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XI

Es war still zwischen den Gatten. Otten saß am Tisch, öffnete die eingelaufenen Postsachen und las sie langsam durch. Wenn er einen Brief fortgelegt hatte, griff er zum zweiten Male danach. Er hatte die Zeilen überflogen, ohne ihren Inhalt in sich aufzunehmen. Frau Maria sah ihm eine Weile zu. Dann trat sie zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. »Joseph.«

Er blickte auf. »Hör doch mal, da schreibt mir mein Agent –«

»Du weißt es ja selber noch nicht, Joseph. Ich habe dich ja beobachtet und gesehen, daß du während des Lesens gar nicht bei der Sache warst. Lies nachher und in Ruhe.«

»In Ruhe.«

»Ich habe dir doch keinen Vorwurf machen wollen. Der Vorwurf trifft mich ganz allein. Ich mußte als Mutter wissen, daß man eine vierzehnjährige Tochter nicht allein auf die Redoute läßt.«

»Allein?«

»Ein Kind allein, oder zwei Kinder allein. Das ist dasselbe. Ich mußte meine beiden Kinder kennen, meinen großen Jungen und mein kleines Mädel, daß ein jedes für sich Allotria treiben würde.«

»Aber das hat Carmen doch nicht getan. Die Dinge liegen viel einfacher, als du glaubst, du mußt nur den richtigen Abstand dazu gewinnen. Sie ist eine Stunde über Zapfenstreich geblieben. Das bezeugt doch, daß sie naiv genug ist, an der kindlichen Maskerade Gefallen zu finden. Außerdem war Moritz Lachner an ihrer Seite, was dir doch wertvoller sein muß, als wenn ich sie an der Hand behalten hätte, da du mich als Hüter der Ordnung doch kaum für voll nimmst.«

»Das war ein Zufall, Joseph, ein glücklicher Zufall. Sonst nämlich wäre Carmen sicher erst in der Morgenstunde heimgekommen. Das ist es, was mich bedrückt gemacht hat. Sie hat dein Blut, und ich beklage es nicht, denn ich liebe es ja doch an dir. Aber die doppelte Pflicht habe ich, dies Temperament in den richtigen Bahnen zu halten. Es ist etwas anderes, ob ein Mann oder eine Frau dasselbe tut. Selbständigkeitsbestrebungen sprechen da gar nicht mit. Nur das Geschlecht und seine Bedingungen. Was ein Mann im Überschwang sich noch erlauben darf, muß bei der Frau schöne Form bleiben, oder sie verliert sich und ihren Wert für andere. Und den Stil, Joseph, den vermisse ich bei Carmen noch sehr.«

»Wie ernst du das sagst. Um einer Kleinigkeit willen, Maria.«

»Nein, um eines Zeichens willen. Du hast nicht das Auge dafür und kannst es nicht haben, weil du deine Tochter nur zuweilen und in gegenseitiger Sonntagslaune siehst. Ich sehe sie aber auch am Werktag, und ich ersehne von all meiner Erziehungskunst nichts mehr, als ihr auch für den Werktag die heitere Sonntagslaune zu schaffen. Und das ist nur möglich, wenn ich dafür sorge, daß die Sonn- und Festtage keinen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Sieh, Joseph, als sie diese Nacht heimkam, – meinst du, sie wäre überglücklich von ihrer Ausfahrt gewesen? Zornig war sie, geweint hat sie vor Zorn, und Vorwürfe hatte sie statt Danksagungen. Der Moritz hätte ihr den ganzen Abend verdorben. Der Moritz hätte ihr gar nicht den roten Domino besorgt, weil auch der Laurenz die rote Farbe getragen, sondern nur, damit er sie im Trubel immer hätte erkennen können, um sich an sie zu heften. Der Moritz hätte nicht geduldet, daß sie wie die anderen an fremden Tischen Sekt getrunken hätte. Und der Moritz hätte Streit angefangen, als doch die ganze Tanzstunde hätte in ein Cafe ziehen wollen. Alles das, ohne den Begriff in sich aufkommen zu lassen, daß der Moritz mit richtigem Taktgefühl nur Ungehörigkeiten verhindert hat. Und ich, die Mutter, die das alles hätte voraussehen müssen, war ruhig zu Hause geblieben. Das ist sehr beschämend für mich.«

»Nein,« sagte Otten, »das ist beschämend für mich. Ich hatte die Aufsicht übernommen. Aber ich sehe mehr und mehr meine Talentlosigkeit ein, Menschenkinder anders zu erziehen, als wie ich selbst bin. Damit ist aber Menschenkindern, die noch nicht wetterfest sind, wenig gedient, denn sie imitieren doch nur die Geste. Das seh' ich auch ein. Folglich bin ich aus Selbstliebe auf dem besten Wege, mein Töchterchen zu verwirren und bestenfalls ihren Trotz zu stärken. Maria, damit die Kleine eines Tages den Menschen, die sie liebhaben, weniger Sorge macht als ich denen, die mich lieben, trete ich beschämt von der Erziehung zurück. Hoffentlich hat mein Beispiel noch nicht zu sehr Bresche gelegt.«

»Sind wir nun wieder gut Freund?« fragte sie.

»Wichtiger scheint mir die Frage, ob du nun wieder mein guter Freund bist.«

»Dein bester, Joseph. Daran wird nichts je etwas ändern.«

Er zog ihre Hand an seine Augen. »Setz dich zu mir. Wir wollen zusammen lesen, was der Agent schreibt. Natürlich, da hat er schon die ganze Tournee fix und fertig. London, Manchester, Glasgow. Und zur Butterwoche nach Rußland: Moskau und Petersburg. Garantierte Pauschal für jede Stadt. Das lob' ich mir. Telegraphische Zusage erbeten, um abzuschließen. Nächste Woche in London erstes Konzert. Ich würde also Anfang Mai zurück sein.«

»Ich freue mich darauf, Joseph.«

»Daß ich abreise oder wiederkomme?«

»Auf das, was für dich dazwischen liegt.«

»Ja – – ich muß den Luftstrom spüren. Das ist nun einmal so. Ich glaube, meine Lungen haben doppelt so viel Sauerstoff nötig als andere Lungen. Zufuhr, Zufuhr, Zufuhr! Oder ich quengle im schönsten Sonnenschein, daß ich ein Greis werde und nicht die Hand vor Augen sehe. Maria, ob dies gesteigerte Lebensbedürfnis so sehr beneidenswert ist?«

»Ja,« sagte sie und drückte ihm die Hand. »Wenn es Menschen haben, die ihm gerecht werden können.«

»Nur gerecht?«

»Die alles – aus derselben Freude heraus tun. Man muß ihr glückliches Lachen hören. Deines hör' ich immer.«

Da zog er sie an sich. Sein Kopf lag still an ihrer Brust. »Gute Mutter – –.« – –

Joseph Otten war abgereist. Von England her flatterten fröhliche Briefe und Karten ins Haus. »Mein Agent, der mit mir reist, ist so vergnügt, daß er singt. Da ich besser singe, muß ich also noch viel vergnügter sein.« Und ein anderes Mal: »Daß wir nie klug werden, hat der liebe Gott gewiß aus Güte so eingerichtet, damit uns auch etwas für die späteren Jahre bleibt. Oder, damit wir nicht von vornherein zu viel Unfug anrichten. Später regulieren die Zahnschmerzen den Appetit. Diese Engländerinnen, Maria! Als ich jung und töricht war, hielt ich sie für Überbleibsel aus der Eiszeit. Heute, da sie zu meiner reiferen und gefesteten Persönlichkeit (bitte nicht ›Kunst‹ zu lesen) Vertrauen fassen, merke ich, daß Eis glühend heiß auf der Zunge brennen kann. Kann –? Könnte! Die Zahnschmerzen rebellieren gegen zu viel Süßigkeit! – Und ich bin gerettet.«

Frau Maria las und schüttelte den Kopf. »Ich glaub's nicht. Seine Zähne sind sein Stolz.«

Von Moskau aus schrieb Otten an Frau Amely.

»Verehrte Frau und Freundin! Hier ist es so barbarisch kalt, daß die Frauen selbst über ihrer Seele Pelze tragen. Das mag für den Draußenstehenden genügen, sich die Hände daran zu wärmen. Nicht mehr. Nicht öffnen! oder die Motten fliegen, und es riecht nach Kampfer. Nun, das mag in einer Stadt, in der man Stearinkerzen wie Knackwürste verzehrt, weiter nichts auf sich haben, aber – ich bin nicht in dem Tal geboren. Ich bin aus einem Lande – mag es in Deutschland, mag es anderswo liegen – in dem sich die Blumen an Düften überbieten. Streift man über ihre Blütenblätter, so wandert der Duft lange mit. Und eine Rosenart gibt es dort, nicht la France und nicht Dijon und Maréchal, ein einzelnes Exemplar, von einem Blumenkenner ›Herzogin von Berg‹ getauft. Welche Farbe? Sie hat noch nicht Farbe bekannt. Nein, nein, gewiß nicht. Die Farbe muß sich noch klären. Und der Dornen an ihrem schlanken Stamm sind noch zu viele. Nicht zum Schutz. Wer sich in einer Dornenhecke verschanzt, an dem geht der Tag vorüber. Und doch hat sie einen Duft, der mehr sein könnte als einst Erinnerung. Einmal streifte ich ein Blumenblatt. Das war wie eine kühle, glatte Schulter. Und der Duft blieb gefangen in meiner Hand und lockt mich von der eisigen Moskwa in den rheinischen Frühling, der nun bald aus dem Siebengebirge aufbrechen wird, Godesberg zu schmücken. Ich halte den Duft in meiner Hand, und ich reichte die Hand nicht weiter, damit er sich nicht mit dem Alltagsgeruch des Kampfers mische. Möge die Rose ebenso denken. Einzelexemplare haben die stärksten Pflichten: die Völker zu segnen und die Throne zu lieben. Das klingt wie Realpolitik, ist aber Idealismus. Ich bitte Sie, von den Grüßen, die ich Ihnen sende, dem Chef des Hauses, meinem lieben Freunde, einen Teil gütigst überweisen zu wollen, und salutiere jeden angewärmten Gedanken, den Sie persönlich für mich in diese Schneewüste senden. Ihr ergebener Joseph Otten.«

In Petersburg erhielt er Antwort.

»Hochgeehrter Herr Doktor! Ich finde Ihr Schreiben nicht sonderlich schwerwiegend. Es ist eine alte Weisheit, daß man sich in der Kälte am lebhaftesten nach Wärme sehnt und beim Anblick von Eisblumen nach Frühlingsrosen. Und wenn es selbst ein so entwicklungsbedürftiges Exemplar wie die ›Herzogin von Berg‹ wäre. In solchen Fällen ist man nicht wählerisch. Dies ad I. Und ad II: Ich habe mir erlaubt, die Grüße nicht in Portionen zu zerlegen und auszuteilen. Abgesehen davon, daß ich wegen der Adresse des ›Chefs des Hauses‹, der mir als solcher völlig unbekannt ist und bleiben wird, in Verlegenheit geraten wäre, hege ich nun einmal die Ihnen bekannte Antipathie gegen alle Halbheiten. Haben Sie an den Fabrikanten Herrn Karl Lüttgen zu Köln am Rhein Grüße zu bestellen, so findet sich dafür wohl im Zarenreiche noch eine Postkarte. Ich hoffe, es belastet Ihre Seele nicht, daß ich die unter meiner Adresse einlaufenden Grüße für mich behalte. Übrigens: in einem stimmen wir doch überein. In dem Gedanken an den Einzug des Frühlings in Godesberg. Suchen Sie keine Rätsel hinter diesem Satze. Für Menschen, die die Völker segnen und die Throne lieben, gibt es keine. Wenn Sie das als einen ›angewärmten Gedanken‹ nehmen wollen, so wird dies Zeichen einer hochkultivierten Intelligenz mit besonderer Zuneigung erfüllen Ihre nicht minder in der Barbarei befindliche

Amely L.«

»Ah – – ,« machte Otten und strich den Brief glatt, »das ist ein kühner Schachzug. Stempelt über meinen Kopf weg meine Korrespondenz zu einer geheimen. Nun heißt es Fersengeld geben oder sich schlagen. Neutrales Land respektiert man nicht. Diese Skrupel hat unsere Kriegführung zur veralteten Moral gelegt. Man bläst das Signal ›Avancieren!‹ ohne Kriegserklärung, und – zum Teufel – ich will mit diesem Wiesel keinen Krieg.«

Er ging in seinem Hotelzimmer auf und ab. »Der arme Kerl, der Lüttgen,« dachte er. »Weshalb mußte der gute, schwerfällige Knabe an diese stahlgefederte Fechtmeisterin kommen. Ich habe, weiß Gott, Verständnis für ihn. Das ist keine Liebe um des Lebens, sondern um des Lebens und Sterbens willen. Statt des Herzmuskels fordert sie Nerven. Und Karl Lüttgen verfügt nach guter, alter Sitte nur über einen Herzmuskel. Und den erhielt er ramponiert zurück.«

Er nahm den Brief noch einmal auf und überlas ihn. Ein Lachen ging um seine Mundwinkel. »Mut hat sie, diese neue Inkarnation der alten Eva. Sie weiß, was sie will. Aber sie irrt sich in den Folgerungen. Man spielt wohl einmal aus Spielsucht. Wie Kinder, die nach Sonne haschen. Segen jeder Erinnerung! Aber nicht aus Überlegung. Dann wird das Spiel zum Geschäft, und es bleibt ein fluchender Betrogener. Das ist häßlich. Und um die Schönheit soll es doch gehen. So oder so! Also – irrt Ihr Euch in den Folgerungen, Frau Amely ...«

In Petersburg mußte Otten zwei Liederabende zugeben. Er schrieb es an Frau Maria. »Die Petersburger sind Franzosen. Sie machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Wenn diese Menschen applaudieren, delirieren sie. Aber auch mein Agent macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er singt nicht mehr, er tanzt. Wenn sich aber ein Agent nicht scheut, zu tanzen, so ist das der Beweis, daß er seinem Klienten unwiderruflich das Fell über die Ohren gezogen hat. Nun, ich beanspruchte für die beiden Liederabende, die nächste Woche stattfinden, einen Extrawalzer. Der Mensch zierte sich und meinte, er sei doch noch nicht so sicher auf den Füßen. Aber ich nahm ihn um die Taille, daß es knackte. Da ging es. – Ich frage mich jetzt: soll ich von der heiteren Newa gleich in das finstere Köln zurückkehren, oder soll ich vorsichtig sein und klimatische Zwischenstationen machen? Wie denkt die sorgende Hausmutter darüber? Ich unterwerfe mich blindlings ihrer besseren Einsicht. Und Carmen? Ich erhoffe von Deiner Erziehungskunst, daß sie den schlimmen Einflüssen eines so großen Bruders, wie ich es nun einmal bin, dauernd entrückt ist. Ich habe Euch sehr lieb. Wenn das Geheimste über mich kommt, der goldene Traum eines jeden Landfahrers, dessen Herz heißer an der Heimatscholle hängt als das Herz des Spaziergängers vor dem Tore, ist es das stille, wundertätige Bild Maria Ottens in der Rheingasse zu Köln. Ave Maria ...

Dein Joseph.«

 

Frau Maria las. Sie hatte feuchte Augen. Drüben an der Wand schaute sein Bild ihr zu, das Bild eines Mannes in Havelock und Schlapphut. Aus lachenden Augen blickte er in die Welt. Und wie so oft aus Liebe oder Entschuldigung oder aus beidem zugleich, sagte sie auch jetzt: »Man kann das Bild nicht ansehen, ohne froh zu werden.« – – – »Mein lieber, großer Junge,« antwortete sie ihm, »ich bin glücklich über die guten Zensuren, die Du mir einsendest. Ich bin glücklich, und Carmen ist stolz. Das ist ein Fensterchen, durch das Du in unsere Häuslichkeit hineinschauen kannst. Solltest Du noch mehr erblicken, sprich es nicht aus. Aber laß mich die Arme um Deinen Hals legen. O Du unruhiges Herz. Und je unruhiger es ist, umsomehr muß ich es lieben. So lieben Mütter aus einem unbeschreiblichen Naturgefühl ihre Sorgenkinder am heißesten. Nur eins wünschte ich: daß die Welt Dich und Dein Tun so kennen und erkennen könnte wie ich. Das ist wohl recht frauenhaft gedacht, und ich müßte eigentlich beschämt sein, an Dich den Maßstab der Welt legen zu wollen, die nie sich klarmacht, daß die großen Schatten von der vielen Sonne kommen. Aber im letzten Grunde ihres Herzens ist jede Frau – lächele ruhig über mich – ein eitles Wesen, das nur beneidet sein möchte. – Carmen ist gesund und fleißig. Sie bereitet sich auf ihre Gymnasialklassen vor. Ihre Phantasie sieht schon den Doktorhut. Zur Zeit zwar beschäftigst Du sie mehr, und unermüdlich will sie von Dir erzählt haben. – Daß Du eine klimatische Zwischenstation machst, wollte ich Dir selbst schon anraten. Kommst Du dadurch auch später zurück – die brave Frau denkt an sich selbst zuletzt – – –. Der alte Klaus bereitet mich schonend auf seine Übersiedelung nach Zons vor, die wohl schon im Herbst stattfinden kann, da er seinem Vetter nur noch bis dahin Ausstand auf Erden gibt. Er bleibt hartnäckig dabei, daß ein richtiger Hausbesitzer anderen Leuten nicht zur Last fallen dürfe. Es gäbe alsdann ärmere Teufel, die auch auf Beförderung warteten. Der ehrliche Alte wird uns sehr fehlen ... Lebe wohl, Joseph. Carmen küßt Dich. Und ich? Ich habe Dich immer lieb. Das vergiß nicht an

Deiner Maria.«

 

»Ich habe dich immer lieb,« wiederholte Otten. »Bei dieser Frau ist das keine Briefstellerphrase –.«

In den folgenden Tagen hielt Otten seine Liederabende, zu deren Zugabe er sich entschlossen hatte. Als er nach dem letzten Konzert in sein Hotel zurückkehrte, fand er eine Depesche vor. Er wog das Papier lange in der Hand. »Wohin ruft nun das Schicksal?« Er öffnete zaudernd.

»In Godesberg ist der Vorfrühling eingekehrt. Verstehen Sie seine Sprache?«

Keine Unterschrift. Weshalb auch? Geheimbündelei kennt keine Namen. Wie mädchenlustig die Depesche! Und – Lenzluft umwitterte die Worte, ganz warme Lenzluft. Knospende Parkbäume sah er, Mädchengestalten in hellen Gewändern, singend, springend, lockend, weichend – –. Frühling, Jugend! Und das Herz tat noch mit. Er spürte es an dem befehlenden Schlag, der ihm bis in das Mark ging. Der Frühling rief ihn, die Jugend. Das tut Frühling und Jugend nur ihresgleichen. Mit einem seltsamen Lächeln blickte Otten auf einen fernen Punkt, irgendwo in der Weite. Wie ein Seufzer strömte der Atem aus. Und er sagte laut und hinter den Worten her horchend: »Ich bin noch so jung – –!« – –

Am anderen Morgen reiste er. Die Depesche trug den Aufgabestempel: Godesberg. Frau Amely war also bereits übergesiedelt. Ob mit ihrem Manne?

Damit beschäftigte er sich auf der Fahrt. War der Fabrikant in Köln geblieben, so war auch seines Bleibens nicht in Godesberg. – Er kam zum Turnier, reite mit, wer will, um ein Kränzlein hier oder dort, weil es lenzte im Land. Aber er kam nicht, um sich etwa an einer abgekarteten Spitzbüberei zu beteiligen.

Als er nach zweitägiger Fahrt in den Kölner Bahnhof einfuhr und den Zug wechselte, um rheinauf zu gelangen, streifte sein Blick den Dom und suchte das Gassengewirr am Rheinufer. Und mit einem Male verschlug ihm eine Schwermut, die sich nicht abweisen ließ, den hochgestimmten Sinn. Dort unten, durch eine dieser Gassen, ging Maria und erzählte einem feurigen Mädel von einem siegreichen Helden wie von weiland Sigurd Drachentöter. Dieweil der Held – auf Abenteuer zog. Er wollte aufstehen, das Kupee verlassen. Da merkte er erst, daß der Zug schon fuhr, und er atmete auf, als die Häuser schwanden; und als Bonn auftauchte, in junge Sonne gebadet, wich der Alb vollends, und als das Siebengebirge seine sagenhaften Häupter hob und in der Berge Angesicht, durch den flutenden Rhein geschieden, die Burgruine von Godesberg winkte, spannte in seiner Seele die Erwartung aufs neue ihre Flügel, die Erwartung, die seinem Leben immer die Schwungkraft gegeben hatte. Seine Blicke nahmen die reiche Landschaft in Besitz, und ein anderer, ein großer landfahrender Mann voll Sonne und Kraft fiel ihm ein, Lord Byron, der dieser Landschaft den Namen »Das Paradies« verliehen hatte.

Das Paradies – –.

Was sagte doch ein anderer, schicksalsreicher Wanderer zu dem Wort? Und die Strophe Seumes flog ihm durch den Kopf: »Der Erde Paradies und Hölle liegt in dem Worte Weib.«

Der Zug hielt. Er sprang leichtfüßig aus dem Kupee. Godesberg.

Auf dem Bahnhof erkundigte er sich nach der Villa Lüttgens. Sie lag abseits, in einer ausgewählten Einsamkeit, von einem mächtigen Park umgeben. »Die Herrschaften sind bereits eingezogen,« teilte ihm der Stationsvorsteher mit. Die Herrschaften. Also beide. Trällernd marschierte er seine Straße. Ihm war jugendselig zu Mut.

»Der Joseph! Der Joseph! Die erste Lerche steigt! Herein, herein!«

»Wer ist da?« fragte Frau Amely aus ihrem Schaukelstuhl heraus, der auf der Veranda in der Sonne stand.

»Der Joseph Otten! Da bist du ja, Alter. Wortfest wie ein alter Ritter. Nein, diese Überraschung, diese Überraschung –!«

Aufgeregt klopfte der Hausherr an dem Gast herum, als müsse er sich überzeugen, daß er ihn heil und wohlbehalten habe, schüttelte ihn am Rock und schob ihn endlich auf die Veranda.

»Ah, Herr Doktor – –! Sie haben uns in der großen Welt nicht vergessen?«

»Ein Vöglein sang mir vom Wonnemond in Godesberg.«

»So? Sie unterhalten Beziehungen zu Godesberg? Ach ja, die Minnesänger verstanden ja auch die Vogelsprache. Aber nun sind Sie hier. Überraschend oder nicht. Sie sind uns herzlich willkommen.«

»Das freut mich,« sagte er und kämpfte zwischen Ärger und Spott.

Der Fabrikant drückte ihn in einen Gartensessel. »Ich finde noch gar keine Worte. Nur das eine: Hier gehst du vor Anker. Nur über meine Leiche führt der Weg ins Freie. Vögelchen, nun bist du im Garn.« Und wieder klopfte er an dem Freunde herum, besann sich, fragte nach dem Gepäck und lief hinaus, den Diener zum Bahnhof zu schicken. Joseph Otten lehnte im Sessel und blickte in den Garten, der sich im Park verlor. Neben ihm wippte taktmäßig der Schaukelstuhl. – Nun hielt er inne. Ein schlanker Körper beugte sich vor. Feine, feste Finger umspannten die seinen. »So ... Ich will meinen Willkommensgruß für mich allein. Seien Sie mir willkommen. Ich habe die Stunden abgezählt und wußte, daß Sie in dieser Stunde kamen.«

»Nur Sie wußten es?«

»Ja.«

Ihre grauen Augen lächelten ihn an. Sie suchten die seinen nach Kinderart. »Böse?« – Und sie sank in den Schaukelstuhl zurück, der sofort seinen taktmäßigen Rhythmus erhob. Der Hausherr kam außer Atem durch die Halle.

»Was befiehlt mein hoher Gast? In einer halben Stunde wird zu Mittag gegessen. Wir sind hier pünktlich auf dem Lande. Aber eine halbe Stunde genügt zwei mannbaren Leuten –«

»Drei,« warf eine Stimme aus dem Schaukelstuhl ein.

Lüttgen stutzte. »Du auch? Große Ehre. Genügt also drei mannbaren Leuten, um sich bei den Göttern durch ein Trankopfer in Kredit zu bringen. Was? Das ist zugleich poetisch und kaufmännisch gesprochen. Per Prokura Otten, Lüttgen und Kompanie. Bleiben wir unserer alten Fahne treu? Mit Rheinwein füllt die Becher? Sträub dich nicht, Russensieger, nur ein Glas zum Willkomm.«

Frau Amely hielt ihren Stuhl an. »Diesmal hol' ich den Wein. Sie sollen doch eine Hausfrau vorfinden, Sie entwöhnter Weltenfahrer. In diesem Hause bin ich die Wirtin.« Die Herren sahen ihr nach. »Wenn sie will, hat sie Charme,« sagte der Fabrikant sarkastisch. »Und sie will.«

»Immer noch kein Ausgleich, Lüttgen?«

»Längst! Längst Waffenstillstand. Es gibt eben nichts mehr zu bekämpfen.«

»Habt ihr etwa – Geheimnisse voreinander?«

»Wie soll ich das wissen? Und warum auch? Jeder geht seinen Weg für sich, und da auf diese Weise keiner den anderen stört, so schreiten wir mit der Kultur und leben, was man heutzutage eine Idealehe nennt.«

»Aber ich finde euch doch hier ganz gemütlich beisammen?«

»Ich verbringe seit Jahren hier meine frühzeitige Urlaubswoche. Wenn der Frühling kommt, bin ich durch die Fabrik und die Gesellschaftsanforderungen so kaput, daß es mir ein Bedürfnis ist, mich mal ordentlich auszurekeln. Diesmal teilte meine Frau das Bedürfnis. Wir sind in Kleinigkeiten sehr aufmerksam gegeneinander.«

»Vielleicht störe ich?«

»Du bist wohl nicht bei Sinnen? Stören! Das Umgekehrte ist der Fall, justement. Das Umgekehrte. Das war ja ein ganz unnatürlicher Zustand, in dem wir uns hier befanden. Zwei Menschen, die sich schlechterdings nichts zu sagen haben, sitzen auf einer einsamen Insel. Aus Dekorationsrücksichten. Wirkungsvoll, aber steifleinen. Unter uns: ich habe mich in dieser drückenden Stille schrecklich gegrault. Du hast den Bann gebrochen. Es kommt Leben in die Bude.«

»Lüttgen – ich werde nicht umhin können, während meines Aufenthalts den cavaliere servente zu spielen. Jede Dame hat bei ihrem Gast ein Anrecht darauf. Oder der Gast hat stillschweigend die Tür von außen zuzumachen.«

Lüttgen lachte schallend. »Sind das die Schmerzen, die dich bedrücken? Ich sah dir doch gleich an, daß du was auf dem Herzen hast. Spiele du nur den cavaliere servente. Es wird der Gnädigen nichts schaden, einmal einen Mann kennen zu lernen, der mein Freund ist. Mein Freund, Joseph! Plein pouvoir! Und bei Gott, es soll mich freuen, wenn du ihr die Marotten vertreibst und ihr beibringst, Männer nicht nach dem schönen Augenaufschlag zu beurteilen. Eifersucht? Auf etwas, das ich nicht besitze? Allzu kläglich. Nur von dem Meinen lass' ich mir nichts nehmen. Dich zum Beispiel nicht.«

»Ich bleibe nur ein paar Tage,« sagte Otten. »Ich bin durch Köln gereist, ohne Frau und Kind zu sehen. Aber ich wollte vorher noch etwas frische Luft schnappen. Das kommt denen zu Hause dann zu gute, das Blut ist ruhiger.«

»Laß sie doch hierher kommen,« rief der Fabrikant. »Du, das ist eine Idee! Wir telegraphieren an deine Frau, und sie ist mit dem nächsten Zuge hier.«

Aus der Halle kam Frau Amely auf die Veranda. Sie trug auf einem Tablett eine Flasche und Gläser. Ihre grauen Augen ruhten auf Otten. Sie wartete.

»Ich danke dir,« erwiderte Otten, »aber meine Frau ist wegen des Studiums des Kindes unabkömmlich. Außerdem,« und er blickte zu der Hausfrau auf, »ist es an einem unruhigen Gast genug.«

»Sie bürden mir da eine schwere Pflicht auf,« sagte Frau Amely und beugte sich über den Tisch, um die Gläser aufzustellen. Ein feiner Fliederduft ging von ihr aus. »Wo soll ich die Kunst hernehmen, Sie für Ihr Opfer zu entschädigen? Ich will gewiß versprechen, all meinen Geist und all meine Liebenswürdigkeit aufzubieten, wenn Ihnen das genügend erscheint.«

»Es ist um das Doppelte zu viel, gnädige Frau. Ich bin mit der Hälfte zufrieden und wähle die Liebenswürdigkeit.«

Der Fabrikant sah seine Frau mit schlecht verhohlener Genugtuung an. Frau Amely aber waltete ruhig ihres Amtes und schenkte den Wein ein. »Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein,« sagte sie, hob ihr Glas und stieß mit dem Gaste an. »Das ist Egoismus,« behauptete Lüttgen, »er muß auch etwas dafür erhalten. Meine Freundschaft? Die hast du schon. Nun, trinken wir trotzdem darauf.«

»Vielleicht fällt auch noch ein Restchen für mich ab, Herr Doktor. Ich werde mir Mühe geben.«

»So bescheiden, gnädige Frau? Das ist ein Sturmzeichen.«

»Ihr Männer ahnt ja gar nicht, wie bescheiden wir Frauen in unserer Freundschaft werden können.«

Er erfaßte den Doppelsinn und quittierte ihn durch eine Verbeugung vom Stuhl aus. Kurz darauf bat der Diener zu Tisch, und Otten führte die Hausfrau. Es war ein heiteres Mahl, und Lüttgen duldete nicht, daß sich der Gast in den launigen Schilderungen seiner Konzerterlebnisse unterbrach. Von Zeit zu Zeit füllte die Hausfrau die Sektschalen, und Otten freute sich der graziösen Bewegungen. »Schade, daß Sie nicht ein Junge sind, und ich nicht Zeus. Der Posten als Ganymed wäre Ihnen sicher.«

»Bleiben wir lieber auf der Erde,« entgegnete sie, »ihre Vorzüge sind noch lange nicht bekannt genug.«

Lüttgen hatte einen roten Kopf. »Wahrhaftig,« stimmte er bei, »selbst das Landleben hat seine Reize, wenn man sie in guter Gesellschaft genießt. Aber unser Freund ist verwöhnt. Die Töchter Albions und die Halbasiatinnen haben ihm zu viel Weihrauch gestreut. Er muß Männer um sich sehen, seßhafte, rheinische Männer, damit er nicht verweichlicht wird. Halt! Ich hab's! Dieser Tag muß festlich zu Ende geführt werden. Ich bitte, mich auf zwei Minuten zu entschuldigen.«

Zwischen den Zurückgebliebenen herrschte Schweigen. Dann sagte Frau Amely und verschränkte die Hände hinter dem braunen Haarknoten: »Jetzt telephoniert er seine Kölner Freunde an. Das gilt mir. Dadurch, daß er einen Mann wie Sie im Triumph vorführt, gedenkt er mich auszuschalten.«

»Gnädige Frau, Sie haben keinen Anlaß, bitter zu werden. Man muß den Mann, wie er ist, gernhaben.«

»Als Freund. Das glaub' ich wohl. Aber als seine Frau – –?«

Otten schwieg. Er verglich den schmiegsamen Frauenkörper mit der massiven Figur des Mannes, ihren unumschränkten Geist mit seiner schwerfälligen Hartnäckigkeit. »Das – zu ändern liegt doch wohl in Ihrer Hand,« meinte er endlich.

»Wie einfach das klingt. Man opfert seine schönsten Jahre und darf wieder abtreten. Um Gouvernante zu werden oder dergleichen. Jedenfalls um von der Hand in den Mund zu leben. Denken Sie, dazu reichen meine Illusionen nicht aus. Ich brauche den Rahmen, den ich habe. Wie jeder vernünftige Mensch es tut. Oder können Sie sich die Frau, die Sie vor sich haben, im abgetragenen Wollkleidchen bei Hammelfleisch und Bohnen vorstellen? Nein, ich betrüge mich nicht. Und Herr Doktor Joseph Otten hätte nicht sein Auge auf mich gerichtet.«

»Habe ich das –?«

»Wie ich mich auf diesen Abend freute. Endlich ein Mensch, der für das tägliche Dutzend entschädigte. Mit dem man sich ungesehen in eine andere Welt schwingen könnte, um diese blöde Menge auszulachen. Und nun kommt dies Philistertum mit seinen komischen Weltmannsallüren. Was wissen die von unserer Welt ...?«

»Leiden Sie denn wirklich unter diesen Menschen?«

Die Pause dehnte sich. Frau Amely blickte zur Decke. Und unvermittelt sagte sie: »Haben Sie sich in Gedanken oft mit mir beschäftigt? Ich will von Ihnen kein Kompliment.«

»Sehr oft, gnädige Frau.«

»Mit der gnädigen Frau oder mit mir?«

»Darüber verweigere ich die Auskunft.«

»Weshalb?«

»Ich pflege nicht von Dingen zu sprechen, die nicht Taten wurden. Und dann – noch viel weniger.«

Ihre Augen waren noch immer groß zur Decke gerichtet. »Nur eins. Die Frage wäre absurd, wenn andere als wir sie aus einer Hand in die andere gäben. Wir tun das in unserer Welt. Haben Sie mich – in Gedanken – einmal geküßt?«

»Die Frau, die ich küsse, gehört mir.«

»Ah – –,« machte sie und beugte sich vornüber. »Da spricht ein Mensch meine Sprache.«

»Pardon, die meine.«

»Bauen Sie doch keine alten Grenzpalisaden auf. Es kleidet Sie nicht. Was Sie dürfen, darf ich auch.«

Er schloß halb die Augen. Dann griff er nach seinem Sektglas und trank es aus. »Spielerei, aber hübsch.«

Sie erhob sich und schenkte ein. Er spürte ihre Lippen. »Still!« sagte sie. »Damit Sie wissen, wem Sie gehören.«

Unwillkürlich hatte er nach ihrer Schulter gegriffen. Jetzt sank seine Hand nieder. Mit blitzenden Augen schaute er sie an. »Nimm dich in acht.«

»Nein!« sagte sie, und sie hörten, wie ihre Herzen schwer und laut schlugen.

Dann saß sie in ihrem Stuhl, die Fußspitzen gekreuzt, und es war wie vorher. Nur sie selber waren andere. Als ob ein Nebelschleier zwischen ihnen zerflattert wäre und sie sähen sich jetzt erst ganz, so musterten sie erstaunt ihre Züge, ihre Gestalten.

»Ich will Ihr Freund sein, Amely.«

»Seien Sie nicht zu streng – –«

»Ich habe die Leitung. Nur so! Es sitzen drei im Wagen.«

Der Fabrikant steckte den Kopf durch die Tür. »Sie kommen!« rief er ins Zimmer. »Nur den Terbroich muß ich noch anklingeln. Er hat eine kirchliche Sitzung. Einen Augenblick noch.«

Joseph Otten nahm sein Glas, und lächelnd hob er es auf. »Gilt es so?«

Er trank, und sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Gilt es nicht?« fragte er.

Sie nickte nur, nahm ihm das Glas aus der Hand und trank es leer. Und schweigend gab sie es ihm zurück. Wenige Sekunden hielt er ihre Finger in seiner Hand. »Das war ja ein Brüderschaftstrinken – –?«

Mit dem Abendzug langten die Gäste an. Ein halbes Dutzend Herren der Kölner Fabrikantenkreise. Aus der Haft der Kontore entflohen, brachten sie eine Laune mit, daß die Halle von ihren gewaltigen Stimmen erdröhnte.

»Ein Abend, nur unter uns Mädchen!« rief Terbroich und kniff die Augen. »Wir nehmen dem Joseph die Beichte ab, zu Nutz und Frommen.«

Frau Amely blieb nur zu Tisch. Spöttisch gingen ihre Blicke in der Runde. Otten saß neben ihr. »Was belustigt Sie?«

»Daß man Ihnen die Beichte abnehmen will, lieber Freund. Ich stellte mir vor, Sie stünden auf und redeten diesen lüsternen Männlein frisch von der Leber von Ihrem großen, freien Leben. Tun Sie es nicht. Sie bliesen in sieben Gehirnlein wie in leere Eierschalen. Aber wenn Sie sie anlügen, in der Art, als ob Sie im Grunde genau wie jene wären und verstellten sich zuzeiten nur aus Abenteuerlust – o, man wird in Ihnen einen Gott sehen und Sie als Kölner feiern.«

»Die Tafel ist zu Ende. Gehen Sie jetzt auf Ihr Zimmer, gnädige Frau. Oder ich bin zum Erzählen – zu eitel.«

Sie wandte den Kopf nach ihm und sah ihn fest an. Dann hob sie die Tafel auf.

Lüttgen verschwand sofort in der Küche, um die Spitzen der Maikräuter selbst in die Bowle zu tauchen. Die Herren drängten auf die Veranda und setzten die Zigarren in Brand. Otten gab der Hausfrau das Geleit bis zur Treppe.

»Gute Nacht,« sagte sie und wartete.

Er schüttelte den Kopf und zog sie in den Arm, wie man ein Kind in den Arm zieht. Seine Hand lag eine Sekunde lang auf ihrem Herzen. Aber er küßte sie nicht.

»Bring dies unruhige Herzlein zur Ruhe,« sagte er, und sie huschte hinauf.

Als er zur Gesellschaft zurückkehrte, fühlte er erst, wie ihm das Blut wirbelnd durch die Adern ging.

Mit vollen Lungen sog er die zärtliche Frühlingsluft in sich ein, und während sein Herz ungestüm pochte, blickte er mit einem verlorenen Lächeln in die Weite – – –.



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