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Klein-Elsbeth findet ihr Glück in der Heimat.

Klein-Elsbeth ist im Garten und baut einen Schneemann.

Wie gut sie's versteht! Jeder Bub könnt stolz drauf sein.

Und wie nun der dicke, weiße Mann sein kaltes Pfeiflein schmaucht, glüht Klein-Elsbeth vor Freude über ihr Meisterwerk.

Schade, daß das Brüderlein noch so klein und so dumm ist und nicht mittun kann! Von dem fliegen die Gedanken schon wieder zum Schneemann zurück.

Der muß auch kleine Kinder kriegen – viele, viele. Rechts die Buben und links die Mädeln!

Das Gesicht leuchtet in frischer Röte, indes die Hände rastlos im Schnee wühlen und ballen.

Zwei Buben und ein halbes Mägdlein sind bereits fertig.

Klein-Elsbeth formt eben den Kopf.

Da klopft es hart an die Fensterscheiben und der Schneeball fällt zu Boden.

Noch einen Blick auf's kopflose Schneekind und Klein-Elsbeth eilt hinein ins Haus, in die Stube.

Drin der Vater.

»Was ist denn mit Dir, Kind? Seit wann muß ich Dich zur Arbeit rufen? Weißt nimmer den Spruch: Erst die Arbeit, dann das Spiel?«

Aus großen Augen schaut Klein-Elsbeth schier traurig auf den Vater.

Der hat gut reden! Als ob die Arbeit immer die gleiche wäre! Gibt's denn nicht auch schwere, sehr schwere?

Ach, beim Schneemann draußen hat sie Klein-Elsbeth ganz vergessen.

Wie nur die großen Leute es fertig bringen, immer ausgesucht die schwersten Aufgaben den armen Kindern zu geben?

Klein-Elsbeth wird's ganz warm vor Mitleid mit ihrer eigenen kleinen geplagten Person.

Da soll sie einen Aussatz schreiben.

»Die Überschwemmung von Szegedin.«

Hat sie die Stadt im fernen Ungarnlande je gesehen?

Haben ihre jungen Augen schon die Schrecken einer Überschwemmung geschaut?

Hat ihr kleines Herz schon in Grausen vor einem übermächtigen Schicksal gebebt?

Nein doch!

Aber man hat ihr erzählt von alledem.

Ach – und doch so schwer!

Klein-Elsbeth starrt auf die fertige Überschrift und kaut ratlos am Federhalter.

Die Gedanken wollen und wollen nicht nach dem fernen Ungarn reisen und wenn sie den wilden, schäumenden Strom schauen will, sieht sie ihr harmlos Wiesenbächlein und das plätschert leis und raunt ihr ins Ohr:

»Klein-Elslein, sei doch nicht dumm! Ich bin ja gar nicht so wild, wie du glaubst, und tu niemand was zuleide. Fällt mir auch nicht ein auszureißen, bin völlig mit meinem Los zufrieden.«

Da muß Klein-Elsbeth sehen, ob sich's wirklich so verhält.

In einem Satz ist sie am Fenster.

Ja – dort fließt der kleine Bach wie immer, ganz so wie immer.

Da streift Klein-Elsbeths Haar an etwas Biegsames.

Es sind die Barbarazweige, die der Vater in einen irdenen Krug mit lauem Wasser gestellt hat – just am Barbaratag. Daher der Name.

Von ihrem eigenen Kirschbäumlein waren die dünnen Zweige abgeschnitten worden und wie Klein-Elsbeth nach dem »warum?« fragte, erklärte ihr der Vater den Brauch. Just zur Weihnachtszeit geschehe mit diesen braunen, schlanken Gerten ein seltsam Wunder:

Wenn draußen alles in Eis und Schnee steckt und Baum und Strauch von Frühlingsblüten nur zu träumen wagen, dann öffnet sich an den schlichten Zweigen ein Knösplein ums andere und weiße Blütensterne schauen leuchtend in keuscher Schönheit in das winterliche Dunkel.

Ach, wie hat Klein-Elsbeth da gelauscht! Und jeden neuen Tag steht sie vor den schlanken Ruten und glaubt mit feinen Ohren die erwachende Pflanzenseele leis und zart pochen zu hören.

So auch jetzt!

Da geht die Tür und Klein-Elsbeth schrickt zusammen.

Zum Vater, der ins Zimmer tritt, sagt sie aufatmend:

»Hast Du's gesehen? Das böse Gewissen? Ganz geschüttelt hat's mich!«

»Kein Wunder! Bist wieder bei Deinen Barbarazweigen statt bei der Arbeit! Die scheint Dir heut nicht zu passen. Aber je länger Du sie aufschiebst, um so schwerer wird sie. Verlaß Dich drauf!«

Klein-Elsbeth nickt. Sie nimmt einen Anlauf und bald ist die Feder im Gang. Gar bedächtig malt sie einen Buchstaben neben den andern.

Klein-Elsbeth schreibt:

»In Ungarn ist eine große, große Stadt. Die heißt Szegedin. Da ist ein böser Fluß mitten durch. Einmal ist's ihm recht langweilig geworden und da hat ihn ein Zorn und eine Wut gepackt, daß er am liebsten alles zerrissen hätte. Und da ist er plötzlich herausgesprungen, mitten in der Nacht. Niemand hat eine Ahnung gehabt, weil alle Leute in den Betten lagen und ganz fest geschlafen haben.

Das Wasser ist über die Felder und Wiesen gesprungen und immer wilder und wilder geworden. Zuletzt ist es auch in die Häuser. Wenn die nicht ganz fest waren, dann sind sie eingestürzt.

Da haben viele Menschen ertrinken müssen. Auch ganz kleine Kinder hat das wilde Wasser verschlungen.«

Bis daher war's ein ruhig Schreiben.

Aber nun kommt Klein-Elsbeths Seele mächtig in Aufruhr und beflügelt die schreibende Hand.

Das Folgende ist schier unleserlich.

»Ich mag den wüsten Fluß gar nicht, nein gar nicht! Und froh bin ich, daß ich nicht in dem Land dort sein muß.

Unser Bach auf der Wiese unten, ist mir lieber, aber viel, viel lieber. Der muß auch immer denselben Weg machen und doch wird's ihm nicht langweilig. Der plaudert eben mit jedem Blümlein und mit jedem winzigen Gräslein. Gar nicht stolz und zornig ist er. Der bleibt schön still in seinem Bett und springt nicht wild heraus in der Nacht, wenn wir im Bett liegen und fest schlafen.

Nein! Ganz gewiß tut er das nicht!

Bei uns ist's überhaupt viel, viel schöner, auch die Blumen und die Bäume und die Wiesen und alles und alles und ich möcht nirgend anderswo sein!«

Laut aufjauchzend wirft Klein-Elsbeth die Feder weg, daß der Vater aufmerksam wird und sich über das Schriftstück neigt.

Er lächelt still.

Ob man wohl mit der Arbeit Klein-Elsbeths zufrieden ist?

Er ist es. Das weiche Herz seines Kindes hat sich in der Fremde verloren und bettet sich nun so sicher und bewußt in die warme, zärtliche Heimat. Klein-Elsbeth wird sich nimmer aus ihr verlieren!

Der frühe Winterabend ist herabgesunken und seine Schatten kauern schon in den Winkeln und Ecken der Stube.

Nur am Fenster bei den Barbarazweigen ist es noch ein wenig licht.

Und Klein-Elsbeth entdeckt plötzlich ein Knösplein, das sich mächtig rührt.

O, sie hat es ganz genau gesehen und morgen, morgen bricht es sicher hervor.

Wenn's nur nicht sein Blütenauge öffnet, wenn Klein-Elsbeth im tiefen Schlafe liegt. S'wär zu schade!

Aber die ganze Nacht wachend und hütend am Platz zu bleiben?

Da tröstet der Vater.

»Gib Dich zufrieden, Klein-Elsbeth! Wenn Du bis morgen davorsitzen würdest, die Blüte tät' sich nicht auf. Denn Wunder kommen nur ungesehen und unbelauscht.«

Klein-Elsbeth räumt ihre Hefte zusammen. Da ist sie wieder bei ihrer Arbeit.

»Du, Vater, gibt's in Ungarn, weißt, in dem Land, von dem ich da geschrieben hab', auch solch liebe Zweiglein mit so süßen, weißen Blüten?«

Der Vater antwortet.

»Gewiß! Aber wohl nur zur Frühlingszeit, wenn alles grünt und blüht. – Weißt, jedes Land hat andere Menschen und andere Bräuche. – Hast von dem wilden Fluß geschrieben. So sind auch die Menschen dort rascher und nicht so langsam und bedächtig wie bei uns. Wir sind mehr Dein Bach da unten. Immer den gleichen Weg und doch nicht unzufrieden, plaudern mit jedem Blümlein, das uns am Straßenrand zunickt, und freuen uns drüber.

Bei uns machen's die Menschen wie – nun wie Klein-Elsbeth, denken und denken gar viel über's »wie?« und »warum?«, glauben auch manchmal das Gras wachsen zu hören und wollen just dabei sein, wenn sich die Blüten auftun.«

Klein-Elsbeth seufzt tief auf.

»Aber doch ist's bei uns am schönsten! Und immer bleib ich da und nirgend anderswo möcht' ich sein.«

In Klein-Elsbeths Seele ist heiß bewußte Heimatliebe erwacht. Würde man sie von der Heimat lösen, sie müßte sich verbluten.

Eng schmiegt sie sich an den Vater. Und der hält sein Kind fest und warm umschlossen. So wächst das zarte Pflänzlein im Schutz des starken Stammes zum Licht empor. Und beide wurzeln in der Heimaterde. Klein-Elsbeth freut sich ihrer schönen Heimat.

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