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Klein-Elsbeth baut Kartenhäuser.

Klein-Elsbeth hat bis jetzt in der Gegenwart gelebt, nach Kinderart gelacht und gejubelt, nach Kinderart auch ernst und bitterlich geweint.

Jeder neue Tag bringt lange Lust, manchmal auch kurzen Schmerz, und so ist sie restlos glücklich.

Weiß Klein-Elsbeth, was das Glück ist? Nein! Erst durch verschleierte Augen schaut man die holde Gestalt. Nur wer in den tiefen Schacht des Leides hinabsteigt, greift jubelnd nach dem flüchtigen Sonnenstrahl.

Klein-Elsbeth hat Tränen im Auge des Vaters gesehen. Gleich einer schweren Last legen sie sich auf die kleine Seele.

Und zum ersten Mal fragt Klein-Elsbeth nicht nach dem Grund. Ein scheues Verstehen, ein keusches Mitempfinden mit stillen Sorgen wird wach.

Das Kind ist an einem Wendepunkt seines jungen Lebens.

Und ob Klein-Elsbeth auch den Schleier festhalten möchte in ahnungsvoller Traurigkeit. Die kleinen Hände sind zu schwach. Mächtig und verlangend drängt die Zukunft.

Daß doch jede Erkenntnis so eng mit Leid verknüpft ist!

Klein-Elsbeth sieht plötzlich das graugewordene Haar des Vaters und die leisen Sorgenfalten um den geschlossenen Mund. Aus all dem Schmerz und Harm, der sich auf die Kindesseele wälzt, ringt mächtig ein unbewußtes Sehnen nach dem Glück empor.

Das ist die Zeit der wachen Träume Klein-Elsbeths.

Geht sie allein den weiten Schulweg auf der dämmernden, schweigsamen Landstraße, so schreitet manch seltsame Gestalt neben ihr her. Und zwischen beiden ist geheimnisvolle Zwiesprache. Immer aber ist's das Glück der Zukunft, mit dem sie sich nach Kinderart auseinandersetzt. Bald ist es eine gütige Fee, die neidlos ihr Füllhorn ausschüttet und alles, was friert und hungert und darbt, mit ihrem Goldsegen beglückt.

Und Klein-Elsbeth hebt dann beide Hände, sie sich füllen zu lassen; denn vielen, ach so vielen will sie davon mitteilen.

Am Abend lehnt Klein-Elsbeth den blonden Kopf an die Scheiben und starrt still hinaus in die Sternennacht. Mit all den funkelnden Lichtern am dunklen Himmelsbogen ist sie gut Freund.

Reißt sie sich endlich los, so ist's mit feucht-glänzenden Augen.

Fragt der Vater die kleine Sternguckerin nach dem Grund der heimlichen Tränen, schüttelt Klein-Elsbeth stumm den Kopf. Wie kann sie auch reden von dem, was ihr selbst unbewußt, in ihrer jungen Seele stürmt und drängt!

Und dann mitten in die rätselhafte Traurigkeit ein lauter Jubelruf:

»Eine Sternschnuppe! Eine Sternschnuppe!«

Der Freude folgt schon wieder die Enttäuschung.

»Und den Wunsch – den Glückswunsch hab' ich wieder vergessen. Nun ist's zu spät.«

Klein-Elsbeth ist mit Leib und Seele im Reiche ihrer Zukunftsträume.

Dann nimmt sie spielend die Karten zur Hand und baut schwankende Häuser, einen Stock um den andern, angstvoll hütend, daß nicht ein Lufthauch den stolzen Bau in Trümmer werfe.

Immer höher wächst das Haus! Noch ein letztes Blatt zum Giebel – da stürzt ein leichter Hauch das stolze Kartenhaus und begräbt die kühnen Träume Klein-Elsbeths.

So traurig schaut das Kind auf die Kartentrümmer, daß der Vater lächelnd sagt:

»Klein-Elsbeth! Klein-Elsbeth! Seit wann baust Du so gerne Kartenhäuser? Kartenhäuser und Luftschlösser? – Ist nicht gut wohnen drin, Kind. Drum sei froh, daß sie so schnell zusammenfallen und keinen Schaden anrichten. Begraben nur Deine Träume von Wolkenkuckucksheim – nicht Dich selbst.«

»Ich möcht mir aber einmal ein richtiges Haus bauen und drin wohnen und glücklich sein.«

»Klein-Elsbeth macht wieder einmal ihre Sache gründlich. Weiter willst Du also nichts?«

»Wollen denn dies nicht alle, alle Menschen? Und du auch?«

»Wollen, Kind, ja! Aber bis zum Fertigbringen ist ein gar weiter Weg. Die meisten Menschen bescheiden sich mit dem ersten Stück!«

»Mit dem ersten?« fragt Klein-Elsbeth zweifelnd.

»Ja, Kind, mit dem ersten, mit dem Hausbauen! Und sie haben Recht. Das Bauen macht schon Freude, fast soviel wie Dir Dein Kartenhaus macht.«

»Und drin wohnen, Vater, ist erst recht schön, nicht? Mit allen, die man liebhat.«

»Ja, Kind! Wenn's vorher nicht einstürzt wie Dir Dein Kartenhaus. Und just dann, wenn man sich so recht drauf freut, behaglich von der Arbeit am Hausbau ausruhen zu können.«

»Wo bleibt das Glück, Vater?«

»Das Glück? Ja, wenn dies erst als drittes käme, käm's meistens zu spät. Hab's Dir schon gesagt, das Bauen selber ist das Glück. Und daß Du es ganz verstehst – was den Menschen froh macht, ist allein die Arbeit, Kind, die Arbeit für sein Haus. Und drum Klein-Elsbeth – oder bist Du keine Klein-Elsbeth mehr? – drum mußt Deine Traumgeschichten fahren lassen. Wirst völlig unwirklich dabei! Bau lieber an Deinem Haus, aber mach ein starkes, festes, in dem Du einmal gut wohnen kannst.«

Aus großen Augen schaut das Kind verstehend den Vater an.

»Meinst, ich soll tüchtig lernen und arbeiten, gelt?«

»Ja, Kind, hast mich gut verstanden. Und dann brauchst nicht auf die Sternschnuppen und die goldene Fee zu warten! Baust Dir selber Dein Glück!«

»Und Du Vater, hast Du das Glück?«

Da schaut der Vater Klein-Elsbeth an, aber seine Augen sehen über sie hinweg in weite Fernen, bis ihn das Kind Antwort heischend an seine Gegenwart mahnt.

Nun blickt er Klein-Elsbeth in die jungen Augen und weiß ohn' Besinnen zu antworten. Er nimmt sein Kind in den Arm und sagt:

»Hier hab ich's fest an mich gedrückt. Für Dich hab ich mein Haus gebaut und ich hoff, Du wirst gut drin wohnen, auch wenn – ich nicht mehr bei Dir sein kann.«

Mit jähem Ruck richtet sich Klein-Elsbeth auf und schaut dem Vater schreckensvoll ins Auge. Der aber streicht über die blonden Haare und tröstet.

»Noch sind wir beisammen und haben einander. Jetzt aber wollen wir wieder arbeiten. Weißt, ich hab' immer noch an meinem Haus zu bauen und Du, Elsbeth, denk' ich, hast's erst recht nötig. Bist erst am Grund und den mußt besonders fest machen. Willst Dir doch ein stattlich Haus bauen, daß viele drin Platz haben?«

Klein-Elsbeth nickt mit leuchtenden Augen und geht an ihre Arbeit.

Sie baut keine Kartenhäuser mehr und schaut nicht mehr nach Sternschnuppen und wartet nicht mehr auf die holde Glücksfee.

Der Vater hat ihr eine andere Gestalt gezeigt, ernst, herb und verschlossen. Aber Klein-Elsbeth hat ihre kleinen Hände vertrauensvoll in die starke gelegt und läßt sich still von dieser führen. Sie hat die Alltrösterin Arbeit erkannt und baut Tag um Tag an ihrem Zukunftshaus. Und an ihrer Hand wird sie auch nicht irre gehen, wenn ein Lebenssturm ihren stolzen Bau in Trümmer wirft.

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