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III. Fr. Albergati, ein vornehmer Dilettant des 18. Jahrhunderts.

[Fußnote: Der Name Francesco Albergati's, der bei Lebzeiten neben dem Goldoni's als der eines Ebenbürtigen, ja Überlegenen ausgesprochen, dessen Lustspiele in fast alle Kultursprachen übersetzt wurden, ist heute im Auslande so gut wie unbekannt, in Italien fast verschollen. Klein hat zwar in seiner (»Geschichte des Dramas« betitelten) Ezcerptensammlung auch Albergati's eingehende Erwähnung gethan und nach seiner Gewohnheit zwei Komödien desselben analysiert; aber wo hätte das deutsche Publikum jetzt Zeit und Muße, um jenes langathmige Werk zu lesen; wenn es aber daraus Auskunft über das Leben des Bologneser Patriziers und Theaterliebhabers schöpfen wollte, so würde diese eben so unzuverlässig, so ganz aus der Luft gegriffen sein, daß es besser wäre, der Leser bliebe in seiner vorhergehenden Unwissenheit. Anders mit Herrn Mafi's Monographie über Albergati und seine Zeit; einem in jeder Hinsicht empfehlenswerthen Buche ( la vita, i tempi, gli amici di Francesco Albergati, commediografo del secolo XVIII. Bologna 1878.) Es ist hier nicht der Ort, die großen Verdienste dieses Buches ausführlich zu besprechen; aber wir können den Leser versichern, daß er auch nach der Lektüre von Goldoni's, Gozzi's und Alsieri's Memoiren noch unendlich viel Neues über das Italien des vorigen Jahrhunderts dann finden wird. Fast Alles, was wir im Texte geben, ist aus Masi's Werk geschöpft; nur vervollständigen wir seine Notizen durch einige Citationen aus Cesarotti's Briefwechsel und Casanova's Denkwürdigkeiten. Goldoni`s Autobiographie bietet merkwürdiger Weise sehr wenig über seine Verhältnisse zum vornehmen Freunde und Nebenbuhler. Masi's Buch eröffnet uns einen klaren und höchst interessanten Einblick in die Literatur- und Kulturgeschichte des vorigen Jahrhunderts und beruht auf den gediegensten Studien erster Hand, was man eben von Klein nicht immer sagen kann, der sich bekanntlich meist damit begnügt, Theaterstücke, die sonst Niemand gelesen zu haben pflegt, zu analysieren; und es muß in der That weit gekommen sein mit der Angewöhnung unserer Zeit, Werke über die Literaturerzeugnisse, anstatt diese selber zu lesen, wenn so einfache Arbeit als ein Verdienst angestaunt wird. Herr Masi bringt glücklicher Weise auch Kritik, Wahl, Kenntnis der Umgebung hinzu und er ist weder geschmacklos, noch schwerfällig, was doch auch nicht zu verschmähen ist und in italienischen Büchern dieser Art nur selten gefunden wird.]

Marchese Francesco Albergati ward geboren im Jahre 1728 und zwar als Einer der Vierzig die fünfzig waren, um mit Casanova zu reden, d. h. aus einer der hochadligen Familien Bolognas, welche damals noch alle Ehrenämter der Stadt unter der Oberhoheit des Papstes und der Oberaufsicht seines Legaten bekleideten.

Er selber war fünfundzwanzig Jahre alt, als er zum ersten Male Gonfaloniere der Stadt wurde, ein Amt, das, wie das gleichnamige in Florenz, alle zwei Monate seinen Titular wechselte und, wie alle andern Stadtämter ausschließlich mit Optimaten besetzt wurde. Der Kirchenstaat hatte nämlich die gesammte republikanische Verfassung, sowie Namen, Abzeichen, Ceremonien u. s. w. bestehen lassen, genau in der Form, in der sie zur Zeit der Annexion noch bestanden; nur hatte er sie aller und jeder Macht entkleidet. »Wir haben viele Leute, schrieb Albergati im Modetone des Jahrhunderts an einen echten Abbé des Jahrhunderts, wir haben viele Leute, die uns barmherzig die Last des Regierens leicht machen.

Zuerst, in der Entfernung von 300 Meilen, giebt's in Rom einen weißgekleideten Priester, der als Souverän unserer Stadt der Erste ist, welcher dem Gonfaloniere die öffentlichen Sorgen abnimmt. Dann sendet uns der weißgekleidete Priester alle sechs oder neun Jahre einen rothgekleideten Priester, der viele schwarzgekleidete Priester unter sich hat, welche einen Weltlichen unter sich haben, ausgezeichnet durch eine schöne Medaille, die ihm vom Hals herabhängt; der hat fünfzig oder sechzig Personen unter sich, welche trotz eines furchtbaren Apparats von bewaffneter Grausamkeit die höflichsten und wohlwollendsten Leute der Welt sind und immer suchen ihren Nächsten zu umarmen und ihn unter Dach und Fach zu bringen gegen die Unbilden der Jahreszeiten und zwar an einem ganz sicheren Orte, wo er keine Miete zu zahlen hat. Da nun der Gonfaloniere so unterstützt wird vom weißen Priester, dem roten Priester, den schwarzen Priestern, dem Weltlichen mit der Medaille, den fünfzig bis sechzig höflichen und wohlwollenden Leuten, so theilen sich diese, je nach ihren verschiedenen Befugnissen, in die verschiedenen Theile der öffentlichen Verwaltung.«

Der rote Priester in Albergati's Jugendzeit war kein Geringerer als der alte Alberoni, der das Regieren nicht lassen konnte, und nachdem er Spanien reformiert und tyrannisiert hatte, nun die grassa Bologna zu reformieren und tyrannisieren suchte; das war aber nicht so leicht, und er mußte sich und seinem Herrn, dem wohlwollendenden Benedict XIV. bald gestehen, daß »die Lage der Päpste der Art ist, daß Alle sich ihnen widersetzen, wenn sie Gutes thun wollen, Alle ihnen helfen, wenn sie Übel zu thun suchen;« und daß in diesem besonderen Falle Se. Heiligkeit »weder den Mut noch die Beständigkeit hatte, die ein solches Unternehmen erforderte.« Der gutmütige Lambertini scheint dem Kardinal seine »lombardische Aufrichtigkeit« nicht übel genommen zu haben; aber er that auch nichts Rechtes um ihn Lügen zu strafen. Vierzig Jahre später fanden sich schon ein Papst und ein Legat, die den nötigen Mut hatten: aber die Reform Pius' VI. und Buoncompagni's beschränkte sich darauf, eines schönen Morgens ein Edikt zu erlassen, wonach alle Finanzangelegenheiten der Stadt, ohne irgend eine Erwähnung des Senates und der städtischen Obrigkeiten, von dem Legaten im Namen Seiner Heiligkeit geordnet werden sollten (1780). Damit war die Komödie der Autonomie zu Ende. Finis Bononiae Man sieht, die Pariser Niveleurs von 1789 hatten selbst im Kirchenstaate würdige Vorgänger.

Albergati hatte jene Komödie nie recht ernst genommen oder war doch des Treibens bald müde geworden. Er hatte Durst nach höheren Interessen und da die politischen Zustände Italiens nicht der Art waren, daß er diese Interessen im Staatsleben hätte finden können, so suchte er sie im literarischen. Auch war seiner stark ausgeprägten Eitelkeit nicht damit gedient, an den kollectiven Ehren und Auszeichnungen Theil zu nehmen, die ihm als Patrizier zukamen, wie es denn immer im hohen Adel Leute gegeben hat, die sich, nicht so sehr aus wirklichem geistigen Antheile, noch aus Unabhängigkeitssinn oder Vorurteilslosigkeit, als weil sie ungern ihr Persönliches hinter dem Stande zurücktreten sehen, von ihren Standesgenossen abgesondert haben, um sich individuelle Auszeichnungen zu erwerben. Es scheint eben ein Naturgesetz zu sein, daß Der, welcher seine Stellung in der Welt durch persönliches Verdienst erobert, Den beneidet, welcher seine Stellung von den Vätern ererbt, während Der, welcher seinen Rang der Geburt allein verdankt, auf das persönliche Verdienst einen, in weltlichem Sinne unverhältnismäßigen, Werth legt. Albergati ging darin so weit man nur gehen konnte, ohne doch die Geburtsstellung zu verlieren: das Ideal des hochgeborenen Dilettanten scheint der Emporkömmling Voltaire gewesen zu sein, wie auch aus den schwerfälligen Scherzen seiner Briefe die Bestrebung hervorlugt, dem größten Briefschreiber seiner und aller Zeiten nachzueifern, während Voltaire wieder, wenn man Casanova's Bericht trauen darf, eine höchst übertriebene Meinung von dem Bologneser Patrizier hatte, eine Meinung, die der venetianische Abenteurer sich angelegen sein ließ zu berichtigen; indem er von ihm nur als von »seiner Nichtigkeit« – son rien – sprach. Der populäre Marquis, der mit allen Literaten auf gleichem Fuße verkehrte, scheint eben doch dem eleganten Eindringling gegenüber so recht den Marquis herausgehängt zu haben. Übrigens fühlte Albergati mehr als der Alte von Ferney in seinen literarischen Beziehungen das halbbewußte Satellitenbedürfnis, von anderen Gestirnen etwas Glanz zu borgen. Überall machte er sich an bedeutende Schriftsteller heran, heute an Voltaire selber, morgen an Alfieri, bald an Goldoni, bald an Gozzi, obschon er in seiner literarischen Tendenz ganz für den Ersteren Partei ergriffen hatte; er umgab sich mit allen freigeistigen Abbés und literarischen Journalisten, die ihm in den Wurf kamen und ihm einen Namen machen konnten; unterhielt einen halböffentlichen Briefwechsel nach der Sitte des Jahrhunderts mit allen Halbberühmtheiten; konkurrierte für alle akademischen Preise; übersetzte fremde Tragödien, schrieb selber Komödien; errichtete ein Liebhabertheater, worauf er selbst immer die Hauptrollen spielte, machte sich einen großen Ruf als Schauspieler, übte Gastfreundschaft an Allen, die nur den geringsten literarischen Namen hatten; machte aus seinem Gute Zola eine Art Ferney; brachte es dahin, daß er, wie Voltaire von Friedrich von Preußen, so von Stanislaus von Polen zum Kammerherrn, ja sogar zum Generaladjutanten in partibus ernannt wurde, was ihm Alles viel schmeichelhafter dünkte, als seine ererbte Marquisstellung. Man sieht deutlich an ihm, wie schon vor der großen Revolution der demokratische Individualismus, der sich in unserem Jahrhundert zu entfalten begonnen, sich in der alten Ordnung keimend regt.

Auch in dieser Hinsicht pflegt man der französischen Revolution eine viel größere Bedeutung beizulegen, als ihr zukommt. Diese war, näher besehen, eigentlich nur eine Scene im großen Drama der Umwälzung, welche allüberall gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts begann und gegen die Mitte unsers Jahrhunderts tatsächlich vollendet worden ist. Denn in Wirklichkeit hat diese Bewegung nicht nur lange vor 1789 angefangen, die alte Ordnung hat auch noch lange nach der Revolution fortgedauert; sie ist seitdem auch zerstört worden in Ländern wie England, wo die französische Revolution gar nicht hingedrungen ist. Man lese in K. Maria von Weber's Biographie, wie es am sächsischen Hofe in den Zwanziger Jahren zuging, in den »Memoiren einer Idealistin« die Schilderungen des Treibens in Kassel in den Dreißiger Jahren, in Stendhal's »( Chartreuse de Parme« die Darstellung der italienischen Zustände unter der Restauration, so vieler anderer Länder und Länderchen nicht zu gedenken, wo noch die ganze vorrevolutionäre Zeit bis in unsere Jugend hinein lebte. Was diese alte Zeit in Europa zerstört hat, was ihre letzten Reste noch zerstören wird, bis wir bei nordamerikanischen Zuständen angelangt sind, ist die Entfesselung des Individualismus durch die Mobilisirung des Kapitals und die rationalistische Philosophie, von der die französische Revolution nur eine Wirkung und ein Zwischenfall war und der die Verkehrserleichterung, welche seit einem Menschenalter eingetreten ist, so unerwarteten Vorschub geleistet.

Schon zu Albergati's Zeit begannen Einzelne aus den höchsten Ständen es müde zu werden, das örtliche Ansehen mit dem hohen Preise ihrer persönlichen Freiheit zu bezahlen. Dieser Trieb aber hat sich ununterbrochen weiterentwickelt seit der Regentschaft bis zu der Mitte unseres Jahrhunderts und hätte es gethan auch ohne die Revolution. Man verzichtete eben lieber auf Macht und Einfluß, als daß man sie mit lästigen Pflichten und schwerer Verantwortlichkeit erkaufte: doch hinderte die Schwierigkeit der Bewegung bis gegen 1850 noch immer die volle Verwirklichung dieses Individualismus. Man mußte noch ein home haben, an das man gefesselt war, ein bürgerliches oder ein fürstliches, ein ländliches oder ein städtisches, ein home immer, das Einem tausenderlei Rücksichten und Verbindlichkeiten auferlegte: es war dem Reichen noch nicht möglich, sein eigener Herr zu sein, wie heutzutage, jeder Laune nachzugehen, sein ganzes Vermögen in Papieren zu haben, und heute in Rom, morgen in Paris, übermorgen in einem Schweizer Hotel, nie auf seiner eigenen Scholle, an seinem eigenen Herde zu wohnen, ohne Bande und Verpflichtungen gegen irgend Jemand. Und wir haben das Ende dieser atomistischen Bewegung noch lange nicht gesehen, ja, sie hat selbst in Amerika, wo der Einzelne schon ganz losgelöst erscheint und nur seine persönlichen Wünsche als Gebote anerkennt, ihren Zielpunkt noch nicht erreicht. Man nenne die Triebfeder Egoismus, Scheu vor Verantwortlichkeit, Impietät oder aber Unabhängigkeitssinn, Freiheitsbedürfnis, Vorurtheilslosigkeit, – sie ist zu stark in der Menschennatur, als daß man sie zerstören könnte. Nicht die Kleinstaaten, nicht die Gesetze – quid leges sine moribus? –, nicht einmal die Tugenden unserer Väter haben die alten Zustände aufrecht erhalten, sondern die verhältnismäßige Unbedeutendheit des flüssigen Vermögens gegenüber dem Grundbesitz und der Schwierigkeit der Lokomotion. Ähnlich ist es mit den örtlichen Festen und den überlieferten Vergnügungen. Man hat ja auch versucht, den Carneval künstlich zu erhalten, sogar in Paris den Boeuf Gras galvanisch in's Leben zurückzurufen, aber sie siechen hin und werden verschwinden mit den Jahrmärkten, den Messen, dem Lord Mayor's show und den unendlichen Ceremonien aus Albergati's Zeit: verschwinden, um nicht wiederzukommen. Denn der Bürger, der sich jeden Sonnabend eine kürzere, jeden Sommer eine längere Reise gönnen kann, braucht die Zerstreuung und Abwechslung nicht mehr mühselig daheim zu organisieren; jeder Laden eines Kleinstädters giebt ja dem Bauer heute größere Auswahl und bessere Gelegenheit sich zu versorgen, als ehedem der bunteste Jahrmarkt.

Doch zurück zu unserem Albergati und seinen Freunden, die wohl mit ihren Wünschen und Bestrebungen schon unserem Jahrhundert angehören mochten, mit allen ihren Verbindungen aber noch ganz in der alten Zeit wurzelten, und vielleicht wäre das Freiheitsbedürfnis gerade bei unserem Bolognesen nicht so ausgesprochen gewesen, hätte in seinem Falle der Vertreter der Familientradition nicht seine Autorität so rücksichtslos geübt.

Albergati war nämlich neunzehn Jahre alt, als ihm sein Herr Vater eine kleine reiche Patrizierin zur Gemahlin gab: invito invitam. »Die Gewißheit, so die Freiheit zu erlangen, welche mir durch eine strenge Erziehung benommen war, bestimmte mich, nachzugeben und eine Braut, die mir gleichgültig, ein Band, das mir aufs Äußerste verhaßt war, anzunehmen«, so schreibt er an eine spätere Geliebte, den schönen Blaustrumpf Bettina Caminer. »Anderthalb Jahre blieben wir Verlobte; und in der Zeit hatte ich Gelegenheit, sie mir geneigt und auch wieder abgeneigt zu machen, so daß wir zum Altar gingen mit den Thränen in den Augen und mit gegenseitigem Abscheu im Herzen. Als Frau ist sie zwei Jahre in meinem Hause gewesen; wirklich zusammengelebt haben wir nicht einmal einen Monat. Ihr Betragen konnte nicht schlimmer sein; ich bin nicht sehr geduldig; lösen konnte ich das Verhältnis nicht, weil meine Eltern mich im Zaume hielten.« Endlich machten die Eltern der Frau selber den Ehescheidungsprozeß anhängig, über dem Albergati's Vater starb. So fühlte er sich frei nach Rom zu eilen und selbst seine Sache bei dem heiligen Vater zu vertheidigen; denn die Gegenpartei suchte ihm das Recht der Wiederverheiratung abzusprechen, welches sie der Frau zuerkannt wissen wollte. Der Papst, eben jener gute, joviale Lambertini, der so trefflich Zötchen zu erzählen und anzuhören wußte, dabei aber selber das musterhafteste Leben führte – der Papst war bald für den jungen Mann gewonnen und entschied in dessen Sinne: die Geschiedene kam in's Kloster. »Ich habe noch nicht dran gedacht Mönch zu werden«, schließt Albergati seinen Bericht und Benedikt XIV. schrieb mit nicht viel mehr Empfindsamkeit für die arme kleine Marquisin: »Gräfin Laura Mariscotto, eine Bologneser Dame von viel Geist, die hier in Rom vor langen Jahren starb, pflegte zu sagen, jede Frau solle einen Mann nehmen, nur um sich nicht in die Unmöglichkeit zu versetzen, des schönen Looses theilhaftig zu werden, Wittwe zu bleiben. Wenn man von den Männern dasselbe sagen könnte, was die Dame von den Frauen gesagt, so möchten wir dasselbe Wort auf Ihre Person anwenden, welche im Wittwerstande, in dem sie sich befindet, jene Ruhe genießt, die Sie, nach dem, was Sie uns schreiben, nicht genossen hatten, so lange Sie eine Frau hatten. Bleiben Sie Uns gewogen und grüßen Sie die Marchesa Ihre Mutter in Unserem Namen, womit Wir Ihnen Beiden Unseren Apostolischen Segen geben«.

Eifriger als je warf Albergati sich jetzt auf's Theater, veranstaltete große Aufführungen, in denen er selber auftrat und zu denen er die Adligen nicht einlud, was dieselben natürlich sehr übel empfanden; übersetzte Tragödien und Komödien und begann bald auch selber welche zu schreiben, die so mittelmäßig sie auch sein mögen, uns historisch höchst interessante Aufschlüsse über das Italien des Cicisbeismus geben. Der Verkehr mit Casanova, der natürlich auch nach Bologna verschlagen wurde und dort wie überall in wenig ehrenvolle Händel verwickelt wurde, datiert von dieser Epoche. Auch fallen in diese freie Wittwerzeit – um mit dem Papste zu reden – die meisten der literarischen Verbindungen Albergati's und sein interessanter, zum größten Theile inedierter Briefwechsel mit Voltaire, Goldoni, Baretti. Dieser ausgezeichnete Mann von seltener Unabhängigkeit des Geistes und Charakters schrieb ihm stets englisch. Auch Albergati hatte diese Sprache erlernt und sein Freund, Abbé Taruffi, wollte ihn gar zu Klopstock und Geßner bekehren. Es war in jener Zeit ein reges, munteres Treiben unter den Literaten Bolognas, obschon die alte Universität gerade damals recht heruntergekommen war; dagegen blühten die Akademien, die Zusammenkünfte beim Buchhändler, im Kaffeehause, beim Apotheker – auch die Crusca ist bekanntlich aus einer Apotheke hervorgegangen. Man ließ Satiren, Sonette, burleske Gedichte umgehen, erzählte sich wohl auch anstößige Geschichtchen, führte literarische Fehden und lachte der steifen Konversation der Adligen, wo die Damen, nach Josephs II. böser Bemerkung, mit ihren geistlichen Räthen Karten spielten. Von jenen literarischen Fehden ist die zwischen Goldoni und Gozzi die bekannteste geblieben und sie verdiente es. Albergati nahm lebhaften Antheil an Goldoni's Reform des Theaters, die auch schon Maffei in einer besonderen Schrift anempfohlen hatte, und erst, als er in Venedig persönlich mit dem impönitenten Reaktionär, der die überlieferten Masken gegen alle Reformatoren vertheidigte, zusammentraf, ward er etwas lauer. Doch sind seine Lustspiele sämmtlich Goldoni, wenn nicht gar Chiari und Diderot nachgeahmt. Auch seine Novelletten und seine lettere capricciose, welche er im Verein mit einem wunderlichen Heiligen, dem Abbé Zacchiroli, herausgab, sind Nachahmungen. Die Originalität war eben nicht Albergati's Sache und die Zeit, wie jede Zeit, ließ sich eine Weile von der äußerlichen Ähnlichkeit täuschen. Die sichtende Nachwelt hat das Alles unbarmherzig als Spreu den Winden der Vergessenheit preisgegeben.

Obgleich Albergati geschworen hatte, sich nicht ein zweites Mal in den Ehekäfig einfangen zu lassen, so sollte er doch noch verschiedene Male auf dem Punkte sein, in's Netz zu gehen, ja noch zweimal in aller Form Rechtens »das gefahrvolle Schiff« besteigen, das er so fürchtete; sein fast eheliches Verhältnis zur schönen Gräfin Orinzia gar nicht zu rechnen, das jahrelang und ganz öffentlich dauerte, wie es damals in Italien Sitte war, ohne daß Jemand, am wenigsten der Gatte, den geringsten Anstoß daran genommen hätte. Solche Verhältnisse waren dermaßen allgemein und acceptiert, daß die Untreue, welche im konventionellen Ehestand so leicht verziehen wurde, in dieser zweiten Neigungsverbindung streng verpönt war. Auch wurde die Sache, und nicht nur in Bologna viel besprochen, als die Gräfin Albergati's müde ward und ihm seinen Abschied gab. »Ich habe immer geglaubt, tröstete ihn einer seiner galanten geistlichen Freunde, Abbé Cesarotti, die einzige menschliche Glückseligkeit bestehe in der Liebe und ich bin doch immer nur durch sie unglücklich geworden.« Albergati selber verschwor alle Liebe und rächte sich, indem er die Geschichte dramasierte und als l'amor infinito e l'amor vero« auf die Bühne brachte zur großen Freude seiner Parasiten, aber auch seiner wahren und unabhängigen Freunde, wie des trefflichen Baretti, des Redakteurs der von der venetianischen Regierung verfehmten » Frusta letterarie«, und Goldoni's, der ihm indeß einen baldigen Rückfall weissagte. Doch zog er sich auf einige Zeit nach Verona zurück, um dem Gerede in Bologna aus dem Wege zu gehen. Auch diesen Schritt billigten die Freunde höchlich und ein Anderer seiner Hofabbés, derjenige dem er seine polnischen Titel und Würden dankte, schrieb ihm aus Warschau in italopolnischem Französisch: »En quelque endroit que vous portiez vos pas, il est constant que vous y trouverez toujours une patrie et des admirateurs. Sans compter la naissance qui est toujours un grand aventage, les agréments de l`esprit vous suivront partout et la noblesse de vos manières intéressera tous les coeurs sensibles au vrai mérite ... En respirant i`air natal de Catulle et de Fracastor, votre imagination électrisée brulera d`un nouveau feu poétique; Vitruve et Paul fortifieront votre goût pour les beaux-arts; Nepos, Pline et Maffei et tant d`autres illustres Veronais anciens et modernes porteront le flambeau de l`érudition et de l`élégance dans les récés de votre génie.«

Goldoni hatte sich nicht getäuscht: bald brannte Albergati's Herz wieder einmal lichterloh, diesmal für die reizende Venetianerin Bettina Caminer, der er, nach seiner Gewohnheit, mit seinem Herzen auch seine Hand anbot, obschon sie aus kleinbürgerlicher Familie war und er durch eine solche Mißheirath seine Adelsprivilegien eingebüßt hätte. Denn der italienische Adel glich in seiner Ausschließlichkeit mehr dem deutschen, als dem englischen und selbst dem französischen, bei dem die Verheirathung mit Bürgerlichen gar nichts Ungewöhnliches war: man denke nur an die Choiseul's, Montmorency's, die Bouillon's sogar, die gar nicht anstanden, sich mit den Töchtern von Emporkömmlingen – freilich von reichgewordenen Emporkömmlingen – zu verbinden. Übrigens besann sich Albergati noch zur rechten Zeit, aber nur um in die Netze einer Tänzerin zu fallen, über die er in Händel mit dem päpstlichen Vicelegaten Monsignor Buoncompagni gerieth, welcher der Schönen ebenfalls den Hof machte; es bedurfte hoher Fürsprache, um ihn aus dem unangenehmen Handel zu ziehen. Eine dritte Dame, deren Bekanntschaft er ebenfalls in Venedig machte, wohin er seit 1760 gezogen war, wußte ihn dauernder zu fesseln. Auch sie war eine Bürgerliche, und es brauchte Muth, ihr seinen Namen zu geben: doch zögerte er nicht und Catlina Boccabadati ward seine Frau – nicht ohne ihn dem Hohne seiner Standesgenossen auszusetzen. Albergati suchte ihre Vorurtheile lächerlich zu machen, indem er sie zum Gegenstande einer Komödie nahm, und brachte sie dadurch nur noch mehr in Harnisch. Doch gelang es ihm – die Großen hatten inzwischen auch den letzten Rest ihrer Herrschaft eingebüßt – seinem ältesten Sohne den bestrittenen Marquistitel zu erhalten, indem er sich direkt an Pius VI. wandte und sein Gesuch vom König Stanislaus unterstützen ließ. Die anfangs glückliche Ehe endete äußerst tragisch. Die Frau, die ein heimliches Liebesverhältnis hatte, glaubte sich verrathen und machte ihrem Leben selbst ein Ende. Albergati ward durch seine adligen Feinde des Mordes beschuldigt und auf höchst unsanfte Weise in den Kerker geworfen (1786). Doch lebte er glücklicher Weise im Italien des vorigen Jahrhunderts, nicht im heutigen, in dem er nicht unter zwei Jahren Untersuchungshaft davon gekommen wäre. In zwei Monaten war der ganze Prozeß fertig und er wurde glänzend freigesprochen. Auch die vielbesprochene Folter des 18. Jahrhunderts war nicht angewandt worden: sie war in Bologna wie in dem inquisitorialen Venedig schon vor Beccaria abgeschafft worden; daß auch in Frankreich dazu die Revolution überflüssig war, beweist Malesherbes' Abolitionsedikt.

Kaum waren drei Jahre seit jener Tragödie in Zola verflossen, so war der sechzigjährige Marchese schon wieder auf Freiersfüßen: diesmal war's wirklich eine Tänzerin, der das Glück zu Theil wurde, nachdem sie eine Zierde der Bühne des Schlosses Zola gewesen, dessen Herrscherin zu werden. Aber diesmal war Papst Braschi nicht so nachsichtig. Möglich, daß die französische Revolution, in der er die Folge der Nichtbeachtung alter Sitte sehen mußte, ihn mißstimmt hatte; jedenfalls schrieb er sehr bestimmt an den Senat von Bologna: »si quando contingat aliquem ex Ordine Vestro adeo se dejicere ut uxorem scenicam ... sibi adjungere non pudeat«, denselben sofort aus ihrem Kreise auszustoßen.

Allein schon klopfte die Revolution, die man ferne zu halten hoffte, an die Thüre. Bald hatte Bologna aufgehört päpstlich zu sein. Albergati begrüßte die Umwälzung mit Unwillen. Ihm, wie Cesarotti, wie Alfieri, wie allen vornehmen Freisinnigen Italiens, die sich mit der trügerischen Hoffnung genährt, der Menschheitsfrühling sei im Anzug ohne Frühlingsstürme, erschien sie wie ein höchst beklagenswerthes Ereignis, das die Befreiung, die sie angestrebt, auf lange hin hemmen, Bildung und Aufklärung des Jahrhunderts vielleicht ersticken würde. Die Ungerechtigkeit, welche ein notwendiger Zug solcher fast elementarer Ereignisse ist, empörte diese Freunde des Rechts. Sie verstanden die Dinge nicht. »Was soll das heißen? Man begreift's nicht,« schrieb Albergati an einen seiner Freunde. »Sehen wir nicht von gleichem oder fast gleichem Schicksal ergriffen einen König von Schweden, der sich so hohen Geistes, so großen Muthes, so reiner Vaterlandsliebe rühmen konnte ... und die zwei gekrönten Häupter eines stumpfsinnigen Claudius und einer ... Messalina.« Das Wort über Marie Antoinette ist mehr als ungerecht; das über Ludwig XVI. übertrieben, wie auch das Lob des leichten, oberflächlichen Gustav: etwas Wahres ist immerhin darin; man muß nur des Marquis Superlativ auf den einfachen Positiv herunterschrauben. Schon 1790 schrieb der Jahrs zuvor so hoffnungsvolle Cesarotti: »Mein Abscheu vor diesen raisonnierenden Masanielli kann nicht weiter gehen und ich tröste mich nur in der Hoffnung, ja der Gewißheit, daß das unförmliche Gebäude ihnen nothwendig auf den Kopf fallen muß und ihre Namen der Execration der Jahrhunderte geweiht sein werden«. Auch Alfieri schrieb aus Paris an Albergati – letztere Briefe sind ungedruckt – am 16. Juni 1792, also vier Tage vor dem ersten Tuileriensturm, er verliere die Geduld beim Anblicke der »Tyrannei, welche sich ein stupides Volk unter dem Namen der Freiheit gefallen ließe ... Wenn ich, der ich die Freiheit anbete, seit ich auf der Welt bin, jetzt nicht etwa den Grundsätzen, aber der Verwirklichung dieser Grundsätze durch diese ungeheuerliche Regierung feindlich geworden bin, einer Regierung, welche Übel aller Regierungen in sich vereinigt, so muß wohl hier entweder gar keine Freiheit oder ich ein Ochse geworden sein. Glauben Sie von Beiden was Ihnen wohl dünkt.«

Noch hielt man sich für halbwegs sicher in Italien. Alfieri selbst hoffte, das Übel werde sich nicht bis über die Alpen ausdehnen. Das italienische Volk war nicht erregt. Ein Aufstandsversuch einiger Schwärmer fand gar keinen Anklang und sie büßten ihren Befreiungsversuch mit dem Tode, ohne daß sich eine Stimme für sie erhoben hätte. Immerhin war die Fahne des einigen und freien Italiens zum ersten Male erhoben worden. Siehe über diese wenig gekannte Episode, welche von größter Wichtigkeit für die Geschichte Italiens in unserem Jahrhundert ist: A. Aglebert, I primi martiri della libertà italiana e l`origine della bandiera tricolore, o Congiura di L. Zamboni e G. B. de Rolandis in Bolonga, tratta da documenti autentici. Bologna, Mattiuzzi, 1880. Als die Heere Frankreichs das benachbarte Savoyen überschwemmten (22. September 1792), meinte der Senat von Bologna Vorbereitungsmaßregeln zur Verteidigung treffen zu müssen und wies dem Gonfalonier 120 (sage hundert und zwanzig) Lire an zu diesem patriotischen Zwecke. Der hohe Magistratsherr verwandte die Summe auf's Angemessenste, indem er jedem der drei angesehensten Klöster der Stadt je 30 Lire übermchte, um die Hilfe Gottes zu erflehen. Aber immer näher brauste der Sturm. Als man sich am sichersten glaubte, das Heer des Direktoriums vernichtet schien, nahte sich der junge Bonaparte. Siegreich warf er die piemontesischen, siegreich die österreichischen Heere vor sich nieder: am 19. Juni 1796 erschien er in Bologna, setzte alle politischen Gefangnen in Freiheit und am nächsten Morgen kündigte er dem Kardinallegaten das Ende seiner Regierung an. Bald war die cispadanische Republik eingerichtet, um nach wenigen Monaten eine Provinz der cisalpinischen zu werden; dann nach kurzem Triumph der Reaktion in Folge der Schlacht bei Novi, ward die Republik von Neuem hergestellt.

Albergati hielt sich von Allem fern; nur als man auch das Theater republikanisieren wollte, fand der alte Theatermonomane den Muth, gegen einen Vandalismus zu protestieren, der Molière und Racine proscribierte, weil sie Könige und Marquis auf die Bühne gebracht. Als Bonaparte Frankreich und der Welt die Ordnung zurückgeben zu wollen schien, wußte Albergati nicht besser als alle Andern dem Zauber des großen Wiederherstellers zu widerstehen und nahm das Amt eines Büchercensors und Theaterinspektors an. Ein einziger Akt der Unabhängigkeit in diesen heiklen Befugnissen genügte, um ihm die Ungnade der neuen Regierung und den Verlust seines Amtes zuzuziehen, wohl auch seine Begeisterung für den »korsischen Helden« etwas abzukühlen. Seinen Eifer für's Theater vermochte weder Enttäuschung, Krankheit noch Alter abzukühlen; noch in seinem fünfundsiebenzigsten Jahre gab er eine Reihe von Vorstellungen aus seinem Schlosse, worin nicht nur Frau, Kinder und Diener, sondern er selbst auftrat. Kurze Zeit darauf starb er, noch ehe Bonaparte die Kaiserkrone auf sein Haupt gesetzt (März 1804).


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