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Rosenmontag – –! Geck, looß Geck elans! Maskenfreiheit! Eine ganze Stadt in Ekstase ...

In den Gassen und Straßen der Altstadt tobte der Aufruhr. Das Narrentum stand auf wider den Griesgram Vernunft. Es sprach seine eigene Sprache, deren gellend Gejauchz nichts wußte vom Trommelfell der Umstehenden, es machte seine eigene Musik, die in Kinderraspeln, Waldteufeln, Mundharmonikas und Vogelpfeifen versuchte, der Freude der Seele gerecht zu werden, es sang seine eigenen Lieder, trug seine eigene Tracht, und wo die Schönheit zu kurz kam, wurde sie durch Begeisterung ersetzt.

Rosenmontag ...

Die Hohestraße hatte die Führung. Wer von den Fenstern niedersah, blickte in ein Meer von blauen und roten, gelben und grünen Farben, dessen Wogen sich ballten, sich verschlangen, sich übersprangen, und aus denen Dominos, blaubekittelte Bauern, Höllenfürsten, Hexen und Balleteusen hochgehoben wurden, um zu vergehen wie ein Spuk und großkarierten Engländern, den Brüdern Straubinger, politischen und Phantasiemasken Platz zu lassen. Wo zwei Menschen nebeneinander eingekeilt wurden, bildeten sie eine Musikkapelle, wo sich ein Fräulein aus dem Trubel herausschälte, gab's fröhliche Jagd mit anschließendem Reigentanz. Hin und wieder ein Aufkreischen über allen Lärm hinaus. Ein Kuß hatte gesessen.

Eine Schar gescheckter Narren stürmte heran, warf sich in den Menschenstrom, hieb mit den knallenden Pritschen drein, ließ Schweinsblasen auf die Köpfe niedersausen und machte die Bahn frei. »Der Zug! Der Zug! Hä kütt! Platz for der Zug! Hau, du lecker Mädchen, ich fressen dich!«

Und der Karnevalszug trabte, rollte heran. Vorauf nach alter Sitte kölnische Bauern und Jungfrauen; die Funkenkompanie, die Karikatur ehemaliger Stadtsoldaten, etwas schwankend schon hinterdrein; und nun Wagen auf Wagen, auf denen in kecker Persiflage die Revüe des Jahres abgehalten wurde, der Geist der Stadtväter unvorhergesehene Würdigungen erfuhr, Denkmalsfragen gelöst wurden und eine Narrheit die andere an Witz und schillernden Farben übertrumpfte. Gedruckte Lieder flatterten in die Menge, unaufhörlich schmetterten Musikbanden die Melodie, kostümierte Reiter kitzelten mit langen Pfauenfedern die Mädchen, die lachend danach schlugen, am Halse. »Weg, du Räumer!« – »Wat denn? Ein Pfauenaug kann doch nit blind werde!« Und Prinz Karneval, an der Seite sein hochgemutes Gemahl, entbot vom turmhohen Wagen seinem getreuen, wonnejauchzenden Volk landesväterlichen Gruß. »An alle meine Narren! Alaaf Kölle!«

Joseph Otten hatte in einem Restaurant in der Hohestraße zu Mittag gegessen. An dem Tisch, der dicht vor eines der Fenster gerückt war, saßen neben ihm seine Tochter Carmen und Moritz Lachner. Frau Maria war daheim geblieben. »Ich habe mehr davon, wenn ich euch später erzählen höre,« hatte sie gesagt; »ich bilde dann das Publikum, und ihr habt die Freude zweimal.«

Mit belustigtem Blick schaute Otten seine Tochter an. Sie hielt ihre schlanke Figur wie eine junge Dame und gab sich ein Aussehen, als ob sie gewöhnt sei, täglich in den besten Restaurants zu Mittag zu speisen und Volksbelustigungen von ihrem Fenster mit der gleichen Geneigtheit entgegenzunehmen wie etwa in Nizza oder in Rom. »Sie ist ihren Jahren an Kopf und Wuchs voraus,« dachte Otten, »man könnte sie für sechzehn halten, und sie weiß es.« Und das belustigte ihn. Moritz Lachner hingegen blieb sich seiner ungeschickten Halbreife so sehr bewußt, daß er nur zuweilen hastig um sich zu blicken wagte. Dann fragte Carmen erstaunt: »Wünschest du etwas, Moritz? Gefällt es dir nicht?« – »Nein, Nein. – O ja!« –

Als sich der Rosenmontagszug heranwälzte, hob Otten mit elegantem Schwung das junge Mädchen auf den Tisch und hielt den Arm um ihre Taille. Und sie legte schmeichelnd die Hand auf sein Haar und dachte: »Jetzt werden die Leute glauben, es ist mein Bräutigam.« Das machte sie stolz und gab ihrem feinen Gesicht einen herablassenden Zug. Moritz Lachner wandte kein Auge von ihr. Der Rosenmontagszug hatte ihm nichts mehr mitzuteilen.

»Du, Vater, schau hier!«

»Der schöne Landsknechtsfähnrich?«

»Ach, das ist ja unser Bierhändler. Nein, der rote Teufel da, der immer in die Luft federt. Siehst du ihn? Erkennst du ihn nicht? Jetzt hat er uns entdeckt. Hurra!« Und sie schwenkte die Hand wie eine Fahne.

»Das ist Laurenz Terbroich,« sagte Moritz Lachner.

»Ich mag ihn nicht gern, Carmen,« meinte Otten, »Sein Teufel hat mir zu viel Mache, gerade wie der Mensch.«

»Aber es ist doch Karneval, Vater. Laß ihn doch zu uns.«

»Na, Kind, wenn ich deinen Freund nur an Karnevalstagen zu Gesicht bekomme, soll es mir recht sein. Er ist windig und frech. Heut soll er Maskenfreiheit genießen. Den Deubel zum Gruß, Herr Terbroich.«

»Den Deubel auch, Herr Doktor!« In grotesken Sätzen war der Rotseidene durchs Lokal gesprungen und machte Miene, sich des lachenden Mädchens zu bemächtigen. »Sonst wünschen Sie nichts?« rief Otten und fing den Teufel auf.

»Meine Großmutter läßt Sie grüßen, Herr Doktor. Und Sie möchten ihr doch auch mal die Ehre geben.«

»Ich werde Sie als Quartiermacher vorausschicken, wenn Sie nicht artig sind. So, setzen Sie sich. Hier ist ein Glas Sekt. Nun wollen wir singen und klingen, bis sich draußen der Schwarm verlaufen hat.« Er hob das junge Mädchen vom Tisch herunter. Die Wogen der Fastnachtsseligkeit schlugen kräftig ins Lokal.

»Du, Carmen ...« flüsterte Laurenz Terbroich. Er saß neben ihr und erhaschte ihre hin und her pendelnde Hand.

»Ja – –?«

»Dein Vater soll dich heute abend mit auf den Gürzenichball nehmen.«

»Ich darf noch nicht hin. Ganz gewiß nicht.«

»Frag ihn doch. Die halbe Tanzstunde kommt.«

»Vater,« schmeichelte Carmen, »wohin gehen wir denn von hier aus?«

»Nach Hause, du Nimmersatt.«

»Bleibst du denn auch zu Hause? Sag doch. Oder gehst du zum Gürzenich? Ach du. Sag's doch.«

»Du möchtest wohl mit? Kind, daran ist nicht zu denken.«

»Wenn ich einen Domino anziehe, sehe ich aus wie eine Erwachsene. Du, dann sind wir das schönste Paar. Nein, wirklich. Und du weißt es auch selber. Ach, Vater, mach mir doch den Spaß, ich hab dich doch noch nie um was gebeten.«

Er strich ihr über das erhitzte Gesicht. »Na, na, na! Ich tät's schon. Aber die Mutter wird es nicht erlauben.«

»Wenn du's ihr nur richtig sagst. Der Laurenz geht auch hin.«

»Soll ich das als Empfehlung nehmen?«

»Der Moritz auch,« sagte sie rasch und blickte den Abiturienten befehlshaberisch an.

»Was? Der Moritz auch? Du willst auf den Gürzenichball, Moritz?«

Moritz Lachner saß mit rotem Kopf. Er fühlte den verwunderten Blick Ottens, aber er fühlte auch die Aufforderung, die in dem Blick des Mädchens lag. »Ja, Herr Doktor,« sagte er, »ich wollte hin. Und ich würde Carmen nicht von der Seite gehen.«

Laurenz Terbroich blinzelte in sein Glas. Otten sah langsam von einem zum andern. »Das scheint mir hier ja eine Verschwörung zu sein. Aber wenn die Sache so hoch veranschlagt wird, daß selbst der Moritz lügt –«

»Herr Doktor, ich gehe ganz wahrhaftig zum Gürzenichball. Und Dominos für uns alle kann ich aus dem Geschäft meines Vaters bringen, der sich sehr freuen wird –«

»Das übrige schenk' ich dir. Ihr seid ja eine heillose Gesellschaft. Soll ich im Gürzenich vielleicht als Kindergärtnerin auftreten?«

»Vater, sei lieb! Du sollst uns gar nicht merken.«

»Umgekehrt, mein Herzchen. Ich möchte euch sehr bemerken. Aber ich möchte nicht, daß ihr euch auch anderen bemerkbar macht.«

»Ich werde mich doch selbstverständlich wie eine junge Dame betragen.«

»Du bildest dir wohl ein, es schon zu sein, Kindskopf?«

»Sieh mich doch an,« lachte sie übermütig und fiel ihm im Lärm des Saales um den Hals. Da gab er nach.

»Ausgetrunken, ihr Herren. Wir schlagen uns jetzt durch zur Rheingasse. Der rotseidene Teufel wird uns eine Gasse bahnen, und Moritz und ich, Carmen in der Mitte, halten uns dicht an seinen Fersen. Hierher, Kellner. Die Rechnung ... Das wäre abgemacht. Und nun: vorwärts!«

»Alaaf Kölle!« schrie der rote Teufel und sprang aus dem Lokal in den Menschenknäuel, der eine Sekunde stutzte. Otten und Lachner drängten nach. Das Mädchen hing zwischen ihnen. Sie erreichten eine Querstraße und bogen ein. Hier war Luft. Und ungehindert erreichten sie in zehn Minuten die Rheingasse. Moritz Lachner verabschiedete sich. »In einer halben Stunde bin ich zurück. Ich hole nur die Dominos.« Carmen wandte sich auf der Treppe um und winkte ihm nach.

»Maria,« sagte oben Otten zu seiner Frau, »ich habe ein leichtsinniges Versprechen gegeben.«

»Es ist ja heute Karneval, Joseph.«

»Das mein' ich auch. Man drückt ein Auge zu. Aber nun muß ich es dir wohl sagen?«

»Du willst auf den Gürzenichball. Hab' ich's erraten?«

»Halb. Und die andere Hälfte ist: ich hab' dem jungen Volk versprochen, es mitzunehmen.«

»Nein, Joseph, das geht nicht. Carmen ist erst vor ein paar Tagen vierzehn geworden. Und dann der Laurenz. Der imponiert ihr durch das Geld seines Vaters sowieso zu viel.«

»Wir haben den Moritz Lachner als Gegengewicht. Und außerdem: Bin ich nicht auch da?«

»Bis zur Saaltür.« Sie hielt ihm den Mund zu. »Willst du schon wieder leichtsinnige Versprechungen abgeben? Sobald der Moritz kommt, will ich mit ihm reden. Er soll mir auf euch alle achtgeben.«

»Mit anderen Worten: eine glatte Erlaubnis. O Maria, du unterstützest den Leichtsinn deines Mannes. Aber es ging wirklich nicht anders. Das Mädel fiel mir zu lieb um den Hals.«

»Hoffentlich bleibt's bei diesem einen Mädel, das dir heute um den Hals fällt,« scherzte sie.

»Ich krieg' ja schon graue Haare.«

»Du kriegst immer schon graue Haare, wenn es dir paßt. Und ich fürchte fast – immer nur bei mir.«

»Carmen!« rief Otten durch die Zimmertür. »Die Mutter hat's erlaubt! Gib ihr einen Kuß. Denn jetzt redet sie karnevalistische Sachen. Ach, Kinder,« und er schloß Mutter und Tochter in eine Umarmung, »es ist doch eine vergnügte Welt! Und da kommt schon der Moritz.«

Moritz Lachner kam die Treppe herauf. Er trug ein schwarzes Bündel unterm Arm wie ein Schneider. Carmen zog ihn ins Zimmer und begann eilfertig, den Knoten des Bündels aufzulösen. Zwei schwarze Dominos und ein feiner rotseidener fielen heraus. »Der ist für mich,« jubelte das Mädchen. »Daß du auch an die Farbe gedacht hast, Moritz.«

»Das Rot wird gut zu deinem schwarzen Haar stehen, Carmen.«

»Nein, dieselben Kostüme haben wir jetzt, der Laurenz und ich. Das ist famos!«

Daran hatte Moritz Lachner nicht gedacht. Schweigend half er ihr in den eleganten Umhang, der ihr bis zu den Füßen reichte und ihre Figur groß und schlank erscheinen ließ. Und schweigend band er ihr das Seidenläppchen vor die Augen. Sie stand vor dem Spiegel und bestaunte sich. Ein tiefer Atemzug ließ die Seide über ihrer Brust zittern.

Frau Maria winkte den jungen Mann zu sich. »Moritz, Ihnen vertrau' ich sie an. Ich will dem Kind die Freude nicht stören. Aber ich lasse sie nur mitgehen, weil Sie dabei sind.« Sie reichte ihm die Hand.

»Ich werde mich nicht von ihrer Seite drängen lassen, Frau Doktor.« Er hob den Kopf. Vor dieser Frau wurde ihm frank und frei. Und sie nickte ihm zu wie eine gute Mutter.

Carmen war ins Nebenzimmer zu ihrem Freunde Laurenz geschlüpft. Die Hände auf dem Rücken stand sie vor ihm und wiegte sich auf den Fußspitzen.

»Donnerwetter, Carmen –!«

»Wie gefall' ich dir?«

»Ich sagte es ja schon.«

»Du sagtest: Donnerwetter. Das ist garnix.«

»Ich möchte dir einen Kuß geben, Carmen ..«

»Wenn du mir versprichst, nie eine andere –«

»Carmen, das schwör' ich dir!«

»Nachher – –!«

Frau Maria rief sie ins Speisezimmer. »Erst nehmt ihr jetzt alle einen Imbiß. Und zwar tüchtig, denn später kann ich euch nicht mehr kontrollieren. Dazu trinkt ihr ein Gläschen kölnisch Bier. Das kühlt. Klaus hat einen Krug frisch über die Straße geholt. Ihr kommt mir immer noch viel zu früh in den Gürzenich.«

Moritz Lachner blieb hinter seinem Stuhle stehen. »Verzeihung,« stotterte er. Und dann nahm er sein Bierglas und sagte ruhig und ohne zu stocken: »Ich möchte das Wohl der Frau ausbringen, die immer nur an uns denkt, immer nur unser Bestes will, der Frau dieses Hauses, unser aller Ideal, Frau Doktor Otten – sie lebe hoch, hoch, hoch!«

Joseph Otten erhob sich, stieß mit ihm an, faßte ihn bei der Weste, sah ihm strahlend in die Augen und ließ ihn wieder los.

»Mutter,« rief Carmen, »der Moritz liebt dich!«

»Er liebt alles, was Otten heißt,« rief der junge Terbroich, »das war schon immer so. Huh, was für ein Herz!«

Moritz Lachner setzte sich. Er blickte lächelnd auf seinen Teller. – –

Als Joseph Otten mit seiner kleinen Truppe den Festsaal betrat, zog er sich die Kapuze seines Dominos fester über die Augen. Ein prickelnder Strom durchrann ihn, ein übermütiges Gefühl, jung sein zu dürfen, und ein Mutwille, es auch zu sein! Die Geigentöne fingen sich in seinem Ohr und ließen die Gedanken hüpfen, die schönen Gestalten der Frauen umgaukelten sein Auge, blitzartige Blicke aus Seidenlarven kreuzten sich und wirbelten das Blut hoch, und das Klingklang-Gloria der Becherfreuden läutete im Hintergrund von allen Tischen. Er gedachte schnell noch ein paar Verhaltungsmaßregeln zu geben, da huschte es schon wie eine rote Flamme an ihm vorüber, ein roter Teufel und ein roter Domino, Walzertakte, Viola, Baß und Geigen, Gesang, Gelächter und Sprachenverwirrung.

»Punkt zwölf Uhr an dieser Tür, Moritz. Wenn wir uns verfehlen, direkt nach Hause!«

Der schwarze Domino neben ihm glitt stumm von dannen.

»Dieser köstliche Lärm macht betrunken,« dachte Otten, »diese Farben, diese gelösten Glieder und Sinne.«

Eine Mädchenschar umzingelte ihn. Tirolerinnen, Zigeunerinnen, Schulmädchen in kurzen Röckchen und langen Seidenstrümpfen, Tafel, Schwamm und klappernde Griffelbüchse an der Seite. Sie sangen ihm das alte Liedchen in die Ohren, das er im Kreis der Gespielen als Kind auf der Gasse gesungen hatte, das Liedchen von

»Bloh, bloh Fingerhot,
Hätte mer jet, dat wär wal got,
Blumen alle Tage – –«

Und die Jahre waren nicht gewesen, er spielte als ausgelassenes Kind im Mädchenkreis auf der Gasse, die Wechselstrophen fanden sich mühelos ein, und er sang zurück:

»Schäflein, Schäflein, knie dich.
Knie zu meinen Füßen
Und erlaube mir das Recht,
Deinen Mund zu küssen.«

Er breitete die Arme aus und man stieß ein Schulmädel hinein und stob auseinander. Einen Augenblick hielt er die junge Brust fest an der seinen, dann walzte er mit seiner Beute in weitem Schwung in das Gewoge der Tanzenden.

»Für einen Domino hast du eine sehr ausgebildete Stimme,« lachte sie in seinem Arm.

»Für ein Schulmädel bist du meiner Treu auch nicht zurückgeblieben.«

»Das sieht nur so aus,« kicherte sie.

»Ich hab's auch im Gefühl,« schloß Otten und zog sie im Tanze näher heran. Sie lehnte den Kopf gegen seine Schulter und summte beim Tanz die Melodie ...

»Halt, Maske.«

Er ließ seine Tänzerin los und wandte sich um. »Ah – –! Meinen Respekt, schöne Herzogin.«

»Kennst du mich?«

»Ich kenne dich, denn du bist in jedem Weibe. Du bist die Eva, der es heute gefällt, als Herzogin von Berg zu tanzen.«

»Und wenn es mir gefällt, mit dir zu tanzen?«

»Herzoginnen sind später meist vergeßlich. Aber auch ich habe gefürstet Blut. Denke daran.«

»Willst du?«

»Die Stunde will es.«

Er schlang den Arm um ihre Taille, die umso zarter erschien, als über den Hüften der gebauschte Rock sich schürzte.

»Du hast einen eisernen Griff,« sagte sie und bog sich im Tanz zurück. »Mit was für Geschöpfen hast du im Leben getanzt?«

»Mit Mädchen, welche Männer lieben ...« sang er ihr ins Ohr.

»Männer? Wo sind sie? Ich habe eine Neugier, einen Mann kennen zu lernen.«

»Heirate, schöne Herzogin.«

»Das tat ich schon. Und ich wurde neugieriger als je.«

»Armer Herzog.«

»Hältst du ihn für ärmer oder mich?«

»Ihn! Wen anders als ihn! Denn er hat ein weißes Weib mit rotem Blut und weiß es nicht.«

Die Geigen jubelten auf, und die Menge jubelte mit. Ein Freudenrausch lag in der Luft. Er lag in Kopf und Herz.

»Ihr Männer seid Egoisten. Weil ihr alle dasselbe Manko in euch verspürt, haltet ihr gegen uns zusammen. Ihr redet so viel und so laut von der Liebe, damit wir glauben sollen, sie wäre so und ihr verständet sie.«

»Belehre mich eines besseren, und du hast deinen ersten Schüler.«

»Mit Keckheit kommst du den Dingen nicht auf den Grund. Wenn ihr angreift, ergeben wir uns. Aber wenn wir befehlen, verschenken wir. Ahnst du den Unterschied?«

»Nein, hohe Frau. Denn wenn ihr euch ergebt, beginnt für den wahren Ritter des Turniers zweiter Teil. Durch seinen Adel die Ergebene in eine Schenkende zu wandeln. Aus Winterhaft den schüchtern knospenden Frühling zu locken, den Frühling zur Sommersonnenglut zu steigern und den Sommer zur süßen Reife des Herbstes. Nur die Entwicklung macht glücklich und hält uns voll spannenden Lebens. Ein Geschenk? Morgen ist es alt.«

Sie promenierten durch die Reihen der Paare, die Zufall, Wissen oder lustige Intrige zusammengeführt hatte.

»Sei ehrlich, Domino. Du sagst es selbst: der Wechsel macht glücklich. Das Suchen und Sichsteigern. Und ihr laßt euch an der Oberfläche genügen. Wir aber –«

»Ihr trinkt das Blut.«

»Wir trinken das Blut.« –

Sie saßen an einem Tischchen, und Otten füllte zwei Champagnergläser. Sie sah ihm auf die Hand. »Habe ich dich erschreckt?«

»Du führst sonderbare Gedanken in deinem Köpfchen spazieren. Laß mich in dein Herz sehen. Ich sehe nur die weiße Haut.«

»Sie spricht mehr als das Glaubensbekenntnis, das wir im Munde führen. Unter Rassemenschen. Aber wo sind sie?«

»Der eine trinkt dem andern zu, wenn es auch kein Blut ist.«

Sie hob ihr Glas und trank unter der Seidenlarve. »Kein Blut – –! Das Wort hat dich also doch erschreckt. Oder dich stutzig gemacht. Weshalb, wenn wir beide uns zur selben Rasse bekennen? Wenn ich diese Schale Wein liebe, so trinke ich sie aus. Bis auf den letzten Tropfen. Sieh her. Und wenn ich einen Menschen liebe, soll ich nur nippen? Auf morgen die Schale Wein zurückstellen und auf übermorgen? Damit der Wein sauer wird oder ein anderer ihn mir wegtrinkt? Belügen wir uns doch nicht mit schönen Worten. Menschen wie wir lieben nicht das erstbeste. Wir lieben im anderen etwas, was wir nicht besitzen, was wir haben möchten. Und wenn wir schenken, wissen wir, daß wir tauschen und daß uns im Tausch ein Gewinn bleibt. Das Blut des anderen macht uns stärker, sein bestes, sein tiefstes. In diesem Sinne trinken wir Blut, – wenn wir lieben.«

»Und wenn der eine – ausgetrunken ist?«

»So bleibt er auf dem Platze. Kein schöner Sterben in der Welt ...«

Otten beugte sich vor. Aus den Augenlöchern der Seidenmaske traf ihn ein aufzuckender Blick.

»Das mag ein schönes Spiel sein, kühne Frau. Aber es ist keine Liebe.«

»Nicht die Liebe von Schulmädchen mit zwanzigjähriger Brust und Flatterröckchen. War deine Tänzerin von vorhin ein Examen wert? Nicht die Liebe aus der Zeit, da der Großvater die Großmutter nahm. Nein, unsere Liebe.«

Otten trank sein Glas aus. Bis auf den Rest. »Streiten wir nicht über das Wort. Wenn du es für dich in Anspruch nimmst, soll es Liebe heißen. Aber deine Liebesberechnung hat einen Gedankenfehler.«

»Der wäre?«

»Sie könnten beide auf dem Platze bleiben. Der eine und die andere. Finis Poloniae

»O,« lachte sie auf – – »ich kenne mich.«

»Aber du kennst noch keinen Mann. Noch nicht! Wir gingen davon aus!«

»Und du, stolzer Domino, sprichst nur immer von ihm und zeigst ihn nicht. Das ist Männerart, und bei dir – verzeihe – kompliziert durch den Sänger.«

»Du – weißt, wer ich – bin?« fragte Otten langsam.

»Mir scheint,« sagte die bergische Herzogin und lehnte sich weit im Stuhl zurück, »ich weiß es besser als du selbst. Soll ich es dir offenbaren? Wenn du als Frau auf die Welt gekommen wärest, wärest du ich. Da du aber als Mann auf die Welt gekommen bist –«

Auch Otten hatte sich weit im Stuhl zurückgelehnt, »– so habe ich das Goethische Wort nicht vergessen: `Die Frauen sind silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel legen.´ Laß mir diesen Glauben, holde Unbekannte. Du gewinnst dabei.«

Sie hob den Kopf. Als ob sie lauschte. Dann stand sie mit nachlässiger Gebärde auf. »Ich finde diese Rede voll Verstand. Aber es ist Karneval, und ich möchte des Lebens Unverstand genießen. Gehen wir.«

»Zürnt mir die unbekannte Herzogin der Frauen?«

»Sie zürnt nicht. Sie findet es nur langweilig.«

»Das ist ein Todesurteil. Und da ich nun doch in Euren Augen sterben muß, möchte ich die Stunde genießen.«

»Frauen haben keine Logik. Aber Männer noch minder. Küsse mich also nicht. Du gewinnst dabei.«

»Ah – kehrst du die Waffen um? Man kann auch küssen, um zu verletzen.«

Sie legte ihre Hand wie eine Klammer um die seine. »Achtung. Der Herzog naht. Wir sprechen weiter.«

Ein schwerfälliger Domino schob sich durch die Menge. Jetzt hatte er den Tisch erreicht. Und in animierter Stimmung schlug er Otten schallend auf die Schulter. »Jupp, Jupp! Wat siehste schlääch us!«

»Kennt mich denn hier alle Welt? Trotz der Maske?«

»Erstens: deine Figur. Zweitens: daß meine Frau dich gekapert hat und dich versteckt hält. Ach – Donnerwetter – ich sollte wohl nichts verraten? Pardon. Nun ist es heraus. Schadet auch nix. Gut amüsiert zusammen?«

»Frau Amely Lüttgen – –« sagte Otten gedehnt, beugte sich nieder und küßte ihre Hand.

»Ich bin dabei, deinem Freunde etwas mehr Höflichkeit gegen uns Frauen zu predigen.«

»Läßt er sich nicht um den Finger wickeln? Das ist höchst unrecht. Vielleicht erreichst du es auf andere Weise.«

Sie lüftete für einen Augenblick die Seidenlarve. In dem blassen Gesicht glühten die Augen. »Diese zornigen Augen weich werden sehen – –« dachte Otten und konnte von dem nervösen Gesichtchen nicht los ...

»Jetzt ist der Reiz des Intrigierens vorbei,« meinte sie und fächelte sich Kühlung, »und zu neuen Abenteuern ist es zu spät. In einer Viertelstunde beginnt die Demaskierung, und bei dem Tumult möchte ich über alle Berge sein. Fahren wir nach Hause.«

»Wir – ?« wiederholte Otten.

»Wenn Sie sich zu unserer Gemeinschaft rechnen.« Der Satz hatte einen Unterton. Und sie wußte, daß er ihn verstand.

»Otten fährt mit,« entschied der Fabrikant. »Joseph, mein Freund, tu's mir zuliebe. Ein Fläschlein Rauentaler daheim und ein gutes Männergespräch.«

»Und ich?« fragte Frau Amely und ließ die Seidenlarve über die Augen fallen.

»Ein Männergespräch,« sagte Otten, »kann nur ein gutes sein, wenn eine Frau es leitet.« Als sie im Wagen saßen, griff Otten sich an die Stirn.

»Was haben Sie, Herr Doktor? Ein Rendezvous vergessen? Das dralle Schulmädchen? Die Entwicklung vom Frühling zur `Sommersonnenglut´? Gott, wir sind nicht neidisch, wir fahren Sie zurück.«

»Ich habe ja meine Tochter auf dem Ball.«

»Verehrtester, Sie möchten wohl plötzlich den alten Mann spielen? Den sogenannten Vater? Fürchten Sie nichts. Wir trinken Rauentaler und führen ein gutes Männergespräch. Alles wohl temperiert.«

»Herzogin, Euer Spott könnte aus Jünglingen Männer, geschweige denn aus Männern –«

»Nun?«

»Den Mann machen.«

Hatte er sich getäuscht? Ihm war gewesen, als hätten wie zufällig ihre kühlen Finger seine Hand gestreift. Er spürte es an dem plötzlichen Stillstehen seines Herzens. Nein – es war ein Irrtum. Sie schaute in Gedanken verloren zum Fenster des rasch dahinrollenden Gefährtes hinaus. Er hatte sich also getäuscht. Aber der Gedanke, daß es hätte sein können, blieb, und er fühlte, wie das heiße Herz noch immer unregelmäßig schlug. Torheit! Diese Frau! »Ich hasse sie,« hatte ihm der Freund gesagt. Und er? Er haßte sie nicht. Er liebte sie noch weniger. Aber sie war besonderer Art. Sie interessierte ihn – aus einem Kräftevergleich.

»Der junge Lachner wird Carmen pünktlich heimbringen,« beschwichtigte er sich. »Vielleicht sind sie schon zu Haus und amüsieren sich mit Frau Maria über den väterlichen Durchgänger.« – Frau Maria – Carmen – Vater – es zog ihm durch den Sinn und versank. »Sie hat doch meine Hand gestreift ...«

»Wann soll der Kutscher Sie erwarten?« fragte ihn Frau Amely, als der Wagen hielt. »Sie sehen, auf welchen gut bürgerlichen Ton die Mitternachtsstunde gestimmt wird.«

»Um eins, gnädige Frau. Dann ist die Geisterstunde zu Ende.«

»Für heute. Oder für die, deren Geist nur für eine Stunde reicht. Treten Sie ein, meine Herren. Der Kutscher hat Weisung, Herr Doktor.«

Die Herren warfen in der Garderobe nur den Domino ab. Als sie den Salon betraten, vernahmen sie aus dem Nebenzimmer Musik. Frau Amely, im Gewand der bergischen Herzogin, das rostbraune Haar in halblangen Locken auf der nackten Schulter, saß im Musikzimmer am Flügel und spielte eine wilde, eigenwillige Phantasie, aus der es immer wieder wie ferne Geigen und Flöten erklang. Zum Hochzeitsreigen zu unheilig, zum bloßen Tanz zu toll und kapriziös – – – Karneval!

»Komm,« sagte Lüttgen und zupfte den Freund am Ärmel, »wir haben nichts gehört. Das kann lange dauern. Wir pilgern gen Rauental.« Die Geister des Weines waren über ihm.

Otten machte sich mit einer mechanischen Bewegung von ihm frei. Er trat an den Flügel. Er lehnte sich in die Buchtung. »Was ist das, was ich spiele?« fragte ihr Blick. Und er antwortete laut: »Nur ein Gedicht ließe sich dazu rezitieren, und Sie haben daran gedacht.« Sie nickte, blickte ihn immer noch an und phantasierte weiter. Und er fuhr fort: »Die Herzogin von Berg ist guter Laune, wenn sie den Erinnerungen Audienz gibt. Oder – heißt es mehr?« Sie blickte ihn an, spielte und lächelte.

»Das wird mir zu mystisch,« brummte der Hausherr. »Ich hole den Wein hierher, oder er bleibt noch ungetrunken.« Und er verschwand in seinem Arbeitszimmer.

Nun nickte sie wieder. Und in den nächsten, jauchzenden Auftakt hinein begann Otten die Ballade vom »Schelm zu Bergen« zu sprechen, im Sprechen zu leben.

Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein
Wird Mummenschanz gehalten – –
– – – – – – – – – – –
Da tanzt die schöne Herzogin.
Sie lacht laut auf beständig – –

Sie waren allein, und doch war das Zimmer mit Gestalten gefüllt, die aus dem Klang seiner Stimme erstanden. Mummenschanz. Und sie beide inmitten. Eine Locke fiel ihr ins Gesicht. Er trat näher und strich sie zurück. Seine Hand lag auf ihrer kühlen, glatten Schulter.

»Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir,
Ich muß nach Hause gehen.«
Die Herzogin lacht. »Ich laß dich nicht fort,
Bevor ich dein Antlitz gesehen.«

Und die Frau am Flügel bog den Kopf nach hinten daß sie dem Mann von unten in die Augen sah, und wiederholte: »Bevor – ich – dein – Antlitz – gesehen.«

Der Mummenschanz war zu Ende. Die heraufbeschworenen Gestalten verkrochen sich in den Ecken. Sie waren allein und in der Wirklichkeit.

»Brechen wir ab,« sagte Otten und trat zurück. Mit Flasche und Gläsern klingelnd kam der Hausherr durch das Nebenzimmer. Frau Amely klappte den Deckel zu und wandte sich auf dem Drehstuhl zu den Herren. »Ist das der rechte Ort?«

»Wenn du es wünschest, konzentrier' ich mich schleunigst wieder rückwärts.«

»Nein,« bestimmte sie, »das hieße die Stimmung zerreißen. Heute ist alles erlaubt. Die Herzogin – ist zufrieden.«

»Mein Kompliment,« lachte Lüttgen, verbeugte sich gegen den Freund und entkorkte die Flasche. »Nun wollte ich nur, du besuchtest uns im Frühling in Godesberg.« Er schenkte den Wein in die Gläser. »Vielleicht hat meine Frau in ihrem Hofstaat einen Ministerposten frei. Die Gesichter möchte ich sehen. Prosit.«

»Du würdest dich über die Gesichter nicht lange amüsieren können, Lüttgen. Denn kraft meines Kanzleramtes würde ich zuallernächst – den Hofstaat auflösen. Prosit.«

»Wenn ich die Ermächtigung dazu erteilte,« rief die Hausfrau. »Prosit.«

»Ich würde selbst vor der Kabinettsfrage nicht zurückschrecken, Hoheit. Prosit.«

»Das ist ja eine prachtvolle Zecherei!« Der Hausherr füllte jedes leere Glas. »Heut wird doch zum Reden getrunken und nicht bloß geseufzt. Du gehörst zu uns, Joseph, zu mir, wollt' ich sagen. Stoß an. Zum Frühjahr in Godesberg. Mein Landhaus soll Tage erleben, die es sich nicht hat träumen lassen!« Seine Stimmung bekam einen sentimentalen Zug. Er erging sich in Freundschaftsbeteuerungen.

Draußen fuhr ein Wagen vor. Der Kutscher knallte mit der Peitsche. »Die Stunde ist um,« sagte Otten, »bleib sitzen, ich häng' den Domino über den Arm. Gute Nacht.«

»Vergiß Godesberg nicht,« rief der Hausherr dem Freunde nach. Die Hausfrau gab ihm über den Korridor das Geleit. »Wissen Sie, weshalb ich den Wagen für Sie bestellte?«

»Sicher nicht, damit ich mich nicht erkälten sollte.«

»Weil ich möchte, daß Sie von hier aus sofort nach Hause fahren.«

»Der Grund?«

»Sie sollen heute mit niemandem mehr in Berührung kommen. Die Luft, die Sie aus meinem Zimmer mitnehmen, soll um Sie bleiben. Das ist – mein Gastgeschenk.«

»Gute Nacht, gnädige Frau.«

Er saß im Wagen und summte die Melodie, die er im Ohre hatte. Aus dem Gürzenich, aus dem Musikzimmer Frau Amelys. Dabei hob er die Hand und strich den Schnurrbart zur Seite. Was war das? Frau Amely – –? War sie seinen Gedanken so nahe, daß er den feinen Duft verspürte, der von ihr ausging? – Er lächelte. Der Duft kam von seiner Hand. Und seine Hand hatte auf ihrer Schulter gelegen ...

»Sie kennt alle Hexenbräuche,« sagte er sich. Und von Zeit zu Zeit strich er sinnend über den Schnurrbart ...

Daheim sah er Carmens roten Domino auf dem Sessel liegen. »Sie ist daheim.« Er betrachtete sinnend das Gewand. »Wie groß das Mädchen ist. Noch ein paar Jahre, und ich –« Er ließ den Domino fallen. »Nichts mehr denken. Nichts mehr als an das Heut. Und daß ich es in der Hand habe, es zu verlängern.«



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