Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Fehde

Am Mittag eines regnerischen Julitages trabte ein Reitersmann durch die Schmiedpforte. Er trug ein blau- und weißgestreiftes Seidenwams, über welchem ein weiter Mantel flatterte.

Alsbald verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, daß ein Bote des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz angelangt sei und sich nach dem Tiergartenhof begeben habe, woselbst seit einigen Tagen Erzbischof Diether verweilte.

Die Bürger rotteten sich zusammen. Auf allen Gassen und Plätzen standen Gruppen neugieriger Menschen, die geheimnisvoll miteinander flüsterten. Das Bischofsthor, sowie das obere Hofthor wurden von der Volksmenge förmlich belagert, denn jeder wollte die Miene des kurpfälzischen Boten sehen, wenn er aus dem erzbischöflichen Gebäude wieder heraustrat.

Endlich erschien er und schwang sich wohlgemut auf sein Roß, das ein Bursche ihm gehalten hatte. Im Galopp jagte er nach der Schmiedpforte zurück, der dort auf ihn harrenden Menschenmenge spöttisch zurufend:

»Geht lieber heim und sorgt für Brot, damit Ihr nicht verhungert, wenn unser Herr Friedrich Eure Stadt belagert!«

Diese Mitteilung genügte, um die gesamte Einwohnerschaft in Alarm zu bringen.

»Der Pfälzer zieht heran!« rief es hier, – »es giebt Krieg!« schrie es dort.

Noch wollte ein Teil der Bürger an die schlimme Botschaft nicht glauben; als aber nachmittags die gesamten Ratsmitglieder in ihren schwarzen Talaren und breitdeckeligen Mützen, auf einen an sie ergangenen Befehl, nach dem Kapitelhaus zogen, welches sich auf der Südostseite der Domkirche befand, da war kein Zweifel mehr möglich, daß der pfälzische Bote an Erzbischof Diether den Fehdebrief seines Herrn überbracht habe.

Der geistliche Kurfürst von Mainz, ein achtundvierzigjähriger Mann mit geistvollen Zügen, empfing die durch den langen Kreuzgang daherkommenden Ratsmitglieder in dem Kapitelsaal, der in seiner Bauart noch den alten Longobardenstil zeigte und für gewöhnlich das Unterrichtslokal des Scholastikus bildete. Auf dem erhöhten Sitz desselben nahm jetzt Erzbischof Diether Platz, umgeben von sämtlichen Domherren, während die Ratsmitglieder sich den geistlichen Herren gegenüber aufstellten und auf Diethers Einladung hin die Sitze der Domicellaren einnahmen, wie die den Unterricht genießenden jungen Stiftsherren genannt wurden.

Der Erzbischof lehnte sein Haupt gegen eine rückwärtsstehende Syënitsäule, welche Thonart zu damaliger Zeit gern in Klöstern und Stiften als Säulenschmuck verwendet wurde, da der Glaube an ihre Heil- und Wunderkraft bestand.

»Ich muß Euch die unliebsame Mitteilung machen,« begann Diether von Isenburg, »daß eine längst gehegte Befürchtung sich erfüllt hat und der Fehdebrief von Friedrich von der Pfalz an mich gelangt ist.«

»Ew. Eminenz hätte dem Kriege ausweichen können!« rief einer der Ratsherren.

»Hätte ich es gethan,« fuhr der Erzbischof fort, »so würde ich mich eines Wortbruches schuldig gemacht und meine Diözese der Verwüstung der Brandenburgischen Söldner ausgesetzt haben. Es blieb mir also keine Wahl. Den Rat von Mainz muß ich aber ersuchen, für die Verteidigung der Stadt Sorge tragen zu wollen. Ich habe in dieser Beziehung bereits gethan, was in meinen Kräften stand.«

Mehrere Ratsmitglieder wollten heftig erwidern, doch Bürgermeister Jakob Fust kam ihnen zuvor, indem er sagte:

»Ich ehre die Gründe Ew. Eminenz, und werde die Mitglieder meines Rats zu Euren Gunsten zu stimmen suchen. Unsere Stadt ist leider zu einem Herde kleinlicher Parteisucht geworden. Doch aller Hader und alle Zwietracht müssen jetzt schwinden, denn nur ein einmütiges Handeln kann Mainz vor einer Plünderung durch des Pfälzers Heer retten.«

Die Ratsherren trauten ihren Ohren nicht, als sie die Worte des Bürgermeisters vernahmen. Sie waren ihm in der Ueberzeugung nach dem Kapitelsaal gefolgt, daß er sie in ihrem Widerspruch gegen Diether unterstützen werde. Statt dessen trat das Gegenteil ein. Vergebens zerbrachen sie sich die Köpfe, um dieser eigentümlichen Sinnesänderung auf die Spur zu kommen. Sie wußten nicht, welch mächtiger Fortschritt im Druckhaus zum Jungen gemacht worden war, sie ahnten noch weniger, daß der Abdruck der heiligen Schrift die erste Frucht einer wahrhaft göttlichen Erfindung sein sollte, und daß der ins Vertrauen gezogene Erzbischof sich zur Unterbringung der gedruckten Bibeln in Deutschland bereit erklärt hatte.

Konnte und durfte unter solchen Umständen Jakob Fust der Eminenz entgegen sein, ganz abgesehen davon, daß sie sich, was die feindlichen Beziehungen gegen die Pfalz anlangte, in ihrem Recht befand?

Welche Macht aber Jakob Fust besaß, und wie groß der Respekt war, den die Mitglieder vor ihm hatten, bewies der weitere Verlauf der Verhandlung im Kapitelsaal. Die Herren fügten sich dem Willen des Bürgermeisters und einige von ihnen zeigten sich eifrig bemüht, die Einwohnerschaft von Mainz durch gewichtige Gründe von der Notwendigkeit eines Krieges mit Friedrich von der Pfalz zu überzeugen. Sie wußten, daß sie sich dadurch bei dem Bürgermeister beliebt machten, nach dessen Wohlwollen und Freundschaft jedermann strebte.

Die umfassendsten Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen, um die Stadt vor einer Ueberrumpelung durch den Feind zu schützen. Außerhalb der Festungsgräben entstand ein dichter Waldverhau, der dem Gegner das Herankommen erschwerte. Die Straßen der Stadt wurden durch ungeheure Schlagbäume abgesperrt. Bei jedem Glockenschlag machten zahlreiche Wachen die Runde. Ein genauer Kundschaftsdienst wurde eingeleitet und jeder einlaufende Privatbrief vor seiner Bestellung auf der Kriegsstube im Rathaus amtlich eröffnet, denn bei der Mißstimmung des niederen Volkes mußte man sich vor Verräterei inachtnehmen. Auf den Kirchtürmen der benachbarten Dörfer spähten Wächter nach allen Richtungen aus, um, sobald sich etwas Verdächtiges zeigte, ein verabredetes Zeichen zu geben.

Die Streitkräfte der Stadt und des Erzbischofs bestanden aus 600 Reitern und 1200 Büchsen- und Armbrustschützen. Die militärische Führung dieser Mannschaften war sechs Kriegsherren anvertraut, welche ihre Pläne zur Abwehr des Feindes gemeinsam entwarfen. Außerdem hatte der Rat der Stadt noch für eine gehörige Zufuhr von Lebensmitteln Sorge getragen, da man sich auf eine längere Belagerung gefaßt machen mußte.

So nahm denn alles seinen geordneten Verlauf, und nur die untern Stände ließen ihr Murren nicht. Sie waren auf den Erzbischof jetzt noch schlimmer zu sprechen, wie ehedem, da er eine von dem Schneider Spirer angeführte Deputation, welche die Freigebung der Domstiftsschule forderte, abschlägig beschieden hatte.

Indessen nützte alles Toben und Schreien der unzufriedenen Menge so gut wie nichts. Die verständigen Bürger sorgten für Aufrechterhaltung der Ordnung und ließen, wenn es die Tumultuanten gar zu bunt trieben, die Rädelsführer in den Turm werfen.

Es war in der Morgenfrühe des zweiten Juli, als Jakob Fust durch mehrere seiner Ausspäher die Nachricht erhielt, daß Friedrich von der Pfalz mit einem stattlichen Heereshaufen über Winnweiler auf der nach Pfeddersheim führenden Straße vorrücke, um von dort aus sich gegen Mainz zu wenden. Der Bürgermeister ließ sofort Alarm blasen. Die Mannschaften versammelten sich auf dem Dietmarkt, welcher zu den größten Plätzen der Stadt gehörte und von den Römern angelegt worden war. Die Kriegsobersten beschlossen gegen den heranrückenden Feind einen Vorstoß zu unternehmen, um Mainz vor einer Belagerung zu bewahren. Kundschafter wurden ausgeschickt, die Stärke des Pfälzer Heereshaufens zu erforschen.

Friedrich gehörte freilich zu den gefürchtetsten Feldherren der damaligen Zeit und hatte sich auf gar manchem Schlachtfeld den Beinamen des Siegreichen erkämpft. Dennoch verließen die kurmainzischen Söldner guten Mutes die Stadt, den vielfachen Windungen des Rheinstromes folgend.

In Mainz herrschte die größte Spannung, und mit fiebernder Unruhe sah man dem Eintreffen der ersten Botschaften entgegen. Allein der nächste Tag verging, ohne daß irgend welche Nachricht anlangte.

Die Geschäfte lagen brach. Niemand arbeitete, selbst die Druckgehilfen von Gutenberg und Fust feierten. Trotzdem heute zahlreiche Scharen durch die Straßen fluteten, fanden sie doch keinerlei Anschluß, man wich ihnen vielmehr aus, denn sie standen, gleich ihren beiden Herren, bei dem niederen Volk im Verdacht, in einem Bund mit dem Bösen zu stehen. Ihre Schweigsamkeit über ihre geheimnisvolle Thätigkeit trug dazu wesentlich bei. Die große Menge wußte aber nicht, daß die Druckgehilfen, ehe sie von Gutenberg und Fust angenommen und mit der neuen Erfindung vertraut gemacht wurden, einen Eid über die Bewahrung des Geheimnisses ablegen mußten.

Um so entgegenkommender zeigten sich die besseren Stände Gutenberg, der heute ebenfalls durch die Straßen wandelte und bei dieser Gelegenheit endlich auch einmal seinen Neffen Jakob Sorgenloch zu sehen bekam, der nicht eher ruhte, als bis sich der Ohm bewegen ließ, ihm in das Haus der Bechtermüntz zu folgen.

Die Eindrücke, welche Gutenberg von dieser Familie mit sich nahm, als er einige Stunden später den Heimweg antrat, waren so guter Art, daß er seine Vereinsamung recht schmerzlich empfand und im stillen seinen jungen Neffen beneidete, der in dem trauten Kreis der Bechtermüntz beständig verweilen konnte.

Im Hause der letzteren hatte Gutenberg noch eine neue Bekanntschaft gemacht, und zwar jene des Stadtsyndikus Humery, der in Gesellschaft des Pfarrherrn Günther ihn nach Hause begleitete und mit dem Versprechen von ihm schied, ihn demnächst einmal in seiner Wohnung aufsuchen zu wollen.

Die Nacht brach an und die Türmer sämtlicher Kirchen hielten fleißig ihren Rundgang auf den zwischen Himmel und Erde schwebenden Gallerien. Doch zeigte sich nichts Verdächtiges. Der Morgen erschien und neugierige Stimmen wurden laut, welche fragten, ob denn noch immer keine Botschaft von den Kriegsobersten angelangt sei. Man zuckte die Achseln und schwieg. Jedes aber dachte bei sich, daß das beharrliche Ausbleiben einer Nachricht kein günstiges Zeichen sei.

Da ertönte plötzlich zu Mittag von dem höchsten Turm des Doms ein langgedehntes Hornsignal, und jedermann wußte jetzt, daß sich der Feind in bedrohlicher Nähe befinde; mithin mußten die kurmainzischen Söldner geschlagen sein. Verwirrung und Angst stiegen in der Stadt aufs höchste, trotzdem der Gegner noch nicht einmal in Sicht war. Der Türmer der Domkirche hatte nur gesehen, daß der Turmwächter zu Laubenheim, welches Dorf etwas über eine Stunde von Mainz entfernt ist, das an einer langen Stange befestigte kastenartige Gestell eingezogen hatte, ein Umstand, der darauf hindeutete, daß er etwas Verdächtiges bemerkt habe. Der Türmer der Domkirche war verpflichtet, jedes derartige Signal sofort kundzugeben, deshalb blies er »Feind kommt!« und bezeichnete durch das Hinausstrecken einer langen Stange, an welcher ein großes Sieb befestigt war, die Richtung, von welcher aus Gefahr drohte.

Bald nachher langten flüchtige Söldner in Mainz an, die zum Schrecken der Bewohner meldeten, daß Friedrich von der Pfalz zu Pfeddersheim einen mächtigen Sieg errungen und die kurmainzischen Streitkräfte völlig auseinander gesprengt habe. Der kriegskundige Friedrich hatte mit einem Teil seiner Mannschaften die Stellung des Gegners umgangen und war diesem in den Rücken gefallen. Infolgedessen gerieten auch die ausgesendeten Kundschafter in Gefangenschaft und vermochten dem Mainzer Rat nicht rechtzeitig Nachricht zu bringen.

Jetzt war guter Rat teuer, da es an Streitkräften mangelte und von dem entsendeten Heerhaufen nur ein kleiner Rest zurückkehrte. Es blieb nichts übrig, als die Bürger unter die Waffen zu rufen. Ihre Macht schützte ja gewöhnlich die Städte vor feindlichem Ueberfall, denn der Arm des Bürgers war während des ganzen Mittelalters daran gewöhnt, mit Armbrust oder Feuergewehr umzugehen.

Dem Ruf zu den Waffen folgte diesmal jedoch nur ein kleiner Teil der bürgerlichen Bewohner, und Jakob Fust mußte erkennen, daß seine Macht doch nicht so groß sei, als er insgeheim geglaubt. Man wagte es, seinem Gebot zu trotzen. Vergebens schickte er seine Gerichtsboten in die Wohnungen der Säumigen. Dieselben waren nirgends zu finden; es schien, als ob sie von dem Erdboden verschwunden wären.

Aller Zorn und alles Wüten des Bürgermeisters fruchtete nichts. Sie kamen nicht zum Vorschein und spotteten seiner in ihrem sichern Zufluchtsort. Derselbe befand sich im Südosten der Stadt und zwar in dichter Nähe der sogenannten großen Bockspforte, welche ihren Namen von einem Wirtshaus »zum Bock« erhalten hatte, das bei verschiedenen Bürgerrevolten der Versammlungsplatz der mißvergnügten Patrizier gewesen war. Jetzt jedoch hatten sich die mißvergnügten Zünftler darin eingerichtet, und zwar in einem saalähnlichen Raume, welcher dem weitausgedehnten Hofe zugekehrt war. Der Wirt führte einen vortrefflichen Wein, bei dem sich in aller Behaglichkeit Verschwörungen anzetteln ließen.

Selbstverständlich führte Meister Spirer den Vorsitz. Er nahm, gleich einem Könige, die Meldungen seiner ausgeschickten Sendboten entgegen, die zumeist aus alten Weibern bestanden. Sie mußten ihn von jedem Vorfall in Kenntnis setzen, und sobald sie ihm eine wichtige Mitteilung überbrachten, stieg der Schneider auf einen Tisch, um in gravitätischer Weise den Genossen Nachricht zu geben.

Bei der Botschaft, daß Laubenheim durch den Feind bereits gefährdet sei, raffte sich Meister Spirer sogar zu einer witzigen Bemerkung auf, indem er, auf die gefüllten Krüge der langgestreckten Tafel deutend, äußerte:

»Der Pfälzer Kurfürst kann zu Laubenheim wenig Beute machen, da wir allen Laubenheimer ausgeführt. Hehehe, unser Wirt hat noch eine stattliche Anzahl Stückfässer davon im Keller.«

Bei der Kunde, daß der Bürgermeister über die säumigen Bürger Zeter und Mordio schrie und sie überall suchen lasse, brach die Zechgesellschaft in ein schallendes Gelächter aus. Nur einige wenige fühlten Gewissensbisse und verliehen denselben Worte, indem sie äußerten, ob es am Ende doch nicht besser sei, ihrer Pflicht als Bürger zu genügen und die Stadt mit den Waffen in der Hand zu schützen.

»Die Stadt, warum nicht?« rief Spirer. »Mein wenn Ihr die Stadt schützt, so schützt Ihr auch Diether von Isenburg, der aber hat es wahrlich nicht um uns verdient. So lange er uns regiert, giebt es doch keinen Frieden.«

»Die Domherren sind selbst nicht einmal mit ihm zufrieden,« ergriff der Bäcker Brehm das Wort. »Das weiß ich aus dem Munde eines Mannes, der mit zum Domkapitel gehört.«

»Holla, erzählt weiter!« rief die erstaunte Menge, worauf der Bäcker fortfuhr:

»Wir haben die hochwürdigen Herren alle in falschem Verdacht gehabt. Sie sind ohne Ausnahme Gegner des jetzigen Erzbischofs, nachdem sie ihn vergeblich beschworen, von dem unheimlichen Bunde mit dem Markgrafen abzustehen und sich um des Kurpfälzers Freundschaft zu bewerben.«

»Die Domherren sollen leben, hoch!« schrieen die Zecher, ihre Becher erhebend. Dazwischen aber riefen mehrere in den Saal stürzende Weiber:

»Der Feind ist schon auf dem Feld beim heiligen Kreuz!«

Diese Nachricht wirkte umsomehr, als gleichzeitig auch ein heftiges Schießen vernommen wurde.

Die Stiftskirche zum heiligen Kreuz lag außerhalb der Stadt in der Mitte einer großen, üppigen Feldflur, weshalb sie denn auch »die Kirche auf dem Feld« genannt wurde.

Die Hiobsboten hatten recht berichtet. Kurfürst Friedrich war mit seinem Heer vor Mainz angelangt und hatte dasselbe umlagert. Er sendete einen Boten an den Magistrat ab, mit der gemessenen Forderung: die Stadt sofort zu übergeben und eine Brandschatzung zu zahlen, widrigenfalls der Sturm noch vor Untergang der Sonne erfolgen werde.

Der Pfälzer erschien äußerst ungeduldig, und als der Bote mit unbestimmter Nachricht zurückkehrte, aus welcher indessen zu ersehen war, daß die Mainzer die geforderte Brandschatzung nicht zahlen wollten, gab Friedrich den harten Befehl, einige der die heilige Kreuzkirche umgebenden Stiftshäuser in Brand zu stecken.

Die auflodernden Feuersäulen bewirkten, daß Erzbischof Diether den schweren Entschluß faßte, mit seinem Feind in Unterhandlung zu treten. Bürgermeister Fust hatte ihn in keiner Weise dazu genötigt, sondern es seinem Ermessen anheimgestellt, ob die Stadt die Belagerung annehmen, oder auf einen friedlichen Ausgleich denken solle.

Obgleich die Gefahr, in welcher sich die aus den ersten christlichen Jahrhunderten stammende Kreuzkirche befand, mit dazu beitrug, Erzbischof Diether zum Nachgeben zu bewegen, so hatte doch hauptsächlich ein Schreiben, das der geistliche Kurfürst kurz vorher von einem vertrauten Freunde erhalten, seine Sinnesänderung bewirkt. Der Inhalt des Briefes bedeutete ihm, daß er auf keinerlei Hilfe von seiten der ihm benachbarten Fürsten rechnen könne, da sie im Bunde gegen ihn seien und alles aufböten, den Grafen Adolph von Nassau an seine Stelle zu bringen.

Dies gab bei Diether den Ausschlag. Er kannte die edelmütigen Regungen Friedrichs von der Pfalz, der ihm schon wiederholt die Hand zum Bunde geboten, er wußte, daß er sich nicht vor ihm zu demütigen brauchte, um der Stadt Mainz den Frieden zu geben, und deshalb entsendete er in das feindliche Lager einen Boten, welcher dem pfälzischen Feldherrn die Mitteilung überbrachte, daß der Kurfürst von Mainz ihn noch heute aufzusuchen willens sei.

Als der mißvergnügte Teil der Bürgerschaft die Wendung der Dinge vernahm, kam er wieder zum Vorschein und mischte sich unter die gaffende Menge, welche in den nach dem Rheine führenden Straßen Spalier bildete, um den feierlichen Zug des Erzbischofs zu sehen.

Noch regierte die Sonne am Himmel, als die kurfürstlichen Pagen und Chorknaben erschienen, denen Deputationen aus den verschiedenen Klöstern von Mainz folgten. Unter einem von Domherren getragenen Baldachin schritt Diether von Isenburg. Angethan mit dem Pallium, dem höchsten Schmuck des erzbischöflichen Ornats. Nach ihm kamen die hervorragenden Mitglieder des Domkapitels mit dem Propst an der Spitze, während den Beschluß des Zugs wiederum Mönche der verschiedenen Orden bildeten.

Langsam und feierlich bewegte sich die Prozession nach dem feindlichen Lager, um vor dem schnell errichteten Zelte Friedrichs von der Pfalz halt zu machen und dasselbe im Halbkreis zu umstehen, während der Erzbischof dem ihn begrüßenden pfälzischen Kurfürsten nach dem Innern folgte.

Es war eine lange Unterredung, welche beide mit einander führten, und ein großer Teil der Domherren wünschte den Stein der Weisen zu besitzen, um unsichtbar den Worten der Fürsten lauschen zu können. Doch kein Laut drang aus dem Zelt zu ihnen herüber.

Der Graf von Lichtenau blickte seufzend nach dem verhangenen Eingang. Der weite Weg von dem Tiergartenhof bis auf das Feld war ihm sauer genug geworden, und jetzt mußte er auch noch wartend stehen, – wie lange, das wußten womöglich nicht einmal die beiden mit einander verhandelnden Fürsten.

»In Eurer Trinkstube ist es behaglicher, hochwürdiger Herr,« ertönte hinter ihm die Stimme des Stadtsyndikus, welcher sich gleichfalls eingefunden hatte, um, wenn es nötig werden sollte, das Recht der Stadt Mainz zu wahren.

»Ihr thätet auch besser, an andere Sachen zu denken, als mich daran zu erinnern,« erwiderte der Propst verstimmt, mit der Zunge über die trockenen Lippen fahrend. »Wohl jedem, dem Gott den Frieden und ein Tröpflein des Weines giebt, denn dieser erfreut wahrhaftig des Menschen Herz.«

»Was sagt Ihr zu der Sinnesänderung der Eminenz?« fragte Humery weiter.

»Nichts,« gab der abgespannte Propst zurück. »Diether ist ein hoher, mächtiger Herr, der nach seinem eigenen Gutdünken handeln kann.«

»Das thut ein jeder,« widersprach der Syndikus.

»Nein,« rief der Propst ärgerlich, »das thut nicht ein jeder, weil er es nicht kann. Wenn ich es zum Beispiel vermöchte, so würde ich sicherlich nicht hier stehen und meine müden Beine noch länger quälen.«

»Je nun,« versetzte Humery lächelnd, »ich hoffe, daß Ew. Hochwürden es unter dem Nachfolger Diethers besser haben werden.«

»Wie? Was?« rief der Propst, während sein Kopf in eine zitternde Bewegung geriet.

»Ei,« fuhr Humery flüsternd fort, »bemüht sich das Domkapitel doch insgesamt, Adolph von Nassau zum erzbischöflichen Stuhle zu verhelfen.«

»Ihr irrt,« gab der Propst zurück, »von ›insgesamt‹ kann wenigstens keine Rede sein, denn ich nehme mich davon aus.«

»So habt Ihr Euren Sinn geändert, Hochwürden?« fragte der Syndikus trocken.

»Ei was,« polterte der Propst, »ich diene Gott und meinem Erzbischof. Bleibt mir fern mit all Euren Händeleien. Ich bin ein alter Mann und sehne mich nach Frieden –«.

»Und nach einem Gläslein Weines,« vollendete Humery lachend.

»Da habt Ihr recht,« schmunzelte der Propst, »und ich bin gewiß, daß ich darum nicht länger im Fegfeuer brennen werde.«

Der Vorhang des Zeltes ward jetzt zurückgeschoben, und Friedrich von der Pfalz trat mit dem Erzbischof Hand in Hand heraus.

»Wir haben uns versöhnt,« redete der Erstere die Versammlung an, »und werden nie wieder gegen einander Feindschaft hegen. Es reut mich nicht, daß ich in feindlicher Absicht vor Mainz gezogen bin, denn ich habe dadurch Se. Eminenz genau kennen gelernt. Ich schätze Erzbischof Diether hoch und ich spreche es unumwunden aus, daß ich mich geehrt fühle, sein Freund zu sein. Er kann in allen Fährlichkeiten des Lebens auf meine treue Hilfe rechnen.«

Bei diesen Worten umarmte er den Erzbischof und beide Fürsten küßten einander.

Der ritterliche Friedrich blieb mit seinem Heere bis zum nächsten Morgen vor Mainz gelagert, dann brach er wieder nach der Pfalz auf, ohne irgend welche Ansprüche an die Stadt zu erheben.

Den Domherren gab der Fall viel zu denken, zumal der Erzbischof sich fortan gegen sie ziemlich verschlossen zeigte. Nur der Propst ließ es sich nicht kümmern, sondern trank friedlich den edeln Rebensaft, sich der köstlichen Gabe Gottes freuend.


 << zurück weiter >>