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III

Es klingelte leise. Kaum, daß die Glocke anschlug. Der Ton konnte nicht bis zum alten Klaus in die Giebelstube gedrungen sein, und um das Kind durch Abrufung des Alten nicht zu ermuntern, ging Frau Maria Otten selbst, die Türe zu öffnen. Mit abgezogenem Hütchen wartete Moritz Lachner draußen.

»Nun, Moritz – so spät noch?«

»Der Herr Doktor schickt mich –«

»Wir wollen nach oben gehen,« sagte sie. »Es ist kalt an der Haustüre.« Und sie ging voran. Eine Botschaft Josephs mochte sie nicht zwischen Tür und Angel verhandeln.

Moritz Lachner folgte ihr respektvoll. Der Mutter Carmens brachte er heiße Bewunderung entgegen. Und diese Bewunderung war wie eine heilige Verehrung, als er hinter der großen Frauengestalt herschritt, der der weiße Brokatstoff ein so feierliches Ansehen schuf. Nur seine Mutter hatte er so verehrt, die, als sie noch lebte, tagaus, tagein in dem einzigen hellen Zimmer gesessen hatte, das die Trödel- und Maskengarderobelager des väterlichen Geschäftes übrig gelassen hatten, den Blick auf eine Stickerei gerichtet und nur schnell und freudig aufschauend, wenn der Sohn ins Zimmer trat. Seit sie gestorben war, wie eine arme zitternde Zimmerpalme, gehörte seine leidenschaftliche Frauenverehrung der ruhigen, selbstsicheren Frau in Joseph Ottens Haus. Nicht zuletzt, weil es Joseph Ottens Haus war. Alles Eigene, Freie und Kühne lockte seine scheue Seele.

»Der Herr Doktor hat dir einen Auftrag gegeben?« sagte Frau Maria und setzte sich in ihren Arbeitssessel. »Warst du denn im Konzert, Moritz?«

»Ich habe draußen gewartet, bis es aus war.«

»Zwei Stunden in der Kälte? Du bist ein Schwärmer, Moritz.«

Der Knabe freute sich des freundlichen Tons. Er errötete und drehte sein Hütchen.

»Nun?«

»Der Herr Doktor kam wenige Minuten nach den anderen. Der Herr Terbroich war bei ihm und der geistliche Herr, der Herr Professor Koch. Als er mich stehen sah, rief er mich heran. Er hat mich sofort erkannt,« fügte er stolz hinzu. »›Das ist doch des Lachners Moritz,‹ meinte der Herr Doktor, und ich könnte ihm wohl einen Gefallen tun und schnell hierherspringen und bestellen: Der Herr Doktor würde in einem Stündchen hier sein. Er müßte nur eben noch ins Domhotel. Und ich möchte ihm den Hausschlüssel hinbringen.«

Frau Maria hatte ruhig zugehört. Sie nahm den Schlüsselbund vom Tisch und nestelte den Schlüssel los.

»Es war nett von dir, Moritz, daß du dir die Mühe gemacht hast. Warte. Du bekommst ein Glas Portwein, das macht dich wieder warm.«

»Es war keine Mühe,« stotterte der Junge. »Wirklich nicht.«

Ihm wurde glühend heiß, als er den Wein trank. Aber daß es nicht vom Wein kam, das wußte er besser. Er machte eine Verbeugung, bedankte sich und ging mit dem Schlüssel zur Tür. Mit einem Gefühl, als wäre ihm der Schlüssel zum Herzen dieser Leute zum Geschenk gegeben worden.

Sie reichte ihm freundlich die Hand. »Grüß den Herrn Doktor schön.«

»So was!« sagte Frau Maria, als sie das Zuklappen der Haustür vernommen hatte. »Nun läßt er sich auch noch verführen. Ein Stündchen ... Und er hält Wort. Aber« – sie schüttelte den Kopf – »aber sie werden ihn mit einem Stündchen nicht loslassen, sie werden einfach mitkommen, ich weiß das ja von früher ...« Sie zog die Augenbrauen zusammen. Nur einen Augenblick lang, und sie schüttelte die kurze Verstimmung ab. »Es ist ja doch nur die Wiedersehensfreude. Die anderen wollen auch ihr Teil. Der Joseph gehört vielen.«

»Vielen – –?«

Nun lachte sie ganz leise in sich hinein.

»Sie sollen alle kommen.«

Die Hausfrau regte sich in ihr. Sie ging ins Speisezimmer und musterte den Tisch. Zwei Gedecke lagen auf. »Ich werde also verzichten und noch ein drittes Gedeck hinzufügen. Joseph – Terbroich – und Professor Koch.« Sie traf die Anordnungen und war befriedigt, daß die Delikatessen reichten. »Es sind verwöhnte Zungen, die Kölner.«

In der Küche stellte sie noch ein paar Flaschen kalt. Dann lauschte sie hinaus. Der alte Klaus kam von oben.

»Hat es so lange gedauert?« fragte sie mitleidig.

»Ratsch, war sie eingeschlafen,« berichtete der Alte und klappte sich mit dem Handrücken gegen den gähnenden Mund. »Aber et Schlafen sticht an. Ich hann gedrömelt.«

»Gehen Sie schnell zu Bett, Klaus. Der Herr hat sich den Hausschlüssel holen lassen.«

»Dat wor ene kloge Gedanke,« lobte der Alte mit dem Egoismus des Siebzigers. »Zwei Jahr – oder zwei Jahr un eine Dag – dat macht beim Wiedersehen nix aus. Schlaft wohl, Frau.« Und er stapfte zufrieden die Treppe hinunter und suchte sein Lager.

»Nun schläft alles,« dachte Frau Maria, als sie wieder vor ihrem Arbeitstischchen saß. »Nur ich wache im Hause. Und so wird er mich, als was er mich zurückließ, als Wächterin des Hauses, auch bei der Heimkehr wiederfinden.«

Einige Male klapperten noch Schritte Vorübereilender über die Rheingasse. Dann wurde es still. Aber die Frau am Arbeitstischchen ließ sich durch die Stille nicht zu Träumereien verlocken. Sie hatte das Schulkleid des Kindes über den Schoß gebreitet und nähte die zerzausten Schleifen fest.

Nun lauschte sie ... Vom Heumarkt her kamen Schritte. Männerstimmen klangen durch die Luft. Ein Lachen flog voraus. – Da packte sie das Kleidchen weg und erhob sich. Und mit einem Male kam eine grenzenlose Befangenheit über sie, daß sie aus großen, bangenden Augen ziellos um sich blickte, daß ihr Lächeln eine Sekunde lang wie ein Weinen wurde und die Kehle sich zuschnüren wollte. Unten drehte sich der Schlüssel im Schloß. Schritte von Männern auf der Treppe. Einer den anderen in großen Sätzen vorauf. Die Türe zu ihrem Zimmer öffnete sich, schloß sich sofort.

»Joseph – –!« schrie sie auf. – –

Er hielt sie fest. Der Schlapphut war ihm abgefallen, der Mantel von der Schulter gerutscht. Der Siegesübermut schwand. Eine mächtige Bewegung ging durch den Mann. Und sie preßte den Kopf gegen seinen Arm und fühlte wie eine Erlösung, daß Lachen und Weinen sich befreit hatten in dem einen Aufschrei: Joseph! –

»Bist arg böse?« fragte er. – »Hast auf mich geschimpft?«

Sie hob den Kopf, um zu sprechen.

»Herr Gott noch mal,« murmelte er und preßte seine Lippen auf die ihren. – –

Von draußen pochte es an die Tür. Sie überhörten es. Dann pochte es lauter.

»Soll ich sie herausschmeißen, Maria?«

»Ach, du –!« verwies sie ihn.

»Na, ja. Ich hab' sie mitgenommen. Könnt hereinkommen!« rief er und zog die Taschenuhr. »Eine halbe Stunde. Dann bitt' ich mir Feierabend aus.«

»Das langt nicht,« rief Medardus Terbroich von der Türschwelle zurück. »Eine Stunde fällt wohl noch ab.«

Joseph Otten sah Maria an. Die nickte ihm zu.

»Also eine Stunde! Oder ich mach' von meinem Hausrecht Gebrauch. Klebpflaster – –«

»Verzeihen Sie, Frau Otten,« sagte der zweite der Herren und schüttelte die Hand, die sich ihm entgegenstreckte. »Ich wär' nicht so unhöflich gewesen, Ihnen zu so später Stunde Unruhe ins Haus zu tragen. Aber da Medardus nicht abließ, dacht' ich: geh mit und üb dich in der Christenpflicht, ihn zu gegebener Zeit nach Hause zu schaffen.«

»Guten Abend, Hochwürden.«

»Wirklich, Frau Otten, das sollte zwischen uns doch überflüssig sein.«

»Also guten Abend, Herr Professor. Und guten Abend, Herr Terbroich.«

»Guten Abend, Frau Otten. Und was der Heinrich Koch vorhin von Christenpflicht und Nachhauseschaffen zu äußern geruhte – ja, wenn ich nicht die felsenfeste Überzeugung hätte, daß ein geistlicher Herr überhaupt nicht lügen könnte –«

Joseph Otten fuhr sich durchs Haar. Und Frau Maria öffnete die Tür zum Speisezimmer. »Wollen Sie nicht näher treten, meine Herren. Sie sehen, ich habe auf Sie gerechnet.«

Medardus Terbroich strich sich seinen eleganten Schnurr- und Spitzbart. »Alle Wetter, Sie haben auf uns gerechnet? Zu viel Güte, Frau Otten.« Und er verbeugte sich.

»Du scheinst das wirklich als ein Kompliment zu nehmen, daß die verehrte Hausfrau auf dich gerechnet hat, mein lieber Medardus,« lachte Koch heiter. »Sollte sie dich nicht vielmehr erkannt haben?«

»Meinst du? – Die Kirche hat natürlich überall Freitisch.«

»Überall? – Ich werde mich morgen zu dir zum Essen einladen. – Sehen Sie doch, wie er die Farbe wechselt!«

Joseph Otten war durch die Zimmer geschritten. Er fühlte sich zu Hause, sofort, und das dankte er Maria. Ein wohliges Gefühl durchrann ihn, fast wie ein Geborgensein. Bei ihr! Wieder einmal bei ihr. Nein – endlich wieder bei ihr ... Er wandte sich. »Zu Tisch!« rief er. »Die Stunde vergeht, und ohne Salz und Brot will ich euch nicht heimsenden. Was! Da sind ja nur drei Gedecke –«

»Ich hab' schon mit dem Kind gegessen,« flüsterte sie ihm zu.

»Und willst uns jetzt allein lassen?« Er verstand sie. ›Es dauert nicht lange,‹ sagte sein Blick. ›Verzeih mir. Ich war ein Dummkopf!‹ Und dies stumme Geständnis tat ihr wohl.

»Guten Abend, meine Herren.«

»Was? Sie wollen uns verlassen?«

»Ich komme wieder, wenn Sie gespeist haben. Ich möchte nur Carmens Schularbeiten begutachten.«

»Ich kann Ihnen das nicht verdenken, Frau Otten. Unseren guten Medardus eine Klinge schlagen zu sehen, dazu gehört ein tapferes Herz.«

Joseph Otten hatte die Gläser gefüllt. Er nahm sein Glas und hob es gegen Maria. Wortlos. Und trank es in durstigem Zuge aus. – Die Herren waren allein.

»Hochwürdiger Heinrich,« meinte Terbroich spitz, »du könntest deine Witze vor – nun, vor einer Dame doch wohl unterlassen.« Er hielt eine Gänseleberpastete dicht vor die Augen und nahm die Hälfte.

»Mein lieber Medardus,« erwiderte Koch milde, »du übersiehst, daß du selber den schlechtesten Witz machst.«

»Ich –? Wieso?«

»Allein dadurch, daß du hier bist.«

Terbroich wollte heftig entgegnen, bezwang sich aber und fand die Pastete großartig. »Ohne die Empfindungen des hochwürdigen Herrn Professors zu verletzen, bitte ich um ein Glas Rauentaler. Ah – – der hat Blume, der hat Bukett. Der ist würdig, auf Kölns siegreichen Sohn getrunken zu werden. Auf unsere heilige Jugendfreundschaft, die uns ewig treu bleiben soll, auf die Freude, ihn, unseren Besten, wieder unter uns zu haben und uns in seinem Ruhme zu sonnen: Prosit!«

»Mensch,« sagte Koch bewundernd, »das hast du heraus. Wenn deine Besuche doch auch so kurz wären wie deine Toaste.«

»Bin ich dir vielleicht schon einmal lästig gefallen?«

»Einmal? Nein, du Unschuld vom Lande. Zweimal warst du erst in Rom bei mir.«

»Ja,« lachte Otten, »anhänglich bist du. Ich kann in Paris singen oder in London, in Berlin, in Brüssel oder Mailand – ganz egal, wenn den Medardus eine Geschäftsreise hinführt, er logiert sich bei mir ein. ›Was willst du mit zwei Hotelzimmern?‹ sagt er dann, und sein Zug geht immer eine Stunde vor dem meinen.«

»Dafür besoldet er aber auch die billigsten Geschäftsreisenden,« lobte Koch. »Einer seiner jungen Leute – na, ich bin ja kein Beichtiger mehr – hat's mir mal privatim geklagt. ›Wir können uns noch so krumm legen, der Herr Terbroich gebraucht noch weniger auf der Tour.‹ Mein Sohn, antwortete ich ihm, ich will dir das Geheimnis künden. Schaffe dir in jeder Stadt einen gastfreien Bekannten an, lasse dich nie einladen, sondern lade dich selber ein, hör nur das ›Guten Tag,‹ und nie das ›Adieu‹ und – halte zur Revanche den Daumen auf den Beutel. Also aber wirst du ein hochvermögender Kaufmann, ein zweiter Medardus.«

»Lieber Heinrich,« meinte Terbroich und ließ sich den Kaviar reichen, »ich will dir nicht zu nahe treten, aber aus dir spricht der Neid des geistlichen Herrn, dem die guten Bekannten fehlen.«

»Ich habe keine guten Bekannten,« sagte Koch, »ich habe Freunde. Prost, Joseph, alter Waffenbruder, heut hast du gesungen, nein, Lieder zum Leben erweckt, daß mir das Herz noch jetzt erbebt, und ich selbst diesem wackeren Medardus seine Lebenskunst verzeihe.«

»Prost, Heinrich. Das macht mich stolz.«

»Geschimpft haben ja auch einige,« berichtete Terbroich. »Das wäre kein Singen, das wäre Deklamieren. Aber ich habe ihnen geantwortet: Das ist die moderne Kunst, meine Herrschaften, die in der großen Welt den Ton angibt, und vor meinem Freunde Joseph Otten liegen selbst die Damen der höchsten Aristokratie auf den Knien.«

»Das hat dir wohl mehr imponiert als mein Singen.«

»Ehrlich gestanden: ja. Es muß doch ein wohltuendes Gefühl sein, zu wissen: ich brauche nur den Handschuh zu werfen. Prost, Joseph. Laß mich in deinem Schatten fechten.«

Heinrich Koch drehte ihm den breiten Rücken zu. Er strich über sein rasiertes Gesicht und sann vor sich hin.

»Wie du die ›Grenadiere‹ sangst – mir war, als säh' ich sie vor mir hermarschieren, mit verbundenen Wunden und blutendem Herzen. Und mit ihnen eine ganze Epoche. Das wuchs und wuchs und wurde greifbar und faßbar. Und wie hast du die ›Wallfahrt nach Kevlaar‹ gesungen. Ich bin trotz meiner Weihen nicht so fromm wie der Medardus. Aber als du die ›Wallfahrt‹ anhobst – mitten im Zuge bin ich gegangen und andächtig hab' ich mitgesungen: Gelobt seist du, Maria ...«

Otten gab ihm die Hand. »Wir verstehen uns noch immer.«

»Und immer, Joseph.«

Terbroich war ein wenig trinkselig geworden. »Erzähl, Joseph, erzähl doch. Wieviel Male hast du das gesungen: Gelobt seist du, Maria? Im weltlichen Sinne natürlich. Alles zu seiner Zeit, und hier sind wir unter uns.«

Otten sah mit glänzenden Augen über den Tisch. »Ach ja, das Leben ist schön. Wundervoll die Ausfahrt und selig die Heimkehr. Was dazwischen liegt – geht dich nichts an.«

»Dann erzähl von der seligen Heimkehr.«

»Ich vergönne dir noch das letzte Glas.«

»Jawoll, damit du wieder vergleichenderweise singen kannst: Gelobt seist du, Maria. In jeder Stadt, in jeder Stadt. Selbst in Köln. Joseph, du hast Geschmack.«

Joseph Otten erhob sich. »Das einzige, was mich immer wieder an dir interessiert, ist deine gewöhnliche Gesinnung.«

Frau Maria war ins Zimmer getreten. »Frau Otten,« rief Terbroich und hob sein Glas, »Sie beide haben es gut. Trennung und Brautstand, Brautstand und Trennung! Das hält jung und neu!«

»Die Herren wollen sich verabschieden, Maria,« sagte Otten und zuckte mit keiner Miene. »Medardus ist bereits in Abschiedsstimmung. Heinrich, du bringst ihn wohl nach Hause. Ich danke dir und weiß es zu schätzen. Ich bin so wonnig müde, wie ich es nur als Junge war.« – –

Er hatte seine Gäste zur Haustür begleitet und kehrte zurück. Langsam Stufe für Stufe. Als müßte er sich zu dem Alleinsein mit der Frau, die ihn dort oben seit zwei Jahren erwartete, sammeln, als müßte er ihr jetzt – und ihr allein – den Erwarteten heimbringen.

Sie stand im Zimmer und sah ihm entgegen. Und auch er stand und nahm das Bild in sich auf. Einer suchte in den Zügen des anderen die Erinnerung und ihre Versprechungen ...

Joseph Ottens Brust weitete sich. Er hob die Hände und trat einen Schritt vorwärts. Da war sie bei ihm und legte ihre Hände in die seinen. Auge in Auge standen sich die beiden Menschen gegenüber, daß sich ihre Stirnen fast berührten. Und beide sahen, daß ihre Lippen zitterten.

»Küß du mich zuerst,« sagte er leise, »das ist wie eine Vergebung aller Sünden.«

Da löste sie ihre Hände aus den seinen, legte sie ihm um den Kopf und küßte ihn lange auf den Mund.

»Nun bist du zu Hause, Joseph.«

»Ich danke dir,« sagte er erschüttert. »Du machst es mir immer wieder leicht.«

»Ich tu' nichts, als dich erkennen, Joseph.«

»Aber diese Erkenntnis schmerzt dich auf die Dauer.«

»Wer ein größeres Glück genießt als andere, muß auch größere Schmerzen ertragen können.«

»Ob es ein großes Glück für dich ist? Ich ruchloser Mensch?«

»Ja!« rief sie heftig, »ja, ja! Zweifle nicht daran! Und nun bist du hier – –«

Er trat einen Schritt zurück. Er hielt sie an den Armen und betrachtete sie staunend. Die hohe, volle Gestalt, den weißen Hals und den dunklen Kopf, den Ernst auf der Stirn und die Freude in ihren Augen.

»Bist du gewachsen, Maria?«

»Nein, nein.«

»Aber schöner geworden, noch schöner.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es scheint dir nur so. Es ist das Kleid.«

»Das Kleid – sieh da, das Kleid. Du bewahrst alles treu im Sinn. Selbst Nebensächliches, wenn es mich freute.«

»Deine Freude ist doch nichts Nebensächliches für mich.«

»Wie wohl das tut, dich anzusehen – –«

»Nicht so!«

»Doch so!«

Kaum vermochte sie zu atmen, so fest hatte er sie an sich gezogen. Aber sie rührte sich nicht an seiner Brust. Sie lag ganz still, als läge sie so Abend für Abend. Und schloß die Augen vor seinen Liebkosungen.

»Bist du müde?« fragte er.

Sie verneinte lächelnd. »Aber du wirst müde sein. Die lange Fahrt, das Konzert, die Freunde –«

»Ich werde dir alles erzählen.«

»Morgen. Ein andermal. Du bist jetzt müde.«

»Ach du,« sagte er, »diese selige Müdigkeit.«

Den Arm um sie gelegt, wanderte er mit ihr durch das Gemach, trat er mit ihr in das Nebenzimmer.

»Hier hast du gesessen,« sagte er und stand vor ihrem Sessel still, »und auf mich gewartet. Wie oft hab' ich dich, wenn ich herdachte, hier sitzen sehen. Immer wollte ich eine Pause machen, immer mir Urlaub geben und ihn bei dir verbringen. Aber das rebellische Blut jagte mich immer wieder in den Strudel ... Setz dich hin,« bat er und zog den Sessel heran, »so wie du all die Tage gesessen hast. Du sollst spüren, daß es heute anders ist. Nein, nein, ich will mich auf den Teppich legen, mich recken und strecken, den Kopf in deinem lieben Schoß. Weshalb vergönne ich mir das so selten ... ich bin selber mein größter Feind.«

Sie beugte sich zu ihm nieder und legte ihm ihre kühle Hand auf die Augen. »Joseph, hör mich einmal an. Wenn du dich anklagst, um mich zu trösten – das brauchst du wirklich nicht. Ich gehöre dir doch nun schon zwölf Jahre. Meinst du denn, ich wäre in dieser langen Zeit so klein geblieben, daß ich nicht einen Unterschied zu machen verstände zwischen dir und anderen Männern, die Frauen haben? Ich bin mit sehenden Augen in mein – ja, in mein Glück gegangen. Denn wenn ich alles überdenke und vergleiche, so ist es mein Glück. Ich hätte nie einen anderen Mann liebhaben können als dich. Schön, wenn du es hören willst: andere Männer mögen mehr Tugenden haben, was man so Tugenden nennt. Aber dafür sind sie auch nicht – der Joseph Otten. Sieh, das verstehe ich. Und weil du der Joseph Otten bist, da muß ich wohl auch – deine Fehler liebhaben.«

»Ich fürchte, es wird außer den Fehlern nicht viel bleiben, Maria.«

»Das laß meine Sorge sein. Menschen, die eine Mission haben, können keine Alltagsmenschen sein, und daran halte ich fest, wenn sich die Fehler zu häufen scheinen. Du gehörst der Welt.«

»Mit meiner Kunst! Aber nicht mit meinem Menschen. Das ist es ja gerade.«

»Als ob ihr das trennen könntet.«

»Ich kann's nicht, Maria. Und die, die draußen um mich herum sind, wollen's noch weniger.«

»Deshalb bleibe ich ja doch, was ich bin, Joseph.«

»Was bleibst du?! Der Hafen für das vom Sturm zerpflückte Schiff. Die Krankenstube für den zerzausten Soldaten.«

»Wenn es Soldaten geben soll, muß es auch Krankenschwestern geben.«

»Soldaten und Künstler sollten keine Frauen an sich ketten.«

»Doch, Joseph. Sie müssen einen Hafen wissen, in dem sie von ihren Wunden genesen können, um – neue Kräfte zu neuer Ausfahrt zu sammeln.«

»Du glaubst also nicht an mein Bleiben?«

»Nein, Joseph,« sagte sie und sah mit einem tapferen Lächeln in sein verfinstertes Gesicht. »Daß du jetzt, wo du müde bist, den ehrlichen Wunsch hast, daran glaube ich. Aber eines Tages – ja eines Tages würde ich dich selber fortschicken müssen, um dich – zu behalten.«

»So einer bin ich?« spottete Otten bitter.

»Gott sei Dank, so einer bist du, Joseph.«

»Und daß du mehr gibst als ich, das ist dir einerlei? Daß ich das Reisegeld, das du mir auf den Weg gibst, draußen vertue, verjubele – ach, ich darf gar nicht daran denken.«

»Komm nur oft heim. Damit du dich überzeugst, daß ich noch viel mehr Reisegeld habe.«

Joseph Otten bewegte sich nicht. Nur daß er den Kopf plötzlich fester in ihren Schoß drückte. »Heimkehr!« dachte er. »Das ist Heimkehr.« Und dann begann er seinen Gedanken Worte zu geben. »Ja, wahrhaftig, der Hafen. Solange das Schifflein munter auf den Wellen schwimmt, träumt man von der lachenden Ferne und winkenden Abenteuern. Vergessen, was dahinten ist; willkommen, was voraus ist. Und das Schifflein treibt sich in allen Zonen, in allen Gewässern umher, immer lustig, immer im Segel jeden Wind, bis es eines Tages bemerkt, daß die Schnelligkeit nachläßt, und in einer windstillen Stunde konstatiert wird, daß auf den fröhlichen Fahrten in aller Herren Länder Schmarotzer sich an den Schiffsboden angesetzt haben, fressende Muscheln, saugender Tang, Schmutz und Getier jeder Gattung, das auf fremde Kosten lebt und das Schifflein langsam niederzieht. Hoho, sagt der Kapitän, wo ist der beste Hafen, wir müssen mal wieder ins Dock. Und auf einmal besinnt er sich auf die Heimat. Wenn sie zu sonst nichts taugt, zum Reparieren des alten Kastens, zum Putzen und Scheuern taugt sie am besten. Denn die Heimat ist wie eine Mutter, und Mütter haben den Sinn für Reinlichkeit. Hier bin ich, Maria.«

Sie strich durch sein Haar, hin und her. Er war bei ihr.

»Es wird grau, Maria.«

»Es ist so blond und eigensinnig wie bisher.«

»Nein, nein, die grauen mehren sich. In der letzten Zeit. Und das erinnert mich daran, daß ich müde bin.« Sie hob seinen Kopf von ihrem Schoß. Wie ein Kind ließ es sich der große Mann gefallen. »Komm, Joseph.«

»Maria, daß ich die beiden mit ins Haus brachte! Von Heinrich Koch will ich schweigen, der tat's aus Hilfsbereitschaft, weil ich den Terbroich nicht abschütteln konnte. Der hatte sich noch kurz vor der Hafeneinfahrt fest an den Schiffsboden gesaugt. Und daß ich dich vor dem Konzert nicht sah! Man ließ mich in Frankfurt nicht los, und mir machte das Festgehaltenwerden mal wieder Spaß. So sehr bin ich verwildert. Und dann freute es mich, daß du mich zuerst im Konzertsaal wiedersehen solltest. Das aber – das mußt du mir besonders verzeihen. Es war beschämend zu glauben, ich müßte dich neu erobern. Für dich beschämend.«

»Hast du die Kleine wiedererkannt, Joseph?«

»Carmen?« Er sprang auf. »Du! Du hattest sie mir geschickt?«

»Sie war ohne Erlaubnis hingelaufen. Ich war heute wohl zu sehr Frau und zu wenig Mutter. Da war sie unbeaufsichtigt.«

»Vorne in der ersten Reihe stand sie. Als ich vorbeilief – ich mußte mich sputen – war's mir gerade, als hätt' ich einen Sonnenstrahl verspürt. So warm flitzte mir etwas durchs Blut und zwang mich, mich noch einmal umzusehen. Da stand das Kind ...!«

»Wollen wir zu ihm?«

Er atmete tief. »Ja,« sagte er leise und lachte in sich hinein. »Es wird immer schöner.«

Behutsam gingen sie die Stiege hinauf. Frau Maria hatte die Lichter gelöscht und trug die Flurlampe. Er hatte den Arm um ihren Leib gelegt. Und so traten sie an das Bett des schlafenden Mädchens.

»Es ist fast ein Fräulein geworden,« sagte er nach einer Weile.

»Sie ist nicht leicht zu erziehen,« erwiderte sie, »aber es ist Blut in ihr.«

»Sonderbar, wie sie dir gleicht. Das Haar, die Züge. Das freut mich am meisten.«

»Sie ähnelt mir nur, wenn sie in Ruhe ist. Sobald sie lebhaft wird und erzählt, gleicht sie dir, daß es mich oft schon durchzuckt hat.«

»Vor Schreck?«

»Psst –! Sie bewegt sich. Das Licht blendet sie.« Und sie stellte die Lampe auf den Tisch und kehrte zurück. Rechts stand der Vater über das Bett des Kindes gebeugt, links die Mutter. Ihre Atemzüge wurden eins.

»Willst du sehen, wie lang der Schlingel geworden ist?« flüsterte Frau Maria.

Er nickte. Und sie schlug die Decke zurück. Die Kleine verschränkte die Hände hinter dem Kopf, bäumte sich ein wenig, suchte mit den Füßen und schlief weiter. Das Nachtkleid hatte sich zusammengerollt, und lang und schlank streckten sich die weißen Schenkel.

Joseph Otten bewegte die Lippen. »Gibt es etwas Rührenderes?«

»Ich will täglich beten, daß sie so rührend bleibt,« sagte Frau Maria leise.

»Fürchtest du ihretwegen? Ich fragte dich vorhin schon.«

»Noch nicht, und doch – schon. Sie ist ihren Jahren voraus und hat eine Liebe für das Außergewöhnliche.«

»Meine Tochter – –,« meinte Joseph Otten, und es war ein sonderbarer Tonfall in seiner Stimme. Dann beugte er sich schnell nieder und drückte einen Kuß auf jedes Kinderbeinchen. Frau Maria breitete sacht die Decke über die Schlafende.

»Maria,« begann Otten und stockte.

»Sprich, Joseph.«

»Je länger du die Meine bist, Maria, umsomehr habe ich dir zu danken. Das Konto schwillt von Jahr zu Jahr. Du willst nicht, daß ich davon spreche. Weil wir erwachsene Menschen waren, als wir den Lebensweg miteinander begannen, und jeder wußte, was der andere dazu mitbringen würde. Ich spreche also nicht davon. Aber wenn du einen Dank verdienen willst, der über alles hinausgeht, Maria, dann behüte mir die dort, Maria. Und sollte ich einmal Schiffbruch leiden, rette mir nichts als das Kind.«

»Von mir aus soll nichts versäumt werden, Joseph. Ich verspreche es dir.«

Er drückte ihre Hand. »Hast du einen Wunsch? Ich möchte dir etwas so ganz, ganz besonders Liebes tun. In dieser Stunde mehr als je. Hast du einen Wunsch?«

Sie sah ihn an, schüttelte den Kopf und umschlang ihn.

»Du weinst – –?«

Sie hob ihm ihr Gesicht zu und zeigte ihm ihre Augen.

»Diese lieben, sehnsüchtigen Frauenaugen,« sagte er. »Ich werde wieder lernen, darin zu lesen –.«

»Tu das, Joseph.« Sie nahm das Licht und wartete.

»Ist unser Schlafzimmer immer noch hier oben?«

»Es ist alles an seinem Platz geblieben, während du fort warst. Selbst der alte Klaus.«

»Der alte – Klaus? Auch der noch treu? Und ich –?«

»Bleibe du dir selber treu, Joseph. Und wir hier – bleiben es für dich.«

»Menschenkinder, wie schön ist es zu Haus –!«

Sie nahm leise seine Hand, und wie träumend schritt er neben ihr her in ihr gemeinsames Zimmer.



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