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Klein-Elsbeths Antwort auf Geisterspuk.

Das kleine Brüderlein schlief oft süß und lang. Da saß Elsbeth in der kühlen Laube und las.

Las? Nein! – verschlang die schwarzen Buchstaben und alles, was sich hinter ihnen so wunderbar und zauberhaft gestaltete. Und dann plötzlich das Buch zur Seite. Wozu braucht sie es noch? Klein-Elsbeth dichtet selbst weiter und die allerschönsten Märchen sind immer die, die sie selbst erlebt.

Wie kommt sie dann wieder auf die Erde? Mit großen Augen guckt sie die Brotsuppe im einfachen Teller an.

Ja, wohin ist denn die königliche Tafel gekommen, an der sie noch eben gespeist? Wo ist all der Glanz und der gleißende Schimmer? Wo sind die goldenen und silbernen Geräte?

Und ein Griff ins Blondhaar.

Wahrhaftig! Die Prinzessinnenkrone mit den funkelnden Diamanten fehlt auch. Schade!

Klein-Elsbeth seufzt und greift nach dem Zinnlöffel. Und da merkt sie, daß sie an der königlichen Tafel doch nicht satt geworden ist. Denn so gut wie heut hat ihr die Suppe schon lang nicht mehr geschmeckt.

Sie ist satt, lehnt im Stuhl zurück und schaut vor sich hin. Der Vater meint lächelnd: Klein-Elsbeth hat wieder viel zu denken. So ist es! Und noch mehr! Sie macht zuletzt einen dicken Strich zwischen der fürstlichen Mahlzeit im Märchenland und dem Brotsüpplein da auf dem Tisch.

Vom andern träumt man, das andere ist wirklich da.

Aber morgen ist Klein-Elsbeth doch wieder im Märchenland und ihr Brüderlein darf auch mit. Es ist ein gar geduldiger Reisekamerad. Immer schaut er mit demselben unentwegten Blick Elsbeth an, als wollte er sagen:

»Nur immer zu! Ich bleibe ja doch hübsch warm hier unten in meinem weichen Steckkissen. Erzähl Du nur weiter – ich träume weiter.«

Am liebsten erzählt ihm Elsbeth die Geschichte von dem, der ausgezogen war, das Gruseln zu lernen. Die hat ihr mächtig gefallen und gleich möcht sie's nachmachen, Zug um Zug. Hätt' sie sich vor den toten Schädeln und den feurigen Katzen gefürchtet? Aber nein doch! Groß angeguckt und sie dann ausgelacht. Ja, wahrhaftig, das hätte sie getan.

Aber da kam sie schön an bei der alten Muhme. Die band gerade das kleine Bürschlein in frische Kissen und hörte die frevelhafte Prahlerei Klein-Elsbeths.

»Mein Gott! Mein Gott! Was sind das heutigen Tags für Kinder! Glauben an nichts, an gar nichts mehr!«

Die Base hatte aus ihrer Heimat eine ganze Gesellschaft von Hexen und bösen Geistern und winzigen Kobolden mit ins Haus gebracht. Und stets sind sie ihres Rufes gewärtig.

Ach und wie gern erzählt sie von den Untaten ihrer Getreuen! Je grausiger – desto lieber.

Aber der Vater wollt' es nicht leiden. »Natürlich! So ein Neumodischer!« denkt die Base.

Heimlich aber sammelt sie doch ihre Lieblingshexen um sich, tut groß mit ihren schlimmen Streichen und macht die Kinder richtig gruseln. Hans, der sonst so mutige Hans, traut sich schon seit Tagen nimmer vors Haus, sobald die ersten Schatten sich herabsenken. Die ganze Geistergesellschaft lauert ja jetzt drauf im Garten und hinter jedem Busch grinst ihn ein tückischer Kobold boshaft an.

Klein-Elsbeth hält lange stand. Ja, wenn's die Base vorweg als Märchen erzählt hätte. Im Märchenland da haben die Hexen und Geister Platz.

Aber nein! Sie sagt, daß alles, alles wahr sei und daß die Hexen und Truden so sicher und wirklich leben und da sind, wie Elsbeth und Hans und das kleine Brüderlein.

Die kleine Philosophin denkt und meint zuletzt:

»Da müßt ich erst eine Trud sehen, bis ich's glauben kann.«

Am Abend ist sie allein mit der Alten und dem Brüderlein.

Die Kinder liegen im Bett und der Mond bestrahlt zwei blühende Gesichtlein.

Sie können noch nicht schlafen.

Für die Alte ist die Zeit gekommen.

Jetzt muß man der Ungläubigen einmal scharf auf den Leib rücken.

»In so einer Mondnacht wie heut, Elsbeth, da möcht ich unserm Moor nicht zu nahe kommen.«

»Warum?« forscht gleichgültigen Tones das Kind.

»Weil da der Moorkönig umgeht und jedem Menschen, der ihm naht, den Hals umdreht.«

»Und dann?«

»Dann! Ja, was dann? Dann ist er tot und die Nixen kommen alle aus dem Teich heraus und binden ihn mit den langen Stengeln der Seerosen und dann ziehen sie ihn hinunter immer weiter bis ins kohlrabenschwarze Moorschloß. Wenn er drunten ist, dann werden die Truden fortgeschickt. Das sind böse, wüste Hexen, die fliegen durch die Luft und just in jenes Haus, woher der unglückliche Mensch gekommen ist. Und die Leute liegen natürlich schon lange im tiefen Schlaf; denn es ist doch Geisterstunde erst von 12 bis 1 Uhr. Nun setzen sich die Hexen fest auf die Brust der Schlafenden, fest und immer fester, daß die schreien vor Angst. Weißt Kind, das sind dieselben bösen Truden, die auch die kleinen Kinder aus der Wiege holen und dann –«

Elsbeth ruft schier erstickt aus den Kissen:

»Hör auf mit Deinen garstigen Geschichten! Und sie sind doch nicht wahr!«

Aber sie glaubt nicht mehr, was sie da sagt. Der kleine Körper bebt unter den Kissen, in die er sich eingewühlt.

Da geht die Alte langsam ins Nebenzimmer und richtet sich auch ihr Lager.

Und der Mond streicht mit weichen Strahlen kosend über die Lider Klein-Elsbeths, daß die sich endlich über die angstvollen Augen schließen.

Die Nachtstunden kommen und gehen. Da wacht Elsbeth jäh auf.

Was war das? Beugt sich da nicht eine dunkle Gestalt über die Wiege des Brüderleins?

Das Kindergesicht verzerrt sich in namenlosem Entsetzen.

Die Trud, die böse Trud will wohl ihr Brüderlein holen?

Und im nächsten Augenblick ist Klein-Elsbeth schon auf den Beinen und steht kerzengerade im Bett.

Da tritt die Trud auf sie zu. So ist's recht. Die soll nur zu ihr kommen. Sie will ihr das Kinderstehlen gut austreiben.

Eine merkwürdige Kraft strömt in die Hände Klein-Elsbeths, wie sie nun an den Hals der Trude springt und die würgt und schlägt und kratzt, bis sie nimmer kann. Da wirds der Trud grün und blau vor den Augen und sie schnappt nach Luft und stöhnt:

»Ja, Kindl! was für ein Geist ist denn in Dich hineingefahren? Willst am End die alte Bas' völlig umbringen? Viel über hast nicht lassen. Fällst über mich her wie eine wilde Katz, weil ich nachschauen wollt, warum Du gar so jammerst im Schlaf.«

Klein-Elsbeth ist ernüchtert. Sie ist auf einmal ruhig und ihrer Sache völlig sicher. Bald schläft sie wieder ein und diesmal huscht ab und zu ein leises Lächeln über das friedliche Gesicht.

Am Morgen hört der Vater von dem nächtlichen Überfall.

Zur Base sagt er:

»Recht ist Euch geschehen, Muhme! Malt so lange den Teufel an die Wand, bis man Euch selber dafür hält.«

Und zu Klein-Elsbeth:

»Hast Dich wacker mit dem Hexenvolk herumgeschlagen. Recht so, Klein-Elsbeth! Laß Dir solch Pack nur nahe kommen und dann tüchtig drauf los. Fest zugegriffen, und blitzschnell verwandelt sich die böse Trud in die alte, abergläubische Base.« Klein-Elsbeth schaut mit lachenden Augen die beiden an.

Von dem Tag an ist sie fertig mit jeglichem Gespensterspuk. Solch dunkles Gesindel wollt' nicht in ihre helle Seele passen.

Und mit ihrem alten, frohen Kinderlachen treibt sie die wüsten, unholden Gäste aus dem Haus.

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