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VIII. Metternich.

Die begonnene Veröffentlichung der nachgelassenen Papiere Metternich's hat die Aufmerksamkeit des europäischen Publikums wieder auf die etwas verschollene Persönlichkeit des Mannes gerichtet, der vier Jahrzehnte hindurch die österreichische Politik geleitet und einen scheinbar tiefgreifenden Einfluß auf ganz Europa ausgeübt hat. Aus Metternich's nachgelassenen Papieren. Herausgegeben von dem Sohne des Staatskanzlers, Fürsten Richard Metternich-Winneburg. Geordnet und zusammengestellt von Alfons von Klinkowström. Autorisierte deutsche Originalausgabe. Wien, Wilhelm Braumüller. 1880. Erster Theil. Zwei Bande in 8. Die gewaltigen Ereignisse und die bedeutenden Männer der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts haben sehr natürlich die verhältnismäßig kleinen Menschen und Dinge der zwanziger, dreißiger, vierziger Jahre in Schatten gestellt. Nun werden wir aber auf einmal wieder in die Anfänge des Jahrhunderts versetzt, wo es Menschen und Dingen wahrlich nicht an Größe der Verhältnisse mangelt, wenn auch behauptet werden dürfte, daß sie an dauernder geschichtlicher Bedeutung denen unserer Zeit nicht gleich kommen. In der That führen uns die beiden Bände, welche uns bis jetzt geboten worden, einen der hervorragendsten Handelnden jener Zeit selbstredend vor und erinnern uns auf's Eindrücklichste daran, daß der alte Hof- und Staatskanzler, der unserm Geschlechte meist nur jene lange Zeit dumpfen Schweigens verkörpert, auch einmal jung war: keck, regsam, anregend, und daß er eine Hauptrolle im bewegtesten aller geschichtlichen Dramen spielte. Hierin liegt das Interesse des Buches, nicht etwa in unerwarteten Enthüllungen. Die autobiographischen Bruchstücke, sowie die anderen schriftstellerischen Versuche des Fürsten zeigen allerdings die Doppelnatur des Mannes in grellerem Lichte, als sie uns bisher erschien; das lag aber keineswegs in der Absicht des Verfassers. Es ist seine Eitelkeit, die ihm den Streich gespielt hat, ihn selber zu verrathen, wie das ja wohl zu Zeiten kommen mag. Im Übrigen sind diese Denkwürdigkeiten, wenn man sie so nennen darf, ganz allgemein gehalten und bieten außer solchen indirekten psychologischen Streiflichtern wenig Interesse, sei es anekdotisches, sei es geschichtliches. Über alles wirklich Wichtige, der Aufklärung Bedürftige an den Ereignissen gleitet der Memoirist rasch weg. Wir bekommen Urtheile – schmeichelhafte Selbsturtheile namentlich – Auseinandersetzungen von »Grundsätzen«; was aber die Begebenheiten anlangt, so erfahren wir so gut wie nichts Neues. Höchstens wird die uns schon durch Hardenbergs Denkwürdigkeiten so nahe gebrachte Vorgeschichte des Potsdamer Vertrages durch diese Aufzeichnungen in einem ganz unbedeutenden Punkte vervollständigt.

Das Buch zerfällt nämlich in zwei, glücklicher Weise ungleiche, Hälften, deren kleinere der darstellende, die andere der handelnde Staatsmann ausfüllt. Zuvörderst bringt es eine »autobiographische Denkschrift« aus dem Jahre 1844, vervollständigt durch einen »Leitfaden zur Erklärung meiner Denk- und Handlungsweise« aus dem Jahre 1852, und mit Einschaltung einer »Geschichte der Allianzen von 1813 und 1814« aus dem Jahre 1829. Der Ton, in dem darin von dem Kaiser Franz, wie von einem der Vergangenheit Angehörigen gesprochen wird, läßt mich übrigens vermuthen, daß dieser Aufsatz doch erst nach 1835 geschrieben, jedenfalls überarbeitet wurde. Dazu kömmt eine französisch geschriebene Charakteristik Napoleons vom Jahre 1820 und eine deutsche Kaiser Alexanders vom Jahre 1829; dazwischen Anmerkungen des Herausgebers, die füglich unter dem Text hätten gegeben werden können, während die darin enthaltenen höchst interessanten Citationen aus unedierten Briefen ihren Platz im zweiten Theile hätten finden müssen. Dieser zweite, weit umfangreichere und viel anregendere Theil bringt nämlich Briefe, Aufsätze, Berichte, Erlasse, Vorträge u.s.w. aus den Jahren 1793–1815, meist in französischer Sprache. Sie sind es, die eigentlich das Hauptinteresse des Buches ausmachen. Übrigens sind auch die hier mitgetheilten originalen Schriftstücke aus Metternich's amtlicher Thätigkeit nur zum kleineren Theile ungedruckt, darunter freilich manches Wichtige aus der Pariser Gesandtschaftszeit (1806–1809) und aus der ersten Zeit seines Ministeriums (1809–1812); leider auch dieses äußerst lückenhaft. Indeß sind diese hier zum ersten Male veröffentlichten Depeschen, selbst wo sie dem Geschichtsforscher nichts Neues bringen, für den Psychologen doch oft merkwürdig, für den gewöhnlichen Leser immer unterhaltend und anziehend. Freilich sind die meisten der hier gegebenen Berichte und Erlasse schon in Oncken's inhaltsreicher »Geschichte Österreichs und Preußens im Befreiungskriege«, theils auszugsweise, theils in extenso veröffentlicht worden, während viele andere, oft ungleich wichtigere, die wir aus diesem ausgezeichneten Werke kennen, in »Metternich's nachgelassenen Papieren« fehlen. Ja, gerade die Schriftstücke, durch deren Veröffentlichung Oncken die Metternich'sche Politik im Jahre 1812 in ein ganz neues und im Ganzen günstiges Licht gestellt hat, suchen wir hier vergebens. Manches auch, wie z. B. die berühmte, neunstündige Unterredung Napoleons und Metternich's im Marcolini'schen Palais zu Dresden, während des Waffenstillstandes von 1813, kennen wir im Wesentlichen schon seit mehr als zwanzig Jahren aus Thiers, dem Metternich eine Aufzeichnung derselben mitgetheilt.

[Fußnote: Diese ist seitdem (1873) genauer von Helfert in seiner »Marie Louise« veröffentlicht worden. Ich enthalte mich absichtlich dieser Stelle aller gelehrten Detailkritik: doch möge dies eine Pröbchen von Metternich's Zuverlässigkeit in einer Anmerkung eine Stelle finden. Der Staatskanzler schrieb 1857 nach Lesung des 15. Bandes von Thiers' » Consulat et Empire« eine Notiz über sein Verhältnis zum französischen Staatsmanne ganz im Tone eines sehr vornehmen Herrn, der sich wohl ein oder zwei Mal herabgelassen, den kleinen Ex-Journalisten zu empfangen, aber nicht weiter mit ihm in Beziehung getreten. Thiels habe ihm 1850 in Brüssel zwölf Fragen gestellt, die er beantwortet habe; doch sei ihre Unterredung auf die Jahre 1809–1810 beschränkt gewesen, (S. diese Notiz in den »Nachgelassenen Papieren« I., 254 und 255.) Nun ist aber jene berühmte Dresdener Unterhaltung vom Jahre 1813 erst im 16. Bande des » Consu1at et Empire« enthalten, der zugleich mit dem 15. im Jahre 1857 erschienen war. Darin nun (S. 59) erklärte Thiers auf's Bestimmteste, Metternich habe ihm seine Aufzeichnung jener Unterredung mitgetheilt. Dies hat nun Metternich, der damals noch lebte und gerade jene Notiz schrieb, nicht öffentlich dementiert; und Thiers' Version stimmt, einige Kleinigkeiten abgerechnet, mit der von Helfert publizierten Denkschrift von 1820, sowie mit der in den vorliegenden »Nachgelassenen Papieren« veröffentlichten Aufzeichnung von 1829 so überein, daß, da außer Metternich Niemand den Inhalt jenes Zwiegespräches kennen konnte, der Staatskanzler in jener Notiz von 1857 einfach – nicht die Wahrheit gesagt haben kann. Daß Thiers auch nach 1850 andere Mittheilungen von Metternich erhalten, geht aus der Anmerkung des Herausgebers (Bd. I, S. 268) über die Mission Ottenfels' nach Basel hervor. Dies Beispiel möge genügen, um gewisse Härten unseres Urtheils über den alternden Staatskanzler zu erklären und zu rechtfertigen. Wen es interessiert, die Widersprüche, Gedächtnisfehler, absichtlichen und unabsichtlichen Entstellungen und Auslassungen des Memoiristen einzeln aufgedeckt zu sehen, den verweisen wir auf den vortrefflichen Aufsatz der »Historischen Zeitschrift« (N. F. Bd. VIII, S. 227-277), in welchem Paul Bailleu unser Urtheil durch seine unwiderleglichen Nachweisungen vollständig bestätigt hat. Diese vernichtende Kritik des ausgezeichneten Forschers ist in ihrer Ruhe und Thatsächlichkeit viel strenger als Alles, was uns die Entrüstung über soviel Unwahrheit eingegeben hatte.]

Wir sind überdies schon lange durch d'Haussonville, der Talleyrand's handschriftliche Memoiren und Briefschaften einzusehen Gelegenheit hatte und den Th. von Bernhardi bereits trefflich verwerthet hat, sowie durch Villemain, dem Graf Narbonne ausführliche Mittheilungen über seine Wiener Gesandtschaft gemacht, dann wieder neuerdings durch Hardenberg-Ranke, Gentz-Klinkowström und J. A. von Helfert, welche tief – wenn auch nicht so tief als Oncken – in die österreichischen Staatsarchive gegriffen haben – wir sind, sage ich, durch verschiedene bedeutende Publikationen der letzten zwanzig Jahre über Vieles schon weit eingehender unterrichtet, als durch das, was uns die neuen Bände bieten, welche beispielsweise selbst die Geschichte des Vertrages vom 3. Januar 1815, ja dies Bündnis selber ganz mit Stillschweigen übergehen. A. Beer's durchaus auf handschriftlichem Material beruhende Biographie des Staatskanzlers (im 5. Bande des »Neuen Plutarch«) ist somit keineswegs durch diese neue Veröffentlichung antiquiert; und ich verweise ein für alle Mal auf diese, wie auf A. Springer's, freilich weit ältere, Charakteristik Metternich's, obschon ich nicht alle Urtheile der beiden Historiker, namentlich nicht, wie sich zeigen wird, die Springer's, zu den meinigen machen kann. Was das Persönliche anlangt, worüber der Verfasser wie der Herausgeber der »Nachgelassenen Papiere« gleich karg und zurückhaltend sind, müssen Talleyrand's, Marmonts', Humboldt's und anderer Zeitgenossen gelegentliche Äußerungen, müssen vor Allem Gentz' Tagebücher, Hormayr's Lebensbilder und Varnhagen's Denkwürdigkeiten zu Rathe gezogen werden, wenn man ein richtiges Bild von der Gestalt des Staatskanzlers gewinnen will.

Trotz alledem ist die neue Publikation eine sehr werthvolle. Zu einer Geschichte der Zeit könnte sie nur unter sorgfältiger Vergleichung mit anderen Quellen benutzt werden. Für die Charakteristik des Mannes ist sie gerade deshalb unschätzbar, weil sie ihn 900 Seiten lang ganz allein reden läßt. Und zwar bekommen wir ihn, obschon das ganze Buch bis jetzt nur die Zeit bis zum Jahre 1815 behandelt, in den verschiedensten Lebensaltern zu hören, bald als zwanzigjährigen Jüngling, bald als jugendlichen Mann im Drang der Geschäfte und wie aus dem Schlachtgetümmel heraus, bald als bedächtigen selbstgefälligen Greis, der seine Lebensgeschichte zurecht legt und sich selber so malt, wie er gerne von der Nachwelt gesehen sein möchte. Ein thörichtes und eitles Beginnen, mögen wir schon jetzt sagen: thöricht, weil der Metternich, wie er war, viel interessanter ist als der Metternich, der er sein will; eitel, weil es ihm bei aller Mühe eben doch nicht gelingt, sich anders darzustellen als er war. Bietet uns nun die erste Hälfte des Buches die Gelegenheit, den alten Schriftsteller kennen zu lernen, so giebt uns die zweite die Mittel an die Hand, mit dem jungen Diplomaten Bekanntschaft zu machen, und Jedermann wird mir wohl auf's Wort glauben, wenn ich behaupte, daß der Diplomat in Metternich bedeutender war als der Schriftsteller, der Jüngling anziehender als der Greis. Da indeß der Fürst Staatskanzler nach Dilettantenart einen so großen Werth auf sein schriftstellerisches Talent gelegt, so sei denn auch dem Autor eine kurze Betrachtung gewidmet, ehe wir vom Staatsmanne reden, um so mehr als der Autor auch vielfach, ohne es zu wollen allerdings, den Staatsmann erklärt, vor Allem aber den Menschen verräth, der sich so unsäglich viel Mühe gegeben, sich vor der Nachwelt zu drapieren. Auch bietet der umfangreichste seiner schriftstellerischen Versuche – die »autobiographische Denkschrift« – den natürlichsten Anlaß und Anhalt, um die politische Thätigkeit des Mannes bis in sein zweiundvierzigstes Jahr in wenig Strichen zu kennzeichnen. Die bewegte Geschichte jener Zeit hat man ja eben erst in Treitschke's unerreichter Schilderung gelesen; das geheime Spiel der Jahre 1812 und 1813 insbesondere hat uns Oncken jetzt eigentlich zum ersten Male ganz entrollt. Hat uns aber Jener durch sein eigenes lebhaftes Parteiergreifen mitten in die heiße Atmosphäre der aufeinanderplatzenden Leidenschaften hineingeführt und uns, sozusagen, gezwungen, dieselben nachzuempfinden, so hat Dieser mit seltener Kaltblütigkeit gewußt, sich und uns außerhalb der Schußweite auf den Punkt zu stellen, wo wir die Bewegungen beider Schlachtlinien gleichermaßen verfolgen können, ohne uns selbst von dem berauschenden Kampfesfieber anstecken zu lassen, oder, um genauer zu reden, er hat, als ein gewissenhafter, unermüdlicher und scharfblickender Untersuchungsrichter alle Aussagen und Zeugnisse aufgenommen, gesichtet und zusammengestellt und uns überlassen, daraus Anklageschriften, Verteidigungsreden, Urteilsbegründungen – vielleicht auch, wenn wir das Geschick und die Gabe dazu besitzen, literarische Kunstwerke – aufzubauen. Ich darf wohl annehmen, daß diese Eindrücke bei dem Leser noch unverwischt sind, und es diesmal unterlassen, den »finstern Zeitgrund« zu malen, auf dem sich die Gestalt des österreichischen Staatsmannes abhebt.

I.

Niemand hat die erste und oberste Tugend des Staatsmannes, ganz in dem Staate aufzugehen, dem er dient, in höherem Maße besessen als Fürst Metternich. Der Schriftsteller ist dabei freilich etwas zu kurz gekommen. Der junge Graf Clemens, 1773 in Koblenz geboren, in Straßburg und Mainz gebildet, schrieb seine deutsche Muttersprache so gut wie das Französische, ehe er sich an der Donau niederließ: die rhetorischen Proben, die uns davon geboten werden, zeigen ihn zwar keineswegs als einen bedeutenden Stilisten – und wer wollte auch von einem zwanzigjährigen Jüngling Stil verlangen, wenn dieser Jüngling nicht gerade Goethe heißt? –, aber seine Sprache ist deutsch im Ausdruck, in der Wendung, im Tonfall, wie man's von einem Rheinländer erwarten darf. Fünfzehn Jahre lang fast ausschließlich auf den Gebrauch des Französischen angewiesen, dann von seinem sechsunddreißigsten Jahre in Oesterreich lebend, scheint er nach und nach das deutsche Sprachgefühl ganz verloren zu haben. Oesterreich begann ja damals erst wieder am geistigen Leben Deutschlands Theil zu nehmen. Der Staatskanzler scheint aber wenig mit den Männern verkehrt zu haben, die sich rühmen durften, diese geistige Wiedervereinigung angebahnt zu haben. Sein Deutsch ist nicht das Grillparzer's, oder Halm's, es ist das Deutsch der k. k. Bureaux. Maßregeln werden »über seinen Vorschlag« getroffen; gewisse Dinge sind in vollstem »Ausmaße« vorhanden; er unterhält sich mit den Leuten über die »Tagesbelange«; er erlaubt sich auf gewisse Dinge »einzurathen«; er spricht von dem »vor Kurzem bestandenen Herzogthum Warschau«; ja, er erwähnt eines »besonders bei der Vertheidigung eines Platzes sich ausgezeichneten« jungen Mannes; und was der Austriacismen mehr sind. Noch auffälliger aber und verletzender ist der französierende Ton seiner deutschen Schriften: sie klingen Alle wie übersetzt. Des Französischen freilich ist der Staatskanzler ganz Herr. Man vergleiche sein französisch geschriebenes Porträt Napoleons mit der Charakteristik, die er in deutscher Sprache von Kaiser Alexander entworfen und worin das einzige Treffende ein Wort Napoleons ist, das der Porträtist zum Thema seiner Variationen macht. Jene Studie über den Charakter Napoleons datiert freilich schon vom Jahre 1820, als der Schriftsteller noch den Ereignissen und Personen näher stand, sein »System« und der pedantische Ton, in welchem er es vorzutragen liebte, sich noch nicht so ausgebildet hatte, während die Charakteristik Alexanders erst 1829 geschrieben wurde, als der alternde Fürst schon die Gewohnheit angenommen hatte, sich als die fleischgewordene Staatsweisheit anzusehen. Der Hauptgrund der Überlegenheit der einen Schrift über die andere bleibt aber doch die vollständigere Beherrschung des Werkzeuges.

Nicht als ob Metternich's Französisch die Vorzüge eines besonders persönlichen und festen Stiles aufwiese: aber es ist einfach, korrekt, anspruchslos und – es lebt. Das Französische war nämlich, wenn ich so sagen darf, die Sprache, in der er handelte, das Deutsche diejenige, in der er über seine Handlungen philosophierte. Metternich's Handeln aber taugte mehr als seine Philosophie. Seine Depeschen – und sie sind fast alle französisch – sind aus dem Drange des Augenblicks heraus geschrieben: sie sind Thaten; sie wollen uns das eben Gethane, Gehörte wiedergeben, das zu Thuende, das zu Sagende andeuten: sie wollen nicht darüber reden. Metternich rühmt sich mit großem Selbstgefühl, und mit höhnendem Seitenblicke auf die Geschichtsprofessoren, daß er »Geschichte gemacht«, folglich auch dazu berufen sei, sie zu schreiben. Nichts kann gerechtfertigter sein: nur muß man nicht vergessen, wenn man Geschichte schreibt, in welchem Muthe man sie gemacht hat. Nie wird ein Gelehrter, der seine Studierstube nicht verlassen, die Dinge sehen und zeigen, wie Cäsar und Friedrich sie gesehen und gezeigt. Die hatten aber Alles noch gegenwärtig, lebten es noch einmal durch. Der Metternich aber, der die Geschichte schreibt, lebt in einer ganz anderen Atmosphäre, sieht die Dinge durch ganz andere Brillen, befindet sich in einer ganz anderen Stimmung, als der Metternich, welcher die Geschichte gemacht hat. Dem ist noch weniger so in dem erwähnten, wirklich sehr gelungenen, obschon allzubreiten Porträt Napoleons. Wie gesagt, waren, als er es schrieb, kaum fünf Jahre verflossen seit dem letzten Zusammenstoß mit dem Gewaltigen; vornehmlich aber, sobald Metternich die französische Sprache in den Mund nahm, war's, als bestiege er sein Schlachtroß, das ihn von selbst wiehernd in die Reihen der Kämpfenden zurücktrüge. Wie blaß und abstrakt ist dagegen die ganze Autobiographie! Wie unbestimmt und allgemein der Ausdruck! Wie ganz das Gegentheil von der Sprache wirklich bedeutender Menschen, Napoleons z.B., der hier so oft mitspricht und dessen Worte uns immer die Sachen selbst oder das Werden der Gedanken sehen lassen, als ob plötzlich der Alles umschleiernde Flor der Dinge weggerissen würde. Und welche Wiederholungen, welche Gemeinplätze, welche Clichés! Erröthet er doch nicht einmal, »neben einem Vulkan zu schlafen, ohne an den Erguß der Lava zu denken!« Oh, Durchlaucht, wenn Sie sich Das bei den schönen Französinnen erlaubt, die Sie in den Tuilerien umschwärmt, Sie hätten's auf immer mit ihnen verdorben!

Und wie der einzelne Ausdruck, so die ganze Darstellung: keine Lage tritt drastisch hervor, keine Figur hebt sich im Relief ab von dem grauen eintönigen Hintergrunde seiner Erzählung. Kommen Unterredungen vor, so sind sie ganz konventionell gehalten. Nie hat Kaiser Franz, nie hat Erzherzogin Marie Louise in so artig gesetzten Worten mit dem Minister gesprochen, der Eine um ihm das Ministerium anzubieten, die Andere, um sich wie eine zweite Iphigenie für das Wohl des Vaterlandes aufzuopfern. Wie ganz anders klingt es doch in den Depeschen, wenn er von Paris aus noch am selben Abende seine Unterhaltungen mit Napoleon oder Champagny auf's Papier bringt! So sprechen die Menschen. Das leibt und lebt; aber das »Franzerl«, das da redet wie ein Leitartikel des »Beobachters«, das hat nie gelebt. So findet er auch manchmal glückliche Worte in seinen französischen Depeschen; seine Selbstbekenntnisse berühren Einen wie ein unausgesetzter Strom lauen Wassers. Und bieten die gleichzeitigen Briefe und Berichte dem Geschichtsforscher nicht viel Neues, so gewähren sie doch dem großen Publikum gewiß eine anregende Lektüre, die ihn für die Langeweile der »autobiographischen Denkschriften« entschädigt. Will man sich z. B. ein Bild machen, wie der junge Herr Graf, »von angenehmen Äußern, sehr höflich und durchaus nirgends vorlaut« (Ritter Lang) in Rastatt auftrat, so lese man seine reizenden, natürlich französisch geschriebenen Briefe an seine junge Frau, eine Enkelin Kaunitzens: man meint den jungen Herrn aus der Koblenzer Emigrantengesellschaft vor sich zu sehen, im extemporierten Theater, am markgräflichen Hofe, am plebejischen Tische der Bevollmächtigten des Direktoriums. Von alledem findet man keine Spur in der »Denkschrift«. Auch das bischen Attachéklatsch über die Dresdener Zeit (1801-1803), das uns der alte Herr aufwärmt, giebt uns gar keinen Einblick in die Verhältnisse am kursächsischen Hofe und noch weniger ein Bild des jungen, harmlos-heiteren Lebemannes, der dort seine Sporen verdiente und sein Adoptivvaterland Oesterreich mit Anmuth, Bescheidenheit, vollendeten Formen und offenen Augen vertrat. Dasselbe gilt von der kurzen Schilderung des Berliner Aufenthaltes. In den ausgezeichneten Depeschen aus jener denkwürdigen Zeit, wo er den Auftrag hatte, Preußen zum Anschluß an die dritte Koalition zu überreden, ist eine Wärme der Leidenschaft, oft Ausbrüche des Hasses und der Verachtung gegen den Erbfeind Preußen und seine würdigen Vertreter, die Haugwitz, Lombard, Lucchesini, zuweilen aber auch ein natürlicher Adel der Sprache, von denen in dem Rückblick auf sein Leben kein Echo nachklingt. In noch höherem Maße darf dies von den lebensvollen Berichten aus Paris vom Jahre 1808 gesagt werden, als die Wolke über Oesterreich sich in jedem Augenblick zu entladen drohte, sowie von denen aus dem Jahre 1810, als sie sich entladen hatte und ein trügerischer Sonnenschein über dem jungen Bündnis beider Kaiserreiche lachte. Ja, diese Berichte, in denen er den Gewaltigen so oft redend einführt, sind noch viel anregender als sein Porträt Napoleons, welches doch die beste, weil die jugendlichste seiner schriftstellerischen Arbeiten ist. Wohl fällt der Berichterstatter etwas ab gegen den mächtigen Unterredner, den man aus jedem seiner selbstgeschmiedeten Sätze leibhaft reden hört. Nur in dem Einen ist Metternich dem großen Manne überlegen: er ist kein Emporkömmling. In jener Charakteristik schon kann er, gerade wie Varnhagen und vor ihm Mad. de Rémusat und alle Freunde Talleyrand's, nicht genug betonen, wie schlecht erzogen, wie linkisch, wie vernachlässigt in seinem Anzug, wie prätentiös in seinem Auftreten der Soldatenkaiser war. Nur steht die wiederholte Betonung solcher Schwächen einer Dame besser als einem Staatsmanns, auch ist die Französin eine ganz andere Meisterin des Porträtierens als der Deutsche.

Dagegen darf es uns nicht wundern, daß der Staatskanzler in der psychologischen Analyse des Napoleonischen Charakters der Dame den Rang abläuft. Frauen durchschauen wohl den Menschen meist rascher und sicherer als wir; methodisch von ihren Eindrücken Rechenschaft abzulegen wird ihnen schwer. Doch fehlt der Schilderung Metternich's auch das charakteristische Kennzeichen der Geister seines Schlages nicht: er sucht das Große der Persönlichkeit gern herabzumindern; übergeht Napoleons gesetzgeberisches Genie – das wohl noch größer war als sein militärisches – ganz mit Stillschweigen; ist immer bestrebt, seine Erfolge durch die Kleinheit der Zeitgenossen, die Unfähigkeit der Gegner, die Gunst der Umstände zu erklären. Nichts von alledem finden wir in seinen Pariser Berichten. Die sind ganz objektiv gehalten. Der Kaiser steht vor uns, in Fleisch und Blut. Man könnte bei jedem Worte schwören, daß er es gesprochen; man könnte die Bewegungen der Hand errathen, mit denen er es begleitet. Und in Alledem ist eine Frische und ein Leben, die der Autor dieser Depeschen nie wiedergefunden. Fast sollte man glauben, der alte Fürst habe selber dunkel gefühlt, daß sein Farbentopf nur noch Grau enthielt; denn er wünschte, daß das Manuskript der Autobiographie »für immerwährende Zeiten, insofern dieser Begriff auf menschliche Fürsorge anwendbar sei, in seinem Hausarchive verbleibe«. Doch gestattete er, daß es »nach Zeit und Umständen benützt werde, um lückenhafte Geschichtswerke zu vervollständigen oder lügenhafte zu berichtigen«. Ich weiß nicht, ob man dem Andenken des Staatskanzlers einen Dienst geleistet, indem man einer Auswahl seiner Depeschen das Machwerk beigab: es gewinnt jedenfalls nicht bei der Vergleichung.

Fürst Metternich war einundsiebzig Jahre alt, als er es im Jahre 1844 unternahm, seine Lebensgeschichte oder vielmehr die Geschichte seiner öffentlichen Thätigkeit zu erzählen; er war fast ein Achtziger, als er den »Leitfaden zur Erklärung seiner Denk- und Handlungsweise« niederschrieb. Nichts natürlicher, als daß er in der Darstellung nicht den frischen Ton fand, den seine jugendliche Thätigkeit geathmet hatte. Natürlich auch, daß er dieser seiner Thätigteit einen bewußten Plan unterschob, den sie in Wirklichkeit wohl kaum zu befolgen die Ruhe und Freiheit gehabt; daß er sich selber Grundsätze beilegte, an die er als dreißigjähriger Jünglingmann wohl nie gedacht. Ebenso natürlich ist es endlich, daß ihm sein Gedächtnis trotz aller gedruckten und ungedruckten Hilfsmittel kleine Streiche spielte, die zwar nicht an die kaum glaublichen Irrthümer und Widersprüche Odilon Barrot's in seiner eigenen Lebensgeschichte heranreichen, aber doch genügen würden, die »autobiographische Denkschrift« für das Fabrikat eines späteren Jahrhunderts zu erklären, wenn der Fürst zu Dino Compagni's Zeiten gelebt, anstatt in unseren. Es sind aber auch Reticenzen in diesen Aufzeichnungen, die nicht allein dem schlechten Gedächtnis zugeschrieben werden können, und die darauf hindeuten, daß man ein Interesse hatte, Manches zu verschweigen. Es geht ein Ton der Selbstzufriedenheit, vor allem aber eine moralisierende Lehrhaftigkeit durch diese ganze Selbstschau, die schon nicht mehr zu verstehen sind, wenn man nicht etwas bewußte Heuchelei annimmt. Dies unausgesetzte Pochen auf die »Grundsätze «, dies ewige Betheuern, daß man allem und jedem »Ehrgeiz unzugänglich« ist, dies fortwährende Sichberufen auf das »stets rege Pflichtbewußtsein«, diese wiederholte Versicherung, daß weder »Eigenliebe noch Hang zur Rechthaberei« ihn leite, sondern »das geschichtliche Element und die Pflege der Wahrheit, die in seinem Gefühle vorherrschten« (welche Sprache!), dies eintönige Tugendgerede wird am Ende doch nicht nur langweilig – das versteht sich von selbst; die ganze Denkschrift ist langweilig, wenn es erlaubt ist, mit einem so vornehmen Autor so unhöflich zu sein – es wird auch verdächtig. »Gewissen und Gewissen um das dritte Wort! Mit wem reden wir denn?« möchte man Appiani's ungeduldige Worte gegen Marinelli parodierend ausrufen. Ist's derselbe Politiker, den Stadion einen »abgründlich leichtsinnigen Lebemann« genannt? derselbe ministre-papillon (Nostitz), der in Paris und Wien so viel schöne Blumen umflatterte, daß er, wie sein Vertrauter, Gentz, klagt, die Geschäfte seines Amtes darüber vergaß? Ist's derselbe Mann, den Varnhagen in Prag (1813) »als einen Freidenker in religiösen Dingen gekannt«? Derselbe Staatsmann, der sich Monate lang die Frage offen hielt, ob er für »Europa« oder für Napoleon eintreten würde? Man braucht eben Goethe's Wort, daß die Handelnden immer gewissenlos sind, nicht buchstäblich zu nehmen; sicher ist doch, daß sie nicht so gewissenhaft sein können, als sich der alte Metternich gerne machen wollte.

Und wie unütz ist dieser Pharisäerton! Warum sollte er denn keinen Ehrgeiz haben? Ist denn ein ganzer Staatsmann überhaupt nur denkbar ohne Ehrgeiz? Und wer hätte es ihm denn zum Verbrechen gemacht, wenn er vor allem sein Österreich bedacht und nach vier verhängnisvollen Kriegen den fünften erst dann aufnehmen gewollt, als er seiner Sache sicher war? Wer hätte es ihm verargt, wenn der Freidenker als Leiter einer katholischen Großmacht die katholischen Interessen verfochten? Wer hätte es ihm verdacht, wenn er manchmal seine Zeit zwischen der liebenswürdigen Herzogin von Sagan und den Geschäften seines Herrn getheilt? Und wenn er der Nachwelt offen gestanden hätte, was sie erst durch die Indiskretion seines Vertrauten erfahren, daß die Eifersucht auf den schönen Fürst Windischgrätz ihm mehr schlaflose Nächte verursacht als der Keil, den Talleyrand's Intriguen in die Allianz »Europas« trieben, die Nachwelt würde ihn nicht gelobt haben, aber sie hätte gelächelt und verziehen.

Ja warum sollte er auch nicht einmal herzhaft lügen, wenn's das Interesse seines Landes erheischte? Das Schlimme ist ja nicht eine Unwahrheit zu sagen, sondern Unwahr zu sein. Auch der wahrhaftigste Mensch kann manchmal in der Lage sein, zu einer Lüge greifen zu müssen. Und, wenn wir den Zeitgenossen Glauben schenken dürfen, so ließ es schon der Graf ebensowenig daran fehlen als später der Fürst. »Herr von Metternich ist auf dem besten Wege, ein Staatsmann zu werden: er lügt schon ganz hübsch«, sagte Napoleon zu Mme. de Rémusat von dem Dreißiger. Und Macaulay berichtet ein Menschenalter später, als jemand bei Lady Holland den Staatskanzler mit Mazarin verglichen habe, – den er, beiläufig gesagt, tief verachtete – da habe der alte Talleyrand lebhaft protestiert: »Dagegen wäre viel einzuwenden: vor allem, der Kardinal täuschte wohl, aber log nie. Herr von Metternich lügt immer und täuscht niemanden.«

Als der Staatskanzler diese seine Autobiographie schrieb, hatte er's noch weiter gebracht: er log nicht mehr, er glaubte, was er so oft gelogen hatte. Wie sticht dieser Ton ab, nicht nur gegen die großartige Wahrhaftigkeit eines Rousseau und Goethe – wie die Geschichte nie so wahr ist als die Poesie, so kann auch der »Geschichtemacher« nicht so wahr sein als der Dichter –; aber auch gegen Hardenberg's oder Palmerston's schlichte Weise fällt dieser Tugendprunk ab, wie Theatertiraden gegen natürliche Erzählung unter Freunden. Sollte man dem alten Herrn glauben, so war der gewandte lebenslustige junge Weltmann, den der alte Kaunitz für einen »perfekten Kavalier, einen guten aimablen Menschen von niedlichster Verve« erklärte, schon mit zwanzig Jahren ein prinzipienfester Weiser, der »von der moralischen Gesunkenheit Frankreichs« im achtzehnten Jahrhundert durchdrungen war, der von der Revolution, die alle Moral zerrüttete, die größten Gefahren für Europa befürchtete und sich's zur Lebensaufgabe machte, diese Quelle des Übels zu bekämpfen, um die Gefahren von seinem erwählten Vaterlande, diesem Paradies der Unschuld, dem Wien Kutschera's und Trautmannsdorf's! abzuwenden. Hat er doch »von seiner frühesten Jugend bis in das sechsunddreißigste Jahr eines mühevollen Ministeriums nicht Eine Stunde sich selbst gelebt«. Ließ ihn doch nur die Pflicht in der dornenvollen Laufbahn beharren, die ihm so zuwider war. Schon als Zweiundzwanzigjähriger »jedem Vorurtheil unzugänglich und in jedem Dinge nur die Wahrheit suchend« schreckte er vor der Staatsthätigkeit zurück und »hätte vorgezogen. im Privatleben zu bleiben und seine Zeit der Pflege der Wissenschaften – besonders der exakten und Naturwissenschaften – zu widmen.« »Die diplomatische Laufbahn konnte allerdings seinem Ehrgeize schmeicheln, aber diesem Gefühle war er sein ganzes Leben lang nicht zugänglich.« »Er fürchtete zwar nicht in die falschen Bahnen zu gerathen, auf welche so viele Menschen durch erhitzte Einbildungskraft und vorzüglich durch ihre Eigenliebe hingerissen werden, weil er sich gerade von diesen Fehlern frei fühlte; aber er erkannte andererseits die vielen und gefährlichen Klippen seiner neuen Stellung (1806 als Botschafter in Paris) und glaubte daher, vorerst allen seinen Ehrgeiz darauf beschränken zu sollen, wenigstens das Böse dort zu verhindern, wo er die Unmöglichkeit sah, das Gute zu bewirken.« »Frei vom Stachel des Ehrgeizes, wie er sein ganzes Leben war, empfand er nur das Gewicht der Fessel,« welche ihm 1809 die Übernahme des Ministeriums auferlegte, und nur das Vertrauen auf die »starke und reine Seele« Kaiser Franz' gab ihm den Muth dazu; denn er hatte »nur die zwei Punkte, auf die sich zu stützen ihm möglich schien: sein Gewissen und die unerschütterliche Charakterstärke des Kaisers Franz«, der ja natürlich auch immer nur »strenge der Stimme seines Gewissens folgte.« Das Interesse Oesterreichs und des Hauses Habsburg existierte ja nicht für diese beiden reinen und starken Seelen. Wie hatte doch Joseph II. seinen florentinischen Neffen verkannt, als er meinte, »edle moralische Motive machten auf ihn nicht den geringsten Eindruck« und »nur ein Mittel: Furcht greife bei ihm an.«

Auch an seiner Religiosität zweifelte der skeptische Onkel. Nicht so der Diener. Nur weil die »vorgebliche erste Ehe« Napoleons mit Josephine ein Konkubinat war, konnte er's über sich bringen, seinem frommen Herrn den Rath zu ertheilen, dem Kaiser der Franzosen die Hand seiner Tochter zu geben. Übrigens ist nirgends verzeichnet, daß Metternich dem Kaiser Franz von seiner vierten Ehe (1816) mit einer geschiedenen Dame abgerathen hätte. Wahrscheinlich war auch die Ehe der Kronprinzessin von Württemberg nur eine »vorgebliche« gewesen, da der Kronprinz ja Protestant war und der Papst die Scheidung guthieß. »Wäre es anders gewesen, die Sache hätte gar nicht zur Sprache kommen können.« Wie sagt doch Goethe: »Zu zeigen, was moralisch sei, Erlauben wir uns frank und frei Ein Falsum zu begehen.« Möglich, obschon unwahrscheinlich, ist es, daß Metternich im Jahre 1809 Nichts von der kirchlichen Ehe Josephinens gewußt, die am 1. Dezember 1804, am Vorabende der Krönung, von Kardinal Fesch in Gegenwart zweier Zeugen vollzogen worden war; unmöglich ist es, daß er sie 1844 ignoriert habe, als er die Worte schrieb: Angenommen selbst, Metternich hätte 1844 noch nicht gewußt, was alle Welt wußte, was Thiers Jahrs darauf (1845) im 5. Bande seines » Consulat et Empire« umständlich erzählte, so hätte er doch 1852, als er seine gerade an dieser Stelle abgebrochene Lebensgeschichte wieder aufnahm, es wissen und diese letzten Seiten, an die er anknüpfte, korrigieren müssen. Neue Details über die kirchliche Ehe Napoleons haben vor Kurzem Mme. de Rémusat's Memoiren gebracht. »Diese Frage (die Ehetrennung) bestand für die Kirche nicht und folglich auch nicht für den Kaiser. Napoleon hatte ... eine bürgerliche Ehe geschlossen; es war also keine in den Augen der Kirche gültige Ehe. Wäre es anders gewesen, die Sache hätte gar nicht zur Sprache kommen können.« Denn Franz war skrupulöser als sein Schwiegersohn: er hätte um die Welt kein Ehebett bestiegen, über das der Pfarrer nicht den Segen gesprochen; er ließ sich auch nie scheiden, sondern wartete immer geduldig, bis seine Frauen eines natürlichen Todes starben, um wieder zu heirathen,

»Bevor die Schuh' verbraucht,
Womit er seiner Gattin Leiche folgte.«

Aber wir erkennen Dich ja gar nicht wieder, höre ich meine Freunde sagen. Du, immer so bestrebt billig gegen Jeden zu sein, Du, der stets Alles, auch das Schlimme, zu erklären und verstehen sucht, anstatt es zu verdammen, der auch dann, wenn er verdammt, es immer in den mäßigsten Worten zu thun pflegt; der stets von allen liberalen und nationalen Parteischranken so frei zu sein behauptet – wie kommst Du zu dieser Bitterkeit? Sei's noch um Franz, dem kindlichen Thierquäler, »dem die Erhaltung seiner eigenen Person allein unendlich wichtig schien«, um noch einmal Josephs II. Worte zu gebrauchen; aber Metternich ein bedeutender und auch ein wohlwollender Mann, der im Grunde doch nur stets das Beste seines Herrn und seines Landes gewollt, es auf seine Weise verfolgt hat? Wohl, und so stand er auch vor meinen Augen, trotz der konventionellen Tugendssprache seiner amtlichen Auslassungen, als loyaler Gegner eines nationalen Deutschlands und eines freien, öffentlichen Staatslebens – bis zum Erscheinen dieser Publikation. Hier ist's aber nicht mehr die allgemein angenommene Sprache einer Zeit und eines Standes, die so wenig Heuchelei impliciert, als die gesellschaftliche, deren wir uns Alle bedienen, wenn wir »des Nachbars alte Katze« besorglich nach ihrem Befinden befragen. Hier handelt sich's auch nicht mehr um das Erreichen eines besonderen positiven Zweckes oder das Verhindern eines besonderen positiven Übels durch eine gelegentliche Unwahrheit. Hier ist's die reine Scheinheiligkeit, das durch Nichts herausgeforderte, durch die Eitelkeit allein eingegebene Bemühen, sich selbst mit absoluter Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit in das günstigste Licht zu setzen. Es ist nicht der überzeugte Feind alles dessen, was wir hochschätzen gelernt, es ist der Heuchler, gleich ob er im Wohlfahrtsausschusse sitzt, oder im Palais am Bauplatze, der Einen ungeduldig macht; und je nachsichtiger man für die Schwächen der Menschen ist, wenn sie nur den Kern der Wahrheit nicht berühren, desto strenger hat man das Recht und die Pflicht zu sein, wo sich unterm Scheine der Tugend die baare Unwahrheit breit macht.

II.

Es ist ein Glück für Metternich, daß er wohl nicht nach seinen Memoiren, sondern nach seinen Depeschen beurtheilt werden wird: denn hier wird jedem Unbefangenen erst klar, wie muthig und gewandt und unermüdlich er in jenen heißen Jahren das ihm anvertraute Interesse Oesterreichs verfochten hat, wie er, je nach den Umständen sich mit oder gegen Napoleon verbündend, redlich daran gearbeitet, die Einheit Deutschlands, wie die Unabhängigkeit Italiens zu verhindern, wie scharfsinnig er sofort erkannt, daß Preußen ein viel gefährlicherer Feind für Oesterreich war als Frankreich. Er mag sich in dieser seiner österreichischen Politik zuweilen geirrt haben – namentlich in der orientalischen Frage –; jedenfalls aber hatte er das Recht, ja die Pflicht, egoistisch-österreichische Politik zu treiben, wie Talleyrand französische trieb; und wollte Gott, die preußischen Diplomaten waren 1814 so gewandt, so beharrlich, und so erfolgreich gewesen in ihrer Sache als er in der seinen. Was unerträglich ist, ist nur die Heuchelei, mit der er stets das Interesse Oesterreichs mit dem absoluten sittlichen Rechte identifiziert; denn »die wahre Kraft liegt ja im Recht allein« und »das sogenannte Metternich'sche System war ja kein System, sondern eine Weltordnung«, wie er selber bescheiden sagt. Wie wohlthuend sticht dagegen der Cynismus eines J. de Maistre ab, der doch gewiß ein begründeteres Recht auf das Lob der Folgerichtigkeit und Prinzipienfestigkeit hatte als Metternich, wenn er meint: »Jedes Kabinet sei von einem gewissen besonderen Geiste beherrscht, der durchaus Nichts mit der Moral und irgend einer menschlichen Empfindung zu thun habe. Wenn ein Kabinet in einem Zeitpunkte gerechter als ein anderes erscheint, so ist es, weil bekannte oder unbekannte Umstände es am Handeln verhindern. Es ist gerecht, wie der Eunuch keusch ist.«

Niemand aber hat mehr als der Staatskanzler dazu beigetragen, jenen pharisäischen Ton, der von 1814 bis 1860 auf dem Festlande geherrscht, in die Diplomatie einzuführen. Übrigens schlug er selbst diesen Ton erst an, nachdem er unter den Einfluß Talleyrand's gerathen war, der bekanntlich den politischen cant am Weitesten getrieben hat. So unverschämt freilich wie der alte Sünder der Rue St. Florentin war der Schüler doch nicht, »Nie«, meinte der entkuttete und beweibte Bischof von Autun, der Ludwig XVI., dem Direktorium, dem Konsulat, dem Kaiserthum gedient hatte, jetzt der Legitimität diente und endlich der Dynastie Orléans dienen sollte, der eigentliche Eingeber der Säkularisationen und jetzt der Vertheidiger des legitimen Königs von Sachsen, dessen Dukaten all die Weil in seinen Taschen klimperten, »nie dürfe man absehen von der wahren Kraft, welche allein in der Tugend bestehe. In den Verhältnissen der Völker zu einander aber sei die erste Tugend die Gerechtigkeit...« Nur »aus wahrem Interesse« für Preußen wolle er diesem »die scheinbaren Vortheile« ersparen, die, »errungen durch die Ungerechtigkeit und gefährlich für Europa, ihm selbst früher oder später verhängnisvoll werden würden.« Der Gute! Das heißt nämlich auf deutsch, Preußen dürfe Sachsen nicht bekommen, weil Frankreichs Interesse es erheischte, daß die deutschen Mittelstaaten fortbestünden. Gegen eine solche Sprache ist die Metternich's fast schlicht, wenn auch nicht wahrhaftig, zu nennen. Der mißbilligt die Einverleibung Sachsens durchaus nicht etwa, »weil sie Preußen vergrößert«, sondern weil es das Zustandekommen eines einigen Deutschlands erschweren würde, wenn »eine der Mächte, die dazu berufen seien, das gemeinsame Vaterland zu beschützen«, sich einen der wichtigsten Staaten aneignete. Beide Schriftstücke sind vom Dezember 1814, als Hardenbergs unzeitiges Vertrauen und Humboldt's prätentiöse Ungeschicklichkeit Preußen um die Frucht seiner Siege betrogen, und diese Sprache ward von da ab, während eines halben Jahrhunderts, die allgemeine der europäischen Staatsmänner mit Ausnahme Palmerston's: Ludwig XVIII. und Georg IV., der Tugendhafte, Louis Philipp und sein Guizot, Ancilon und sein gekrönter Schüler, Lamartine und Napoleon III., Alle hatten solche salbungsvolle Sprache im Munde, seit der größte Diplomat des Jahrhunderts, Dank diesem Gemisch von Unverschämtheit und Lüge, seinem besiegten Vaterland den Eintritt in die Gesellschaft der Sieger erzwungen hatte.

Metternich allerdings will diese seine »Grundsätze« keineswegs erst von Talleyrand gelernt haben. Seine ganze Autobiographie ist ja mit der bewußten Absicht geschrieben, die Einheit und Konsequenz seines ganzen Lebens nachzuweisen, und wie er nie auch nur »einen Fingerbreit von Gottes Wegen« abgeirrt. Es giebt zwar Leute, die da meinen, das Verdienst der Immobilität sei nicht so groß, ja sie sei auch in solcher Strenge kaum möglich: » Le monde n'est qu'une branloire perenne, toutes choses y branlent sans cesse ... La oonstance même n'est autre chose qu'un branle languissant« ... Aber das sind nur leichtsinnige Zweifler ohne sittlichen Ernst wie Montaigne, die das behaupten, die sogar so verdorben sind, daß sie die Wahrheit über die Konsequenz stellen und naiv gestehen: » tant y a que je me contredis bien a l'adventure; mais la vérité, je ne la contredis pas.« Der Staatskanzler war der entgegengesetzten Meinung: auf die Wahrheit kam's ihm nicht sonderlich an, wenn nur die Konsequenz bewiesen war. Will er doch schon als siebenzehnjähriger Jüngling diese seine Lebensüberzeugung von der Macht des Rechtes und der Jugend, als die beiden unumstößlichen Grundpfeiler aller guten Politik, gewonnen haben.

Er war nämlich mit fünfzehn Jahren (1788) samt seinem anderthalb Jahre jüngeren Bruder auf die Universität Straßburg geschickt worden, wo er bis zum Jahre 1790 verblieb, um dann die Hochschule in Mainz zu beziehen. Dort hatte er einen Revolutionsmann zum Erzieher und war Zeuge einer gewaltsamen Volksszene gewesen. »Die Lehren des Jacobiners und der Apell an die Volksleidenschaften flößten ihm einen Ekel ein, den Alter und Erfahrung nur in ihm verstärkten.« Auf seinem Wege nach Mainz ging er zur Kaiserkrönung Leopolds II. nach Frankfurt und »erfaßte mit der ganzen Kraft der Eindrücke des Jugendalters nur den Gegensatz zwischen dem von den ersten Regungen des Jacobinismus besudelten Lande, welches er soeben verlassen hatte, und dem Orte, an dem die menschliche Größe sich mit einem edlen Nationalgeiste verband –« Anno 1790 in Frankfurt am Main. Von Stund' an wußte er, was seine Sendung im Leben war. »Ich fühlte, die Revolution würde der Gegner sein, den ich fürder zu bekämpfen hätte, und so verlegte ich mich darauf, den Feind zu studieren und mich in seinem Lager zu orientieren.« Alles mit siebzehn Jahren! Was ist Pico della Mirandola gegen diese Frühreife! Um nun den Feind zu studieren, ging er einerseits in die »gewählte Gesellschaft« der französischen Emigrierten, andererseits in die, keineswegs gewählte, Gesellschaft der Mainzer Klubisten, wie Hofmann und Georg Forster. Dies soll übrigens das einzige »Studium« des jungen Studiosus gewesen sein, der, so sagt man, sehr begrenzte Kenntnisse aus seinem Universitätsleben mitbrachte. »Der Dramaturg Kotzebue bewohnte gleichfalls Mainz; damals war er warmer Anhänger einer Schule, die fünfundzwanzig Jahre später ihre Dolche gegen ihn richtete!« Karl Sand war nämlich in Metternich's Augen ein Jacobiner, wie der Freiherr von Stein, Gneisenau, Scharnhorst und alle Andern, welche die deutschen Zustände vor und nach der Revolution nicht für das Ideal eines Staates hielten, »in dem sich die menschliche Größe mit einem edlen Nationalgefühl verband.«

Wohl gehörte Metternich den Emigrantenkreisen an, wo solche »Grundsätze« zum guten Ton gehörten; aber die Salbung kam erst später hinzu. Wie die ganze Generation, aus der in der Literatur sich unsere Romantiker rekrutierten, so war auch Metternich damals noch nicht der abstrakte Tugendheld, der er später wurde. Alles hat zwar mehr Maß und Geschmack bei dem geborenen Edelmann; aber im Grunde ist's doch beide Male, in der Jugend wie im Alter, dieselbe Stimmung, der wir auch bei seinen beiden von ihm selber geadelten Lebensgenossen plebejischen Ursprungs, Friedrich von Gentz und Friedrich von Schlegel, begegnen. Nur hatte er die philosophische Bildung der beiden Literaten nicht; aber er war ein anstelliger junger Mann, nicht gerade eminent, aber von leichter Fassungsgabe und höchst einnehmenden Wesens. Diese seine liebenswürdige Persönlichkeit war es denn auch, die ihm alle Weiber- und Fürstenherzen eroberte: es heißt ja, man gewänne meist Beide am sichersten mit demselben Mittel. Ob das hinreichend gewesen wäre, um so hoch zu klimmen, wenn er nicht in die hohe Stellung geboren gewesen? W. von Humboldt leugnete es; und jedenfalls bedurfte es der Gunst, um mit einundzwanzig Jahren zum Gesandten des deutschen Reichs im Haag ernannt zu werden; des Glücks, um mit sechsunddreißig Jahren in die weithin sichtbare Stelle eines ersten Ministers des österreichischen Kaiserstaates einzutreten. Eine große Heirath mit der Enkelin Kaunitzens, die ihm sein Vater zu vermitteln wußte, und über die uns A. Wolf in seiner Schrift über die Fürstin Liechtenstein viel Ergötzlicheres berichtet als der Autobiograph, erleichterte ihm die Erreichung der ersten Sprosse. Aus der holländischen Gesandtschaft war nichts geworden, weil Pichegru ihm mit seiner Einnahme Nimwegens einen Strich durch die Rechnung gemacht; allein mit fünfundzwanzig Jahren war er schon Vertreter des westphälischen Grafenkollegiums auf dem Rastatter Kongreß, mit siebenundzwanzig Gesandter Oesterreichs in Dresden; mit dreißig in Berlin, trat er nun eigentlich erst recht in die Geschichte ein. Die ganze Geschichte jener Zeit wurde ja, im Gegensatz zu der unsrigen, von jungen Leuten gemacht; Napoleon, Kaiser Franz, Alexander I., Friedrich Wilhelm III. waren wenig älter als ihre Minister, Marschälle und Botschafter. In dieser Jugendzeit nun in Berlin und Paris, von 1804 bis 1809, zeigte er sich am glänzendsten, weil er nirgends so gut am Platze war als in der Stellung, die er an beiden Höfen einnahm: Metternich war ein geborener und vollendeter Diplomat. Sicher im Auftreten, geschmeidig, vornehm ohne Dünkel, mit früher Menschenkenntnis, leichtem Redaktionstalent und – was die Hauptsache ist, ausgesprochener Lust und Liebe zu seinem Handwerk, redlichem Wunsch, das Interesse seines Staates zu fördern. Auch »das Mystifizieren gehörte zu den natürlichen Anlagen des Ministers, welcher es im geselligen Verkehr oft bis zur Verzweiflung der Menschen trieb.« (Nostitz.)

Obschon seine diplomatische Thätigkeit weder in Berlin noch Paris den gehofften Erfolg hatte, so that er doch gute Dienste und lernte Menschen und Verhältnisse kennen, deren Kenntnis ihm wenig Jahre darauf von größtem Nutzen sein sollte. Vor Allem war es Talleyrand, der einen bestimmenden Einfluß auf ihn ausübte. Nicht nur, daß er sich, was diplomatische Taktik anlangt, ganz in dessen Schule bildete: er ließ sich auch im Inhalte der Politik durch ihn bestimmen. Später äußerte sich Metternich allerdings sehr abfällig über diesen seinen Lehrer, den er in dieselbe bunte Kategorie der Richelieu, Mazarin, Canning, Capodistria und anderer bitterbösen Menschen wirft, für die der alte Staatskanzler stets die größte Verachtung empfunden zu haben vorgiebt. Talleyrand würde sich wahrscheinlich in dieser Gesellschaft sehr wohl befunden haben; jedenfalls verdiente er durchaus die Auszeichnung: er war der getreueste Nachfolger der großen französischen Staatsmänner des siebzehnten Jahrhunderts, um so größer, als er ihre Lehren und Beispiele nicht dem Buchstaben, sondern mit freier Deutung dem Geiste nach befolgte. So war er es, der 1814 den Weg zur französisch-österreichischen Allianz bahnte, weil er eben einsah, daß seit dem Eintritt Rußlands und Preußens in die europäische Staatengesellschaft das Schachbrett für Frankreich ganz verändert war, daß Richelieu, wenn er von den Todten auferstanden wäre, in seinem Lebensfeinde Österreich seinen natürlichen Verbündeten gegen die nationale deutsche Großmacht des Nordens gesehen hätte. Jetzt im Jahre 1808 war Talleyrand noch nicht in der Lage, an Frankreich zu denken, da es ihm vor Allem um seine eigene Person zu thun sein mußte, die in Ungnade gefallen war. Er hat immer behauptet, von der spanischen Unternehmung abgerathen zu haben – Napoleon hat es stets geleugnet –; wie dem auch sei, Talleyrand war nicht in Gunst im Jahre 1808, und er wußte Metternich zu überreden, daß allein seine weise Voraussicht und sein Muth, sie auszusprechen, ihn aus dem Ministerium des Äußern entfernt habe. Er wußte Metternich noch von viel Anderem zu überreden, vor Allem davon, daß Napoleon sich und seine Politik nie ändern würde, und daß, da es doch nicht unendlich so weiter gehen könne, sein Sturz früher oder später unvermeidlich eintreten müsse. Schon habe sich eine mächtige und zahlreiche Partei im Innern gebildet – sie bestand aus Talleyrand und Fouché, Fouché und Talleyrand –, welche nur auf die Gelegenheit warte, um sich des Usurpators zu entledigen: ein Krieg mit Österreich, in dem die Völker aufständen, wie in Spanien, werde das Signal zum Ausbruch sein: denn das französische Volk sei des ewigen Krieges müde und dürste nach Frieden, wisse aber wohl, daß es den nicht haben könne, so lange Napoleon auf dem Throne sitze. Uns klingt eine solche Sprache einfach wie die des Landesverrathes; und auch Metternich mochte sie im geheimsten Innern so beurtheilen; aber das durfte ihn nicht hindern, sie sich und seinem Herrn zu Nutze zu machen: Er glaubte nämlich Alles – wie er später auch Bernadotte glaubte, als er ihm den Aufstand des französischen Volkes voraussagte, sobald die fremden Heere über die Grenze dringen würden –, und er berichtete Alles getreulich nach Wien. Das ganze Geheimnis, warum er damals, fast so heftig wie Erzherzog Karl und Stadion, zum Kriege drängte, liegt hier. Und nirgends wird man Metternich's Talent der Aneignung fremder Gesichtspunkte in glänzenderem Lichte sehen als in den meisterhaften Depeschen des Jahres 1808. Das schlug ganz um, nachdem er Talleyrand's persönlichem Einflusse auf vier bis fünf Jahre entrückt wurde. Die Talleyrand'sche Methode behielt er bei, die Talleyrand'schen Ideen nahm er erst 1814 wieder auf.

Es begann nun, von 1809–1813, die Zeit, wo er cunctando restituit rem, oder wenigstens durch ein gewandtes Temporisieren und seltenes Glück Athmenszeit für Oesterreich gewann. Um welchen Preis, sagt die Geschichte. Die Heirath der Erzherzogin mit Napoleon war ein trefflicher Schachzug und im Grunde keiner, den man ihm vorwerfen konnte, wenn man die wenig delikate Natur des Vaters und der Tochter, die er verhandelte, in Betracht zieht. Diese Heirath war aber so recht seine Sache, obschon er uns in seiner Autobiographie das Gegentheil glauben machen möchte: seine eigenen Schriftstücke aus dem Jahre 1810 sprechen lauter. Ich widerstehe nur mit Mühe der Versuchung, hier an der Hand Helfert's und am Faden von Metternich's eigenen Schriftstücken im 2. Bande der »Nachgelassenen Papiere« zu beweisen, wie der Staatskanzler in seiner Autobiographie verfährt, um die Einheit seiner Politik darzuthun und die Dinge in ihr gerades Gegentheil zu verkehren. Nur die Natur dieser Essays, die sich an das gebildete Publikum im Allgemeinen, nicht an die Fachgelehrten wenden, hält mich davon ab, in's Detail einzugehen. (Dieser Nachweis ist seitdem von P. Bailleu, a. a. O. S. 254, und von Augusto Franchetti in der Rassegna settimanale vom 16. Mai 1880 ausführlich und auf's Unwiderleglichste geführt worden.) Es war die erfolggekrönte Politik dieser seiner fünf ersten Regierungsjahre, welche er später in ein System zu bringen und durch allerhand Grundsätze zu erklären suchte. Sein wirkliches Verdienst war groß genug, um solcher nachträglicher Erklärungen nicht zu bedürfen. Er erhielt dem auf den Tod verwundeten Oesterreich seine Großmachtstellung, als es seiner besten Provinzen beraubt, vom Meer ausgeschlossen, durch furchtbare Niederlagen gebeugt, durch den Staats-Bankerott erschöpft war – Metternich braucht bezeichnender Weise immer nur den Euphemismus »Finanzmaßregel« –; ja, er wußte es größer herauszuführen, nicht nur als er es empfangen hatte, sondern als es bei Beginn des dreiundzwanzigjährigen Krieges gewesen war.

Und es war nicht nur Glück. Niemand wußte Machtverhältnisse besser als er zu beurtheilen. Schon nach dem Wiener Frieden, als er die Regierung übernahm, hatte er klar gesehen, daß in der furchtbaren Lage Österreichs Nichts zu thun war als zu temporisieren, denn Eines fühlte er bestimmt, wenn er nicht gerade unterm persönlichen Zauber des Imperators war, und das war, daß die ungeheuerliche Schöpfung nicht dauern könne, daß die Katastrophe früher oder später eintreten müsse. »Wir müssen«, schrieb er am 10. August 1809, »vom Tage des Friedens an unser System auf ausschließendes Lavieren, auf Ausweichen, auf Schmeicheln beschränken. So allein fristen wir unsere Existenz vielleicht bis zum Tage der allgemeinen Erlösung ... Uns bleibt nur ein Ausweg: unsere Kraft auf bessere Zeiten aufzuheben.« Wie die Machtverhältnisse, so beurtheilte er die Menschen mit seltener Klarheit; selbst dann, wenn er sich von ihnen mehr als billig beeinflussen ließ, so lange sie nur mit ihm zu gehen schienen und wofern sie ihm nicht gerade antipathisch, folglich unverständlich waren; er ließ sich nie von seinen Gegnern einschüchtern, selbst von Alexander, selbst von Napoleon nicht. Dieser hatte ihn ganz eingenommen während seiner außerordentlichen Sendung nach Paris in Folge der Vermählung mit der Erzherzogin (Frühjahr und Sommer 1810); aber nur die Freundschaft mit Napoleon konnte damals Oesterreich retten. Dies eingesehen zu haben, war das nicht zu unterschätzende Verdienst Metternich's.

»Wir können uns nicht schmeicheln, daß wir zwischen zwei Wassern schwimmen können,« schrieb er im Juli 1810 aus Paris, »eine ganz neutrale Rolle in so wichtigen Fragen (es handelte sich um den Orient) spielen zu können zwischen zwei Mächten (Rußland und Frankreich), die unseren Besitzstand und unsere Interessen bedrohen.« Die Freundschaft Napoleons war 1810 für Oesterreich so nothwendig als Jahrs zuvor die Neutralität für Preußen. Preußen konnte nach Tilsit neutral bleiben, ohne bis zur Freundschaft zu gehen, weil es machtlos war und noch machtloser schien als es war, (»Preußen ist nicht mehr in die Reihe der Mächte zu rechnen«, schrieb er sieben Monate später.) Oesterreich konnte es nicht. Die Neutralität in den Jahren 1810 und 1811 – wo der stillschweigende Bruch mit Rußland schon da war – wäre für Oesterreich gleichbedeutend mit einer Parteinahme für Rußland gewesen, und eine Parteinahme für Rußland hieß, wie die Dinge lagen, Vernichtung Oesterreichs. Metternich hatte demnach ganz Recht, auf eine Allianz mit Frankreich hinzuarbeiten, und wiederum ist nur das spätere Bemühen, die Sache in einem anderen Lichte, sich als Gegner dieses Bündnisses hinzustellen, das Tadelnswerthe, nicht seine Haltung selbst. In der That rieth er schon im Sommer 1810, trotz seiner Überzeugung, daß Oesterreich »mehr von Frankreich als von Rußland zu befürchten habe ..., mit Frankreich gemeine Sache zu machen.« Deshalb schloß er auch anderthalb Jahre später den Vertrag vom 28. November 1811, mit der Voraussicht, daß der Krieg gegen Rußland für Oesterreich »weder ein Vertheidigungs- noch ein Eroberungs-, sondern ein Erhaltungskrieg« sein würde: freilich auch mit der Hoffnung, ja unter der Bedingung, daß Etwas für Oesterreich abfallen würde, vor allem Illyrien und Salzburg; vielleicht auch »ein Theil von Schlesien; diese Kompensation jedoch nur bedingungsweise und im Falle der Zerstückelung Preußens, eine (einer?) meines Erachtens unausbleibliche(n) Folge des nächsten Krieges.« Ob Metternich meinte, die Zerstückelung Preußens oder die Kompensation Oesterreichs durch Schlesien werde eine unausbleibliche Folge sein, bleibt bei seinem Gebrauch der deutschen Sprache zweifelhaft. Wie dem auch sei, an Voraussicht fehlte es ihm nicht. Ich lasse dahin gestellt sein, ob er 1814 die Rückkehr Napoleons von der Insel Elba so bestimmt vorausgesagt; kein gleichzeitiges Dokument verbürgt es, und wir wissen, daß Metternich's Versicherungen dreißig Jahre später kein unbedenkliches Vertrauen verdienen. Aber wir sehen aus seinen Berliner Depeschen von 1805, daß er Jena voraussah, daß er schon nach Tilsit die Ereignisse von 1813 vorhersagte; daß er selbst in jenem Augenblick, wo Oesterreich unwiderruflich dem Schicksale Preußens verfallen zu müssen schien, nicht verzweifelte, sondern festen Auges den Zeitpunkt erwartete, wo das ganze widernatürliche Gebäude des Eroberers zusammenstürzen, Oesterreich das entscheidende Wort zu sprechen, die entscheidende That zu thun haben würde.

Selbst wo es sich um die unwägbaren Mächte der Geschichte, um die Strömungen der Volksgedanken und Volksleidenschaften, die Gewalt der öffentlichen Meinung handelte, fand er in den früheren Jahren noch oft das Richtige und sprach es aus in einer beredten und glühenden Sprache, die er später nicht wiederfand. Seine Depeschen zur Zeit der spanischen Erhebung sind nicht nur stilistische Meisterwerke, sie athmen auch Muth, Zuversicht, warme Vaterlandsliebe. War's der abkühlende Einfluß Kaiser Franz', war's das niederdrückende Gewicht der Wagramer Niederlage und des Wiener Friedens, war's der Zauber, den Napoleon im Jahre 1810 auf ihn ausübte, weil er ihn jetzt ausüben wollte, wie er zwei Jahre vorher das Gegentheil auf ihn ausüben gewollt – Metternich, der Minister, fand nie die Sprache wieder, die der Botschafter geführt, und, was schlimmer ist, er hatte die Gemüthsstimmung auf immer verloren, die er damals gehegt; ja, die Erinnerung daran scheint ihm abhanden gekommen zu sein. Er, der auf die Unwiderstehlichkeit der tiroler und spanischen Volksbewegung gerechnet, glaubte keinen Augenblick an das Aufstehen Preußens, und als es kam, war's ihm eine ungeahnte und unheimliche Überraschung. Er scheint den enthusiastischen Schwung des Stadion'schen Oesterreichs von 1809, den er kindlich genug gewesen, bis nach Paris mitzuempfinden, als eine Jugendeselei bereut zu haben. Jedenfalls ließ er sich nicht wieder auf solchen Illusionen ertappen. Als man 1813 einen Aufruf der Tiroler in Anregung brachte und Kaiser Franz seine sittliche Entrüstung über eine so revolutionäre Maßregel aussprach, äußerte sich auch Metternich höchst verächtlich über Alles, was an die »gefährlichen Grundsätze von Kalisch« erinnerte, lachte über Graf Stackelberg, der die Naivetät hatte, für Preußens Erhebung zu schwärmen, und soll in Ratiborschitz (während des Waffenstillstandes) den Zutritt Oesterreichs zur großen Allianz nur unter der Bedingung versprochen haben, daß kein Appell an die Völker geschehe:) So Bernhardi. Oncken scheint Nichts von dieser Klausel in Erfahrung gebracht zu haben. »Wir können nur auf Erhaltung der Sache der Souveräne hinsteuern.« (Amüsant, wenn auch psychologisch und historisch gleich unwichtig, ist, daß derselbe Mann als zwanzigjähriger Jüngling seine schriftstellerische Laufbahn mit einem Aufruf zur Volkserhebung und Volksbewaffnung begonnen hatte.) Der Mißerfolg des Frühjahrfeldzuges von 1813 hatte den Minister freilich in seiner skeptischen Auffassung nur bestärken können, denn er spricht noch nach Großgörschen von »der nur dem Namen nach existierenden preußischen Armee.« Der Praktiker war fortan fertig, der nur an die greifbaren Mächte glaubte, und die Evidenz selbst konnte ihn von nun an nicht mehr überzeugen, daß es außer Kabinetten und Bataillonen noch etwas im Völkerleben gäbe, das in Betracht käme. Man sieht, wenn es ein Vortheil für den Geschichtsschreiber ist, »Geschichte gemacht« zu haben, so hat's auch seine Nachtheile. Der Geschichtsprofessor ist dem Praktiker nicht nur durch seine gewissenhaftere und methodischere Benutzung der Quellen überlegen: er behält auch oft einen unbeirrten Blick für das Treibende in der Geschichte, der gar leicht verloren geht, wenn man sich zu sehr daran gewöhnt hat, die Bäume statt des Waldes in's Auge zu fassen.

Wie gesagt, soll aus alledem dem Leiter der österreichischen Politik in den entscheidenden Jahren 1812 und 1813 kein Vorwurf gemacht werden. Es sollen nur die Grenzen seines Geistes angedeutet, die wahre Natur seiner Politik gekennzeichnet werden. Nichts konnte, um Metternich's Lieblingsausdruck zu gebrauchen, »korrekter« sein als diese Politik, wenn man die Lage Oesterreichs bedenkt, und Metternich machte sie mit Würde und Stolz, nicht nur dem Eroberer, sondern auch seinem eigenen Kaiser gegenüber, geltend: aber, es war österreichische, nicht deutsche Politik. »In Bezug auf ... Oesterreich hatte ja der Ausdruck »Deutscher Sinn« ... wie sich derselbe seit der Katastrophe Preußens und der nördlichen Gebiete Deutschlands in den höheren Schichten der dortigen Bevölkerung manifestierte, lediglich den Werth einer Mythe.« Gott bewahre uns, daß wir ihm das verdenken sollten. Obschon selber im Reiche geboren und erzogen, war er doch, wie's seine Pflicht war, ganz Oesterreicher geworden, und, wenn er 1805, freilich unter Hardenberges Einfluß, den Abfall des Kurfürsten von Bayern noch als einen Vaterlandsverrath empfand, so konnte im Jahre 1813, als das deutsche Reich auch rechtlich aufgehört hatte zu existieren, ganz Süddeutschland unter französischer Fahne focht, selbst Preußen dem Kaiser der Franzosen hatte Heeresfolge leisten müssen, der Begriff des deutschen Vaterlandes für einen praktischen Staatsmann an der Spitze Österreichs wirklich nur den »Werth einer Mythe« haben. Und wenn er Preußen große Erfolge mißgönnte, war er nicht vollkommen in seinem Rechte? Er war ja kein Abtrünniger wie seine Kreatur Gentz, der schon lange, ehe er in Metternich's Schule gegangen war, die Religion seiner Väter beschimpfte, ja, sich noch was darauf zu Gute that, sein Nest zu beschmutzen und dann seines Meisters antipreußische Politik – er selbst hatte nie einen politischen Gedanken, wenn er ihn nicht von Jemandem geliehen bekam – in seine rhetorisch-sophistische Sprache zu übersetzen.

Wer sich einen Begriff machen will von der sittlichen Überlegenheit des Ministers, welcher die volle Verantwortlichkeit für seine Handlungen beanspruchte, von welchem Leben und Tod eines Großstaates abhing, über den feige zitternden Schreiber, dessen er sich bediente, und den er mit seiner Verantwortlichkeit deckte, der lese nur die geradezu niederträchtige Denkschrift Gentz' über den Wiener Kongreß (II, 473-514) und Metternich's Worte an seinen Kaiser, ehe er sich endgiltig gegen Frankreich erklärte (12. Juli 1813): »Kann ich auf die Festigkeit Eurer Majestät zählen, im Falle Napoleon die Friedensbasen Österreichs nicht annimmt? Sind Eure Majestät unerschütterlich bestimmt, in diesem Falle die gerechte Sache der Entscheidung den Waffen Oesterreichs und des ganzen übrigen vereinten Europa anzuvertrauen?« ... Kann ich darauf rechnen, »daß Eure Majestät ... Ihrem Worte treu bleiben und Ihre Rettung im engsten Anschließen an die Alliierten suchen werden?« ... »Darüber darf kein Dunkel in meiner Seele schweben, denn jeder meiner Schritte ... würde ohne die genaueste Bestimmtheit des Willens Eurer Majestät das Gepräge einer unverzeihlichen Zweideutigkeit tragen. Wir würden statt der Chancen des Friedens oder eines vortheilhaften Friedens nur jene der allgemeinen Animadversion und des wahrscheinlichen Unterganges der Monarchie herbeiführen, und ich würde mit dem besten Willen für das Wohl des Staates lediglich das leidigste Werkzeug der Vernichtung aller politischen Konsideration, aller moralischen Höhe und des Auflösens aller inneren und äußeren Bande der Staatsverwaltung geworden sein.« Wir wissen durch Stadion, daß eine solche Sprache nöthig, daß »es unmöglich war eine Viertelstunde lang auf Kaiser Franz zu rechnen«, der seine Minister »im Stiche zu lassen, sich nach einer verlorenen Schlacht aus dem Staube zu machen und sie dem lieben Gott zu empfehlen« pflegte. (Bei Gentz.) Das wußte Metternich und danach sprach und handelte er. Weil er aber so entschieden zu sprechen und zu handeln verstand, nachdem er drei Jahre lang zu schweigen und unthätig zu sein gewußt hatte, erzielte er denn auch die größten Erfolge, die er in seiner ganzen Laufbahn erzielt. Metternich's größter Moment waren die drei Jahre 1811 bis 1813. Alles Vorhergehende war nur Vorbereitung, alles Nachfolgende war nur der unausgesetzte Versuch, in ein System zu bringen und als Grundsätze zu formulieren, was eine besondere Lage und einzige Verhältnisse einem seinen Kopfe als Rettung aus der Noth eingegeben hatten.

III.

In der That bildete sich das große System, auf das sich Metternich in späteren Jahren so viel zu Gute that, erst nach 1815 aus. Dies System, wonach alles, das Oesterreich verhindern konnte, die führende Rolle in Mitteleuropa zu spielen, einfach zum »Bösen«, oder, was in der neuerfundenen Sprache gleichbedeutend war, zum »Jacobinismus« wurde, – dies System bestand bekanntlich in der einfachen Unbeweglichkeit. Die Dinge sollten genau so bleiben, wie sie 1814 und 1815 wiedergeordnet waren. Wo sich was regte, mußte es unterdrückt werden. Alles Bestehende war heilig, selbst die hohe Pforte. Wer daran rührte, war ruchlos. Der fromme Andreas Hofer selber, wenn er noch gelebt, würde als ein gottloser Jacobiner behandelt worden sein. Talleyrand hatte die Legitimität erfunden; Metternich erfand das »Recht«. »Glücklich, wer von sich sagen kann, dem ewigen Recht nicht in die Wege getreten zu sein. Dies Zeugnis versagt mir mein Gewissen nicht.« Was dieses ewige Recht eigentlich war, das bildete sich erst im Laufe des Herbstes 1814 unter dem Einflusse Talleyrand's ganz aus. Bis dahin tastete er noch herum, wußte selber noch nicht, ob das »ewige Recht« für Ludwig XVIII. oder Napoleon II. war, ja reklamierte Anfangs sogar gegen die Thronentsetzung Napoleons I., als gegen eine Verletzung des Nichtinterventionsprinzips. Wie herrlich dies die »Einheit dieses Lebens« illustriert, kann nur Der ganz ermessen, der die gesammte Polemik Metternich's aus den dreißiger Jahren gegen die »revolutionäre Neuerung des sogenannten Nichtinterventionsprinzipes « lebhaft im Gedächtnis hat. So war er im Anfange entschieden für Murat, dessen neapolitanisches Königthum Oesterreich sehr bequem und dessen Gemahlin eine von den Pariser Flammen des Staatskanzlers gewesen war; erst ganz spät brachte er heraus, daß das »ewige Recht« nicht auf Seiten des gekrönten Husaren war. Er bekämpfte (1810) die Theilung der Türkei auf's Entschiedenste, beanspruchte aber trotz des »ewigen Rechtes« das Theil Oesterreichs wenn's doch dazu kommen sollte, und zwar das »große Theil«. Sogar ein Stück des Patrimonium Petri hätte an Oesterreich kommen dürfen, ohne daß dadurch das »ewige Recht« verletzt worden wäre; und die acht Jahre von Campo Formio bis Preßburg reichen ganz hin, um das »ewige Recht« Oesterreichs auf den Besitz Venetiens zu begründen. Namentlich aber ist es die Frage der Einverleibung Sachsens in Preußen, dies »unsittliche Vorgehen«, wie Talleyrand es nannte, welche uns die Metternich'schen Begriffe vom »ewigen Recht« während des Jahres 1814 noch sehr schwankend zeigt.

Anfangs hatte er, wie Castlereagh, wie Kaiser Alexander, die Sache ganz natürlich, richtig, ja selbstverständlich gefunden, sie auch Preußen förmlich zugefügt. Erst als Kaiser Franz ihm rundweg erklärt, er wolle von der Sache Nichts wissen, übernahm er die Vertheidigung des Königs von Sachsen, nur »um diese Rolle nicht Frankreich zu lassen«. Erst als Talleyrand ihm versprochen, er werde ihn unterstützen, erwachten auch die vaterländischen und legitimistischen Bedenken, und er brandmarkte die Einverleibung Sachsens in Preußen als eine Versündigung am »gemeinsamen Vaterlande « (sic!). An der Sache selbst wäre Nichts, hätte er nicht das Gegentheil versprochen gehabt und hätte er einfach erklärt, das österreichische Interesse erlaube keine Vergrößerung Preußens, die ihm ein allzugroßes Übergewicht in Norddeutschland gebe. Was konnte gerechtfertigter sein vom österreichischen Standpunkte, als daß er lieber Polen hergestellt, denn Preußen gestärkt sah, und daß er Preußens Obmacht in Norddeutschland – wie Rußlands Herrschaft in Polen – mehr fürchtete als Frankreichs Einfluß in Süddeutschland? Das hatte sich ja schon Ende 1813 in Chatillon gezeigt. Erinnerte er sich doch sehr wohl des Fürstenbundes, den er schon in seinem ersten Aktenstücke 1801 als »von Preußen zur bequemen Ausführung seiner längst gehegten Unterjochungsabsichten gestiftet«, bezeichnet hatte. Kannte er doch sehr wohl die »bei keiner Gelegenheit sich verleugnenden Absichten Preußens ... die auf nichts Anderes gerichtet waren, als das Schicksal und die Existenz eines großen Theiles Deutschlands nach Zeit und Umständen den preußischen Vergrößerungsplänen dienstbar zu machen.« Implizierte doch ein solcher Argwohn gegen Preußen in seinem Geiste, ehe derselbe das große System vom »ewigen Rechte« ausgeheckt, keinerlei moralischen Tadel: ja, er meinte schon 1803, ein rechter Staatsmann, ein Friedrich II., würde es verstanden haben, in der Lage Preußens »sich zum mächtigsten Könige des Festlandes« zu machen. Hat man solche ganz positive Ansichten von den Pflichten und Zielen der Staatenlenker, so ist es zum Mindesten geschmacklos, von den Interessen Deutschlands als »des gemeinsamen Vaterlandes« zu reden. Ein Mann wie Metternich, der sein Deutschlund und dessen Geschichte kannte, mußte es den Franzosen überlassen, die Aufrechthaltung und Beschützung der deutschen Mittelstaaten als eine Vertheidigung deutscher Freiheit hinzustellen.

Wie dem auch sei, je realistisch-utilitarischer seine Politik wurde, desto idealistisch-theoretischer ward seine Sprache. Seit 1815 war er in der That seiner Sache sicher; er hatte den Grundsatz entdeckt, auf dem seine ganze Politik beruhte; und nicht nur alle die, welche sich gegen das Werk des Wiener Kongresses auflehnten, auch alle die, welche während des Kongresses gegen die Abmachungen desselben gekämpft, wurden einfach Revolutionäre. Ja, er lieh retrospektiv seinen früheren Gefühlen einen tendenziösen Charakter, den sie ihrer Zeit gar nicht gehabt. Er hatte immer Preußen mit Recht als den gefährlichsten Nebenbuhler Österreichs in Deutschland gefürchtet und gehaßt. Schon jenes erste Aktenstück (aus Dresden, 2. Nov. 1801) athmete diesen Haß mit einer jugendlichen Naivetät, die er später nicht wiederfand. Und seine Gefühle gegen Preußen waren nicht nur gerechtfertigt durch die Interessen und Traditionen Oesterreichs; die »astuciöse Politik« des Preußens der Lombard und Behme, der Haugwitz und Lucchesini, war in der That die unzuverlässigste und schwächste, die man sich denken konnte. Freilich haßte und fürchtete er die entgegengesetzte Partei ganz ebenso sehr; und das Haupt dieser Partei gar, Freiherrn von Stein, haßte er doppelt, einmal als Vertreter Preußens, dann als Idealisten, in dessen Gegenwart es ihm so unheimlich wurde, als es nur im entgegengesetzten Sinne Gretchen in Mephistopheles' Nähe werden konnte. Den revolutionären Geist jedoch, in Preußen wie in Stein, entdeckte er erst weit später. Wir haben gesehen, wie er 1808 von Spaniens Erhebung sprach. Als er vierzig Jahre später auf jene Zeit zurückblickte, sprach er nur noch von dem »revolutionären Geiste, der im Jahre 1807 den Mantel preußischen Patriotismus und später die teutonischen Farben angenommen hatte und in den Jahren 1812 und 1813 durch den Freiherrn von Stein, den General von Gneisenau« und Andere vertreten wurde, und jammerte über »die revolutionäre Saat, die seit 1808 so viele Früchte in Preußen getragen hatte und (1813) auf einem ausgedehnten Felde in die Halme schoß«. Sein ängstlicher Famulus, Gentz, das »unerschrockene Gemüth«, wie er sich selber nennt, hatte schon vorher angefangen, in Preußen, seinem Vaterlande, in Friedrich Wilhelm III., den er einst aufgefordert, er solle seinem Lande die Preßfreiheit geben, den revolutionären Geist zu wittern. Der begann schon 1813, als er zu seinem Schrecken sah, der »Befreiungskrieg könne in einen Freiheitskrieg« ausarten, seine Angst vor jeder spontanen Bewegung in ein politisches System zu bringen; nannte Stein »le véritable perturpateur du repos public de l'Allemagne et de l'Europe«; meinte, so dürften die Dinge nicht fortgehen in Preußen, »wenn nicht eine noch schlimmere Präpotenz als die französische daraus hervorgehen sollte. Es müsse wieder geglaubt, es müsse wieder gehorcht, es müsse tausendmal weniger räsonniert, oder es könne nicht mehr regiert werden. Das Übel habe eine Riesengestalt angenommen und drohe mit radikaler Auflösung.« Das war denn doch selbst Metternich zu stark. Er fand seinen Vertreter mehr als gut war »geneigt, die Lagen in den grellsten Farben auszumalen« und spottete, Gentz »scheue sich selbst vor dem Insaugefassen gewisser Operationen, als fielen Schüsse auf dem Felde der Gedanken« – beiläufig gesagt, das einzige Wort beider Bände, das ein persönliches Gepräge hat. Nach 1815 indeß überbot der Herr noch den Diener. Die Revolution ward für ihn zum rothen Tuch. Er verlor alle Fassung, alles Unterscheidungsvermögen, wenn er darauf kam: Lombard und Haugwitz werden mit Arndt und Jahn, Gneisenau mit Robespierre zusammengeworfen. So kann Systematik und Selbstüberhebung auch den gescheidtesten Menschen verblenden. »Die preußischen Partikularisten und abstrakten Deutschthümler« von 1813 werden jetzt Jacobiner. Die Centralverwaltung der eroberten Länder (1813), die von »den Häuptern der Volkspartei«, darunter dem »leidenschaftlichen Politiker« Stein, gebildet war, »organisierte die Revolution, die ohne die späteren Anstrengungen der Verbündeten Höfe zur eigenen Rettung und der ihrer Völker, unfehlbar in Deutschland ausgebrochen wäre.« Der kluge, welterfahrene, menschenkundige Mann verlor ganz den Maßstab für die Menschen, für ihre gesellschaftliche Stellung und was sie mit sich brachte, mehr noch für die Ideen selber. Eine durch und durch aristokratische Natur wie die des Freiherrn von Stein ward ihm so zum demokratischen Gleichmacher; er meint, ein Gneisenau wolle den Robespierre, ein Graf Confaloniere den Danton spielen.

Erst die kommenden Bände sollen uns über den Metternich der Friedenszeit von 1815 bis 1848 aufklären. Auf seine Stellung zur »Revolution« wirft schon ein kürzlich veröffentlichtes Dokument ein eigenthümliches Licht. Es ist dies ein Bruchstück aus Graf Confalonieri's handschriftlichen Denkwürdigkeiten, das M. Tabarrini in seiner trefflichen Biographie Gino Capponi's gegeben. Schon Gualterio hatte einen Brief von Confalonieri's Schwager, Casati, mitgetheilt, der über diesen Besuch berichtet. Bei Tabarrini ist der ausführliche Bericht über die lange Unterredung S. 155–188. Man hatte dem Begnadigten und Schwererkrankten auf ein Paar Tage die Fesseln abgenommen, die ihm schmerzliche Wunden hinterlassen hatten, als Metternich sich bei ihm zum Besuche meldete (1824). Es ist nicht eben erquicklich, hier einen im Grunde nicht harten Mann sich zum Werkzeug von Franz' Tyrannenlaunen herabwürdigen zu sehen; einen Edelmann einem Edelmanne auf's dringendste zur Selbstentehrung zureden zu hören – denn was war es anders, wenn er den Graf zur Denunziation seiner Mitverschworenen, vor allem des Prinzen Carignan (Karl Albert) auffordert? Man wendet sich gern von diesem Schauspiel ab, wenn auch die Genugthuung groß ist, sich diesen unwürdigen Verführungsversuchen gegenüber an der ritterlichen Festigkeit des Italieners zu erfrischen. Hier kommt es uns nur auf die fadenscheinigen Theorien, nicht auf die sittliche Würde des Mannes an. Von Jacobinern, Anarchisten, offenen Revolutionären, meint er, sei nichts mehr zu fürchten, wenn eine Regierung nicht schwach und schon thatsächlich gestürzt sei. »Nein die Predigten dieser Kannibalen sind es nicht mehr, die Furcht erregen können. Etwas anderes ist es mit den sogenannten reinen Liberalen, den Doktrinären, den Philanthropen, denen, die sich für den Fortschritt der Aufklärung und der allgemeinen Civilisation verbinden ... Das sind die Menschen, die Meinungen, die Propaganda, die in ruhigen Zeiten den Regierungen schaden; sie die einzigen, die jetzt zu fürchten und auszurotten sind. Ihre Meinungen sind vergoldet, sie werden angehört, sie schleichen sich langsam in die Gemüther ein, verführen, überreden, verderben selbst die Leute, die am meisten vor den revolutionären Ideen zurückschrecken würden, wenn sie unter weniger verführerischem Gewände gezeigt würden ... Eure Anhänger sind jetzt unsre einzigen Feinde ... Sie sehen, daß ich offen mit Ihnen rede ... Die Zeiten sind vorbei, wo die Politik die Kunst der Heimlichkeit und der Täuschung war; jetzt ist es die der Offenheit und der Öffentlichkeit(!) Oesterreich macht in der Welt kein Geheimnis aus seinen politischen Grundsätzen. Es ist stark genug, um sie unbedingt in seinen eigenen Staaten aufrecht zu erhalten; es wird genugsam angehört und geachtet, um ihre Annahme in den anderen Staaten durchzusetzen. Europa wird einst einsehen, daß es ihm seine Erhaltung dankt. Frankreich wird uns besser anhören, als es bis jetzt gethan. Ich wage es, mich zum Bürgen zu machen, daß in wenig Jahren Europa ruhiger sein wird, als es je zuvor war.« »In wenigen Jahren« war in der That die türkische Herrschaft in Griechenland gegen den Willen Österreichs zu Fall gebracht, war die legitime Dynastie in Frankreich gestürzt, war die Emeute permanente in Paris, loderte der helle Ausstand in Polen, in Italien, in Spanien.

Man weiß, daß der Staatskanzler sich dadurch nicht belehren ließ, und vor wie nach der Julirevolution der Mann von Karlsbad und Laibach blieb. Seine »Autobiographie« zeigt, daß er noch 1844, ja selbst noch 1852, nachdem sein ganzes System, seine »Weltordnung «, zusammengesunken war, dieselben Ansichten hegte. »Ich bin selten in den Fall gekommen«, sagte er schon 1834 zu Varnhagen, »oder vielmehr in Hauptsachen gar nicht, Etwas zurückzunehmen oder mich im Unrecht zu bekennen.« Die Reaktion blieb sein politisches Ideal; und er glaubte konservativ zu sein, wo er nur ein umgekehrter Revolutionär war. Der Grundirrthum der festländischen Politiker beider entgegengesetzten Lager, die noch immer Reaktion und Konservatismus identifizieren und überdies die Kirche als nothwendigen Verbündeten der konservativen Interessen ansehen, ward so recht von Metternich und seiner Schule eingeführt. Der wahre Konservative hat einen zu festen Glauben in die erhaltenden Kräfte der Gesellschaft, um ihnen durch gewaltsame Reaktion zu Hilfe zu kommen. Ihm scheint Aberglauben und Priesterherrschaft eine größere Gefahr für den Staat und seine ruhige Entwickelung als Freiheit und Öffentlichkeit, welche ja die einzige Atmosphäre für gesundes, normales Leben sind. Für den Reaktionär ist künstlicher Stillstand, womöglich künstliches Zurückzwängen der Zustände, ist künstlich erhaltene Heimlichkeit und Dunkel und Schweigen die Summe aller Staatskunst und die Lebenslust ihrer Thätigkeit. Unbeschränkte Freiheit erschreckt den Konservativen nicht, wenn nur die Herrschaft des Gesetzes nie in Frage kommt; das Reden und Schreiben der Laien läßt er gewähren, so lange nur das Handeln den Sachverständigen allein gewahrt bleibt; der Umwandlung der Verhältnisse setzt er keinen Damm entgegen, nur deren Umstürze; wie er auch nicht die Änderung der Gesetze nach Zeit und Umständen, sondern nur die Gesetzgebung nach aprioristischen Theorien bekämpft. Der Reaktionär im Gegentheil gleicht dem Revolutionär in seiner Vorliebe für solche Theorien, für gewaltsame Herstellung gewisser Zustände, in seiner Unduldsamkeit für die Meinungen Anderer. Metternich aber war der Urtypus des Reaktionärs des 19. Jahrhunderts, und – was das Schlimmste ist – er war es nicht einmal aus Temperament wie sein Herr, der keinen Widerspruch vertragen konnte, noch aus Überzeugung wie ein Joseph de Maistre. Die Überzeugung kam erst nachher, und das Temperament war ein mildes, wohlwollendes, zur Duldung geneigtes.

Die ganze tiefe Staatsweisheit, von der er so viel zu reden wußte, war ja im Grunde nur die altösterreichische Politik, wie sie vor Josephs II. Zeiten geherrscht, und zu der Kaiser Franz nach dem unglücklichen Versuch mit Stadion eigensinnig verlangte zurückzukehren. War doch fortan Kaiser Franz' Wille der durchaus entscheidende und Metternich dessen willigstes, biegsamstes Werkzeug. Zwar will Er immer Alles gethan haben, und das ich, ich, ich, adsum qui feci, ist besonders in diesen posthumen Auszeichnungen unleidlich vordringlich. Er soll aber selbst einmal in seinem Exil gesagt haben, er habe oft Europa, nie Österreich beherrscht, in andern Worten: im Innern habe er Nichts vermocht, aber in den äußern Angelegenheiten sei er allmächtig gewesen. Auch das ist nur mit Vorbehalt anzunehmen; sicher ist jedoch, daß daheim Franz, und Franz allein, vorschrieb, was zu thun war. Metternich war nur der gewandte Diener, der die Mittel und Wege fand, das Vorgeschriebene zu thun, und der zugleich das, was geschah – oder nicht geschah – in hochtönende philosophische Phrasen brachte; und als der harte, eigenwillige, verwöhnte Herrscher das Zeitliche gesegnet hatte, so führte der längst zum Polonius kristallisierte Minister das Spiel auf eigene Faust weiter, weil's ihm zur andern Natur geworden und er wirklich glaubte, hinter seiner Phraseologie stäken Gedanken.

Varnhagen erzählt uns, wie er ein Jahr vor Franzens Tod den Staatskanzler in Baden besucht und wie erstaunt er über seine Toleranz war. Alles was der Minister damals sagte, klingt wie ein Kapitel aus der eben veröffentlichten Autobiographie: es sind dieselben Gemeinplätze, oft fast in denselben Worten ausgedrückt – beiläufig gesagt, ein Beweis, wie gut Varnhagen zu hören, wie getreu er zu berichten wußte –;. es ist derselbe süffisant-pedantische »Lehrton«, der nachgerade »übermächtig und sehr ermüdend« geworden war, aber auch dieselbe Billigkeit für Andersdenkende. Sein »stärkstes Anziehungsmittel, das er für die verschiedenartigsten Naturen in so reichem Maße besaß, war, daß er Geist und Sinn völlig frei ließ.« So verbreitete er »arglos Freiheit und Sicherheit« und ließ die Meinungen seiner Gäste gelten, obwohl der Strom seiner Rede sie nicht oft zu Worte kommen ließ; ja, er rühmt sich, daß Niemand so sehr den Werth des »Redenlassens« verstände als er, und kann sich sogar an Heine's Angriffen erfreuen, vorausgesetzt seine Eitelkeit kommt dabei gut weg; er kennt »in Geschäften weder Haß noch Vorliebe«, »die Personen kommen für ihn ganz außer Betracht« u. s. w., genau wie in dem »Leitfaden meiner Denk- und Handlungsweise«. Es ist viel Selbsttäuschung, hierbei im Spiel, und auch der kluge Varnhagen hat sich dadurch täuschen lassen; etwas wahres ist aber doch daran.

Das feine und billige Beurtheilen der Menschen ist einer der angenehmsten Züge Metternich's, und mit dem Alter nahm diese psychologische Einsicht, wie die Gleichgültigkeit gegen die Kritik bei ihm wohl zu. Die unerbittliche Censur, die Karlsbader Beschlüsse und alles Ähnliche müssen in erster Instanz auf Kaiser Franz zurückgeführt werden, dem Metternich nur allzu willenlos diente. Doch muß man auch die Grenzen der Metternich'schen Duldsamkeit nicht aus dem Auge verlieren. Der Staatskanzler war vor Allem ein Gesellschaftsmensch, und so befolgte er ohne Mühe das oberste Gesetz alles gesellschaftlichen Verkehrs, daß man in der Gesellschaft, die man besucht oder empfängt, nur Gleiche sehe, deren Meinung man aus einfacher Wohlerzogenheit, nicht aus Grundsatz oder aus Politik, achten müsse. Dem war natürlich nicht so im amtlichen Verkehr mit Untergebenen, wo man ohne Disziplin und Hierarchie nicht fertig wird. Dem war nicht einmal so im öffentlichen Leben und gesellschaftlich Gleichen gegenüber, sobald Dieselben total verschiedne Naturen waren. Und das war fast keine Intoleranz mehr, es war Mangel an Verständnis. Alle Schattierungen von Menschen seiner Kategorie wußte er zu würdigen und ließ er gelten. Selbst mit einem Napoleon, so hoch der ihn überragte, so phantastisch der sein konnte, vermochte er sich zu verständigen, weil er dieselbe Sprache redete; mit einem Canning, einem Stein, war's ihm unmöglich, weil der Realist in solchen Idealisten eben nur Schwärmer oder Bösewichter sehen konnte. Denn so gescheidt er war, den Idealismus begriff er doch nicht. Wer aber den Idealismus nicht begreift, der versteht auch die Realität nicht ganz. Zu Thatsachen gewordene Ideen sind Realitäten, und sie selbst dann noch zu verkennen, wenn sie Thatsachen geworden sind, das nennt man eben – Beschränktheit. Ein wirklicher Staatsmann mußte in den Jahren 1815–1830 sehen, daß die Revolution als zerstörende Macht den wiedererstarkten erhaltenden Mächten nicht gewachsen war, und daß die Verfolgung ihr nur neue Kräfte geben konnte, wie sie's denn auch in Wirklichkeit that. Ein wirklicher Staatsmann mußte sehen, daß die Revolution als bewegende Macht eine unzerstörbare Thatsache war, daß er folglich mit ihr zu rechnen hatte, nicht seine Zeit und Mühe verlieren durfte, sie vereiteln zu wollen, und Metternich, der es versuchte, war um Nichts besser als die beschränkten Politiker demokratischer Schule, die sich einbilden, man könne und müsse die konservativen Mächte im Staatsleben vertilgen. Metternich's – oder um genauer zu reden, Kaiser Franz' von Metternich angewandte, in ein System gebrachte und endlich gar geglaubte – Antirevolutionspolitik hat sich bitter an ihren Erben gerächt. Dreiunddreißig schöne Friedensjahre, wie dazu gemacht, den festländischen Völkern als Lehrzeit in der Selbstverwaltung zu dienen, sind verdorben worden, und das Ergebnis war die Unreife von 1848, an deren Folgen alle noch laborieren. Es genügt eben nicht ein vollendeter Diplomat zu sein, wie Metternich es unstreitig war, um auch ein großer leitender Staatsmann zu sein.

Aber waren die Friedensjahre selber nicht sein Wert und das der ihm Gleichgesinnten? Und ist dies Gut eines vierzigjährigen Friedens so gering zu schätzen? Sicherlich nicht; allein es ist keineswegs so ausgemacht, als es nach Metternich's Darstellung den Anschein hat, daß der lange Frieden ein Werk der in Wien versammelten Diplomaten war. Da ward zwar viel von Gleichgewicht gesprochen, wie ja auch viel von Tugend gesprochen ward; aber das Ganze lief doch nur auf ein Feilschen um Seelen hinaus. Ein Talleyiand brandmarkte mit all' der ritterlichen Entrüstung, die ihm so wohl anstand, die Theilung Polens; aber er widersetzte sich der Wiederherstellung desselben, wenn sie um den Preis von Preußens Stärkung erkauft werden sollte. Geographische, historische, ja selbst militärische Konsiderationen wurden durchaus nicht berücksichtigt. Bei früheren Friedensschlüssen hatte man sich gefragt, welche Provinz dem Sieger nöthig sei zu seinem Schutze, welche seinem Handel einen Abfluß eröffne, welche Vereinbarungen dem gesammten Europa zu Gute kommen möchten: in Wien fragte sich Jeder nur, wieviel Seelen, d. h. Rekruten und Steuerzahler, er erhaschen könne; ob im Süden oder Norden, ob polnischer, italienischer oder deutscher Nationalität, ob ehemalige Unterthanen oder neue Hinzukömmlinge: das war Alles Sentimentalität und Schwärmerei für die großen Realisten, die ja Alle mehr oder minder in Napoleons Schule gegangen waren. Selbst der Utrechter Frieden, in dem die Sieger ganz ebenso leichtsinnig alle errungenen Vortheile aus der Hand gaben, bewies mehr politische Weisheit; denn er nahm wenigstens die Traditionen Europas, die gewordenen, historischen Verhältnisse und Interessen zur Grundlage, während in Wien Alles nach Zufall und Laune geregelt ward. Nein, der Wiener Kongreß, den übrigens thatsächlich nicht Metternich, sondern Talleyrand leitete, hatte gar wenig Verdienst an den vierzig Friedensjahren: die waren die Folge des allgemeinen Ruhebedürfnisses, der tiefen Erschöpfung Europas, nicht der weisen Kombinationen der Wiener Diplomaten. Welcher neue staatsmännische Gedanke wurde denn in Wien verwirklicht? Ward das vielgerühmte Gleichgewicht der Mächte denn wirklich hergestellt? Will man ernstlich behaupten, das Königreich Preußen, das sicherlich soviel als die drei anderen Mächte zur Niederwerfung des gemeinsamen Feindes beigetragen, habe nach 1815 ebensoviel gewogen als irgend eine der anderen vier Mächte? Und worauf beruhte denn dies Gleichgewicht, wenn nicht auf der Zerstückelung und Abhängigkeit zweier großer Kulturvölker? Das war aber auch der Fall, wird man sagen, mit dem westphälischen Frieden, den doch soviele Historiker als das größte diplomatische Meisterwerk aller Zeiten preisen. Wohl, aber Deutschland, Italien hatten 1815 das im Jahre 1648 gänzlich verlorene Bewußtsein der Nationalität wieder gefunden, was die Sachlage gänzlich änderte. Und, sowenig ein Deutscher auch den westphälischen Frieden loben mag, zugestehen muß er doch, daß Frankreich, welches in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts an der Spitze Europas gegen die habsburgischen Weltherrschaftsgelüste kämpfte, seine Aufgabe in Münster besser begriff und besser zu benutzen verstand, als Oesterreich im Beginne des 19. Jahrhunderts, da die Rollen umgekehrt waren, seine Aufgabe in Wien begriff und zu erfüllen wußte.

Denn selbst wenn man zugeben wollte, daß Metternich das europäische Interesse preisgeben durfte, um nur das österreichische zu wahren, so ist noch sehr fraglich, ob er dies wirksam gethan, und ob er hier irgend einen neuen Gedanken in die Geschichte warf. Hatten nicht etwa schon Thugut und Cobenzl die italienische Politik Metternich's inauguriert? Und selbst wenn man zugesteht, daß bei den deutschen und kaiserlichen Überlieferungen Österreichs es ihm nahe lag, lieber in Deutschland und Italien als im Orient die Basis seiner Großmachtstellung zu suchen, und daß es eines staatsmännischen Genies ersten Ranges bedurft hatte, um freiwillig die neue Bahn einzuschlagen, die damals noch soviel weniger Schwierigkeiten bot, als seit dem Erwachen des Nationalitätengefühls im bunten Kaiserstaate, und die man erst in unseren Tagen gezwungen eingeschlagen hat, – so bleibt die Weise, wie man die beiden mitteleuropäischen Dependenzen Oesterreichs, Deutschland und Italien, regierte, in den Augen der Nachwelt doch immer eine höchst kurzsichtige und in letzterem Lande gar eine brutale, die, wie alle kurzsichtige und gewaltsame Regierung, den herrschenden Staat nur schwächen konnte. Und was half Fürst Metternich seine konservative Orientpolitik? Löste sich Griechenland nicht doch los? War der Einfluß Rußlands in Stambul seit dem Frieden von Adrianopel nicht größer als je zuvor? Verhinderte man das Bündnis von Hunkiar Iskelessi? Entzog man die Donaufürstenthümer dem russischen Einfluß? Und wem hat man genützt mit der blinden Russenfurcht, die Metternich und sein Gentz damals in Schwung brachten, die Mitteleuropa vierzig Jahre lang lähmte und zittern machte, und die selbst heute, nach so vielen Beweisen der aggressiven Ohnmacht dieser Großmacht, nachdem sich jede befreite Provinz der Türkei als einen geheimen Gegner des Befreiers entpuppt hat, noch nicht verschwunden ist?

Und die Führerrolle in Europa, die der Staatskanzler sich gerne zuschrieb, wie lange währte sie? Keine zehn Jahre waren seit dem Kongreß verflossen, und Oesterreich war überall zum Folgen gezwungen, wo es zu führen gehofft. Weder Canning noch auch Villéle, weder Nikolaus noch auch Friedrich Wilhelm III. ließen sich in's österreichische Schlepptau nehmen; und in der That waren es Rußland oder die Westmächte, welche in allen europäischen Fragen den Ausschlag gaben, nicht Oesterreich.

Das soll uns Alles nicht blind machen gegen die Verdienste Metternich's um Oesterreich und Europa in schwerer Zeit: nur wollen wir nicht vergessen, wie theuer er diese seine Verdienste sich hat zahlen lassen. Der Metternich, der zwischen 1809 und 1813 sein Oesterreich durch die drohendsten Klippen mit Vorsicht, Gewandtheit und Entschlossenheit durchgesteuert, ließ das gerettete Schiff verfaulen und zerfallen, weil er meinte, in der Verfassung, in der es den gefährlichsten Stürmen getrotzt, müsse es auch dem ruhigen Meere genügen und jede Ausbesserung bedrohe sein Dasein. Es gab eben zwei Metterniche, den vor und den nach 1815. Nicht als ob Metternich sich plötzlich mit vierzig Jahren geändert hätte – Niemand ändert sich –, aber die Lage war eine veränderte, und die Jugend war geflohen. Metternich war nun einmal keine originale Natur, er war ein Akkommodationstalent. Er ließ sich von den Dingen und den Menschen bestimmen; er bestimmte die Dinge und die Menschen nicht. Selbst wo er diese für seine Person zu gewinnen wußte, verstand er nicht, sie für seine Ideen zu gewinnen, eben weil es diesen Ideen an aller Originalität und allem positiven Gehalt gebrach. Selbst auf dem Felde der Diplomatie, wo seine eigentliche Bedeutung lag, war er größer im Vertheidigungs- als im Angriffskriege; eben weil alle Offensive etwas Schöpferisches ist und das Schöpferische ihm ganz abging. Zuletzt überredete er sich, wie wir Alle gerne thun, seine Neigungen und Fähigkeiten seien Ergebnisse des Nachdenkens und des Willens; sein Mangel an schöpferischer Kraft machte ihn glauben, daß es im Staatsleben überhaupt nicht auf schöpferische, sondern nur auf erhaltende Thätigkeit ankomme. So ließ er die Eigenschaften, die er im Drange des Augenblicks und in der Frische der Jugend entwickelt hatte, in ruhigen Zeiten und im Alter in sich schlummern, weil keine heftige Anregung von Außen sie weckte und zur Thätigkeit herausforderte. Metternich der Praktiker ward Metternich der Theoretiker. Schade nur, daß Dieser die Geschichte Jenes schrieb.


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