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Klein-Elsbeth sucht eine Seele und findet keine.

Für Klein-Elsbeth war unterm Weihnachtsbaum eine Puppe gelegen, blondlockig, blauäugig, ein Wunder an Schönheit. Da erwachte im Kind die Mutterliebe. Alle die schönen Geschichten, die Elsbeth vom Vater gehört, wurden dem Puppenkind erzählt.

Doch die Zuhörerin redete nichts, fragte nichts, wunderte sich über nichts und Elsbeth hatte doch immer tausend Fragen in Bereitschaft.

Die kleine Mutter ward dringlicher. Aber Schmeicheln, Bitten, Zureden und zuletzt stürmisch Schütteln und bitter Schelten – nichts öffnete dem schweigsamen Püpplein den Mund.

In Klein-Elsbeths Herz war außer der Liebe auch Platz für großen Zorn.

Ein Krach! – Die Puppe lag weggeschleudert am Boden.

Da kam der Vater und sprach ernste Worte.

»Kind, wie kannst Du so töricht sein? Deine Puppe hat doch keine Seele.«

Elsbeth ist dicht beim Vater.

»Was ist das, Vater, eine Seele? – Hab ich eine? – Und Du? – Und Mutter? – Und – alle, alle Menschen? Nur mein Püppchen nicht? Wie sieht die Seele aus?«

Atemlos sich überstürzende Fragen. Der Vater kann nur nicken.

Endlich auf die letzte antworten:

»Kein Mensch hat die Seele noch gesehen. – Ich spür sie nur, wenn ich mit Dir rede, wenn ich Dich –«

»Wenn meine Puppe eine Seele hätte, könnte sie dann mit mir reden?«

»Gewiß, mein Kind!«

»Wo ist denn eine Seele, Vater?«

»Die steckt in Dir – da in Deinem kleinen Herzlein, das eben viel zu rasch pumpert, und da in Deinem kleinen Köpflein, und hier in Deinem schnellen Zünglein, überall ist sie, bald da, bald dort.«

Klein-Elsbeth fragt nicht weiter.

Sie hat nun wieder eine ganze Menge zu denken und da stören sie die großen Leute.

Philosophen suchen die Einsamkeit. Elsbeth flüchtet sich auch in diese. Die Puppe aber geht mit.

*

Am Abend wird Elsbeth vermißt.

Man sucht und ruft.

Endlich findet man sie in einem Winkel des letzten Zimmers – eingeschlafen, schier erfroren.

Das kleine Gesicht ist blau vor Kälte, braun vor Schmutz und naß von Tränen. Und neben Klein-Elsbeth am Boden liegt die Puppe.

Ist sie's noch? Nein, sie war's einmal. Die weiße Wachsstirn zerschlagen, daß der hohle Puppenkopf in seiner trostlosen Leere zur Decke gähnt. Hier liegt ein Bein, da ein Arm, welk und zusammengekrümmt, wie Blumenstengel, die der Nachtreif gebrochen.

Und über all dem Zerstörungswerk ein gelbes Meer von Sägemehl.

Die Mutter schreit entsetzt auf und kommt der nun erwachenden Barbarin in bedrohliche Nähe. Der Arm kann kräftig ausholen.

Klein-Elsbeth schaut noch halb im Schlaf die schlagfertige Mutter und ihr Werk am Boden an. Da wacht sie völlig auf. Und wie der Vater noch dazukommt, findet sie Worte.

»Ich mag keine Puppe mehr – keine – gar keine! Sie haben alle keine Seele! Überall hab ich sie gesucht.« –

Laut auf lacht die Mutter. Dann eilt sie an ihre Arbeit. Mit solch konfusem Mädchen mag sich der Vater abgeben.

Der wäscht mit linder Hand Schmutz und Sägmehl aus dem Kindergesicht und trocknet mit zarten Worten die Tränen, die noch im kleinen Herzen brennen. Dann bückt er sich und hält den hohlen Puppenkopf Klein-Elsbeth vor das blanke Gesicht.

»Schau mal, das große, große Loch! Und nichts drin! Leer, ganz leer! Und was für eine schöne Seele hätt' da Platz gehabt! Aber es war halt eine Puppe, und Puppen brauchen keine Seele, drum haben sie nur ein großmächtig Loch im Kopf – huh! so groß!«

Da mußte Klein-Elsbeth lachen, und auf den Schwingen dieses Lachens flatterte auch die Enttäuschung über die seelenlose Puppe davon.

Aber doch hat Klein-Elsbeth auch später nicht davon lassen können, Seelen zu suchen.

Manch eine hat sie auch gefunden und jubelnd an die ihre geklammert.

Aber sie hat auch manchmal gesucht und keine gefunden. Tat's ihr im Herzen weh, so hat sie an den hohlen Puppenkopf gedacht und dann konnte sie wieder lachen, wie damals.

Klein-Elsbeth ist auch nach der verunglückten Seelensucherei eine Philosophin geblieben; denn sie hält Großvaters frohes Lachen fest mit beiden Händen.

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