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V

»Wie die Wasser des Trevi heute melancholisch rauschen ...«

Joseph Otten nahm dem fettleibigen Peppe, dem Patriarchen der Osteria, Glas und Flasche ab, schwenkte das Glas mit einigen Tropfen des blinkenden Frascati um, die er in das schmale, weindunstdurchzogene Zimmer spritzte, goß ein und trank Heinrich Koch zu. Wieder war es ein Vorfrühlingstag, ein sommerwarmer Februarmorgen. Die Sonnenstrahlen strömten durch die weit offene Tür der Osteria, kitzelten den Staub auf Tischen und Fußboden, ließen ihn in seinen Säulen tanzen und flirren wie eine neckische Mahnung für den Wirt, der sie gutmütig lächelnd übersah, und trieben ein frohes Farbenspiel in den Weinresten, die verschüttet auf den Tischen lagen, ohne daß sie einen Gast genierten.

Heinrich Koch, im langen, etwas abgetragenen Gehrock, schlürfte langsam den Wein. »Ich höre die Fontana, wie ich sie seit Jahren höre. Sie rinnt und verrinnt, rinnt und verrinnt – höchstens, daß ich das Verrinnen jetzt deutlicher höre.«

»Oho! Damit hat es noch lange Zeit.«

»Ich war es nicht, der die melancholische Note ins Gespräch trug.«

»Ich auch nicht.«

»Also war es die Treviflut. Trink, Joseph, der Frascati spült das nichtsnutzige Gehirn rein. Du bist gestern beim Botschafter zu sehr gefeiert worden.«

»Zu sehr – ? Das ist kein Kompliment für meine Kunst.«

»Nein,« sagte Koch und schenkte sein Glas voll, »von deiner Kunst habe ich nicht gesprochen. Sie steht außerhalb dieses Frühschoppens, denn dazu ist sie mir doch zu heilig. Wenn es für dich darin noch eine Höhe zu erreichen gab, du hast sie erreicht. Sie ist gereift wie ein edler Wein. Voll und feurig ... Sonderbar, ist es dir nicht auch mehr als oft aufgefallen, daß man den besten Wein in den – in den ungeniertesten Kneipen trinkt?«

»Prosit, Hochwürden. Ich wittere es: jetzt kommt's.«

»Schön, wenn du es hören willst. Den Künstler › hors concours‹. Der Mensch gefällt mir nicht so recht.«

»Hm – –. Du meinst damit: der Mensch ist dir gestern auf der Soiree zu sehr gefeiert worden.«

»Das wäre nicht so schlimm. Nur – daß es dem Herrn Doktor Otten gar nicht unlieb zu sein scheint.«

»Lieber Heinrich, deine Freundschaft und tiefen Kenntnisse in Ehren. Aber ob ein Zölibatär in diesen Dingen die richtige Entscheidung zu treffen vermag –«

»Ich denke gar nicht daran, eine Entscheidung zu treffen. Ich bin, wie du es aussprachst, sozusagen doch immer nur ein Zaungast, wenn es an die Hauptfesttafel geht. Möglich, daß auch der Neid mein Auge schärft. Denn ich fliehe nicht umsonst meine kahle Wohnung und sitze bis tief in die Nacht beim biederen Peppe an der Fontana Trevi oder beim nicht minder biederen Onkel Pasquale in der Via San Giuseppe hinter der Flasche, mir die Einsamkeit wegzutäuschen. Lassen wir das. Dir gegenüber bin ich ohne Neid, das weißt du, und wenn dir der Padischah als Honorar ein Passepartout überreichen ließe. Aber gerade deshalb bin ich – deine Objektivität.«

»Hat dir die kleine, › eccellenza‹ so sehr mißfallen? Sie ist jung, apart, elegant. Die Sonne Roms hat ihr Blut gekocht. Soll ich die Augen niederschlagen, wenn sie – das Feuerzeichen gibt? Es reizt mich, zu erfahren, welche Art Edelmetall in diesem Feuer glüht.«

»Unverbesserlicher Optimist. Du wirst Asche finden.«

»Und wenn! Ich muß von Zeit zu Zeit die Probe auf meine Jugend machen, denn – ich bin nicht mehr der Jüngste. Ich muß von Zeit zu Zeit die Gewißheit erneuern, daß ich noch die Macht in Händen habe, die Macht über Frauenherzen. Das stößt mich vorwärts. Und der Erfolg gibt mir recht. Ich wandle durch einen Blumengarten, und die Blumen schmeicheln sich mir in die Hand.«

»Und du glaubst immer noch, daß das dem Manne in dir gilt?«

»Wem sonst?«

Heinrich Koch schwieg eine Weile. Er spielte mit seinem Glas, schob es von sich und sah den alten Jugendgefährten offen an.

»Es ist der Geruch des Lorbeers, der die Frauen zu dir zwingt, Joseph. Damit ist alles gesagt.«

Joseph Otten trommelte mit den Fingern hart auf den Tisch. »Das heißt zu Deutsch: wenn mein Stern sinkt –«

»Geht eine neue Gruppierung am Sternenhimmel vor sich.« Joseph Otten lachte. »Ich werde die Konstellation noch einige Zeit mitbestimmen. Ich habe meine Zeichen. Beruhige dich.«

Die Treviflut rauschte von der Fontana herüber. Sie saßen und horchten auf die einwiegende Melodie.

»Wie lange ist es, Joseph, daß du nicht in Köln warst?«

»Drei Jahre,« antwortete er kurz.

»Und drei Jahre hast du die Maria nicht gesehen und die Carmen? Daß du das aushältst!«

»Es war die längste Trennung bisher. Ein Engagement reihte sich an das andere. Es waren Strapazen. Ich suchte in Italien Erholung.«

»Ich kann mir diese Gründe nicht vorstellen.«

»Gründe? – Ja, wenn ich Gründe hätte. Die würd' ich schon aus der Welt schaffen. Denn ich wüßte keine Menschen, die ich so lieb hätte wie die beiden in Köln. Aber – es ist eine Verlegenheit – –. Ich – ach, Heinrich, weshalb soll ich mich vor dir verstellen – ich habe keine Seßhaftigkeit. Ich muß wechselnde Bilder um mich haben. Mein Blut muß in Wallung bleiben. Ich muß das Gefühl haben, frei über mich verfügen zu können, will ich bleiben, der ich nun einmal bin. Das aber läßt die Ehe nicht zu. Ich bin inkonsequent gewesen, als ich mich band. Ich tat's, um eine Liebe mit einer anderen zu vergelten. Aber die Konsequenzen dieser Bindung im bravbürgerlichen Sinne auf mich zu nehmen, das bedeutete für mich die größte Inkonsequenz meines Lebens. Das will zu Ende gelebt sein, wie es begonnen wurde. Alles andere wäre Scharlatanerie, Pose schlimmster Art, ein Belügen meiner selbst und anderer, die das Recht hätten, nun einen neuen Menschen von mir zu verlangen, den ich beim besten Willen nicht präsentieren könnte.«

»Ich hätte dich für einen bedeutenderen Lebenskünstler gehalten. Um rückhaltlos nur den eigenen Wünschen zu folgen, dazu bedurfte es keines Joseph Otten. Dazu reicht zuletzt eine gewöhnliche Portion Leichtsinn aus.«

»O nein, mein Alter, es gehört mehr dazu, wenn der Gewinn dem Einsatz entsprechen soll.«

»Der Gewinn! Revidiere mal deine Gewinne. Du kannst die armen Seelchen in eine taube Nuß stecken, und sie wird dennoch taub bleiben. Fahr nicht gleich auf. Du könntest Namen nennen, wenn das nicht gegen deine Kavalierstugenden ginge, Namen von Frauen und solchen ohne den Frauentitel, die in der Bewegung der Zeit eine Rolle spielen. Was beweist das? Höchstens doch, daß auch sie sich vor den Konsequenzen drücken und nur den Gewinn einstreichen wollen. Einer betrügt den anderen. Fühlst du das denn nicht heraus?«

»Nein. Ich fühle nur heraus, daß dein Verständnis für diese Dinge nicht ausreicht.«

»Dem könntest du ja leicht zu Hilfe kommen. Aber du wirst dich hüten. Denn es müßte auf Kosten deines Siegergefühls geschehen.«

»Du gefällst dir in Rätseln.«

»Ist das so schwer? Oder glaubst du, daß diese Frauen dir gegenüber nicht dasselbe Siegergefühl hätten?«

»Pah!«

»Damit bläst du den Staub von den schönen Bildern nicht herunter. Der haftet fester.«

»Du hast heute deinen sentimentalen Tag, Heinrich. Das liegt an diesem jungen Vorfrühlingstag. Mich stachelt die erste warme Sonne auf zu neuen Erlebnissen, dich schlägt sie nieder, weil du keine alten hast. Das ist es. Denn im Grunde genommen spürst du die Sonne gerade so sehnsüchtig wie ich.«

Heinrich Koch blickte an seinem langen schwarzen Rock hinab, der keine sorgende Hand verriet. Seine Lippen preßten sich aufeinander. »Ich habe kein Weib,« sagte er dann. »Aber hätte ich es, ich wüßte den Unterschied zu machen zwischen Weib und Weibern.«

»Die Frauen von heute sind anders geworden, als unsere Mütter waren, Heinrich. Und wir sind es auch.«

»Wir – das unterschreibe ich. Der Kampf um den Erwerb ist heißer geworden, und damit auch die Gier. Das geht immer Hand in Hand. Aber daß die Frauen anders wie unsere Mütter werden könnten? Ach, du meinst, im äußerlichen Behaben, auch in der wissenschaftlichen Fortschulung, beides zusammengenommen in der Emanzipation? Aber doch wahrhaftig nicht im Mutterwerden.«

»Auch darin. Weshalb nicht?«

»Weil im Liebesleben ein Teil der passive sein muß, und weil die Natur diese Stelle der Frau zugesprochen hat. Man kann gegen die Naturgesetze verstoßen, aber man kann sie auf die Dauer nicht wegdisputieren. Weil sie das Ewige sind.«

»Weshalb soll nicht auch den Frauen die Aktivität in ihrer Liebe zugesprochen werden?«

»Sobald ihr euch herbeilaßt, Unterröcke anzuziehen. Sonst ist der heilige Spaß beim Teufel.«

»Mein lieber Heinrich, es stehen Frauen an der Spitze, die geistvoller sind als wir beide.«

»Geistvoll. Aber auch reizvoll? So jung, so schön, so lieb und umworben, daß sie die Wahl haben unter Männern von Schrot und Korn? Da hapert's. Altes oder dürres Holz brennt am leichtesten, mein lieber Joseph. Und es weiß auch, weshalb. Stellt mir statt eurer Agitatorinnen Mädel und Frauen an die Spitze, die über die Leibes- und Seelentugenden verfügen, wie ich sie schilderte, und die sich dennoch aus purster Begeisterung für die Sache ausbieten, und ich will mich auf der Stelle bekehren.«

»Ausbieten? Du weißt wohl nicht, was du sprichst. Eine jede Frau hat das Recht, das Glück zu erfahren, das ihre bevorzugtere Schwester erfahrt.«

»Schön gesagt. Das müßte dann aber auch für alle Männer gelten, für alle! Oder die Gleichstellung wäre schon wieder illusorisch. Ich bezweifle nur, daß die Frauen darauf eingingen.«

»Und was Jugend, Schönheit und Gesinnungsadel betrifft,« fuhr Otten unbeirrt fort, »so ist daran unter den Frauen, die sich von der Schablone befreiten, kein Mangel, das kann ich dir versichern.«

»Und – die Treue?«

»Sie sind so treu wie wir!«

»Das heißt also: ausgeschlossen.«

»Können wir nicht auch treu sein? Übrigens, wenn du bei uns die Treue für ausgeschlossen hältst –«

»Bei uns? O nein. Bei euch! Das ist ein Unterschied. Nur bei euch Menschen der ›wechselnden Bilder‹, der ›Wallung des Bluts‹, der Menschen mit dem umgekehrten kategorischen Imperativ, wenn so was wie Selbstkultur auftaucht.«

»Wir sind mündig. Es gibt ein Selbstbestimmungsrecht.«

»Laßt es euren Töchtern passieren,« sagte Heinrich Koch trocken.

Otten sah auf. Eine Röte lief über seine Stirn. »Was soll das? Du willst mir die Laune verderben.«

»Laßt es euren Töchtern passieren,« wiederholte der andere. »Und seid ihr im stande, euch auszudenken, daß auch eure Töchter dasselbe Leben leben könnten wie ihr, mit demselben ausgedehnten Selbstbestimmungsrecht, und es wird euch nicht plötzlich schwarz vor den Augen, dann darfst du mich ruhig dem vatikanischen Museum als lebendige Mumie überweisen lassen, die überfällig ist.«

Otten erhob sich. »Das geht zu weit,« sagte er. »Auf das Gebiet der Sophismen folge ich dir nicht.«

»Das ist keine Antwort. Denn der Sophist, der vor den Realitäten den Kopf in den Sand steckt, bin nicht ich.«

»Peppe, zahlen!«

Heinrich Koch zog den Unwirschen auf seinen Platz zurück. »So entlass' ich dich nicht, Joseph. Zeig, daß du eine Ausnahme bildest, und ich finde mich damit ab. Aber stelle dich nicht mit in die Regel. Das verkleinert dich, und ich kann meinen einzigen Freund nicht klein sehen. Lebe, wie du willst, aber hänge den Dingen kein Mäntelchen um, wie es die kleinen Menschentierchen müssen, um ihren wild gewordenen Instinkten ein Relief zu geben. Das hast du nicht nötig. Denn du gibst mehr, als du empfängst. Deshalb gib aber auch mit offenem Visier. Wenn sich diese Weibchen an dich werfen, nur weil sie den Geruch des Lorbeers verspüren und sich mit dir ausputzen möchten, laß sie nicht im unklaren darüber, daß du sie richtig einschätzest – als quantité négligeable. Und wir haben unseren prachtvollen Joseph Otten wieder, dessen helles Lachen auf dieser Welt so viel wert ist wie ein Kirchgang des tugendhaften Jünglings. Prost, Joseph!«

»Heinrich,« lachte Otten, »ich weiß nicht, hast du nun Moral oder Unmoral gepredigt. Aber der Pfeil sitzt. Und mit diesem Glas Frascati wasch' ich die letzten Spuren des Unsinns aus der Kehle, den ich vorhin hinaufbefördert habe. Ach, du, die liebe Sonne!«

»Du bezahlst die Flasche,« bestimmte Koch. »Ich habe mich trocken reden müssen.«

»Peppe! Eine zweite! ... Nur eins, Heinrich –« und des Mannes lachende Augen wurden ernst, »das mit – mit unseren Töchtern, das darf zwischen uns nicht wiederholt werden. Meinetwegen nicht und – Marias wegen nicht.« Er griff sich in den Halskragen. »Das ist dein Beweis. Maria. Also! –«

Heinrich Koch sah den alten Jugendkameraden liebevoll an.

»Joseph,« sagte er und legte seine Hand auf die des Freundes, »ich würde doch einmal wieder nach Köln gehen.«

»Später. – – Ich hab' ja selbst Sehnsucht, mich mal wieder in die Rheingasse zu schleichen und in die Fenster hineinzusehen. Ob sie gesund sind, die große Maria und die kleine Carmen. Nur einen tiefen, umfassenden Blick, und dann weiter. Denn was ich dir sagte, Heinrich: ich werd' der Verlegenheit nicht Herr. Der Verlegenheit, ganz regelrecht verheiratet zu sein wie der richtige Bourgeois und von Rechts wegen Sonntags mit Frau und Kind in die Flora oder in den Zoologischen spazieren zu müssen; jedenfalls aber die Verpflichtung zu haben, zu Hause zu hocken, bis wieder ein Konzert mich erlöst! Wenn ich daran denke, bricht mir der Angstschweiß aus, und ich fühle mich als komische Figur. Das wäre aber gerade das Letzte, wozu ich Neigung hätte.«

»Ich würde doch einmal wieder nach Köln gehen.«

»Ja, ja, auf der Durchreise vielleicht. Aber vorher noch einen Atemzug.«

»Denk dir die Freude deiner Beiden. Und es gibt keine größere Freude als die eigene an der Freude geliebter Menschen.«

»Heinrich, du wärst ein vortrefflicher Hausvater geworden.«

»Das ist möglich. Ungleich verteilt sind des Geschickes Gaben.«

»Kannst du nicht –« Otten stockte.

»Nein,« sagte Koch. »Und käm' ich auch los, ich kann meine Kirchengeschichte nicht im Stich lassen. Die vatikanischen Archive müssen mir offen bleiben. Nachher – ist es zu spät.«

»Da verpfuschest du dir nun mit den Schmökern dein Leben.«

»Und du?« Ein feiner Spott zuckte um Kochs Lippen. »Laß gut sein, Abenteurer sind wir alle.« Er nahm sein Glas und stieß es gegen das des Freundes. »Also, wer's am längsten aushält. Den soll der andere beweinen. Prosit!«

»Oder beneiden. Prost!«

An der Tür der Osteria drängten sich Köpfe. Ein Flüstern war und unterdrücktes Gelächter. Dann schob sich ein Trüpplein Männer in den Eingang, und der vorderste, mit beiden Händen den Philosophierenden auf die Schultern schlagend, rezitierte mit schmerzlichem Pathos: »Wenn der Vater mit dem Sohne – auf dem Zündloch der Kanone – ohne Sekundanten paukt – glauben Sie mir, meine Herren, das wird ein verlorener Vormittag.«

»Peppe, Wein!«

»Peppe, eine Schachtel gerollter Sardinen. Und Wein für mich und meine Katze männlichen Geschlechts.«

»Kinder, das ist ja der reine Frühling! Wird das ein gesegneter Karneval!«

»Doktor, Ihr Wohlsein. Gestern beim Botschafter haben Sie Rom auf die Köpfe gestellt, soweit es weibliche waren.«

»Im Vatikan ist das Konzil zusammengetreten. Man will Sie heilig sprechen, um Ihr irdisches Teil vor dem Andrang zu schützen.«

»Und die Augen der Schönen nachdrücklich auf das Seelische in Ihnen zu richten.«

»Wohlsein, Herr Professor Koch! Wir haben Sie im Verdacht, daß Sie bereits ausgesandt sind, die Verhandlungen mit dem corpus delicti einzuleiten.«

Der Tisch der Freunde war bis auf den letzten Platz besetzt. Zwei römisch-deutsche Journalisten ließen ihr Feuerwerk los. Sie apportierten die Stichworte, die sie sich zuwarfen, mit einer Geschicklichkeit, wie sie nur jahrelange Übung bei Vater Peppe oder Onkel Pasquale hervorzubringen vermocht hatte. Und eine Anzahl junger Maler und Bildhauer bildeten den lärmend respondierenden Chor. Der Wein zog in glitzernden Rinnsalen über den Tisch. Hin und wieder schwenkte einer sein Glas in die Stube aus. Der beizende Geruch italienischer Zigaretten legte sich über die Tafelrunde. Und draußen plätscherte die Fontana Trevi und lachte die römische Sonne.

»Was habt ihr vor?« rief Joseph Otten in das Stimmengewirr. »Wollt ihr Frühlingsanfang um sechs Wochen vordatieren? Wollt ihr den Lenz, den lieblichen Knaben, aus der Campagna hervorzulocken versuchen: ich bin dabei!«

»Meister,« staunte ein junger Maler, »Ihr seid ein Gedankenleser. Zwei stattliche Karossen werden in einer Viertelstunde vor dieser Tür halten, um uns zu entführen.«

»In die Campagna?«

»Was Rom zu heißen verdient, wird am Nachmittage draußen sein.«

»Wo speisen wir? Vor der Porta San Giovanni? In der Faccia fresca? Es ist Sonntag und ein Sonnentag dazu!«

Jubelnd wurde Ottens Vorschlag aufgegriffen. »In der Faccia fresca! Die Augen auf! Die Herzen auf! Die Magen nicht vergessen! Kommen Sie mit, Professor? Die Geschichte der Kirche wird aufatmen! Leben und leben lassen!«

Koch dankte. Er habe noch eine wichtige Prüfung vor.

»Wetten, daß wir ihn am Abend prüfend bei Pasquale finden?«

»Da kommen die Landauer! Den Bauch geschweift. ordentlich ausgebuchtet. Man sieht's ihnen an, daß sie im Hinblick auf den Transport von Kirchenvätern gearbeitet wurden, die nicht nur auf Fülle der Gedanken hielten. Segen ihrer Korpulenz! Wir werden davon Nutzen ziehen.«

Die beiden Kutscher, Vollblutrömer, klatschten mit ihren Peitschen. Otten stieg in den Fond des ersten Wagens. Neben ihm nahm der junge Maler Platz, der mit ihm das Gespräch geführt hatte. Die übrigen verteilten sich nach Zufall und Laune. Heinrich Koch stand, das Glas in der Hand, auf der Straße und sah sie abfahren. »Leichtfertig Volk,« murmelte er und kehrte an seinen Platz zurück, »aber verdammt glücklich.« – –

Die mächtigen braunen Karossiers trabten stolz durch die Sonne. Die Stadt wurde durchquert, die imposante Komposition von San Giovanni in Laterano tauchte auf, und der junge Maler an Ottens Seite begrüßte sie mit dem alten Weihespruch: »Hochheilige Laterankirche, aller Kirchen der Stadt und des Erdkreises Mutter und Haupt!«

»Verleiht das Heiligengewimmel auf dem Prachtbau dem ehrwürdigen Monument nicht das Aussehen einer Fregatte, in deren Rahen die Mannschaften aufgeentert sind?« rief der Journalisten einer. Und die Porta San Giovanni lag hinter ihnen.

Otten saß still. Vor ihm breitete sich, von der Via Appia Nuova majestätisch durchschnitten, das Panorama aller Panoramen, die römische Campagna. Die leise Wirkung des Weines war verflogen. Andächtig wurden seine Augen vor den Spuren eines vergangenen Weltreichs, das hier die Sommerpalaste seiner Großen und – ihre Gräber hatte. Wie ein Rahmen aus edelster Künstlerhand legte sich die geschwungene Linie der Albanerberge um das Bild.

»Schauen Sie,« sagte er leise und berührte des jungen Malers Knie, »vor solch einer Gottesschöpfung kann man gar nicht kleinlich werden. Man sollte die Sektierer in der Kunst hierher führen.«

»Und dort haben Sie das Volk, Herr Doktor, unverändert durch die Jahrhunderte!«

Die Wagen hielten vor einer Osteria, der Faccia fresca, deren Lauben von schmausenden und trinkenden Menschen besetzt waren, lustigen Kleinbürgern mit ihren Schönen, braunen Bewohnern der Campagna, abenteuerfrohen Jüngern der Kunst. Bänkelsänger schmetterten ihre Arien in das Stimmengewirr, Gitarre- und Mandolinespieler rissen an den Saiten, dunkeläugige, kecke Mädel in bunter Volkstracht, die wochentags auf der spanischen Treppe ihre Maler erwarteten, rasselten mit dem schellenbesetzten Tamburin. Dazwischen das Aufkreischen einer Schönen, der zu handgreiflich der Hof gemacht wurde, ein wilder Wortwechsel, ein Aufhorchen ringsum – und aufs neue Stimmengewoge, Gläser- und Tellerklirren, zerflatternde Arien, Mandolinengeseufze und rasselndes Tamburin.

Die Gesellschaft hatte sich einen Tisch erobert. Das Mahl wurde bestellt und nach wenigen Minuten serviert. Platten dampfender Spaghetti, gebratene Hühner, Salatschüsseln, Obst und Käse. Dazu der begnadete Weißwein der Castelli Romani. Man trank sich zu, von einem Tisch zum andern, man bestellte eine neue Romanze, die Musikanten wurden an den Tisch gerufen und die augenblitzenden Tamburinschlägerinnen um die Mitte genommen. Die Lebensfreude flammte auf. Einen wilden Juchzer sandte Otten in die sonnenzitternde Luft. »Jugend, du meine Jugend, ich halte dich!«

»Weiter, immer weiter, ins Glück hinein! Man lebt nicht umsonst auf römischem Boden!«

Die Landauer fuhren vor. Die Musikanten gaben den Herren das Geleit. Und weiter trabten die Karossiers, unwillig, sich nicht auch im Feuer der Jugend zeigen zu können. Aber die Passage wird enger. In langer Reihe rollen die Equipagen der römischen Gesellschaft einher. Mitten unter ihnen Droschken voll geputzter Stadtleute. Die Via Appia ist zur Korsostraße geworden, voll Leben und Eleganz. Fächer winken von hüben und drüben, beringte Händchen, offen, heimlich, zögernd und temperamentvoll. Näher schwingen sich die Albanerberge. Die helle Februarsonne funkelt in den Fenstern von Frascati, von Albano. Eine Stunde lang geht's vorwärts. Verwundert starrt die erhabene Trümmerwelt zu beiden Seiten der Straße auf das sonderbare Menschenvolk, das jetzt nur noch Auge und Ohr für seinesgleichen hat. Da winkt das neue Ziel, ein weißes Gebäude, die Osteria Antica. Auf dem abgeplatteten Dache, auf der Diele, auf den Treppen sitzen römische Kleinbürger Kopf an Kopf. Ein Wagenpark umgibt die Schenke. Neu anfahrende biegen zur Seite und stellen sich am Straßenrande auf oder lenken in die Wiesen. Die Kellner in Hemdärmeln laufen mit Flaschen und Gläsern, in die sie die Finger stecken. Ungeduldige spielen selber den Kellner, erhandeln am Weinschank die gefüllten, strohumwundenen Flaschen, Laibe Brot, Stücke saftigen Schinkens oder riesenhafter Salami, deren Duft nach dem Orient weist. Männer trinken und Frauen, die Ammen geben den Säuglingen die Brust, die Kutscher kneipen und die Herrschaften. Und des Schreiens und Gestikulierens ist kein Ende. In der Ferne eine Staubwolke, die größer und größer wird. Räder tauchen auf, die sich in rasendem Tempo drehen. Vornweg vier Pferdebeine, die sich krampfhaft zusammenziehen und auseinanderschnellen. Jetzt saust es heran – ist vorüber! Der Applaus des Publikums hinterdrein.

»Das war die eccellenza,« sagte der junge Maler. »Sie kutschiert selbst.«

Otten war es, als hätte ihn ein heißer Blick gestreift. Er lachte. Dann sah er sich nach den Gefährten um, die sich unter die Menge mischten, blind für alles, was nicht Römerin war. » Donna c mobile ...« summte er vor sich hin, gewann den Ausgang und schlenderte die Straße entlang ...

Eine Viertelstunde war er gewandert, als er den Wagen zurückkommen sah. Der silbergeschirrte Grauschimmel streckte die Beine in ruhigem Trab. Nachlässig hielt die Lenkerin die Peitsche. Jetzt gewahrte sie den Spaziergänger. Sie setzte sich aufrecht, daß die Büste das graue Fahrkleid spannte, zog die Zügel heran und hielt. Eilig sprang der knabenhafte Groom vom Rücksitz und nahm das Pferd beim Kopf.

»Sieh da, der maëstro – –!«

Otten trat an den Kutschbock, zog den Hut und schüttelte die Hand, die sie ihm reichte. »Ich such' den Frühling, eccellenza

»Und werden ihn finden?«

»Und werde ihn finden.«

»Es ist erst Februar – –«

»Weshalb? Wenn wir ihn Mai taufen, ist es der Mai.«

»Dazu gehören Zauberkünste.«

»Als wenn sich eine Frau jemals vor Zauberkünsten gescheut hätte.«

»Wie stellen Sie sich die vor?« Unter den schweren Augenlidern huschte ihr Blick über den Mann.

»Ich lasse mich gern überraschen, eccellenza

Sie schlug die Augen voll auf. Auf dem Grunde sah er ein Glimmern. Unbeweglich hielt er dem Blick stand.

»Ich habe noch einen Platz im Wagen für Sie frei.«

»Auch in Ihrem Herzen?«

»Ich bin keine Wahrsagerin.«

»Und ich suche den Frühling, eccellenza. Muß ich weiterziehen ...?«

»Steigen Sie auf.« Und sie machte ihm Platz. »Vielleicht, daß er sich von Ihnen anlocken läßt.«

Er legte den Finger auf den Mund. »Er ist um uns. Spüren Sie? – Nicht verscheuchen!«

Das Pferd machte einen Seitensprung vor der niederwippenden Peitsche. Dann zog es an. Der Groom sprang auf und kreuzte die Arme. Links und rechts flogen die Felder der Campagna. Bald, und die Osteria Antica lag im Rücken. Ruinen tauchten auf und verschwanden, Grabdenkmäler, in der Ferne die melancholischen Bogen der antiken Wasserleitung, ein einsames Kastell, und die meilenweite Steppe.

Das Pferd fiel in Schritt. Die Lenkerin lächelte vor sich hin. Sie spürte den Blick des Mannes an ihrer Seite. Und Otten tat einen tiefen Atemzug. Ein Rauschen war in seinem Blut, und er legte seine Hand auf ihr Gelenk, Dort blieb sie.

Als sie sich der Porta San Giovanni näherten, senkte sich die jähe Dunkelheit des Februarabends. Otten wandte sich um. »Die Heimat des Frühlings ...«

Hinter ihnen stand die Campagna in Brand, leuchtete noch einmal auf und sank ins Dunkel. »Das schafft Heimweh, wenn man wieder in Deutschland ist.«

»Gut, daß wir den Lärm hinter uns haben,« sagte sie schnell.

»Den Lärm vergißt man. Man sieht nur noch die Farben.«

»Was bleibt uns von dem schönsten Tag –?«

»Das Geheimnis der Sehnsucht. Die Farben bleiben.«

»Ich liebe die Farben,« erwiderte sie. »Und hier sind wir am Ziel. Nehmen Sie ein Glas Tee bei mir? Mich schauert, seit die Farben verschwunden sind.«

»Wir tun die Tore der Seele auf und lassen heraus, was wir für festliche Stunden ersparten, eccellenza

Das Gefährt bog in den Vorgarten einer Villa. Otten sprang vom Kutschsitz und hob die Dame herab. Der Groom öffnete das Portal, und sie schritten über die hallenden Marmorfliesen in ein kleines, zartgetöntes Gemach. Lachend blickte Otten sich um. »Wie kommt mein alter Flügelmann in solche Kompanie?«

»Sie müssen mich zwei Minuten entschuldigen, Herr Doktor.«

»Nicht umkleiden,« bat er. »Es darf kein Unterschied sein. Das wäre ein Grenzpfahl.«

»Ich werde selbst den Tee holen. Für solch einen werten Gast.« Er saß im Sessel und erhorchte ihre Schritte, als sie zurückkam. Sie setzte das Silbertablett nieder, goß ein und sandte einen schnellen Blick aus ihn hinab.

»Gleich wird mein Gatte eintreten ...«

»Nicht schlecht,« erwiderte er nur.

»Nicht schlecht? Er behauptet, daß die Wiege seiner Ahnen in Trastevere gestanden hat. Sie wissen doch? Wo die Eifersucht zur Welt gekommen ist.«

»Das muß für Ihren Gatten sehr interessant sein.«

»Ein solches Tete-a-tete. Fürchten Sie denn nichts?«

»Ich fürchte nur eins. Daß Ihr Gatte eintritt, bevor ich Sie geküßt habe.«

Sie stellte das Teekännchen hin, beugte sich plötzlich über ihn und küßte ihn aufs Haar. Er schlang den Arm um ihre biegsame Taille. Er suchte in ihren dunklen, leuchtenden Augen.

»Wir kennen uns schon seit Tausenden von Jahren.«

»Seit gestern. Als Sie beim Botschafter sangen. Ungestümer Barbar.«

»Seit Tausenden von Jahren. Seit Erschaffung der Welt. Ich bin der erste Mann, und Sie sind das erste Weib. Nichts anderes gibt es. Nichts als das Paradies und diese Stunde.«

Sie bog sich zurück. »Gut, daß wir allein sind. Ich log.«

»Das tat auch das erste Weib, und es schadete ihrer Schönheit nicht.«

»Als ich Sie gestern sah, wollte ich Sie erobern. Es ist mir geglückt.«

»Euch erobern zu lassen, habt ihr verlernt. Aber ich lasse mir mein Recht nicht nehmen.«

»O – nicht so stolz. Unsere Zeit ist gekommen.«

»O – nicht so stolz. Sie wird an Fahnenflucht zu Grunde gehen. Mit Wonne. Lesen Sie Aristophanes.«

»Selbst Männer führen heute die Sache der Frauen.«

»Sie sind auch danach. Herostratennaturen, die anders nicht von sich reden machen können und im trüben fischen.«

»Ach,« machte sie, »ich dachte, man müßte euch großen Männern imponieren. Wie fang' ich's an?«

Er erhob sich und breitete die Arme. »So!« sagte er und lachte sie an.

Sie trat einen Schritt zurück, um sein Bild aufzunehmen. Er hörte ein Knistern, wie von angespannter Seide. Dann schloß er die ausgebreiteten Arme. Er fühlte seine Gefangene ...

»Jetzt räche ich Thusnelda, schöne Römerin.«

»Barbar – –,« gab sie zurück und schloß die Augen. – – – –

Es ging auf Mitternacht, als Otten die Via San Giovanni entlang schritt. Ihn dürstete.

»Daß sie sich alle gleich sind, wenn die Sinne sprechen. Wieder eine Puppe, mit Häcksel gefüllt. Und jedesmal erwarte ich die große Offenbarung. Aufgespielt, Bajazzo!«

Aus der Weinstube des Zi Pasquale scholl feuchtfröhlicher Gesang. Deutsche Burschenlieder. Rheinlieder.

Otten stutzte. »Nur das jetzt nicht. Nur nichts Deutsches jetzt. Und nichts – vom Rhein. Da gibt es Leute, die an mich glauben.«

Er wandte sich und suchte die Weinstube Peppes an der Fontana Trevi aus. Von ferne schon hörte er das Rauschen der Trevifluten. Und plötzlich gab er den Gedanken an Wein und Gesellschaft auf.

»Wenn ich endlich wieder – nach Köln reiste –.«

»Ich glaub' fast – mein Schiff – trägt unsichtbar schon – den Heimatswimpel. Es muß ins Dock.«

Er starrte in den Wasserstrudel. Es überlief ihn kühl.

»Aber nicht abtakeln. Jung bleiben. Wiederkommen.«

Er warf über die Schulter ein Geldstück in das flutende Wasser. »Es ist ein alter Aberglaube,« dachte er, »und wer von dem Wasser trinkt, den zieht die Trevinixe zurück. Es ist gewiß schön in der Heimat, und man kann in Frieden alt und grau dort werden – –. Aber ich will doch lieber trinken.«

Er beugte sich über den Beckenrand und trank ein paar Tropfen des niederströmenden Wassers.

»Ich komme wieder.«



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