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Klein-Elsbeth will vom Christkind nicht öffentlich beschert werden.

Auf leisen Schwingen schwebt die Weihnachtszeit heran. Ein warmes Leuchten kündet sie an und ein Strahl davon huscht in die Schulstube.

Aber dicht daneben ist auch schon der Schatten.

Klein-Elsbeth hat wieder einmal viel zu denken und die arme Seele quält sich mit einem bitteren »Warum?«. Bis jetzt gab's nur Unterschiede in der Tüchtigkeit, im Streben, im Wetteifern. Nun aber wirft das graue Elend, das draußen auf den Straßen umherschleicht und in dunklen Mietkasernen nistet, seine trüben Schleier auch über manch kleines Menschenkind, das da fröhlich unter den andern saß.

Das Völklein scheidet sich plötzlich in »reich und arm«.

Die öffentliche Christbescherung mit ihren Vorbereitungen bringt es an den Tag. Klein-Elsbeth schaut aus bangen Augen auf ihre Freundin, die blasse Lene.

Kommt denn zu der nicht auch das holde Christkind und stellt ihr ein strahlend Bäumlein auf den Tisch? Muß die wirklich mit so vielen, vielen andern in einem großen weiten Saal stehen und den mächtigen Tannenbaum nur von ferne anschauen dürfen? Ach – und die Weihnachtsgaben gar nicht heimlich vom Christkind der Mutter oder dem Vater übergeben? Und alles, alles vorher schon gewußt bis auf die festen Stiefel und die warmen Strümpfe? – Wie kann man da denn laut aufjubeln, wenn's so gar nichts Wunderbares, so gar keine Überraschung gibt? Und dem Vater kann man gar keinen Kuß vor Seligkeit geben und der Mutter kann man nicht mal an den Hals springen. Die sind ja indes bei der Arbeit daheim. Bei fremden Menschen muß man gar bescheiden danken.

So geht ein lautes Fragen und Antworten hin und her.

Der uralte Gegensatz, der draußen in der Welt Tag um Tag seinen erbitterten Kampf ausfechtet, zerrt nun auch die weichen Kinderherzen mitten hinein in den Zank und Streit.

Die schönste Blüte am jungen Menschheitsbaum, die holde Unbefangenheit von Kind zu Kind, stirbt jählings unter dem kalten Reif.

Eins ums andere bringt seinen Wunschzettel, wie ihn die vielbeschäftigte Mutterhand in hastender Eile geschrieben – und nur Notwendiges, Nützliches! Zum Freuen hat man ja keine Zeit.

Die Kinder, die armen, wissen dies sehr genau. So geben sie die Briefe ab, teilnahmslos alle, die einen aber keck, des Nehmens längst gewohnt, die andern scheu, mit stockenden Schritten, als ziehe geheime Scham sie leise zurück.

Und Klein-Elsbeth sitzt still auf ihrem Platz, aber ihre Augen wandern mit jedem Kind von der Bank zum Pult und ihr Herz fühlt mit jedem den langen Leidensweg.

Da merkt sie plötzlich, daß die Lene neben ihr herumkramt, als ob sie etwas suche. Lene ist das Kind einer fleißigen, braven Wäscherin. Jeden Tag in einem andern Haus, jeden Tag an einem andern Tisch. Und nie daheim, nie zu Hause. Das Kind immer bei der Mutter. Da ist es still, scheu, ängstlich geworden. Bei fremden Leuten muß man stille sein.

Klein-Elsbeth hat das blasse Kind so gern.

»Was suchst denn, Lene? Hast was verloren?«

Da taucht das schmale Gesichtlein sich in dunkle Glut.

»Nichts – nichts! – Mein Taschentuch!«

Von der andern Seite kommt die kecke Frage:

»Na, Lene, wirst denn Du nicht auch beschert? Gib rasch Deinen Zettel ab, kriegst sonst nichts mehr!«

Lene ist längst wieder bleich. Die zitternde Kinderhand läßt ein kleines Blatt Papier achtlos zu Boden fallen. In den braunen Augen glitzert es seltsam.

Klein-Elsbeths Seele ist wach, ganz wach. Urplötzlich fassen sich zwei Kinderhände in festem Druck und über die blasse Lene hinüber gibt eine helle Kinderstimme auf die hochmütige Frage Antwort.

»Nein – nein! Lene wird nicht öffentlich beschert. Wenn das Christkind zu mir kommt, dann kommt es auch zu Lene und unter meinem Christbaum kriegt sie den allerschönsten Platz. O, Christkind und mein Väterchen besorgen schon alles heimlich, ganz heimlich. Da wirst Du schauen, Lene, und Dich freuen.«

Noch ist ein Kämpfen in der kleinen armen, wunden Seele. Aber von Elsbeth fließt eine Kraft auf das schwache Kind, bis es aufatmend ruft:

»Ja, Elsbeth, ja! Ich hab keinen Zettel.«

Stolz schaut da Elsbeth umher, als habe sie einen Sieg errungen. Und die Lene wird förmlich angesteckt. So froh und offen und fest haben die traurigen Kinderaugen noch selten aus dem schmalen Gesicht geleuchtet.

Auf dem Heimweg springen und hüpfen sie seelenvergnügt durch den hohen Schnee und freuen sich närrisch auf das kommende Fest.

Daheim muß natürlich der Vater sofort die Botschaft ans Christkind für die Lene übernehmen.

Klein-Elsbeth hat's ja nicht haben wollen, daß die Freundin sich zur öffentlichen Bescherung meldet. Da gibt eben Elsbeth von ihren Gaben einen guten Teil an sie ab. Das Christkind wird wohl zufrieden sein müssen, wenn es dem Väterchen recht ist.

»Ach, Vater, lieber will ich gar nichts, rein gar nichts! Denn schau, die Lene ist ganz rot geworden, wie sie den Zettel in der Hand gehabt hat. So hat sie sich geschämt. Da hab ich ihr versprochen, daß sie –«

Ob's dem Vater recht ist! Er nimmt sein tapferes Mädel in die Höhe und legt für einen Augenblick das blonde Köpfchen an seine Brust.

Wie ist doch in solch winzigem Menschenseelchen schon aller Reichtum eines ganzen Daseins an Lust und Leid verschlossen! Ja, Klein-Elsbeth, Du hast recht getan, als Du das blasse Kind mit jähem Griff zurückhieltest. Du hast ihr und Dir viel gegeben und bewahrt.

Unter dem strahlenden Christbaum im kleinen Stüblein von Lenes Mutter steht die Lene und schaut aus seltsam großen Augen in den Lichterglanz. Aber mag er noch so hell sein, er kann nicht an das wunderbare Leuchten heran, das aus zwei braunen Kinderaugen schimmert.

Welch köstlich Wunder ist mitten in der Winternacht erblüht? Liegt's nicht über dem armseligen Stüblein wie ein einziger Strahlenkranz? War nicht vorhin die gütige Fee in ihrem goldenen Wagen durchs offene Fenster in ihr Märchenreich zurückgefahren, nachdem sie die lieben, lieben Gaben auf den Tisch geschüttet? Wie ein süßes, waches Träumen liegt's über dem Kind, und der Mutter rinnt eine Träne um die andere über die runzelige Wange. Und wie das Kind mit lachenden Augen auf die Mutter schaut, hat auch auf diese die Fee glitzernde Diamanten und Perlen gestreut.

Zwei glückselige Menschen im armen Stüblein.

Klein-Elsbeth hat auch gejubelt unter ihrem Weihnachtsbaum. Dann denkt sie an die Lene und eine andere Freude zittert in ihrem kleinen Herzen. Dann springt sie an dem Vater hinauf und sagt ihm was leise ins Ohr.

Der stellt sie sachte auf den Boden und spricht:

»Ja, Klein-Elsbeth! Das hat Dir Dein Großvater verraten! Mach andere froh, dann hältst Du Dein Kinderlachen fest!«

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