Ihr war't gestern und heute bei unserem Guardian,« flüsterte er ihm zu, »Ihr scheint von vielen Dingen Kenntnis zu haben, die für uns doppelt wichtig sind. Wollt Ihr uns dienstbar sein?«

»Warum nicht?« gab Spirer zurück, dann fügte er meckernd hinzu: »Wir Zünftigen sind jetzt gar gesuchte Leute. Auch Eure Brüder, die Barfüßler, haben mich um meinen Besuch gebeten. Erwartet mich dort, denn jetzt habe ich keine Zeit, wie Ihr seht. Heraus mit dem Fust!« johlte er, seine Mütze in die Höhe werfend.

Die Menge stimmte jubelnd ein und schrie so lange fort, bis sich im obern Stock des Hauses zum Humbrecht ein Fenster aufthat und Fust sichtbar wurde.

Er sah ziemlich bleich aus.

»Er will sprechen! Hört!« riefen viele Stimmen, worauf der allgemeine Lärm verstummte.

Mit ziemlich zitternder Stimme begann Fust:

»Ihr belagert mein Haus und zeigt mir drohende Mienen. Was habe ich Euch denn gethan?«

»Ihr steht im Bündnis mit dem Bösen,« antworteten mehrere Stimmen. »Ihr bringt fromme, rechtschaffene Leute um ihren geringen Verdienst!«

»Ohne es zu wollen,« entgegnete Fust. »Macht lieber dafür den Gutenberg verantwortlich, von dem die Kunst stammt, die so viel Aergernis hervorruft. Sie hat mich schweres Geld gekostet, und Ihr könnt es mir wahrhaftig nicht verargen, wenn ich danach strebe, meinen Verlust wieder einzubringen.«

»Er hat eigentlich Recht,« rief der Weber, »der Gutenberg ist daran schuld. Laßt uns vor sein Haus ziehen!«

»Nehmt meinen Dank, meine Freunde,« rief Fust erheiterten Herzens, »und gestattet mir, im Wirtshaus zum Bock einige Fässer Wein für Euch aufzulegen, damit Ihr sie leeret auf das Wohl meiner Tochter und meines Genossen Schöffers, der heute mein Eidam wird.«

Die jeder Zeit durstige Menge brach in Hochrufe aus, nannte Fust einen Ehrenmann, der es immer gut mit dem Volke gemeint habe, rief ihm für das Brautpaar die verschiedensten Glückwünsche zu und trat unter den anwesenden Mönchen ziemlich heftig jenen entgegen, welche einer andern Meinung huldigten und die Fustische Druckerei zerstört wissen wollten.

Die Aussicht auf Wein ließ das Volk auch alles andere vergessen. Der von Fust entsendete Diener, welcher dem Wirt zum Bock die nötige Anweisung überbringen sollte, ward von der jubelnden Menschenmenge umringt und unter allgemeinem Geschrei vorwärts getragen.

Der Schneider Spirer, welcher sich natürlich dem Schwarm anschloß, fühlte sich beim Wams gepackt.

»Vergeßt nicht, daß man Euch im Barfüßler Kloster erwartet,« rief ihm der Lektor zu.

»Ei was, ich habe jetzt wichtigeres zu thun,« gab er ärgerlich zurück, seine Beine von neuem in Bewegung setzend.

Allein der Franziskaner hielt ihn mit den Worten fest:

»So gebt mir wenigstens jene Geheimnisse kund, die für mich von Interesse sind.«

»Ich weiß viel, was Euch interessiert,« meckerte der Schneider. »Aber zum Kuckuck laßt mich jetzt los, denn meine Genossen haben schon einen hübschen Vorsprung vor mir voraus und wenn ich noch länger zögere, so bekomme ich keinen Schluck Wein.«

»Ihr sollt dessen in Menge erhalten,« erwiderte der Lektor. »Unser Klosterwein ist ein vorzügliches Gewächs und der Bruder Kellermeister wird Euch von der besten Sorte zu verkosten geben.«

»Nur verkosten?« wiederholte der Schneider, die Hälfte seines Mundes in die Höhe ziehend. »Da fange ich nicht erst an.«

»Ihr sollt trinken nach Wohlgefallen,« rief der Lektor ärgerlich. »Aber kommt jetzt mit mir.«

Noch blieb Spirer zaudernd stehen. Er überlegte. Im Kloster gab es jedenfalls mehr und bessere Weine, als er im Wirtshaus zum Bock erhalten würde; dahingegen mangelte dem Kloster die lustige Gesellschaft, in welcher der Rebensaft noch einmal so gut mundete.

Spirer stand da wie ein kleiner Herkules am Scheidewege. Mit dem einen Ohr hörte er auf des Lektors einladende Rede, mit dem andern lauschte er auf den sich mehr und mehr in der Ferne verlierenden Lärm seiner Genossen.

»Der Kurfürst von Mainz unterstützt also den Bücherdruck?« raunte ihm jetzt der Lektor zu.

Der Schneider nickte.

»Was wißt Ihr weiter?« fuhr der Lektor fort.

»Ei, er wird's nicht lange mehr treiben,« brummte Spirer, mit einer wahren Verzweiflung auf den entschwindenden Lärm in der Ferne lauschend.

»Was meint Ihr damit?« rief der Lektor überrascht, mit großer Anstrengung den zappelnden Schneider festhaltend.

»Das können Euch die Domherren besser sagen als ich,« entgegnete Spirer ungeduldig.

»Die Domherren?« wiederholte der Klosteroffizial noch verwunderter.

»Ja doch,« nickte Spirer, »der dicke Propst natürlich ausgenommen, der ist ein Freund von Diether.«

»So sprecht doch endlich einmal deutlich,« forderte der Lektor auf.

»Zum Kuckuck,« rief der Schneider mit eingeknickten Beinen. »Jetzt hat der Lärm ganz aufgehört! Nun werden sie gleich beim Bock sein! Mein Wein – ei du meine Güte, – nun trinken sie ihn mir weg!«

»Ihr sollt genug haben, Nimmersatt!« begehrte der Lektor zornig auf.

»Ach, du liebe Zeit,« versetzte der Schneider mit weinerlicher Stimme, »als ob ich überhaupt schon angefangen hätte! Das ist nicht recht von Euch, geistlicher Herr, mich so in meiner Ehre zu kränken.«

»Was ist es mit den Domherren, sprecht!« preßte der Lektor, den Schneider heftig schüttelnd, zwischen den Zähnen hervor.

»Ach ja, sie haben eine Trinkstube –«

»Willst Du mich zum Narren haben?« rief der Lektor wütend.

»Ich soll Euch ja doch von den Domherren erzählen,« lautete des Schneiders Antwort, »und da muß ich notwendiger Weise mit der Trinkstube anfangen, denn dorthin wird er kommen und den endgültigen Bescheid bringen.«

»Er, wer?«

»Ei, der Graf Adolph von Nassau.«

»Der Bischof?«

»Ja, wenn er's noch ist.«

Der Mönch starrte Spirer noch einen Augenblick ins Gesicht, dann ließ er ihn los und eilte mit den übrigen Klosterbrüdern spornstreichs davon.

»Na ja,« sagte der Schneider, ihm trübselig nachblickend, »nun kann ich mir den Klosterwein malen lassen.«

Er setzte seine Beine gleichfalls in Bewegung und lief in entgegengesetzter Richtung dem Wirtshaus zum Bock zu.

Daselbst herrschte ein wüstes Durcheinander.

In dem geräumigen Hof drängten sich viele Hunderte von Menschen, alle bemüht, eines der Weinfässer zu erreichen, die inmitten des Hofes zur allgemeinen Benützung aufgestellt waren. Die begüterten Zunftgenossen hatten sich in die große Wirtsstube begeben, um dort nach Wohlgefallen zu zechen. Die zahlreichen Aufwärter waren vollauf beschäftigt, den Wünschen der vielen Gäste gerecht zu werden. Hin und wieder schwieg der im Zimmer und auf dem Hofe herrschende Lärm, wenn es galt, der donnernden Rede eines Zunftgenossen zu lauschen, bei welcher die Schlagworte »Freiheit und Gleichheit« eine Hauptrolle spielten.

Diese Sorte unzufriedener Leute wird nicht aussterben, so lange die Erde steht. Der Mensch ist an und für sich nie mit seinem Los zufrieden, ganz besonders aber gilt dies von den niedern Ständen, bei denen die Genußsucht zu ihren Einnahmen in keinerlei Verhältnis steht. Sobald sie feiern, beginnen sie zu murren über alle bestehenden Gesetze und Einrichtungen. Dadurch suchen sie gleichzeitig die Vorwürfe zu ersticken, welche das eigene Gewissen ihnen im stillen macht.

Die Zünftler hatten in jenen Tagen nicht zu klagen, denn damals konnte man von jedem Handwerk mit Recht behaupten, daß es einen goldenen Boden habe. Der große Verdienst verlockte aber zu noch größeren Ausgaben, es wurde viel gezecht und wenig gearbeitet. Dieser Leichtsinn zeigte sich bei den Zünftlern jener Städte, deren Umgebungen mit zahlreichen Weinbergen gesegnet waren, während der niederdeutsche Handwerksmann den Weingenuß entbehren mußte und deshalb auch viel emsiger der Arbeit oblag.

Die Verhältnisse zu Mainz waren jetzt recht danach angethan, den arbeitsscheuen Zünftlern genügende Gründe für ihr Nichtsthun zu liefern. Deshalb konnte es auch nicht fehlen, daß sie sich in Wahrheit einbildeten, für das Wohl der Stadt besorgt zu sein. Gleichzeitig maßten sie sich aber auch das Recht an, das Amt eines Richters zu übernehmen.

Es läßt sich denken, daß zu Gunsten des freigebigen Fust viele Reden und Trinksprüche gehalten worden waren, bei denen der gute Gutenberg nicht eben glimpflich wegkam. Daß seine geheime Kunst dem Satan entstamme, stand fest. Fust war nur der von ihm Verführte. Vielleicht würde der Vorschlag einiger, das Gutenbergische Haus zu demolieren, von der Menge zum Beschluß erhoben worden sein, hätten sich nicht mehrere einflußreiche Stimmen dagegen erhoben.

Zu diesen gehörte der Bäcker Brehm, in dessen Laden der bescheidene Johannes gar oft erschienen war, um sich seinen Bedarf selbst zu entnehmen. Der freundliche, schlichte Mann hatte bei solcher Gelegenheit stets mit des Bäckers Frau und Töchterlein geplaudert und sich gar nicht hoffärtig gezeigt, trotzdem er von Patriziern stammte. Dies gefiel den Bäckersleuten außerordentlich, und daher brach Brehm auch heute eine Lanze für Gutenberg.

»Was kann er denn dafür,« rief er am Schlusse seiner Rede, »daß der Satan ihm das Geheimnis zugeflüstert hat? Wäre es einem von uns geschehen, so würden wir uns wahrscheinlich gerade so benommen haben wie der Gutenberg. Oder ist einer hier, der so anmaßend ist, das Gegenteil zu behaupten?«

Mit rollenden Augen blickte er ringsumher.

Die Menge schwieg still, denn niemand wagte dem Bäcker, welcher das große Wort führte, zu entgegnen.

»Nun also,« fuhr Brehm befriedigt fort, »so laßt mir auch ferner den Gutenberg im Frieden. Wenn einer einen Denkzettel verdient, so ist es der Stadtsyndikus, der ihn von neuem verführt hat, da er ihm die Mittel gab, eine neue Druckerei zu gründen.«

»Ja,« schrie die Menge, »dem Humery gehört eines auf den Kopf!«

Jetzt kletterte die Gestalt des Schneiders Spirer, der trotz seiner Befürchtung zu mehr Wein gekommen war, als ihm eigentlich gehörte, auf das größte der im Hof stehenden Fässer und rief:

»Nicht bloß deshalb, Freunde und Genossen! Der Humery hat mehr auf dem Gewissen, und ihm gebührte von Rechtswegen, daß er mit dem Knochen erschlagen würde, der neben seiner Wohnung vor dem Kaufhaus hängt.«

Die Menge lachte, denn den erwähnten ungeheuren großen Knochen, welcher über dem Hauptthor des auf dem Brandplatz stehenden Kaufhauses, an einer eisernen Kette hängend, zu sehen war, hielt die Volkssage für die Schulterblätter eines Riesen, den in früher Vorzeit ein Mainzer Held erschlagen habe.

»Der Stadtsyndikus,« fuhr der Schneider fort, »hat es hinter den Ohren, er ist ein gar pfiffiger Patron, das könnt Ihr mir glauben. Die Domherren führte er an der Nase herum, da er so that, als ob er mit ihnen gleichen Sinnes sei. Aber er hat sie nur ausgeforscht, um alles dem Kurfürsten zu hinterbringen.«

»Das ist nicht wahr,« rief eine Stimme, welche einem ehemaligen Diener des Syndikus angehörte. »Ich bin von Humery aus dem Dienst gejagt worden und habe also keinen Grund, ihn gegen Euch zu verteidigen. Aber was recht ist, muß ich sagen. Der Syndikus ist ein braver Mann, der keine versteckten Karten spielt, sondern offen sagt, was er denkt.«

Diese Meinung fand mehrseitigen Beifall, da sich unter der Versammlung verschiedene Zünftler befanden, die teils für Humery gearbeitet, teils ihn in der Ausübung seines Amtes kennen gelernt und dabei Beweise seines ehrlichen, rechtlichen Charakters erhalten hatten.

»Nun gut,« lenkte der Schneider ein, »so mag er die Ansichten der Domherren für sich behalten haben; aber so viel steht fest, daß er es jetzt mit dem Kurfürsten hält, der noch viel Unglück über unsere Stadt bringt. Davon wird Euch die nächste Zukunft überzeugen.«

»Ja, ja,« riefen viele Stimmen, »es ist so, wie Meister Spirer sagt. Der Syndikus ist ein Feind unserer Stadt, er will nicht unser Wohl –«

»Hinaus mit ihm!« schrie es an verschiedenen Stellen. Der Ruf ward verstärkt wiederholt, bis die ganze Versammlung sich mit dem Vorschlag einverstanden erklärte.

Es kam dadurch wieder Abwechslung in das Trinkgelage. Man hatte jetzt Wein genug genossen und die erhitzten Köpfe mußten austoben.

Die Person des Stadtsyndikus gab den erwünschten Anlaß dazu.

Ein allgemeiner Aufbruch erfolgte, so daß binnen weniger Minuten der große Hof zum Bock vollständig geräumt war.

Das Licht der Sonne hatte der Dämmerung Platz gemacht, weshalb der vorsichtige Schneider zu seinen Genossen äußerte:

»Binnen jetzt und einer Stunde ist es Nacht. Wir müssen uns Fackeln anschaffen.«

»Fackeln her!« schrien die Zunächststehenden, und der Ruf pflanzte sich schnell fort, den Uebermut der Menge zur wildesten Ausgelassenheit anfachend.

Bereitwillige Boten fanden sich genug, um den Bedarf herbeizuschaffen.

Als endlich eine große Anzahl von Fackeln ihr düsteres Licht verbreitete, ging es unter wildem Gejohl dem Brandplatz zu und an dem geräumigen Kaufhaus vorüber, in dessen Nachbarschaft sich die Wohnung Humerys befand.

»Heraus mit dem Syndikus«, schrie die Menge, »oder wir zünden ihm sein Nest an allen vier Ecken an!«

»Heraus mit dem Syndikus,« schrie die Menge, »oder wir zünden ihm sein Nest an allen vier Ecken an!«

Da keinerlei Antwort erfolgte, so begann die wilde Schar die brennenden Fackeln in eine gefährliche Nähe zu dem bretternen Haus zu bringen, so daß jeden Augenblick der Ausbruch eines Brandes zu erwarten stand.

Die Rufe nach Humery wurden immer bedrohlicher, bis sich endlich herausstellte, daß sich der Syndikus gar nicht daheim, sondern in seiner lustigen Abendgesellschaft befand.

Noch zeigte sich die Volksmenge unentschlossen, ob sie Humerys Haus anzünden, oder nach jenem Lokale ziehen solle, innerhalb dessen der Syndikus zu finden war, – als eine heransprengende Reiterschar ihren Gedanken eine andere Richtung gab. Die scharlachroten Uniformen verkündeten päpstliche Kriegsknechte. Neben einem Offizier ritt ein geistlicher Würdenträger.

»Es ist etwas geschehen,« flüsterte es in der Menge, »laßt uns die fremden Reiter begleiten.«

Da gab es keinen Widerspruch, und durch die nächtlichen Straßen schritt der lange Zug. Er ging nach dem Hof, durch das Bischofsthor dem Tiergarten zu.

Diether von Isenburg war am Morgen von seinem Schlosse Eltvill in die Stadt gekommen. Nach ihm verlangte der päpstliche Beamte. Die aus ihrer Trinkstube herausgetretenen Domherren beeilten sich, dem Wunsche des vornehmen Boten nachzukommen. Der Dechant meldete ihn an, während der Kustos und Scholastikus ihn nach dem Vorzimmer geleiteten.

In großer Spannung harrte das Volk auf die Rückkehr der Reiterschar, denn man hatte es für gut gefunden, die beiden in den Hof führenden Thore abzusperren. Der schmächtigen Gestalt Meister Spirers war es aber doch gelungen, hindurch zu schlüpfen, und noch ehe die päpstlichen Sendboten wieder auftauchten, kehrte er zurück mit einer Nachricht, die ein namenloses Staunen hervorrief, denn er berichtete, daß Diether von Isenburg durch den Kaiser und den Papst seines Amtes als geistlicher Kurfürst und Erzbischof von Mainz entsetzt und Graf Adolph von Nassau zu seinem Nachfolger ernannt worden sei.

Durch diese überraschende Wendung war die Aufmerksamkeit der Tumultuanten auf andere Dinge gelenkt worden, und das Haus des Stadtsyndikus Humery stand nicht mehr in Gefahr, ein Raub der Flammen zu werden.


 << zurück weiter >>