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Klein-Elsbeth will nicht vor Menschen knien.

Immer höher wächst der Baum der Erkenntnis in der weichen Kinderseele. Nach allen Seiten treibt er Zweige mit feinen Knospen und duftigen Blüten. Und die reinste unter allen, die Klein-Elsbeths Seele füllt, ist die Gotteserkenntnis.

Aber nicht den gerechten und heiligen Gott, nicht den zürnenden und strafenden Jehovah sucht und findet sie. Ihr kleines Herz bebt angstvoll vor ihm zurück und zitternd schließt sie vor ihm die Tore ihrer bangen Seele.

In ihr warmes Herz bettet sie gar weich und lind den Gott der Liebe und Güte und um diesen allein rankt sich ihr ganzes armes und doch unendlich reiches Kinderleben. Und Klein-Elsbeth ist dieser Gottheit immer nahe; denn der Vater hat sie gelehrt, Gott in jedem seiner Geschöpfe zu schauen, zu bewundern und zu lieben.

Steigt eine Lerche vom Feldrain jubelnd in die Höhe, dann jauchzt des Kindes Herz.

»Wie mächtig kann doch Gott fliegen! Weit und schnell und wird nicht müde und sinkt nicht auf die Erde!«

Dann bindet sie auf der Wiese den bunten Strauß. Die Augen trinken sich satt an dem Farbenzauber und in ihrer Seele klingts:

»Wie wunderschön ist doch Gott!«

Und streichelt dem Gräslein das zarte Köpfchen und flüstert leise:

»Wie zart, wie fein ist Gott!«

Klein-Elsbeths Seele liegt in Bewunderung auf den Knien vor Gott dem Mächtigen, dem Schönen, dem Feinen.

Der Vater sieht die Huldigung des Kindes vor der Gottheit und freut sich ihrer.

»Klein-Elsbeth! Knie Du vor Gott! Doch vor Menschen nie!«

Das Kind schaut mit großen Augen den Vater an. Gibt's Menschen, die vor Menschen knien?

Bald kommt ein Tag in Klein-Elsbeths Leben, an dem sie dieses Wortes gedenken muß. Das kam so:

Eines Morgens ging das Kind zur Schule. Das kleine Brüderlein war nicht wohl und schuf Sorge im Haus. Klein-Elsbeth trug ein Teil mit in die Schule.

Auch dort vermochte sie sich nicht von der heimlichen Qual zu lösen. Sie hörte Worte, aber sie drangen nicht in ihre Seele und wie aus weiter Ferne schien man ihren Namen zu rufen.

Und Klein-Elsbeth war nicht da.

Im nächsten Augenblick kam sie zum Bewußtsein, daß sie auf den Knien vor der Schulbank lag – eine Strafe, die zu Elsbeths Kinderzeit alle Gebrechen der Jugend bessern und heilen sollte.

Wie lange das Kind dies Heilmittel an sich erprobte, wußte es später nicht mehr. Klein-Elsbeth hatte Übung im Denken und diesmal jagte die bittere Scham die Gedanken zu fliegender Hast.

Und zuletzt hörte das Kind den Vater laut und deutlich sprechen:

Knie du nur vor Gott, doch nimmer vor Menschen!

Kniete sie vielleicht vor Gott? Nein doch. Also kniete sie vor Menschen! Vor all denen, die da um sie herumsaßen. O wenn das der Vater wüßte!

Da stieg etwas Neues, Mächtiges in der Kinderseele auf.

Der Mut zur frischen Tat ohne Menschenfurcht.

Klein-Elsbeth stand plötzlich auf den Füßen und ging – nicht schnell, nicht langsam, so wie einer, der verbundenen Auges doch sicher des Weges ist – zur Türe hinaus.

Im Vorplatz nahm sie ihre Überkleider, wieder ruhig, ohne Hast, und mit der gleichen Feierlichkeit ging sie unangehalten die Treppe hinab.

Das Schultor schloß sich laut knarrend hinter ihr.

Wie eine Königin, die mit dem Lorbeer auf dem Haupt siegreich von einer Schlacht heimkehrt, so trat Elsbeth ins Vaterhaus.

Kein Zweifel hat den Fuß gehemmt, kein Bedenken, keine bange Frage ihren blonden Kinderkopf gesenkt.

So sieht sie der Vater und blickt ihr in die offenen Augen, in denen ein seltsam Leuchten ist.

Ihre erste Frage gilt dem kranken Brüderlein. Darauf eine beruhigende Antwort.

Und dann quillt unter den forschenden Augen und suchenden Worten des Vaters all das Verhaltene aus der Kinderseele. Der Vater macht ein ernst Gesicht, indes um den Mund ein heimlich Lächeln huscht. Aber Elsbeth kriegt nur das ernste Gesicht zu schauen.

»Also, eine Ausreißerin bist worden, weil Du nicht vor Menschen knien willst? Schon recht! Aber hättest es in der Schule sagen sollen! Nun muß ichs wohl für Dich tun?« Klein-Elsbeth brauchte sich nicht mehr vor Menschen zu knien. Sie wäre wohl auch ein zweites Mal desertiert.

Wenn sie im Garten umherspringt und ihr frohes Kinderlachen hören läßt, so klingt auch in der Seele des Vaters die Freude mit, daß Klein-Elsbeth mit festen Füßen durchs Leben gehen werde.

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