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Wie Klein-Elsbeth nach dem Leben forschte.

Klein-Elsbeth blieb nicht das Nesthäkchen, wie es lange den Anschein hatte.

Eines Tages war ins Haus ein neuer Schreihals eingezogen. Und der kleine Bursche kümmerte sich nicht im geringsten darum, daß unter dem gleichen Dach eine Philosophin hauste, die viel und immer mehr zu denken hatte und daß sein Geschrei dies viele Denken oft, sehr oft störte. Er hatte offenbar die Meinung, Trinken und Schreien sei die einzig mögliche Abwechslung in seinem Säuglingsleben.

Elsbeth zog sich mehr in die Einsamkeit zurück. Im Garten, in der unteren Laube, da wo der kleine Spatz einst seine fröhliche Auferstehung gefeiert, da war ein stilles Plätzchen, wohin das Geschrei des kleinen Burschen nicht drang, auch wenn er sich noch soviel Mühe gab.

Klein-Elsbeth saß also in der Laube. Das Buch offen auf dem Tisch. Aber das Kind hatte viel Wichtigeres zu tun.

Es mußte wieder einmal denken und schwer denken.

Und da war sie schon wieder schnell beim Schluß und kam trotz aller Philosophie nicht weiter.

Zu rechter Zeit trat der Vater in die Laube. Auf dem Arm trug er ein kleines Bündel und was da in dem Bündel steckte, das schrie das neue Licht, in das es der Vater heute zum ersten Mal brachte, laut und kräftig an.

Klein-Elsbeth zog die Stirne kraus. Und im Herzen schrie eine häßliche Stimme, daß sie nun nicht mehr Vaters »Liebste« sei. – Wozu brauchte man denn einen solchen Schreihals! Wozu? Wozu?

Aber des Vaters gütig Gesicht beugte sich eben über den Schreihals und tötete sofort den Gedanken, kaum daß er geboren war.

Und da fiel ihr ein, woran sie vorhin gedacht und wie sie nimmer weiter konnte.

»Du, Vater, sag mal, wo ist denn der Bubi da hergekommen? Aus der Erd ist er nicht geflogen, wie mein kleiner Spatz damals. Und das vom Storch ist lange nicht mehr wahr, hat Dora gesagt.«

Der Vater setzt sich ganz still neben sein Kind. Der Bub im Kissen ist auf einmal mit seinem Schreien zu Ende. Er weiß wohl, daß es sich um seine Daseinsfrage handelt. Das geht ihn schließlich doch auch etwas an. Und Elsbeth sagt dringender:

»Wo ist er also hergekommen Vater?«

Der antwortet im ruhigen Ton:

»Die Mutter hat ihn mir geschenkt, so wie sie mir Dich vor sieben Jahren gegeben hat. Und jedesmal war ich sehr froh. Freust Du Dich denn nicht auch, daß Du einen kleinen Bruder hast?«

Elsbeth ist ehrlich.

»Nein, ich hab lang an Hans genug. – Aber«, ein Blick fliegt zum Vater und liest dort etwas – »aber wenn's Dich so freut, dann freut's mich schon auch. Ja – ganz gewiß! Aber sag, Vater, wer hat ihn denn dann der Mutter gegeben?«

»Ja, Kindl, schau, Du bist halt doch noch ein kleines, dummes Mädl, wenn Du auch noch soviel denkst und denkst. Weißt noch, wie ich Dir neulich von den Sternen und der Sonne erzählt hab? Weißt Du's noch, wie Du gesagt hast: hör auf, Vater, hör auf, das kann ich nicht begreifen! Und wie vorige Woche der Hans die große Rechnung gemacht hat, da hast Du's auch nachmachen wollen, gelt? Hast's aber nicht gekonnt und hast geheult vor lauter Zorn. Weißt noch, was ich da zu Dir gesagt hab: Wart noch eine Weile, Kind, bis Dein Verstand ein Stückl größer ist, dann verstehst und kannst es ganz von selber! Gelt, Kindl, grad so hab ich gesagt und so sag ich jetzt auch. Und noch eins merk Dir! Wenn Du meinst, Du könntest es verstehen, dann kommst Du zu mir oder zu Deiner Mutter und fragst, gelt?«

»Aber Vaterl, immer doch gleich zu Dir! Du kannst mir immer am besten helfen, wenn ich mich gar nimmer auskenn!«

Und nach einer Weile spricht wieder der Vater:

»Ich will Dir noch was sagen, Kind, was Du auch schon verstehen kannst. Schau, grad so ist Dein Brüderl gewachsen, wie das Veilchen dort am Rasen und wie das kleine Gräsl, das da aus dem Boden herausspitzt. Ganz klein, ganz klein zuerst, bis es endlich da ist und eine Freud hat, daß es so fröhlich gewachsen ist und sich rühren kann und lebt und schreit.«

»Du Vater, gelt, das ist ein Wunder, wenn was so heimlich ist und man sieht's immer nicht und auf einmal ist's da und man weiß gar nicht, wie's auf einmal hergekommen ist?«

»Ja, Kind, hast's ganz richtig erraten! Alles, was lebt, ist ein einziges großes Wunder. Und Wunder, Elsbeth, kann und soll man nicht erklären. Nur freuen soll man sich drüber. Schau, wie Dein Brüderl fest eingeschlafen ist! Der ist auch so ein kleines Wunder und Du warst auch einmal so eins, bist's immer noch!«

In den nächsten Wochen gab's für Elsbeth nur drei Wanderungen in ihrer Freizeit.

Die erste an die Wiege. Dort wurde das kleine Menschenwunder lang und stumm betrachtet, bis irgend eine geheimnisvolle Veränderung entdeckt war. Bald war's ein neues Härchen, das gestern noch nicht da war, bald war das Lächeln anders, bald klang sein Heulen anders – immer aber gab es etwas Neues.

Dann zu den Gluckhennen mit ihren Jungen. Jedes einzelne wurde in die Hand genommen, mit warmen Fingerchen gekost und mit Eierstückchen gefüttert. Auch da von Tag zu Tag neue Fortschritte.

Und nun längelang auf den Boden gelegt und am Grashalm die gleichen Untersuchungen. Ob er auch noch so heimlich sich streckte und reckte, Klein-Elsbeth hörte und sah ihn wachsen und kam nicht aus Staunen und Verwunderung heraus.

Überall Wachsen und Heben und heimlich Werden und alles so selbstverständlich und alles so leise und zart und fein.

Der Vater hatte wieder Recht. Das Leben ist ein Wunder. Und das allerschönste ist das, was in der Wiege liegt.

Klein-Elsbeth ward die treueste Hüterin dieses Wunders. Dieses fühlte auch die Fürsorge so nah und stark, daß es still artig in den Kissen ruhte, wenn Klein-Elsbeth neben ihm saß. Sie wurde gar nicht mehr in ihrer Gedankenarbeit gestört. Ihr frohes Kinderlachen machte das Haus hell und licht.

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