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Heinrich Schön traf die alten Arnsteins erst in Potsdam auf dem Bahnhof. Er war in der andern Wagenklasse gefahren, so daß er sie vorher nicht bemerkt hatte. Die alten Arnsteins hatten wohl damit gerechnet, daß ihre Tochter sie abholen würde, denn sie suchten ziemlich hilflos und enttäuscht mit den Blicken zwischen den Wartenden, die gekommen waren, um Bekannte zu begrüßen, oder mehr wohl noch, um überhaupt einmal das immer noch recht neue Schauspiel des heranbrausenden und anhaltenden Zuges zu bewundern.

Aber Heinrich Schön fiel dieses ängstliche Suchen der alten Arnsteins nicht einmal besonders auf, denn hilflos und enttäuscht war eigentlich recht die Signatur der alten Arnsteins. Sie war ihnen aufgeprägt, aufschabloniert wie zwei Frachtstücken, die nun so und nicht anders gezeichnet durch die Welt wandern und überall an dieser Signatur kenntlich sind – ihnen und ihrem ganzen Wesen, ihren Gestalten, die schon anfingen, wieder kleiner zu werden, ihrem Benehmen, ihren Blicken, selbst ihrer Kleidung.

Sie waren nämlich einmal sehr reich gewesen, die Arnsteins. Und auch Antonies Mutter war aus wohlhabendem, vornehmem Haus gekommen. Aber gemach war so eins nach dem andern abgebröckelt; und jedes Unternehmen, das der alte Arnstein begonnen hatte, war zum Schluß zu seinen Ungunsten ausgeschlagen. Immer wieder hatte er es zwingen wollen und immer mehr gewagt und immer mehr verloren. Vielleicht war er gar nicht an seiner Untüchtigkeit, sondern einfach an einer neuen Zeit, die er nicht mehr verstand, zerschellt. Wenn er noch vor zehn Jahren – selbst vor fünf Jahren – das Geschäft verkauft oder einfach liquidiert hätte, würde er genug behalten haben, um leben zu können. Und jetzt war das Geschäft doch kaum mehr sein eigen, und er war ganz von seinem neuen Schwiegersohn abhängig geworden. Und das hatte natürlich seinem Wesen die Signatur »hilflos und enttäuscht« nur noch deutlicher und lesbarer aufgeprägt, hatte jeden Buchstaben doppelt nachgezogen.

Und diese Signatur hatte die beiden Leute, noch mehr als das sonst bei Ehegatten der Fall ist, einander angeähnelt, so daß sie fast wie Geschwister aussahen: Diese kleine, etwas vornübergebeugte Frau mit den fragenden Augen in dem freundlichen Eulengesicht, in dem altroten Moirékleid mit der schwarzen Kantenmantille, mit den Blonden im angegrauten Haar – diese kleine Dame, die den kostbaren, leichtzerbrechlichen Elfenbeinschirm angstvoll in der zittrigen Hand hielt. Und das Männlein dazu in Frack und grauem Zylinder, kaum größer als sie, das sie untergefaßt hatte, so als ob er an ihrem Schürzenband hinge, und das ebenfalls – aber über den Rand einer Brille fort –, schnuppernd wie ein Mäuschen, leicht enttäuscht, mit den Blicken im Gewühl suchte.

Heinrich Schön sah sie einen Augenblick, sie hatten ihn noch nicht bemerkt, erstaunt an und fragte sich – der Gedanke war ihm eigentlich noch nie vorher gekommen –, wie in aller Welt sich Frau Antonie zu diesen Eltern verirrt hätte und wie sie bei diesen Eltern so ganz sie selbst werden konnte mit all ihrer Kaprice und all ihrer sprühenden, selbstgeformten Schönheit, die ganz unabhängig von äußeren Dingen schien. Dann ging er auf sie zu, begrüßte sie, als ob er sie erwartet hätte, sagte, daß er mit dem gleichen Zuge gekommen, meinte, es wäre doch für die alte Dame zu weit zu gehen – sie möchten mit ihm fahren. Und er hatte sogar so etwas wie eine leicht aufsteigende Rührung, als er der alten Dame, für die der Kutschentritt ein wenig zu hoch war, in den Wagen half.

Und als Frau Arnstein sagte, sie fände es doch aufopfernd von ihm, daß er sich so einfach von ihrer Tochter hätte schicken lassen, sie in Empfang zu nehmen, da er doch sicherlich noch nachher zu seiner reizenden Braut müsse, um sie feierlich einzuholen, fand Heinrich Schön nicht den Mut zur Wahrheit, sondern klopfte sich nur bei dem Wort »Braut« ganz erschrocken gegen die Brust. Um Himmels willen, er hatte doch heute vormittag noch von Friedländer ein Schmuckstück für Hannchen besorgt: eine goldene Brosche, einen Stern mit einem Rubin und Aquamarinen. Er hatte nicht mehr mit einem Gedanken daran gedacht. Wo hatte er nur das Futteral hingesteckt – wo denn nur? Oder hatte er es in sein Pult geschlossen? Ach nein – da fühlte er es ja. Währenddessen aber redete Frau Arnstein ohne Pause, ohne Punkt und Komma auf ihn ein. Sie gehörte nicht zu denen, die eine Antwort verlangen oder eine Antwort abwarten.

Zu Hause war noch alles still. Das ganze Haus schlief in der späten Helligkeit. Keiner achtete auf den Wagen, der da vorgerollt kam. Weder sein Vater noch Frau Antonie waren zu sehen, und Heinrich führte die alten Arnsteins unten in den kleinen blauen Saal, hieß Auguste anzünden und schickte sie dann unauffällig hinauf: Die Eltern wären schon da, man möchte bald kommen, denn er müsse sich umkleiden.

Frau Arnstein meinte, man brauche gar nicht die Kandelaber anzuzünden – lesen wolle sie ja nicht; es wäre ja ganz hell draußen. Und das war es ja auch. Die Sonne war wohl noch nicht einmal untergegangen, schickte sich vielleicht gerade an, irgendwo draußen ihr Licht zu vergraben oder im Spiegel breiter Seen zu verlöschen. Wie geschmacklos, dachte Heinrich plötzlich, um diese Jahreszeit Gesellschaften zu geben! Ja, wenn es geregnet hätte! Aber an einem blauen, warmen Tag – ganz blau, ganz warm –, an dem es kaum Nacht wird!

Die alten Arnsteins saßen nebeneinander, zwei kleine, etwas ramponierte Vögel, die sich noch einmal die Federn glattgestrichen hatten, saßen auf einem niedrigen, engen, O-beinigen Sofa mit runder, etwas nach vorn geschweifter Lehne. Das alte Möbel umschloß und umfing sie, hatte sie ordentlich in seine Arme genommen. Vor Zeiten war es wohl nur für eine Dame gedacht, die mit dem weiten, mit dem blumengestickten Glockenrock es ganz füllen sollte, wenn sie mit steifem Kreuz und geschnürter Schneppentaille, die Arme graziös breitend, die Ringhände hüben und drüben auf den beiden Wangen der Lehne ruhen lassend, mit roten schmalen Lippen und Schönheitspflästerchen unter den grauen Toupets, hier Cercle hielt. Aber es fand sich heute auch mit den beiden alten Leutchen ab, das Sofa – ja, es schien beinah vernehmbar zu sagen: Kommt nur, wir gehören zusammen. Wir passen alle drei nicht mehr recht hinein in die Gegenwart, sind passé, unpraktisch, überholt – kommt nur!

Frau Arnstein fragte dies und jenes, vor allem nach Heinrichs Braut; sie freute sich so, sie wiederzusehen, sie wäre ja ein entzückendes Mädchen (das und nur das sagte Gott sei Dank nun jeder!). Wann sie Hochzeit machten? Wo sie hinzögen? Wie weit sie mit der Einrichtung wären? Und währenddessen ließ sie, ohne Antwort abzuwarten, ihre kleinen flinken Zeisigaugen im Saal umherlaufen, von den Türblidern zu den Glasschränken, von dem goldenen Spinnennetz der Decke zu den kleinen blinkenden Spiegeln, in denen sich die frühen gelben Funken der Kerzen mit dem grünen Licht des Tages, das von draußen durch die Kronen der beiden Linden vor der Rampe und durch die hohen Baumwände dahinter am Kanal hereinflutete, ganz seltsam vermischten.

»Erinnerst du dich, Arnstein, so ähnlich hat es bei meinen Eltern auch ausgesehen. – Wo ist das alles hin!«

Da kamen Eduard Schön und Frau Antonie herein. Eduard Schön in violettem Frack, gelben Hosen und spitzendig gebundenem hellem Seidenschal (sicher hatte er sich den von Frau Antonie binden lassen), sehr gut rasiert, freundlich – nicht kalte Nadel, wie sonst, sondern Schabkunst: sonor und vornehm, ganz Hausherr, mit liebenswürdigem Blinzeln in den Augenwinkeln, und jede Sekunde gewärtig, seinen Gästen das Beste zu bieten.

Und Frau Antonie, neben ihm, war nun in einem mattgrünen, schulterfreien Seidenkleid mit einem Muster von großen silbergrauen Blumen auf den breiten Bahnen des bauschigen Rockes, so als ob die langen Streifen wirklich mit Blumen abgesteckt wären. Ein Schmuck stumpfer Silberplatten fügte sich zu dem grünlichen Perlmutter des stolzen Halses und der schlanken Arme. Und zwei meergrüne Seidenschleifen, von Perlen umzogen, waren mit eingeflochten in das blauschwarze Haar, dessen seltsamkokette Turbanfrisur vielleicht bei einer anderen extravagant gewesen wäre, aber für sie wie eigens ersonnen schien, um das regsame Spiel der Züge und der dünnen Nasenflügel zu unterstützen und doppelt zu betonen.

Heinrich erhob sich, aber er blieb wie gebannt stehen. Er kannte sie doch nun wirklich zur Genüge, er sah sie ja vor sich Tag und Nacht, ob er die Augen offen hatte oder schloß – und das war doch nun wieder eine ganz Neue und andere. Die Wassernixen sind etwas Erdichtetes, schoß ihm durch den Kopf. Das stand in einer alten Chronik. – Frau Antonie lächelte ihm zu mit ihrem zweiten Lächeln für Vertraute. Ja, es schien sogar Heinrich, als ob plötzlich so ein Unterstrom von Rosen durch das Perlmutter floß. Aber das konnte auch ebensogut von draußen ein Widerschein vom Abendhimmel sein oder etwa ein Aufzucken von den Kerzen, weil die Tür ging. Genug, Frau Antonie lächelte ihm zu, ehe sie ihre Eltern begrüßte, mit einem Gesicht starr wie Wachs.

»Ich habe deine Eltern von der Bahn abgeholt«, sagte Heinrich bedeutungsvoll und wandte sich zur Tür.

»Nu, mein Kind«, hörte Heinrich noch die alte Frau Arnstein sagen, wie er schon halb draußen auf dem Hausgang stand – und er horchte auf, weil die Stimme, mit der die Worte gesprochen wurden, so ganz etwas anderes dabei sprach –, »nu, mein Kind, dich brauch' ich ja nicht zu fragen, ob du glücklich bist. Ich brauch' bloß dich anzusehen und mich hier bloß umzusehen – dann weiß ich es.«

Und wie Heinrich mit kleinen nachdenklichen Schritten die Treppe hinaufstieg, wiederholte er sich langsam das, was die Stimme in Wahrheit gesagt hatte: Aber Antonie, man muß doch immer die Dinge nehmen, nicht wie sie sind, sondern wie sie sein sollten... Du brauchst gar nicht böse mit uns zu sein; es ging doch nu mal nicht anders. Wirklich, wir haben nur dein und unser Bestes gewollt. Was haben wir für dich schon alles im Leben getan, nicht wahr?

Herrgott! Da draußen kam ja schon jetzt wieder ein Wagen angerattert, und es schellte sogar. Wußten denn die Menschen wirklich nicht, daß man immer eine halbe Stunde später kommt, als man eingeladen ist?

Heinrich Schön brauchte eine ganze Weile, bis er mit dem Umziehen zurechtkam, denn er war mit den Gedanken sehr woanders. Und dann offenbarten seine Kragenknöpfe die Tendenz zu echappieren, und sie flüchteten sich vor den Nachstellungen in seine Stiefel, eine merkwürdige und oft beobachtete Neigung der Kragenknöpfe, und sie ließen sich erst aus dem Versteck herauslocken, als er schon in seiner Verzweiflung drauf und dran war, aggressiv gegen das Mobiliar des Zimmers zu werden. Aber endlich – das Haus summte schon insgeheim von Menschen – war Heinrich Schön doch ganz und gar vernehmungsfähig. Aber wie er schon in der Tür stand, um die Treppe hinunterzugehen, da fiel ihm ein, daß er ja das Schmuckstück für Hannchen im andern Rock hatte steckenlassen. Und er kehrte nochmals um, es zu holen.

Im Augenblick jedoch, da er es aus seinem Alltagsrock nahm, übersah er plötzlich blitzhell und blitzschnell seine ganze Lage, so wie man eine Landschaft übersieht, wenn ein Scheinwerfer über sie hinhuscht: weißes Haus ... Garten ... Feld ... Bäume... Felsen... Wald ..., nacheinander auftauchend aus der Dunkelheit – und in der Dunkelheit ringsum klar, scharf, gegenständlich wie nie am Tage und ebenso in der Sekunde wieder schwindend. Gott ja, all die waren ja da unten nicht zu seinem Vater, sondern heute zu ihm gekommen, und in vier, fünf Wochen würden sie noch mal kommen, und er würde dann aus diesem Haus hier gehen, nicht mehr unter diesem Dache zusammen ... Oh, nun war es aber wirklich Zeit.

Draußen auf dem Flur im breiten Treppenhaus war alles hell, alles angezündet, was anzuzünden ging; die großen Glasglocken, die auf den Podesten von den vergoldeten Putten emporgehalten wurden, waren blitzblank geputzt und strahlten nur so.

Aber Heinrich Schön brauchte gar nicht mehr hinunterzugehen zu den anderen, denn schon kam es die Treppe herauf – bunt, summend, breit, feierlich, Stufe für Stufe, zwei und zwei und auch zu dreien: Als erste Frau Antonie und der Geheimrat von Mühlensiefen, ein wenig vornübergebeugt, mit steifen Füßen und in der Zier einer Perücke, deren Farbennuance, ein blondliches Braun, Heinrich bisher neu war und die wohl eigens für den heutigen Tag und die demnächst zu erwartenden Festivitäten erbaut worden war. Und fürder im Schmuck seiner Bänder und Orden; heute nicht in der Duodezausgabe, sondern in stolzer blinkender Lebensgröße. Der Rat hatte den Kopf seitlich zu Antonie hinübergeneigt und sprach in verbindlicher Liebenswürdigkeit in sie hinein. Frau Antonie aber lächelte zu Heinrich empor mit einem Lächeln, das deutlich sagte: Bedaure mich!

Zwei Stufen tiefer aber folgten Eduard Schön mit Frau Aurelie oder – richtiger und höflicher – Frau Aurelie von Mühlensiefen, geborene von Grävenitz, und Eduard Schön. Höflicher, weil man den Damen den Vorrang läßt; richtiger, weil Eduard Schön neben Frau Aurelie gar nicht zur Geltung kam. Gut, daß die Treppe so breit war (Dickens sagt einmal von solchen Treppen, man könnte einen Sarg quer hinauftragen), sonst hätten sie kaum nebeneinander Platz gefunden, denn Frau Aurelie hatte ihre Stattlichkeit noch in ein sehr weites grünes Moirékleid mit hellen Spitzenvolants gekleidet. Sie sah genau wie ihr grünes Ripssofa in der guten Stube mit den Antimakassars aus, nur daß, wo der grüne Rips und die Antimakassars aufhörten, eine schon mehr groteske fleischliche Üppigkeit emporblühte, die ausgiebig mit Amethysten verziert war und zu der höchst spirituellen Geistesrichtung der Frau Geheimrat in schreiendem Widerspruch stand.

Wirklich, Eduard Schön konnte sich demgegenüber nicht recht zur Geltung bringen.

Dafür paßten Fräulein Mechthildis von Grävenitz und der alte Müllner auf der nächsten Stufe weit besser zusammen; sie waren beide aus Hoffmanns Werken entsprungen: Schnüspelpold und die Alte aus »Meister Floh«. Sie trug nicht das schwarze Moirékleid – sie war das schwarze Moirékleid, Tante Mechthild. Man konnte annehmen, daß Mechthildis und ihre Schwester Aurelie beide einmal mit zwanzig Jahren sich recht ähnlich gewesen waren, was Größe, Wesen und Gestalt betrifft. Aber nun hatten sie sich voneinander entfernt, und zwar jede nach der anderen Richtung: Aurelie nach der Plusseite hin und Fräulein Mechthildis nach der Minusseite hin. Die eine war Frau Rätin von Mühlensiefen geworden und die andere das alte Fräulein von Grävenitz, sehr beliebt bei den Damen ihres Friedrich-Wilhelm-Stifts: eingeschnurrt, lächelnd, freundlich und kümmerlich, ständig zitternd wie eine G-Saite beim Pizzikato, sehr vornehm, aber keineswegs aggressiv-vornehm wie ihre Schwester. Zierlicher Bernsteinschmuck mit geschnitzten Röschen! Und kein Amethystkreuz, das einem eben bekehrten Wendenherzog alle Ehre gemacht hätte.

Herrn und Frau Arnstein hatte man nicht getrennt. Vielleicht hatten sie es vergeblich versucht.

Und dann kam Maltitz – Maltitz, in Ermangelung Heinrichs, als »Brautführer« –, Maltitz in einem Petrarcaschen Sonett von einem Frack: doppelreihig, zugeknöpft, dunkelgrün, mit Sammetkragen; Maltitz mit einer wundervoll geschwungenen, tupfenreichen Seidenkrawatte – als Krawatte unter den Krawatten das, was die »Nachtwache« unter den Gemälden – und mit violetten, zartvioletten großkarierten Beinkleidern, die in der Taille mit vielen Falten scharf eingezogen waren. Wirklich, er wußte sich zu kleiden!

Und neben ihm Hannchen – lachend, rot, strahlend-blond, in rosa Tarlatan mit roten Schleifen: »Die erste Tanzstunde« oder »Ball im Kadettenhaus«. – Frau Aurelie liebte das Jugendliche. Eine Jungfrau bleibt bis zum fünfundzwanzigsten Jahr siebzehn. Hinter ihr aber kicherten ihre Freundinnen die Treppe herauf, lichtblau, weiß und strohgelb, in reicher Blumenzier auf Rock und Taille, mit Kränzen im Haar – als Vergißmeinnichtwiese, Rosenbeet und zyanendurchleuchtetes Kornfeld: Melanie von Myaskowski, Klärchen von Türk und Betty Dietrich. Und inmitten dieses wirklichen und echten Damenflors glänzte das breite gerötete Gesicht Degebrots: feist, umfänglich, vergnügt. Degebrot, der Prokura für Berlin hatte; Degebrot, der seit dieser Zeit die Potsdamer Stange und die Berliner Weiße durch Personalunion in sich verbunden hatte; Degebrot, in dessen Besitz sich ein vollkommen blanker und unabgenutzter Akkusativ befand... (Denn er hatte sich ganz richtig gesagt, daß in der deutschen Sprache die Verben ein Mir oder ein Mich verlangen. Und da man nun nie wissen kann, welches ein Mir und welches ein Mich verlangt, so ist es leicht möglich, daß man gerade dann »mir« sagt, wenn man »mich« sagen muß, und gerade dann »mich«, wenn man eben »mir« sagen muß. Wenn man aber nur »mir« sagt, so kann man mit Sicherheit damit rechnen, wenigstens bei der einen Hälfte nicht auf dem Holzwege zu sein.) Degebrot also, der vielleicht nicht sehr gesellschaftsfähig, wenn auch nicht gerade unmöglich war, der aber sich geschäftlich so bewährt hatte, daß man ihn schon zuziehen mußte, und der nun breit grinsend zwischen diesen jungen hübschen Mädchen dahinschwamm... Degebrot hatte Heinrich nächst Frau Antonie, die ihn ja stumm gegrüßt hatte, zuerst erblickt und nickte ihm – von unten herauf – zu.

»Der treulose Bräutjam!« rief er und hielt das für einen köstlichen Witz.

Alles lachte, selbst der Geheimrat. Alles jubelte und winkte ihm entgegen. Maltitz führte ihm Hannchen hinaus und verbeugte sich mit absichtlich gespreizter Förmlichkeit. Hannchen drohte mit dem Finger, mit mehr Schelmerei, als ihr zuzutrauen war. Ohne Zweifel: Degebrot hatte die etwas frostige Anfangsstimmung hiermit bedeutend erwärmt, und man zog schon mit ganz andern Gefühlen in den grünen Saal ein, als man es sonst getan hätte – Heinrich und Hannchen nunmehr an der Spitze.

Die Doppeltür des Saales war weit zurückgeschlagen. Die Kerzen brannten mit vielen roten Zungen in den Kristallkronen und in den alten, sich verkreuzenden Girandolen auf dem Tisch. Die hohen Fenster waren geöffnet, und der gerötete Abendhimmel sah mit seinen breiten Streifen über die Baumkronen, und hinten lugten durch das Grün die dicken hellen Säulen und das rostige Ziegeldach des Kellertors.

Wie lange hatte nur Heinrich diesen Raum nicht mehr in Festtracht gesehen! Wohl seit dem Tode seiner Mutter nicht mehr! Nun kam er das ganze Jahr nicht mehr hinein. Die Petzel hatte ihn auch meist abgeschlossen. Wie ein warmer betäubender Hauch schlug ihm ein Schwall von Erinnerungen entgegen – ganz verschollene und vergessene Menschen und Tage stiegen in Heinrich Schön auf. Da hatte der gestanden und dort die schöne Frau, die dann so traurig enden sollte. Ja, wie hieß sie nur? Woher sollte er das noch wissen? Es hatte auch nicht viel Eindruck auf ihn gemacht, denn er war ja noch gar nicht richtig dabeigewesen, durfte nur mal herüberkommen, guten Tag sagen, einen Augenblick an der Illusion dieses grünen seidigen Raumes, an dem schönen Trug von dem Silber der Türen und Decke, von dem Mattgold der Kerzen, von dem Duft von Wein und Speisen, von bloßen Armen und Frauenschultern, die sein Schülerherz seltsam und schwül verwirrten..., einen Augenblick daran teilhaben; durfte hier eine Verbeugung machen, dort antworten, bekam ein paar Süßigkeiten in die Hand gesteckt und stand, ehe er es sich versah, wieder draußen allein auf der Treppe.

Und nun hatten sich die alten, breiten Türen von neuem geöffnet, ließen ihr silbernes Muschelwerk auf dem mattgrünen Grund sehen. Nun fielen wieder in den vier Feldern in den Ecken die silbernen Musikinstrumente – Tuben und Flöten, Lyren und Klarinetten – in ihrem silbernen Rosengerank über den mattgrünen Grund; und über die ganze Decke fort hatten wieder die Putten ihr Silbernetz gespannt – die, die im Kahn standen, und die, die drüben am schilfigen Ufer mit aller Kraft, mit kleinen geschwellten Muskeln, an dem Netz mit den zappelnden Fischen zogen. Nun blitzten und funkelten endlich wieder einmal in den hohen, vielgeteilten, eingelassenen Spiegeln zwischen den Fenstern die Widerscheine der Kerzen; tickten gleichmäßig, auf niederen Konsolen davor, die beiden Bronzeuhren, die sicherlich bald ein Jahrzehnt geschwiegen hatten. Und die Porzellanvasen mit den roten Blumen, die jene flankierten – zwei und zwei –, betrachteten in all der Helligkeit mit leichtem Erstaunen wieder seit langem ihr Spiegelbild in den nur ein wenig mehr trüb gewordenen Scheibchen.

Die Seidentapeten aber in den Feldern rechts und links der Türen, der nach dem Treppenhaus und denen nach den beiden anstoßenden Zimmern – es waren kleine, einfenstrige Nebenräume, in denen nur ein paar Tischchen standen und deren Wände mit Gemälden fast verhangen waren: Landschaften und Familienbilder –, die seidenen Tapeten waren fast nicht mehr verblichen, als sie es vor zehn, fünfzehn Jahren schon gewesen waren. Und noch nickten mit spitzen Mützen die Chinesen darauf, unter Pagoden und Palmen. Ja, selbst die eine dicke Ente da hinten an der anderen Tür (seltsam monströs und ungeheuerlich unter dem Päonienstrauch), sie hatte immer noch den großen leuchtendroten Schnabel, vor dem sich Heinrich als Kind so gefürchtet hatte und der ihn bis in seine Träume hinein verfolgt hatte. Nur die Stühle, die grünen Polstersessel mit den versilberten Schnitzereien, die Heinrich so groß, breit und mächtig in der Erinnerung hatte, waren kleiner, älter und bescheidener geworden, waren ganz in sich zusammengeschrumpft und duckten sich unauffällig und wie verarmt mit ihren kurzen, geschweiften Kommodenbeinen.

Ja, dieser Saal hatte schon in Potsdam in den Bürgerhäusern nicht seinesgleichen. Und heute hätten sich Schöns wohl auch schwerlich einen solchen Saal noch bauen lassen.

Einen Augenblick stauten sich die Gäste – überrascht: »Entzückend!« Und wie hübsch die Tafel aussah!

Das hatten sie doch hier nicht erwartet – selbst die Frau Rätin schien versöhnt. Dann aber begann alles umständlich nach den Plätzen zu suchen.

Ja, und hier in der Mitte der Tafel – denn sie waren ja heute die Hauptpersonen – sollten Heinrich und Hannchen sitzen, gerade zwischen den beiden silbernen Weinkühlern mit den köstlichen Teerosen. Also dazu hatte Antonie sie haben wollen! Neben ihn kam Frau Antonie mit Mühlensiefen und an Hannchens Seite sein Vater und die Frau Rätin. Schräg linker Hand drüben die alten Arnsteins und zur anderen Hand Tante Mechthild und Herr Müllner. Am Tafelende aber zwischen Klärchen von Türk und Betty Dietrich leuchtete Degebrots feiste Röte. Er hatte sich von allen zuletzt gesetzt, nicht etwa aus Höflichkeit, sondern er mußte doch erst sich und seinen beiden Damen Rotwein eingießen. »Trinken Se man, Fräuleinchens, der jibt Blut und kost nischt!«

Und geradeüber von Hannchen und Heinrich – auch flankiert durch die Büsche von Teerosen – hatten von Maltitz und Melanie von Myaskowski ihren Platz, eine hübsche, zierliche Brünette, die Heinrich Schön sehr vertraut zunickte. Richtig, das also war ja Melanie von Myaskowski! Auch die anderen jungen Damen grüßten vergnügt und sehr entgegenkommend zu Heinrich herauf und winkten mit ihren schnell gefüllten Gläsern ihm zu. Denn wenn auch eine jede, als die beste Freundin, Hannchen ihr Liebesglück gewißlich gönnte, so sahen sie doch nicht ein, warum sie sich nicht bei deren Bräutigam für alle Fälle freundlichst in Erinnerung bringen sollten.

Wie gut, daß Hannchen nicht schnell die Serviette vorband – aber niemand hatte den Mut, sie sogleich zu zerstören, denn sie war zierlich und kunstvoll, in der Form eines Schwans (oder wenigstens einem weißen, flügelbreitenden Vogel ähnlich) geknifft und zusammengelegt –, wie gut, daß Hannchen nicht wagte, ihre Form zu zerstören, denn so fand Heinrich – fast hätte er es schon wieder vergessen! – noch Zeit, das Etui mit dem Schmuck heimlich in die Falten ihrer Serviette zu schieben. Und als Hannchen die Serviette öffnete, purzelte es heraus, und wenn Heinrich nicht zugegriffen hätte, wäre es sicher in die Bouillontasse gefallen. Und wenn es auch um das gepreßte Lederetui nicht schade gewesen wäre und wenn auch Jagors Real Turtle Suppe in Wahrheit nur Mockturtle war, und ohne erneuten Mord an einem ehrwürdigen Reptil leicht ergänzt werden konnte, so wäre es doch ein Jammer gewesen, wenn es einen der beiden zierlichen Henkel der alten Bouillontasse abgeschlagen hätte – denn die hätte man wirklich nicht mehr wiederbekommen.

Hannchen wurde ganz rot vor Glück, und Heinrich hatte sie im Augenblick sehr lieb. Das gab eine Freude und ein Lachen und Bewundern! Und leicht neidische Blicke von drüben und vom Tischende. Aber die Freundinnen hatten nur lebende Rosensträuße bekommen. »Und nicht einmal solche in Papiermanschetten«, meinte Betty Dietrich.

Hannchen reichte das Etui ihrer Mutter hinüber. »Wirklich sehr nett!« sagte die Rätin.

Auch der Herr Geheimrat zog das Schmuckstück ganz nahe vor seine kurzsichtigen Augen, um zu sehen, ob der große rote Stein da in der Mitte ein Rubin oder ein Granat sei.

»Entzückend, diese chinesischen Teerosen!« meinte Tante Mechthild. Der Ton ihrer Stimme erinnerte an ein abgespieltes Spinett. »So schöne habe ich noch nie gesehen – nicht mal auf der Pfaueninsel.«

»Ich weiß nicht, Tilde«, ermahnte ihre Schwester, die Frau Rätin – und ihre Stimme klang gegen das gläsern-piepsige Spinett wie eine Orgel in der leeren Kirche –, »ich kann an diesen modernen Rosen nicht soviel finden. Für mich sind und bleiben doch die einfachen, schlichten Monatsröschen die allerschönsten. Weißt du, Tilde, wie wir sie zu Hause im Garten hatten. Das mag heute rückständig sein, aber...«

»Liebes Kind«, unterbrach der Geheimrat, der die Unterhaltung mit angehört hatte – denn es war bei der Klangfülle seiner Gattin schwer, sie zu überhören – und der schon mit aller Macht und vielen unbeachteten Zeichen versucht hatte, sie zu unterbrechen, »liebe Aurelie, Teerosen sind jetzt das neueste und modernste. Ihre Königliche Hoheit, die Prinzeß Wilhelmine, hat sogar am vorigen Mittwoch beim kleinen Empfang, wie ich in Erfahrung gebracht habe, höchstselbst mit nichts wie Teerosen die königliche Tafel geschmückt. Und ich muß bekennen, es verlohnt sich schon, einen Blick auf sie zu werfen – wie sie hier meine liebenswürdige Nachbarin vermittelst der Verbindung mit dem Silberzeug in künstlerischer Weise zur Geltung gebracht hat.«

Die beiden Lohndiener mit Eskarpins – so echt, daß sie geradezu schon unecht wirkten, als ob sie einem Lustspiel von Iffland entsprungen wären –, die Diener reichten Sherry und Madeira, damit es für jeden Geschmack das Richtige wäre. Und alsbald wurde die Unterhaltung reger, brannte wie ein Dorf an allen Ecken zugleich. Besonders laut und von Gelächter unterbrochen war sie auf Degebrots Ecke. Die jungen Damen, die man ihm zugeteilt hatte, waren zwar erst etwas schockiert gewesen, hatten sich aber bald an seine ein wenig offenherzige Manier gewöhnt und versuchten erfolgreich mitzuhalten. Denn sie hätten keine Potsdamer Kinder sein müssen, wenn ihnen nicht eigentlich so etwas sehr gelegen gekommen wäre.

Die Fenster waren geöffnet, und die Signale, die die ausbleibenden Soldaten zu den Kasernen riefen – zu der Jägerkaserne, zu der »Roten-Husaren-Kaserne« und der des Ersten Garderegiments –, schwirrten in kleinen Intervallen herein, von hüben und drüben, klangen als deutliche Oberstimmen über das Summen der Gespräche fort, von manchem gehört, von andern überhört – so wie das Schlagen einer Uhr, wenn man daran gewöhnt ist, mag es auch immer gleich laut sein, doch nicht immer und von jedem vernommen wird. Degebrot aber hörte die Signale. Vor allem, da er ganz vorzügliche, ihnen untergelegte Texte dazu kannte, die er mit leicht verschleierter Stimme mitsingen konnte – Texte, die seinen beiden kichernden Nachbarinnen bisher entgangen waren.

Draußen war es langsam dunkler geworden. Die Baumkronen setzten sich nicht mehr so scharf gegen die Luft ab. Die roten und gelben Streifen waren vom Himmel geschwunden und hatten einem tiefen, in Schwarz verklingenden Blau Platz gemacht. Und die Goldfäden der Kerzen spannen sich dichter und dichter um die lange Tafel in dem mattgrünen feierlichen Saal, der durch die hohen Spiegel noch erweitert und vertieft schien.

»Exzellent, das Essen, lieber Herr Schön senior«, meinte der Geheimrat und musterte zwinkernd das Fischgericht, das ihm soeben auf einer großen Silberschüssel von dem Lohndiener gereicht wurde und das sehr kunstreich angerichtet war –, »wirklich, es erinnert mich an jene längst vergangenen Zeiten, wie ich als junger Diplomat bei dem Wiener Kongreß ...«

»Ja«, meinte Eduard Schön, »ja, lieber Herr Geheimrat, vor wenigen Jahren hätten wir das auch noch nicht hier gekonnt. Alles die Eisenbahn! Jagor schickt 'rüber. In zwei Stunden ist es da.«

»Ach, bei Jagor«, meinte Frau Antonie – und es war eigentlich das erste Mal, daß sie ins Gespräch eingriff –, »im Saal von Jagor hält Mundt jetzt Vorträge über soziale Systeme. Schade, daß man das nicht hören kann.«

»Ja«, entgegnete Herr von Maltitz – er war sehr beschäftigt um Melanie von Myaskowski –, »wir, Sie verstehen, wir haben auch schon davon, wie es in der Amtssprache heißt, Kenntnis genommen. Es ist also ratsam, sich zu beeilen, liebwerte Frau Wirtin, wenn Sie etwa noch einen dieser Vorträge hören wollen.«

Aber der Geheimrat war immer noch beim Wiener Kongreß, und er rechnete, Eduard Schön gegenüber, es diesen nunmehr ein wenig zurückliegenden Verdiensten an, daß Metternich jetzt bald nach dreißig Jahren als einer der ersten unter dem neuen König den Orden Pour le mérite erhalten hatte. Nur, daß er diese Auszeichnung mit einem Manne ohne jede Verdienste – wie zum Beispiel Öhlenschläger – teilen müsse, wäre bedauerlich. Aber das wäre ja bei der anämischen Direktionslosigkeit – oder richtiger bei der Infamie der Berater des jetzigen Königs Friedrich Wilhelms des Vierten – nicht anders zu erwarten gewesen.

»Des vorigen Königs, meinen Sie, Herr Rat«, warf Maltitz lächelnd ein, als ob er sagen wollte: Es hat keinen Sinn, sich mit Leuten zu streiten, die passé sind.

»Des jetzigen, Herr von Maltitz«, erwiderte der Rat mit verdoppelter Liebenswürdigkeit, was einer ungewöhnlichen Schärfe, ja fast Grobheit gleichkam.

»Aber der jetzige ist doch Prinz Wilhelm«, entgegnete Maltitz todesernst, einen der letzten Witze aus Berlin kolportierend.

Ringsum lachte man. Der Rat stimmt sauer-süß ein. Gottlob, daß er da nicht mehr mittun mußte! Zu seiner Zeit war die Person des Monarchen sakrosankt gewesen. Frau Antonie ließ sich aber indessen ostentativ von Heinrich ein paar neue Verse des Haßenpflug-Lieds, das gerade in Berlin kursierte, vorsagen (»Wir wollen ihn nicht haben, den Herrn von Haß und Fluch«), die Heinrich aber unterbrach, als das Fischgericht zu ihm kam, ein hoher Aufbau mit allerhand zierlichen maritimen Köstlichkeiten darum herum und mit einem prächtigen Spiegelkarpfen mit breiten, runden Schuppen, blaugrau, in der Mitte.

Ach, das war ja sein Bellaminthes, den konnte er ja auswendig! »Hör mal, Antonie, hör mal, Maltitz, hör mal, Hannchen ...« Heinrich war lebhaft geworden, denn er hatte ziemlich schnell ein, zwei Gläser Wein hinuntergestürzt, und nun noch den alten Madeira dazu. Er wollte und mußte seiner verzweifelten Stimmung Herr werden. »Hört mal: Die Gärten weisen uns zu den gesunden Teichen, die man unfern der Stadt (›unfern‹ ist nett!) nicht ohne Lust (›nicht ohne Lust‹ ist doch sehr lustig!) erblickt. Darinnen sieht man oft die breiten Scharen streichen, auf deren Schuppen sich ein Silberglanz gedrückt. (Nicht übel gesagt!) Die Karpen (›Karpen! Karpen!‹) so sotane Fische heißen, sind in der reinen Flut ausnehmend frisch und schön. Deswegen kann man sie auch auf des Königs Tische als Zierde zu – den andern Speisen sehn.«

Hannchen begriff nicht, wie man daran etwas finden konnte.

Frau Antonie lachte, daß man die Zähne sah. »Silberglanz gedrückt – ist sehr hübsch«, wiederholte sie.

Maltitz – er war, wie gesagt, um Melanie von Myaskowski beschäftigt – sah teilnahmsvoll und bewundernd herüber, wie Heinrich sich auftat. »Nun, mein Prinz«, sagte er halblaut, und man konnte meinen, er bezog es auf diese seine Tätigkeit, einen Teil des Aufbaus auf seinen Teller herabzupraktizieren, »für den ›Karpen‹ scheinst du ja viel Sympathie zu haben.« Frau Antonie wurde hellhörig: Da schwirrte doch irgendein Doppelklang mit ... »Auf den Silberglanz legst du wohl nicht soviel Wert? Es kann auch Goldglanz sein. Es ist durchaus irrtümlich von dir anzunehmen, daß die Fische alle stumm sind.«

Heinrich verstand. Ach so, man klatschte in Potsdam über ihn! Na, ihm war's gleich. Ihm war's sogar nicht einmal unlieb. »Desto besser – eo melius –, wie der Professor Friedrich Wilhelm Schneider sagt, lieber Roderich!«

Frau Antonie, die drüben in ein Gespräch gezogen war, sah herüber, und Maltitz begann schnell von etwas anderem.

»Nun, gnädige Frau«, sagte er, »was haben Sie inzwischen schon alles von Potsdam gesehen?«

»Nicht viel«, meinte Frau Antonie verbindlich, so als ob sie gerade diese Frage erwartet hätte. Denn sie wollte um jeden Preis vermeiden, daß man etwa annehmen könne, sie hätte von einem Gespräch etwas gehört, das nicht für sie bestimmt war. »Fast gar nichts, Herr von Maltitz. Ich war einmal mit meinem Mann wieder im Park. Wir müßten mal alle zusammen einen Sonntag durch Potsdam bummeln, nicht wahr, Heinrich?« Sie hatte sich dieses »Nicht wahr?« auch schon angewöhnt.

»Ach, gnädige Frau«, warf Melanie von Myaskowski lachend ein, »verlassen Sie sich auf mich – in Potsdam ist doch nichts los!« Melanie von Myaskowski war ein ganz lustiges, prächtig respektloses Mädchen; gescheit, frisch und skrupellos. »Das einzige, was wir hier haben, ist das Wasser. Und wirklich schön sieht Potsdam eigentlich nur vom Wasser aus, wenn man es da so liegen sieht von Sakrow.«

»Hoch Sakrow«, rief Maltitz übermütig und winkte Heinrich Schön mit dem Römer zu. »Kinder, so in Sakrow geboren, sollen Glück in der Liebe haben.«

»... oder drüben von Tornow mit all seinen Türmen, da kann man sich beinahe einreden, es wäre hier in Potsdam wirklich was zu holen. Aber wenn Sie, wie ich, hier geboren wären, so würden Sie sich solchen Phantasmagorien sicher nicht hingeben.«

»Ach ja«, meinte Maltitz, »man müßte mal nach der Pfaueninsel fahren, jetzt, wenn die Seydlerschen Rosen blühen.«

»Gewiß«, warf Heinrich Schön ein, »die Känguruhs sollen sich dort bedeutend vermehrt haben.«

Hannchen kicherte.

»Ja«, rief Maltitz – man war in Weinstimmung –, »durch die väterliche Fürsorge Seiner Majestät.«

»Maltitz, Sie sind équivoque!« rief Frau Antonie entsetzt und übermütig – sie zwang sich mitzugehen.

»Des vorigen Königs!« unterbrach Heinrich lachend. Er wurde warm, und die Schleier hoben sich um ihn.

»Lassen Sie mich doch ausreden, meine Freunde – durch die väterliche Fürsorge Seiner Majestät werden dort auch Karl Licht aus Hinterpommern und die Geschwister Strach aus Lichtenberg gehalten. ›Ersterer‹ acht Fuß groß, ›Letztgenannte‹ kaum höher als zweieinhalb, aber sonst von schönem Ebenmaß und gesunder Konstitution. Das muß man gesehen haben!«

»Ja«, akkompagnierte Melanie von Myaskowski – sie war für jeden Unsinn zu haben –, »wenn sie so neben dem großen Hortensienbusch bei der Schaukel im Mondschein Polka tanzen – ehe Sie das nicht gesehen haben, gnädige Frau, dürfen Sie überhaupt hier nicht mitreden. Es ist für uns Potsdamer das, was früher der Ritterschlag für die Knappen war.«

Hannchen fand Melanie abscheulich verlogen. Da war doch wieder kein Wort von wahr. Und außerdem war sie erzkokett. Was sie immer nach Heinrich mit ihren Augen angab! Und Hannchen schwor sich, daß Melanie nie über ihre Schwelle kommen sollte, wenn sie erst verheiratet wären.

Frau Antonie aber lächelte der jungen rosengeschmückten Dame freundlich zu. »Vielleicht sehen Sie es sich noch einmal mit uns zusammen an, auch wenn Sie schon den Ritterschlag haben sollten.«

»Ja«, sagte Maltitz, »da müssen Sie auch Madame Friedrich kennenlernen und ihre Sahnengießersammlung. Eine famose Frau! Wissen Sie, neulich sitze ich mit Alvensleben im ›Einsiedler‹ – wer geht vorbei? Die Madame Friedrich; in der Hand ein mächtiges Kalbsgeschlinge, in einen Zeitungsbogen höchst ungenügend eingeschlagen. ›Tag, Herr Jraf! Tag, Herr von Maltitz!‹ ruft sie und schwenkt so mit dem Kalbsgeschlinge. ›Sehen Se mal, da drieben – sehen Se, da –, da jeht meine Tochter Emma. Na, Sie kennen se doch von unsern Subskriptionsball her, Herr Jraf; die geniert sich nämlich, mit mir zu jehn, weil ick det Kalbsjeschlinge hier trage!‹ – Ich sage Ihnen, die Madame Friedrich müssen Sie kennenlernen!«

»Ach ja«, rief Heinrich, »man sollte eine Wasserfahrt machen! So an einem warmen Nachmittag – es gibt wirklich nichts Wundervolleres.«

»Ja«, lachte Maltitz, »du solltest das in die Hand nehmen, mein Prinz. Du hast ja die meisten nautischen Erfahrungen und bist bekanntlich am vertrautesten mit den heimischen Gewässern«. Das »bekanntlich« war wirklich ziemlich infam.

Selbst Mühlensiefen, dem natürlich der Klatsch auch zu Ohren gekommen war, horchte auf – diplomatische Umschreibungen waren sein Element.

»Ach ja! Ach ja!« Frau Antonie war ganz gegen ihre Art übermütig. Und Melanie bat gleichfalls – jampelte wie ein Kind. (Hannchen haßte sie in diesem Augenblick.)

Die Jugend hatte sich ihr eigenes Reich errichtet, streckte sich gleichsam über den Tisch fort die Hände zu.

»Warum denn ich?« rief Heinrich Schön. »Gibt es denn nicht Würdigere im Reich?«

»Aber lieber Freund!« Maltitz schmunzelte. »Wer hat denn früher immer den kleinen ›Maître de plaisir‹ auswendig gelernt – ja? Der unerschöpfliche Maître de plaisir oder die Kunst, in allen Jahreszeiten im Freien und zu Hause, zu Lande und zu Wasser sowie – man beachte dieses ›sowie‹ – an allen nur erdenkbaren Freudentagen die unterhaltendsten Partien anzuordnen. Ja, bitte? Wer mein Prinz? Er soll sogar des Nachts das Buch unters Kopfkissen gesteckt haben.«

Heinrich sammelte gerade seine geistigen Hilfskräfte, um Maltitz zu entgegnen. Da klopfte der Geheimrat von Mühlensiefen ans Glas, erhob sich langsam mit einem leichten – wie Maltitz sagte: pensionierten – Ruck im Kreuz, und alles wurde still, ganz still. Nur irgendwer klapperte noch insgeheim mit dem Messer, und man hörte das Knarren der Sohlen der Lohndiener, die sich mit ihren Schüsseln – sie reichten eben Hammelrücken und Artischocken (Degebrot erklärte seinen Tischdamen, es wären unreife, vom Baum gefallene Ananas!), mit ihren Schüsseln sich leise, aber bestimmt zur Tür flüchteten, als ahnten sie, was da kommen würde.

Aber Mühlensiefen war gar kein so übler Redner, wenn er sich vorbereitet hatte. Sprechen war ja eigentlich ein Teil seines Berufes gewesen. Er hielt mit leicht akzentuierenden Handbewegungen die Gäste – ähnlich wie Napoleon seine Truppen bei den Pyramiden – dazu an, sich einmal hier umzuschauen, allwo die Kunstliebe von Generationen auf sie herniederblicke. Erzählte vom Porzellangroßvater, der vor dem Alten Fritz an der Spitze einer Deputation der Potsdamer Judenschaft ... Nein, der Geheimrat von Mühlensiefen schämte sich dessen durchaus nicht! Ja, er verglich sogar dieses Haus mit denen von fürstlichen Kaufleuten, der Fugger und Medici, bei denen Kunst und Wissenschaft eine Heimat gefunden. Er sang das Loblied auf die geschäftliche Umsicht Eduard Schöns, auf die schlichte Geradheit seines Wesens – er sprach wie ein Landrat zu einem Veteranen: »Fahren Sie so fort!« Man dachte, jeden Augenblick würde er aus einem plötzlich hervorgezauberten Kästchen ein Verdienstkreuz holen und es Eduard Schön an die Brust heften. Er sprach davon, daß ein neuer guter Geist hier in dieses Haus eingezogen sei; ein glücklicher, schöner Geist, der in sich die Lieblichkeit der Grazien mit der Klugheit der γλαυχπις Glaukopis – Beiname der Athene, der Tochter des Zeus, der Pallas Athene, vereine, deren Sprache sie ja auch beherrsche ...

Frau Antonie lächelte erfreut mit ihrem feinsten Lächeln. Das Wort »Glaukopis« weckte in ihr zahllose Erinnerungen, die ganze klare, witzig-feine Bergluft des Griechentums klang darin – Odysseus' Schliche so gut wie Phädrus und Sokrates unter der Platane am Ilyssos.

Frau Geheimrat aber stellte mit schmerzerfüllter Befriedigung fest, daß es der jungen Frau schwer an Demut fehle. – Was aber wäre alle Klugheit ohne Demut!

Dann aber kam der Geheimrat auf seine eigene Familie und die seiner Gattin zu sprechen, die ihre bescheidene Kraft seit langem dem Staat und der Kirche, der Kirche und dem Staat gewidmet hätte, um Gotteslohn und um kargen Verdienst. Und in diesem Augenblick war er echt, der Geheimrat – fast groß war er; das fühlte selbst Maltitz, der sonst ziemlich skeptisch die Rede zergliederte; das waren für ihn alles abgenutzte Klischees, ausgedruckte Platten – nein, die heutige Generation sprach schon anders, an der Spitze der König. Was war das für ein Redner! Aber hier und jetzt gerade sprach ja nicht der Rat von Mühlensiefen – das war der altpreußische Beamte, der sprach: hart, karg, zäh, unbestechlich; ärmlich und klein in der Lebensführung, aber voll von Glauben an die Sache, die er vertrat, an das Land, dem er diente; er, der zweimal daran mitgearbeitet hatte, aus einem Nichts eine Macht zu schaffen, die in der ganzen Welt mit Achtung genannt wurde, und der zweimal, fast ohne Dank und Lohn, nicht mehr errungen und beansprucht hatte als eine knappe Erhaltung seines Daseins.

Selbst der skeptische Maltitz fühlte: Hier hatte der Geheimrat von Mühlensiefen seinen großen Augenblick, und er neidete ihn. Denn er sah zu klar, um nicht zu wissen, daß es nicht mehr auf der Linie seines Wesens, ja vielleicht seiner ganzen Zeit läge, solche Augenblicke zu erleben.

Auch Heinrich sah mit einer gewissen Achtung, in die sich ein gut Teil Rührung mischte, zu dem alten Manne auf. Bei all seinen Sonderlichkeiten und Peinlichkeiten, trotz seiner verbindlichen Kühle und wohlgepflegten Reserviertheit – er verkörperte doch eine Anschauung, eine Zeit, eine schon schwindende Menschengruppe. Er war doch wer – ganz und unteilbar.

Aber wie nun der Rat eine Brücke schlug, von einer erblühenden Tochter sprach, die von seiner Gattin zu echt frauenhafter Schlichtheit ..., und von einem Sohn, der das reiche seelische Erbteil seiner Familie durch Weltgewandtheit, Reisen und Studien noch erhöhte und trotzdem, die Überlieferung seines Hauses fortführend, dem Kaufmannsstande treu blieb ..., und wie er von der siegenden Allmacht der Liebe sprach, von Amors spitzem und geschärftem Pfeil, der zwei Menschen durchbohrte, so daß sie, die sich erst flohen, nunmehr immer beieinander bleiben wollen ..., sprach, daß sie ..., da saß Heinrich ganz starr und fühlte, wie sich die Blicke von allen Seiten auf ihn richteten, und die Verlegenheit schlug ihm mit tausend Nadelspitzen oben aus der Stirn. Aufspringen hätte er mögen und alles herausschreien – wie wahnsinnig gequält sein Herz sei!

Die Frau Rätin aber bekam plötzlich die Augen ihrer heiligen Cäcilie in der guten Stube, die verklärt und starr nach oben sehen und unten voll Tränen hängen.

Hannchen jedoch, die sich bisher grenzenlos gelangweilt hatte (das war ja beinahe wie bei Ebeling in der Geschichtsstunde), war mit diesem Teil der Rede ihres Vaters sehr zufrieden. Er wirkte angenehm auf ihr Gemüt, ja, er ergriff sie beinahe, und sie legte – sie hatte das Gefühl, daß man jetzt Gruppe bilden müsse –, und sie legte plötzlich ihre Hand warm, weich, groß und schwer auf die Heinrichs, so daß der zusammenzuckte.

Maltitz hingegen sagte halblaut, Professor Friedrich Wilhelm Schneider kopierend, vor sich hin: »›Und jedes Ohr hing an Aenaens Munde‹ – das ist natörlich bildlich gemeint!«

Frau Antonie beugte sich herunter und biß in die Serviette.

Melanie von Myaskowski kicherte und wurde in diesem Augenblick Hannchens Todfeindin. Denn wenn sie auch gerade sehr gerührt war, so verabsäumte sie doch nicht festzustellen, ob ihre Freundinnen auch mit dem »nötigen sittlichen Ernst« an ihrem Schicksal teilnahmen.

Heinrich aber kämpfte verzweifelt gegen ein krampfiges Gelächter an, das in ihm hochstieg – ein Gelächter, zu dem eigentlich nur das Wort von Maltitz den Anstoß gab und das die Erlösung gab für ganz andere Dinge.

Aber, gottlob, da schmetterte der Geheimrat die letzten Sätze heraus, griff nach dem Glas, steuerte auf das Hoch zu, faßte alles zusammen, was man überhaupt in diesem Hause leben lassen konnte. Er war ein alter Redner, der Geheimrat von Mühlensiefen, hatte oft zu feierlichen patriotischen Anlässen, Jubiläen und Gedenktagen öffentlich gesprochen. Er wußte genau, daß es auf die letzten Sätze ankam – ihre Fülle, ihren Aplomb. Das andere vergaß man, aber die klangen im Ohr nach. Und richtig: die Spannung löste sich, alles schmetterte los, erhob sich, rief, brüllte fast, als ob es hundert gewesen wären. Gläser klangen, man lachte, verließ die Plätze, um miteinander anzustoßen. Und im gleichen Augenblick stürzten die beiden bis dato in ihrer Tätigkeit gehemmten Lohndiener wieder mit den Tabletts durch die breite Tür herein.

Auch Degebrot kam, rund, breit, seine beiden Tischdamen – die mit den Vergißmeinnicht und die mit den Kornblumen – vergnüglich mit beiden Ellbogen mit sich ziehend und einen grünen Römer dabei mit mäßigem Geschick vor der Wölbung seiner hellen Weste balancierend – »Weißwein jibt keine Flecke« –, um mit Heinrich anzustoßen.

»Des hab ick bisher jarnich jewußt, in was für'n vornehmen Haus man hier is«, sagte er todesernst.

Maltitz stieß auch mit Heinrich Schön an. »Mach's gut«, meinte er. Sonst nichts. In Wahrheit aber war er viel zu klug, um nicht zu sehen, was sich hier abspielte. Während der ganzen Rede und schon vorher hatte er sich scheinbar nur mit seiner Tischnachbarin beschäftigt und, alle Minute auf eine neue, lustige Scharlatanerie sinnend, nichts getan als Heinrich beobachtet, jedes Wort, jeden Blick, jede Bewegung von ihm aufgenommen. 0 weh, o weh – der liebe gute Heinrich Schön! Das war böse. Na hoffentlich kam er drüber weg ...

Aber der erste Schrecken wurde doch von der peinigenden Lust an der Sensation überschrien. Das war etwas für Maltitz – etwas, mit dem er spielen konnte, das ihn beschäftigte und reizte. Sollte der alte Mühlensiefen doch recht haben, daß das Leben etwa gar keine so raffinierte Bestie ist?

Frau Antonie stieß mit Heinrich an. »Wir müssen aber wirklich einmal eine Wasserfahrt machen – bald mal –, Hannchen kommt auch mit ...« Aber sie kamen nicht weiter. Denn Tante Mechthild stellte Heinrich, stieß mit ihm an, fragte, von wem sie die Möbel nehmen und die Kronen, ob das ...

»Ach ja, gewiß, gnädiges Fräulein, warten Sie – die Möbel von Gropius und die Kronen von Stobwasser.«

»Wie fanden Sie die Rede, Herr von Maltitz?« tuschelte Frau Antonie indessen.

»Nun, und was sagt die Glaukopis dazu?«

»Ich habe hier ein Amt und keine Meinung.«

»Recht nett – alte Schule. Die Gedankenmühle klappert noch, aber sie mahlt nichts mehr.«

»Verzeihen Sie, Herr von Maltitz«, meinte das Fräulein Mechthild von Grävenitz und stellte sich, ganz klein und eingeschnurrt, mit freundlichen, ängstlichen Augen und leichtgeröteten, runzligen, hageren Wangen, stellte sich wie ein schüchternes Kind vor den schlanken, jungen, eleganten Herrn hin; und ihre Kette von Bernsteinblümchen zitterte ganz angstvoll. »Verzeihen Sie, sind Sie mit jenem Joachim von Maltitz vielleicht verwandt, der einmal russischer Resident in Weimar war?«

»0 ja, Fräulein von Grävenitz ...« Und wie Maltitz den Namen aussprach, da zuckte es in ihm auf. An die Möglichkeit hatte er ja gar nicht gedacht. Richtig, das wäre ja beinahe damals die Geschichte der »Christel von Laßberg« geworden! »0 ja, meine Gnädige. Er war der älteste Bruder meines Vaters. Ich erinnere mich seiner ganz gut.«

»Ich kannte ihn«, sagte Tante Mechthild, drehte sich um und ging wieder leise und langsam zu ihrem Platz. Sie hatte noch mehr sagen wollen, aber sie hätte sich doch geschämt, wenn ihr die Tränen gekommen wären.

Frau Antonie sah ihr mit ihren glänzenden Augen nach. »Wieviel Jahre mag das her sein, Herr von Maltitz?«

»Warten Sie, gnädige Frau – sechsunddreißig, zum mindesten sechsunddreißig Jahre. Denn achtzehnhundertacht kam Onkel Joachim ja nach Stockholm.«

Frau Antonie schüttelte den Kopf. »Da wäre ich neunundfünfzig«, sagte sie halb für sich.

»Setzen! Setzen!« rief Eduard Schön. »A vos places, mesdames, messieurs!« Die Lohndiener irrten nämlich, ziemlich verzweifelt, mit ihren silbernen Schüsseln umher. Sie mußten doch zum zweiten Mal herumreichen.

»0 Gott, wo waren Sie denn, Fräulein Melanie?« rief Maltitz. »Eben haben Sie mir noch ewige Treue geschworen, und schon bemühen Sie sich, Favoritin bei Herrn Degebrot zu werden! Niemals hätte ich geglaubt, daß die Seele der Frau so wankelmütig sein könnte!«

Nein, nein, Maltitz hatte gar nichts gehört und begriffen ...

Beim Spargel sprach man, wie stets beim Spargel, vom Theater. Wirklich, die königlichen Theater in Berlin wären jetzt sehr herunter. »Die Berliner haben ganz recht«, rief Frau Antonie, »das schönste Schauspiel der letzten Jahre ist der Brand des Opernhauses gewesen.«

Maltitz verstieg sich dahin zu behaupten, daß die schlechtesten Schauspieler die Schauspieler sind.

»Warum?« fragte Heinrich.

»Es sind die einzigen Menschen, die sich nie verstellen können.«

»Das mag sein«, meinte Heinrich nachdenklich. Und plötzlich fühlte er: Maltitz hatte eine Logleine ausgeworfen – einen Köder daran, in dem Widerhaken steckten.

Aber schon waren Degebrots beide Tischdamen – Klärchen von Türk und Betty Dietrich – aufgestanden, begannen den Tisch zu umwandeln und reichten mit zierlichen Knicksen jedem ein langes Seidenband, auf dem ein Lied gedruckt war. Heinrich und Hannchen bekamen sogar je ein breites Atlasband, an dem unten lange Fransen hingen.

Und sie sangen beide, die jungen Damen, höchst kunstreich und lieblich zur bebänderten Laute die Verse des Liedes – Verse, die jeder von einer anderen Melodie getragen wurden. Nach »Röschen hatte einen Piepmatz« der eine – und »Denkst du daran, mein tapfrer Lagienka« der andere. Nach »Mein Herr Maler, will er wohl ...« der dritte – und nach »Noch einmal Robert, eh wir scheiden« der vierte. Einer, der eigens auf Hannchens Zukunft gemünzt war, nach »Ei was braucht man, um glücklich zu sein« – und einer, der viel belacht wurde, in dem Heinrich zum Entsetzen, aber auch zur Befriedigung der Frau Rätin als ein neunmal gesiebter Schwerenöter zur Genüge gekennzeichnet wurde, nach der Singweise »In Berlin, sagt er, ist es schön«.

Also, es war wirklich reizend!

Und Hannchen schämte sich sehr, was da alles öffentlich von ihr erzählt wurde: wie sie als vierjähriges Kind eine Kirschtorte abgedeckt hätte und statt »Stiefel« immer »Fiefel« gesagt hätte; wie sie den Literaturlehrer angeschwärmt hätte – ja, ja, alles höchst kompromittierende Dinge! Und von Heinrich hatten sie sogar eruiert, wie er als Gymnasiast immer von der Nauener Straße den Umweg über die Stehmannsche Fünftalerschule gemacht hatte!

Alle lauschten begeistert. Nur Degebrot war aus Verzweiflung darüber, daß er plötzlich auf beiden Seiten so vereinsamt war, dem stillen Suff verfallen. Gottlob, daß das Lied nicht mehr Verse hatte, denn sonst hätte es sicherlich eine Katastrophe gegeben. Immerhin, einer tüchtigen Reihe von Versen war Degebrot schon gewachsen!

Und als sie nun gar nicht mehr wußten, was sie sagen und singen sollten, da behaupteten sie nach »Da streiten sich die Leut' herum«, daß sie noch bis morgen früh weitersingen könnten, aber sich für das nächste Mal noch die »tollsten Streiche der beiden« aufheben müßten.

Hannchen küßte sich enthusiastisch mit ihren hochroten Freundinnen. Und sogar die Frau Rätin drückte mit sanft geschlossenen Augen ihre Lippen auf die reinen Mädchenstirnen.

Maltitz klatschte wie toll und rief: »Da capo!« Er genoß das mit beseligtem Blinzeln. Er schob das Seidenband vorsichtig in die Tasche. Ja nicht dalassen! Die Verse mußte er seinem Repertoire einverleiben!

Ja, aber über die Poularden mit den himmelblauen Papierkrausen um die fromm gekreuzten Keulen, die geradezu exotische Salate nach sich zogen, vergaß man doch schnell die beiden Sängerinnen.

»Richtig«, sagte Maltitz – und man sah, es schmeckte ihm vorzüglich –, »da wir gerade bei den Poularden sind: Du erinnerst dich, wir sprachen mal letzthin über die schlesischen Weber. Die verruchten Kerle wollen und wollen doch nicht verhungern – stören die Exzellenzen in ihrer Ruhe!«

»Ja«, meinte Heinrich – das Thema war ihm nicht angenehm –, »na, ganz so schlimm, wie es gemacht wird, wird's ja hoffentlich nicht sein.«

Maltitz tranchierte bedächtig ein Stück Hühnerbrust. »Lieber Junge«, sagte er, »schlimme Dinge sind bei uns in Preußen immer doppelt so schlimm, wie sie gemacht werden.«

»Schon möglich«, sagte Heinrich, »die Leinenindustrie liegt sehr darnieder.«

»Ach ja«, meinte Maltitz lächelnd und blickte nach einem krausen Eskariolblatt, »ich weiß schon – Industrie nennt man nämlich, wenn Hunderte, die hungern, eine Sache machen, die an Tausende verschleißt wird, und wenn trotzdem die volle Differenz zwischen Herstellen und Verkauf von einem einzigen eingesteckt wird, der die Sache nicht gemacht hat.«

»Das mag sein«, sagte Heinrich unmutig, »aber auch von einem einzigen, der das ganze Risiko trägt.«

»Sie scheinen doch heimlich bei Mundt über soziale Systeme gehört zu haben, Herr von Maltitz«, warf Frau Antonie ein, die still und mit ihrem Rätsellächeln zugehört hatte.

In Hannchen aber befestigte sich die Meinung, daß Männer doch sehr langweilige Geschöpfe sind, die immer mit den ernstesten Mienen von Dingen reden, die keinen Menschen was angehen.

»Entschuldige, Karl«, meinte Maltitz, »dieser Rotwein ist nebenbei eine dreimal gebenedeite Gottesgabe. Aber ich mußte doch meiner Rolle als dein Roderich getreu bleiben – entschuldige –, ich wollte etwas anderes wissen: Wie stehen denn die Dinge hier oder in Berlin? Bei uns werden nämlich nur Schriftstücke heruntergeschmiert, aber erfahren tut man nichts. Du mußt es doch eigentlich besser wissen als die bei uns da am grünen Tisch.«

»Du hast ganz recht, mein Roderich – dieser Burgunder ist direkt eine Trouvaille –, hier ist jedenfalls nichts zu befürchten; in Berlin schon eher. Die Preise für leichte Ware sind sehr niedrig. Verdienst muß auch werden, viel kann da nicht hängenbleiben.«

Der Geheimrat von Mühlensiefen hatte nur den letzten Teil des Gesprächs gehört, aber er war im Bilde. »Jedenfalls ist man oben auf alles gefaßt«, warf er mit Amtsmiene ein. »Und soweit ich in Erfahrung gebracht habe – Sie verstehen, meine Herren, das ist nur eine unverbindliche Mitteilung, die ich Ihnen mache –, sollen sich hier in Potsdam unsere Herren Gardeoffiziere das Wort gegeben haben: Wenn es dazu käme, daß Volkshaufen zerstreut werden müßten, würden sie ohne Schonung einhauen lassen.«

Eduard Schön wußte zwar nicht genau, wovon man sprach, aber daß es ein politisches Gespräch war, vernahm er schon aus den letzten Worten.

»Ja, ja«, seufzte er, »man hört in Berlin von nichts sprechen wie von der Konstitution. Man soll nicht glauben, wie diese unsichere Lage aufs Geschäft wirkt.«

Frau Antonie war das Gespräch unangenehm. Man kann bei so etwas so leicht etwas sagen, was man nicht sagen will. »Ach«, meinte sie, »das mit unserm Wilhelm, unserem Hausdiener, war letzthin sehr nett! ›Aber Wilhelm‹, sagt mein Mann, ›was ist das! Wer weiß wie lange sind Sie schon bei mir! Wer weiß wie lange schreiben Sie schon die Adressen für die Kollis und Pakete! Wer weiß wie lange schreiben Sie Potsdam ganz richtig mit »ts«, mit einem Mal schreiben Sie hier überall – aber überall – »Potzdam«, mit einem »tz«! Wie kommt denn das, Wilhelm?‹ – ›Ach Jott, Herr Scheen, es war so sehr duster in de Packkammer!‹«

Alles lachte. Überall, bis in den letzten Tischwinkel. Man wiederholte: Es war so duster in de Packkammer. Und niemand dachte mehr an ein politisches Gespräch. Jeder holte für den Umkreis ähnliche Dinge hervor. Degebrot kam für seine Tischnachbarinnen sogar schon zu Anekdoten, die eigentlich mehr für den Nachtisch, für die sympathische Verdauungspause, für die Tasse Kaffee bestimmt waren und dann erst dem Gehege der Zähne zu entfliehen pflegen, wenn die Damen in das eine und die Herren in das andere Zimmer gegangen sind.

Und es war darum und auch sonst gut, daß Eis und Früchte und auf den Silberetageren die Konfitüren in rosigem, gelbem und mattblauem Kantenpapier ihre wilde Jagd um die Tafel begannen und daß die Lohndiener herumhetzten und Sekt in die Spitzgläser spritzten – so schnell, daß sie schon immer drei Plätze weiter waren, ehe man Einspruch erheben konnte, daß man eine große Krone Schaum über einem beschämlichen Boden einer bernsteinhellen Flüssigkeit bekommen hatte – es war gut so, denn man hatte schon etwas zu lange gesessen. Es lag vom vielen Wein und von den Gerüchen der Speisen, vom roten Flackern der oft im Winde bewegten Kerzen wie ein Nebel vor aller Blicken. Der lange grüne Saal war sichtbarlich ganz von dieser Stimmung erfüllt, in der Damen und Blumen den Esprit ihres Dufts verlieren, feine Worte erstarren, lallend und schwer sich ins Gegenteil verkehren.

Heinrich wurde lauter, als es sonst seine Art war. Es sollte nicht auffallen, daß er nicht mit den Blicken von den Zügen dieser kleinen Frau neben sich loskam.

Wenn sie ihre Hand herüberstreckte oder mit einer Teerose spielte, die neben ihrem Platz lag, kämpfte er jedesmal, daß er sich nicht über die Hand beugte oder wenigstens die Blume küßte.

Nein, nichts mehr trinken! Er hatte zwar nicht viel getrunken, er war ganz bei Sinnen, aber es schien alles leicht, hell, durchsichtig. Alle anderen waren in weite Ferne gerückt – die Tafel erschien ihm doppelt so lang, die Menschen dahinten ganz klein. Er sprach mit Hannchen, ohne sie zu sehen, er lachte mit ihr und wußte selbst nicht, was er tat, hörte seine eigenen Worte mit Erstaunen, denn innerlich sprach er ja nur mit seiner Nachbarin zur Linken ...

Hannchen – selbst Hannchen empfand plötzlich, einen kurzen Augenblick lang, durch den Dämmer ihrer kleinen, blonden, selbstzufriedenen Seele hindurch, daß all das ja nur Schein und Trug war. Und Tränen kamen ihr in die Augen. Aber nur einen Augenblick lang – so wie jemand mit breiten Armen sich einen Moment gegen eine Woge anstemmt, ehe er sich ihr wieder willenlos überläßt.

Es war Zeit aufzustehen – das fühlte Frau Antonie. Und sie gab ihrem Mann ein Zeichen, er möchte die Tafel aufheben.

Alle schoben die Stühle zurück und wünschten »Mahlzeit«, schüttelten sich die Hände. Degebrot trank schnell im Stehen, was irgendwie an Weinen noch in seinen Gläsern geblieben war – denn es wäre doch ein Jammer gewesen! Und dann dankte er mit galanter Verbeugung seinen Tischdamen für die Ehre.

»Wo wollen wir nun so lange hingehen?« rief Frau Antonie. Wollen die Herrschaften den Kaffee hier oder drüben nehmen – oder unten im blauen Zimmer?«

Man entschied sich für die beiden kleinen einfenstrigen Räume, die rechts und links von dem Saal lagen die betagten Herrschaften brauchten da nicht soviel Treppen zu steigen. Aber man ging nicht gleich hinein, sondern stand noch einen Augenblick plaudernd zusammen, zum großen Leidwesen der Lohndiener und der Petzel, die darauf brannten, Ordnung zu machen. Wie auf Verabredung bröckelten dann so langsam die einen nach rechts und die anderen nach links hinüber – hie Alter, da Jugend. Aber einige blieben noch eine kleine Weile stehen.

»Ich freue mich, daß ich dein Glück noch sehen kann«, sagte der alte Arnstein.

Antonie wollte etwas erwidern, aber da trat ihr Mann zu ihr, und es wäre wirklich für seine Ohren nicht bestimmt gewesen.

»Na, lieber Arnstein«, sagte Eduard Schön freundlich, »waren Sie mit allem zufrieden?«

»Großartig!«

»Na, hoffentlich bekommt es uns ebensogut, wie es uns geschmeckt hat, nicht wahr? Wissen Sie, in unseren Jahren ist das nicht mehr so einfach!«

»Ich sag' immer, lieber Herr Schön – wenn meine Frau meint, in zwanzig Jahren –, red nicht Sophie, ich für mein Teil akkordier mit dem da oben, wie die Dinge heute mit mir liegen, jede Minute auf fünfzig Prozent ...«

Eduard Schön sah sein Gegenüber mit einem halb belustigten Blick an, der wohl weniger belustigt gewesen wäre, wenn nicht die versöhnliche Stimmung nach dem guten Essen dazugekommen wäre.

Ja, ja, das Akkordieren verstand der alte Arnstein aus dem Effeff. Die Sache hatte ihn – Eduard Schön – rund gerechnet ... Na, er hatte dafür auch was eingetauscht, das nicht mit Geld und Gut aufzuwiegen war – nicht wahr, Antonie?

Drüben standen noch Maltitz und der Geheimrat von Mühlensiefen, scheinbar in diskretem Gespräch über letzte politische Dinge, mit Mienen, daß jeder fühlte: Hier sind Staatsgeheimnisse, die gewahrt werden müssen und in die kein Dritter eindringen darf.

»Hören Sie, lieber junger Herr Kollege«, sagte der Geheimrat und legte Maltitz die Hand auf die Schulter, näherte sich mit dem Mund seinem Ohr, »Sie wissen, daß hier in Potsdam sehr leicht die Luft von schwirrenden Gerüchten erfüllt ist.«

Maltitz horchte auf. Er verstand. »O ja, Herr Rat«, sagte er, »der ›goldene Karpfen‹ ...«

»Richtig. Nun, sehen Sie, ich stehe in keiner Weise auf dem rigoros sittlich-abstrakten Standpunkt meiner lieben Frau darin, sondern ich bin hingegen durchaus persönlich der Ansicht, daß ein junger Mensch keineswegs seine Jugend ungenutzt vorübergehen lassen soll. Ich denke da sogar selbst – und nicht ohne Wohlgefallen – an eigene längst vergessene Tage. Ich will auch noch weit weniger aus einer leicht verzeihlichen Entgleisung eine Haupt- und Staatsaktion machen, wenn ich auch, um es offen zu sagen, eine Theaterdame lieber an dieser Stelle gesehen hätte – gibt doch immer noch einen gewissen Nimbus, während Fischerstochter einfach kompromittiert. Na, minima non curat praetor. Aber ich möchte doch, lieber Freund, daß Sie, Herr von Maltitz, der Sie ja einigen Einfluß auf meinen zukünftigen Schwiegersohn besitzen – später wird er von selbst wohl solche Seitensprünge unterlassen, es ist ja immer besser, wenn sie sich vorher die Hörner ablaufen –, also daß Sie, lieber Maltitz, bei ihm einmal unterderhand dahin vorstellig werden, daß er das Feld seiner volksbeglückenden Tätigkeit von Potsdam nach Berlin verlegt. Berlin ist größer. Wenn ich das tue – ich bin gleichsam Anstandsperson –, so bekommt das schon einen ganz anderen Anstrich, den ich eben vermeiden möchte, als wenn Sie etwa im Gespräch Heinrich in kollegialer Weise darauf aufmerksam machen ... Ja, ja, Aurelie, gleich! Ich komme schon! – Also ich rechne damit, Herr von Maltitz.«

Degebrot ging bei Arnsteins vorüber. Er hatte wohl wie Münchhausen seine Schädeldecke einfach gelüftet, daß der blaue Dunst abgezogen war, denn er war völlig klar, frisch und nüchtern. »Na, Herr Scheen, können wir denn mal reden! Ich habe da einen Brief mit aus Hamburg von Gramkow & Löwenberg.«

»Ach – dann entschuldigen Sie mich, Arnstein«, meinte Eduard Schön. Er war schon ganz bei der Sache.

Maltitz ging jetzt auch vorbei. Frau Antonie, die noch einen Augenblick bei den Eltern geblieben war, drehte sich um und ließ die Eltern stehen.

»Kommen Sie, gehen wir hinein, Herr von Maltitz. Ich wüßte nämlich nichts, das trostloser wäre als ein abgegessener Tisch.«

»Doch«, meinte Maltitz, »doch, gnädige Frau. Es gibt noch etwas, das trostloser ist.«

»Und das wäre?«

»Die Stelle, wo ein Feuerwerk abgebrannt wurde!«

Frau Antonie betrachtete Maltitz erstaunt aus den Augenwinkeln heraus: Der sagte doch so etwas nicht zufällig.

»Kommen die Eltern oft zu Ihnen heraus?« fragte Maltitz; er liebte es, manchmal das Thema zu wechseln.

»Nein, sie haben ja auch nicht zuviel Zeit.« Frau Antonie knabberte an ihrer Unterlippe. »Finden Sie nicht auch, Herr von Maltitz, bis so zum zwanzigsten Jahr ungefähr sind Eltern manchmal etwas recht Angenehmes später werden sie oft sehr peinlich.«

»Liebe Frau Antonie«, sagte Maltitz, »Sie glauben gar nicht, wie sympathisch mich diese Ihre Äußerung berührt. Immerhin gestatten Sie mir zu bemerken, daß es eine von jenen Wahrheiten ist, die man ungern nackt spazierengehen läßt.«

Das Zimmerchen nebenan hatte große Bilder an den Wänden: Porträts und nachgedunkelte Landschaften, in schmalen Goldleisten, mit Kühen und Ziegen, die zwischen allerhand antiken Ruinen – Säulenstümpfen, Relieffragmenten, gestürzten Tempeln – ein beschauliches Dasein führten; sic transit gloria mundi: Rom fiel, aber die Ochsen leben ewig... Und inmitten der Antiken prangte der Porzellan-Großvater auf grauem Grund, mit violettem, silbergesticktem Sammetrock und geblümter Seidenweste, ein Palmenrohr in der Hand und mit dem wohlrasierten, feisten, rosigen Gesicht eines epikureischen Philosophen unter der graugepuderten Perücke von Pesne, Antoine Pesne, gemalt. Nebenbei hatte Heinrich etwas Ähnlichkeit mit ihm: um die Augen, die Stirn, in der Kopfform – etwas Ähnlichkeit, Enkelähnlichkeit. – Und ein paar schöne offene Etageren, stumpfgrün mit Gold, mit je vier geschnitzten Widderköpfen auf langen, elegant geschnitzten Füßen, standen in den Ecken. Jede Etagere aber hatte vier Borde, auf denen allerhand buntes Kleinzeug – Porzellanfigürchen, Silberspielereien, Almanache, gestickte Kästchen, alte Taschenuhren mit bunten Steinen, Miniaturen in Goldreifen, Tassen und Bonbonnieren aus Schildpatt, Emaille, Goldbronze und Elfenbein –, allerhand nichtige Liebenswürdigkeiten in sorgsamen Mustern aufgebaut waren. Und jede der Etageren wurde zudem von einer großen, weißen Berliner Vase gekrönt.

Die jungen Mädchen hatten sich sofort über die Borde hergemacht und nuschterten daran herum, nahmen dies und jenes hoch, blätterten in Stammbüchern, rochen an silbernen Fischchen, die einmal als Riechbüchschen gedient hatten und nun noch verschollenen Duft von Nelken und Lavendel ausatmeten, betrachteten Miniaturen ... »Ach, seht mal: ›Dörtchens Liebster‹ steht hier hinten; gefallen achtzehnhundertdreizehn bei Hanau.«

»Oh, was ist denn das für eine merkwürdige Puppe?« rief Melanie von Myaskowski und langte eine kleine Puppe mit Porzellankopf und Porzellanarmen in braunem Seidenrock herunter, eine Puppe, die auf einem Holzbrettchen befestigt war.

»Das ist eine Orakelpuppe, gnädiges Fräulein«, erklärte Heinrich, indem er sie ihr abnahm. »Kennen Sie das nicht? Sehen Sie – so: Da sind überall gefaltete Blätter unter dem Rock; sie lassen sich herausklappen und wieder hineinstecken. Und auf jedes Blättchen ist dann ein anderer Spruch geschrieben. Also ziehen Sie eins, Fräulein ...«

Die anderen drängten sich herzu. »Ach ja, Milli, ziehen, ziehen!«

Melanie von Myaskowski zog ein Blatt, entfaltete es, lachte errötend und wollte es schnell wieder einschieben. Aber die anderen jubelten: »Stimmt! Stimmt! Stimmt!«

»Ich könnte mich eher der Hölle verschreiben
Als immer getreu nur dem einzigen bleiben ...«

Maltitz und Frau Antonie waren zu den übrigen getreten, um zu sehen, was man da lachte. Maltitz nahm freudig von der lächelnd zustimmenden Verlegenheit Melanies von Myaskowski Notiz. Überhaupt diese Melanie von Myaskowski – daß ihm das so lange entgangen war!

Heinrich sollte nun ziehen, riefen die jungen Mädchen. Auch Hannchen war dafür, denn keine wollte sich doch gern ähnlichen beschämlichen Kalamitäten aussetzen.

Also Heinrich machte die Augen lachend zu, tappte umher und zupfte etwas heraus.

»Begehre nie ein Glück zu groß
Und nie ein Weib zu schön;
Der Himmel könnte dir dies Los
Im Zorne zugestehn ...«

Heinrich wurde rot. Frau Antonie blickte seltsam interessiert herüber.

»C'est vrai, gnädige Frau!« rief Maltitz. »Der Gatte der Venus ist von je eine traurige Figur gewesen – fast so, aber nicht ganz so bemitleidenswert wie ihr Galan ...«

»Ach«, rief Hannchen und stellte das Orakel auf seinen Platz zurück, »ich finde, die Puppe ist dumm! Wirklich. Und außerdem würde ich das Heinrich sehr übelnehmen.«

Alles lachte. Die Freundinnen umzingelten Hannchen und küßten sie unter Gequiekse umschichtig.

Frau Aurelie erschien – breit, rauschend, schwer in der Tür. Und Heinrich lobte in Gedanken die weise Vorsicht des alten Baumeisters, der hier nur mit zweiflügligen Türen gearbeitet hatte. Hannchen aber riß sich von ihren Freundinnen los und flog ihr entgegen. Sie hatte den Sinn für kleine dekorative Szenen von ihrer Mutter geerbt.

Die Fercher-Auguste balancierte als etwas bäuerliche »Schokoladiere« auf breiten, roten Händen ein Tablett mit Mokkatassen. Heinrich sah sich nach Hannchen um – ja, wo war die? – und zog sich dann einen Stuhl heran an den kleinen Tisch, an dem schon Maltitz saß.

»Jetzt kommt disser Schön, disser Heinrich Schön, disser Ignorant heran! Livvius – läsen Sie!« rief Maltitz ihm übermütig zu. »Was? Sä haben dän Livvius vergessen?«

»Halt, sage ich mir«, fiel Heinrich ein, »er wird nächt nur seinen Livvius vergessen haben, er wird fürwahr sogar überhaupt nicht präpariert haben! Hier, nähmen Sie also mein Buch (ohne Anmerkungen!) – Nun? – Pah! Sähen Sie, also scheint es mir zur Evidenz erwiesen, daß disser Schön dän Livvius nicht präpariert hat. Äch gäbe ihm wiederum die Fönf – römisch Fömf – unter dem Datom des heutigen Tages!«

»Es soll dem alten παιδοτρίβης paidotribes – Lehrer (Pauker) nebenbei – hörte ich hundsmiserabel gehen«, meinte Maltitz so, wie man sagt: Vorgestern hat es geregnet. »Scheint abzureisen. Sag mal, du weißt doch so was: Ist das Gerundium oder Gerundivum – einer, der abreisen soll oder muß?«

»Oh!« rief Heinrich Schön ernstlich besorgt. »Das täte mir aber sehr leid. Bei all seinen Wunderlichkeiten man hängt doch...«

Da trat Antonie zu ihnen, die sich so lange den jungen Damen und dem Fräulein von Grävenitz gewidmet hatte. Und Heinrich sprang auf, ihr einen Stuhl an den Tisch heranzuziehen.

»Ja also, Heinrich, es bleibt bei unserer Wasserfahrt, sowie mal recht schönes Wetter ist, einen Nachmittag – Hannchen kommt auch mit.«

Heinrich hatte das Gefühl eines großen und unverdienten Glücks.

»Nun, Herr von Maltitz«, fuhr Frau Antonie fort, »was macht die Literatur? Haben Sie schon Humboldts ›Kosmos‹ gesehen? Ich lese jetzt darin. Der erste Band ist eben erschienen.«

»Hochverehrte junge Frau«, sagte Maltitz und nahm ein Stückchen Zucker zwischen die Branchen der Silberzange, »seitdem ich nicht mehr in der Leihbibliothek abonniert bin, hat für mich die Literatur aufgehört zu existieren.«

»Ach – warst du denn mal abonniert?« fragte Heinrich dummdreist-erstaunt.

»Und Christel von Laßberg?« rief Frau Antonie lachend in gleichem Atem.

»Gott ja, mein Prinz«, meinte Maltitz, »ich schmökerte früher manchmal so'n bißchen bei dem alten Herrn im ›Faust‹ herum, aber ich ärgere mich jetzt immer dabei. Da tue ich es nicht mehr.«

»Hoho«, meinte Frau Antonie leise bedauernd – denn drüben saß Mechthilde von Grävenitz –, »und Ihr Onkel war doch sogar russischer Resident in Weimar.«

»Ja, erst läßt er den Faust mit dem Erdgeist um allerletzte Dinge ringen, und dann prellt ihn der Mephisto mit einem kleinen, wirklich exzeptionell spießigen Bürgermädchen, mit einem schon mehr bedenklich stumpfsinnigen Stück Fleisch – das finde ich niederträchtig!«

»Ist das Ihre wirkliche Meinung, Herr von Maltitz?« rief Frau Antonie. Jetzt war sie schön, und alles an ihr leuchtete; sie war ganz durchglüht von Interesse. »Ich fand das gerade immer so – so olympisch, wie Goethe da den Faust dem Makrokosmos einreiht, ihm zwar nicht gewährt, ihn begrifflich zu durchdringen, aber, indem er ihn selbst zu einem Teil des Makrokosmos macht, ihm gestattet, ihn sinnlich zu durchfühlen. Den Gelehrten, den Doktor der Philosophie, utriusque iuris, der Medizin und ›leider auch der Theologie‹, der außerhalb des Seins stand, setzte er so in das Sein, in den glühenden Brennpunkt alles Lebens und allen Lebensgefühls ...«

Maltitz lächelte. Er hatte ja diesen Köder mit Absicht ausgeworfen. »Ja«, sagte er, »und statt nun nachher bei der Helena zu bleiben ...«

»Verzeihung!« Heinrich unterbrach. »Sie trennt sich ja von ihm, Roderich: ›Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band.‹«

Maltitz achtete den Einwurf nicht. »... was verständlich, lieber Carlos, verzeihlich und durchaus nachahmungswert gewesen wäre, tritt Faust einfach – haste was, kannste was – dem ›Verein zum Wohl der arbeitenden Klassen‹ bei.«

Heinrich lachte jetzt. Er kannte Maltitz zu gut, um nicht zu verstehen, daß nichts von dem, was er sagte, seine Ansicht war.

Aber Frau Antonie war immer noch Feuer und Flamme. »Nein«, rief sie, »begreifen Sie denn das nicht, Herr von Maltitz, wie über den wieder jugendlich gewordenen Faust das Lebensgefühl in seiner stärksten Form siegt und den Geistesmenschen in ihm niederzwingt, so siegt über den alten Faust das Gesellschaftsgefühl, der Staatsgedanke – das tätige Sicheinreihen – und gibt ihm die Empfindung des Nutzwertes seiner selbst, die ihm alle Genüsse und alle Metaphysik eben nicht zu geben vermochte – füllt die Leere, betäubt den horror vacui bei ihm ...«

Maltitz sah bewundernd zu Frau Antonie hinüber. Prächtig, diese kleine Feuerfliege, dieser schillernde Kolibri!

»Aber trotz alledem – ich bin davon zurückgekommen«, sagte er langsam, sich zwingend, gegen besseres Wissen – er mußte doch in der Rolle bleiben. »Überhaupt der alte Faust! Man kann ihn sich doch eigentlich ebensowenig vorstellen wie einen alten Werther. Ich lese lieber des Abends jetzt in den Sprüchen und Maximen – die sind so kurz, kaum ein paar Zeilen; da sind welche, die ich immer wieder lese und die ich doch noch nicht auswendig kann. Jedesmal, von Tag zu Tag, verstehe ich sie besser. Einer zum Beispiel, meine Gnädige, ist geradezu goldig, aus der Erfahrung eines ganzen reichen Lebens heraus geboren.«

»Oh«, meinte Frau Antonie gespannt, mit großen Augen und blätterte in ihrem Gedächtnis – sie kannte die Sprüche ganz gut.

»›Ich habe mir zum Prinzip gemacht‹, sagte Goethe da (und dafür werde ich bis an mein unseliges Ende sein Schuldner bleiben), ›zum Prinzip gemacht, von einem entfernten Liebhaber immer das Allerbeste zu sagen, und ich bin meist auf sehr angenehme Weise dafür belohnt worden‹ – das heißt, er sagt es natürlich nicht so plump und wörtlich, er sagt es umständlicher, feiner, so in seinem Altersstil; er sagt so etwas wie, ›daß Euch dann die Frucht des Baumes gehört, wenn Ihr guten Humor genug habt, dem anderen die abfallenden Blätter zu lassen‹.«

Frau Antonie lachte. Sie wollte eigentlich nicht lachen, aber sie lachte. Ihr Geist wurde nur zu leicht verführt, allem Kapriziösen auch dahin zu folgen, wo sie eigentlich nicht mehr folgen wollte – wo sie fühlte: An dieser Stelle ist etwas morsch und brüchig. Sie empfand, hier konnte sie scheitern – aber es lag in ihr.

Heinrich hatte Bitterkeit in der Kehle und sah starr vor sich hin auf die Tischplatte. Aber plötzlich fühlte er, wie ihm hinten eine Hand über das Haar strich und irgendwer etwas sagte – so leise, daß es nicht einmal Maltitz hören konnte, sicher nicht, so ganz leise, durch fast geschlossene Lippen: »Nicht böse sein – nicht böse sein ...«

Und da drehte Heinrich Schön ganz langsam den Kopf. Und wie er es am Abend, über die Seidenmuster gebeugt, geträumt hatte – wie er es geträumt hatte: Er ertrank fast in ihren Augen ...

Maltitz aber fischte ganz gleichgültig mit der Silberzange nach einem Stückchen Zucker.

Da kam Hannchen hereingestürzt – in der Türfüllung blieb ihre Mutter, die Frau Geheimrätin, zurück: breit, achtunggebietend, voll erwartendem Wohlwollen. Und Hannchen, noch rosiger als sonst – freudig, beglückt, in rosa Tarlatan, einer rosigen Wolke bei Sonnenaufgang vergleichbar –, flog auf Heinrich zu, fiel ihm ohne alle Vorrede errötend (sie übertraf sich selbst) um den Hals und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das Heinrich zuerst durchaus nicht verstand, weil er mit seinen Gedanken ganz woanders war.

»Um Himmels willen, nur kein süßes Geheimnis«, sagte Maltitz – eigentlich zu seiner Kaffeetasse.

Aber Melanie von Myaskowski nahm es doch auf und tuschelte es ihren Freundinnen zu, die lachend quittierten.

»Denke dir, Heinrich«, sagte Hannchen noch einmal etwas lauter und wesentlich abgekühlt, weil Heinrich nicht in ihren Jubelchor mit einstimmte, »denke dir, Muttchen ist jetzt auch dafür, daß wir die Wohnung in der Burgstraße nehmen!«

»Ach, das ist ja sehr nett«, meinte Heinrich langsam. Aber Hannchens Ohr war nicht sehr auf sprachliche Nuancen eingestellt; es genügte ihr, wenn sie den Sinn durchdrang.

Die Freundinnen aber, die immer noch nicht wußten, was Hannchens plötzlich aufwallende Zärtlichkeit bedeutete, zogen sie in ihre Mitte, bildeten mit ihren weiten Röcken geradezu einen Wall um sie wie die küssezählenden Hofdamen um die Prinzessin in dem »Märchen von der Prinzessin und dem Schweinehirt«: Was es wäre? Was es gäbe? Sie solle und müsse es sagen – pfui! Denn man darf doch vor Freundinnen kein Geheimnis haben.

Ja – sie zöge nunmehr bestimmt nach der Burgstraße!

Frau Antonie aber hatte die Rätin in einen Sessel genötigt und versuchte, mit einem neutralen Gespräch über Gardinen, Ripsvorhänge, Nachttische (Säulenform oder Zwischensatz) und Kaffeewärmer zwischen Frau Geheimrat von Mühlensiefen und dem alten Fräulein Mechthild von Grävenitz hin- und herzupendeln, ohne auf einer Seite anzustoßen.

Maltitz war aufgestanden. »Sage mal, meinst du, ob drüben Pikett gespielt wird?«

»Das glaube ich nicht, lieber Junge, es sei denn, es hätte jemand Karten mitgebracht. Bei uns im Hause gibt's keine.«

»Na, aber rauchen kann man doch da?«

Heinrich sprang auf. »Gewiß«, rief er. »Entschuldige, daß ich daran noch nicht gedacht habe. Soll ich Cigarros herüberholen?«

»Laß nur, aber du könntest mir bei der Auswahl des edlen Narkotikons mit deinem fachmännischen Rat zur Seite stehen.«

Drinnen der Saal war schon wieder ganz aufgeräumt, die Tische zusammengeschoben, die Stühle an die Wände gerückt – nicht eine Spur von all dem Durcheinander von vordem. Das alte grüne Hammerklavier in der einen Ecke, das man vorher ganz übersehen hatte, war plötzlich in dem leeren, träumenden Raum eine wichtige, nicht zu übergehende Persönlichkeit geworden. Die stille Nacht blickte über Baumkronen mit leisen Sternen kühl und dämmrig durch hohe Fenster. Der Parkettboden war blank von vielen widerspiegelnden Lichtern; die Wachskerzen zuckten rotgelb und knisterten versonnen. Und alles träumte mondscheinfarben und silbern. Die Chinesen ringsum an den Wänden schienen ihre Schlitzaugen wieder geschlossen zu haben – ja, selbst die große Ente, der seltsame plumpleibige Wasservogel auf der Seidentapete, hatte den Kopf mit dem roten Schnabel gesenkt, als ob er ihn schon den nächsten Augenblick wieder unter die Flügel stecken wollte. Alles, was eben noch hier gewesen, schien der grüne Saal abgeschüttelt und vergessen zu haben. Die silbernen Geigen und Lyren und Triangel in den Ecken, die vordem in ihrem Rosengerank ganz leise, wie widerhallend von all dem Lärm geklungen hatten, waren nun verstummt und verspinnwebt, als würden sie nie mehr zum geheimnisvoll tönenden Leben erwachen. Man meinte, seit sechzig Jahren hätte; den Saal kein Fuß betreten ...

»Mein lieber jonger Freund«, sagte Maltitz im Tone Professor Schneiders, wie er den Saal durchschritt, und nahm dabei den Arm Heinrich Schöns, »wer bin äch? Gewiß, es stäht mir öbel an, Ihnen sittliche Vorhaltungen zu machen – immerhin gestatten Sie mir, als dem Ölteren von ons beiden, daß äch in milder Form das Onziemliche Ihres moralischen Benähmens rüge!«

Heinrich Schön erschrak. War das so weit mit ihm gekommen, daß es sogar den Leuten auffiel?

»Äch wörde an Ihrer Stelle, jonger Mann, etwas weniger für jene breitmäuligen, glotzäugigen, großschoppigen Fische Interesse zeigen – auch wenn sie vergoldet sein sollten!«

Heinrich Schön lachte. Ach so, jetzt wollte er um jeden Preis als ein Filou gelten. »Also: polnisch vorzüglich, Herr Professor, aber auch blau – sogar in Essigwasser abgeschreckt – nicht zu verschmähen.«

»Es macht nämlich – traun fürwahr – γε, τε, τοι, νυν, περ, πω, δε ge, te, toi, nyn, per, po, de – wenigstens, und, fürwahr, jetzt, wohl sehr, noch, aber onliebsames Aufsähen in Potsdam, und es wäre deshalb, wie der Schwan von Stratfort sagt, ein Ziel, aufs ennigste zu wönschen, wenn Sä nunmähr das Feld Ihrer volksbeglückenden Tätigkeit vielleicht für einige Zeit in die benachbarte Haupt- und Residenzstadt Börlin verlägen möchten, die äch sogar seit längeren Jahren zwecks bibliothekarischer Stodien rägelmäßig aufgesucht habe.«

Bei dem Wort »volksbeglückende Tätigkeit« horchte Heinrich auf. Das konnte nur einer sagen. Jetzt wußte er, von welcher Seite der Wind kam.

Drüben in der breiten Tür erschien ein recht ungleiches Paar: der Geheimrat von Mühlensiefen mit der alten Frau Arnstein am Arm, die ganz glücklich, mit einer piepsigen Stimme lächelnd plauderte und dabei im Vorübergehen Heinrich freundlich zunickte. Hier, einmal ohne ihren Mann, schlug langsam wieder etwas von der alten Farbe ihres Wesens durch, von der Art der reichen und klugen Geselligkeit ihres vornehmen Elternhauses, von der sie glaubte, daß sie sie längst nicht mehr besäße, sondern schon vor Ewigkeiten beim hohen Seegang ihres Lebens als ein lästiges Gepäck über Bord geworfen hätte.

»Hallo!« rief Heinrich absichtlich laut, und als ob sie nie über etwas anderes gesprochen hätten: »Vereint mit dir, mein Roderich, fordere ich mein Jahrhundert ... Komm, steuern wir nach der Küste von Havanna!« Und er zog Maltitz mit.

Drinnen im Zimmer – es war blau vom Rauch – saßen Eduard Schön, Müllner und Degebrot in einer Ecke um den runden Tisch, auf dem die Zigarren standen, hatten vor sich die Kaffeetassen (Degebrot hatte für sich eine angebrochene Flasche Rotwein aus den Klauen der Lohndiener gerettet), bliesen blaue Wolken in die Luft und disputierten eifrig, indem sie kleine Taschenbücher zu Rate zogen, Zahlenreihen niederschrieben und zusammenrechneten.

Heinrich horchte. Aha, das ging wieder um Rio!

Eduard Schön reichte ihm einen Brief. Soso, das war aus Hamburg, von Gramkow & Löwenberg – also es stand doch faul da.

»Man sollte mal 'rüberfahren«, sagte Heinrich, so als ob es sich um eine Reise zur Messe nach Leipzig drehte.

»Lieber Sohn«, sagte Eduard Schön, »man soll etwas tun, oder man soll es nicht tun – aber man soll sich nie vornehmen, etwas zu tun.«

Heinrich Schön hörte kaum; er rechnete in den Auszügen:

José de Alvarenga 1213 Taler 17½ Silbergroschen.

Chueca y Valerosa 2537 Taler (viel, sehr viel!) 19 Silbergroschen.

Manuel Perez de Alarcon 859 Taler.

Und hier noch einmal 163 Taler.

Pereira da Costa 715 Taler.

»Ja«, meinte Eduard Schön, »wir wollen Herrn Degebrot mal 'rüber nach Rio schicken« – Ach so, deswegen hatte der Vater durchaus Degebrot einladen müssen! –, »der bringt das da schon sicher in Ordnung; sind ja alles eigentlich erste Häuser. Und wir geben ihm zugleich auch unsere neue Kollektion mit. Dann sind wir eher drüben als die anderen und können mehr absetzen und sparen außerdem die Provision an die Exporteure. Und sieh mal, solch Exporteur, der vertritt zum mindesten sechs Firmen in Seide – wenn er es uns auch nicht auf die Nase bindet; ich weiß es, nicht wahr? Dem liegt ja gar nicht daran, daß eine Firma viel absetzt und die anderen ihm etwa abspringen. Natürlich führen wir nachher nur dann die Orders aus, wenn sie reguliert haben.«

Heinrich stand dabei und kaute auf den Lippen. Man konnte glauben, daß er angestrengt nachdachte, und doch war es nur wieder jenes seltsame Arbeiten bei ihm dahinten im Hirn. Er wußte nicht, wie das eigentlich mit dem zusammenhing, was er jetzt hörte, aber er empfand, daß irgendwelche geheimnisvolle, noch ungeklärte Verwandtschaft zwischen diesen Dingen bestand.

»Jewiß, Herr Heinrich«, rief Degebrot und hieb zur Bekräftigung mit der Hand auf den Tisch, daß die Löffel in den Tassen tanzten und der alte Arnstein, der in einer Ecke sanft eingedruselt war, erschrocken auffuhr, »mach' ick – mit Pläsierverjnüjen! Da sollen Sie mir ma kennenlern', Herr Scheen, wie ick mit den Jungens da drieben umspringe.«

Innerlich aber sagte sich Degebrot: Ick wer ja'n Affe sin un nee sagen! Der Olle muß doch ooch mal abnibbeln – ewich kann doch 'n Mensch nicht leb'n. Müllner is ooch schon sehr klapprich un halb verwebbt – alleene kann der junge Scheen des Jeschäft nich führen, dazu is es zu jroß geworn, also muß ick mit 'rin in de Firmafein mit Ei! Aber wenn er denkt, der Olle, daß ihn des wenjer kost', wenn er mir 'rieberschickt, hat er sich verdammt jeschnitten!

»Na, mein Prinz«, tuschelte Maltitz lächelnd und suchte nach seinem Fixfeuerzeug, »jetzt ist der große Augenblick – du links Fußfall: ›Vater, schick' mich nach Flandern!‹ Und ich rechts mit stolzem Mantelwurf: ›Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!‹«

Heinrich Schön sah Maltitz mit großen Augen an und antwortete nicht. Ja, das wäre vielleicht ein Ausweg, wahrhaftig, das wäre eine Möglichkeit ... Das kam ihm ganz plötzlich, so wie ein Licht am Ende von einem finsteren Gang aufleuchtet und einen langen Strahl vorschießt.

»Du, denk mal, es gibt da Namen von ganz köstlicher Suggestion: Bahia – Pernambuco – Rio – Manaos – Surabaja ... Es kann auch ganz woanders liegen ...«

»Es liegt auch ganz woanders«, knurrte Heinrich.

»Aber was das für wunderbare Worte sind! Was da alles drin schlummert in dem Klang: ein Himmel, blau wie flammender Stahl, der durch die Ucucuripalmen (fein: ›Ucucuripalmen!‹) und Sonne über dem Meer wie ein blitzendes Schwert ..., und in feuerroten Booten schwarze Menschen, die rudern! Der faulige Duft der Mangrovenwälder ... Indianer, bunt tätowiert und braun wie eine Rohrmatte ... Und die Kolibris: lebende Edelsteine über blauen Lianen – komisch, man stellt sich die Lianen immer vor wie Passionsblumen. Und Frauen! Frauen, Heinrich ...« Maltitz zog den Atem ein. »... in bunten Mantillen, mit Augen wie Talerstücke, über den Rand von Fächern hinweg ... Feuchte Fiebergluthitze und fremdartig schmeckende Sorbets ... Ein bißchen Rebellion und Gewehrgeknatter die Straßen lang ... Männer mit Schärpen, reihenweis an die Mauer gestellt – du, das ist Leben, wirkliches Leben, nicht solche fade Brühe, solche Bettelsuppe wie hier, die einen nicht satt macht und gerade nicht verhungern läßt!«

Aber Maltitz hätte sagen können, was er wollte. Es hörte doch nur Heinrich. Die anderen waren so im Gespräch, daß sie alles um ihn vergaßen.

Drinnen im Saal vernahm man Schritte, Stimmen – laut, viele durcheinander. Vor allem die der jungen Damen waren heller, die machten sich einzeln leichter bemerkbar.

»Bitte, gnädige Frau – ach ja, ach ja, singen Sie doch was. Sie sollen doch eine so schöne Stimme haben!«

»Singe doch was, Toni; wer weiß, wann ich es mal wieder höre!«

»Bitte, liebe junge Frau, machen Sie uns doch das Vergnügen.« Das war Frau Aurelie.

»Immer neue Seiten entdeckt man doch an Ihnen, meine Gnädige.« So konnte nur der Geheimrat knarren.

»Du verlernst es ja ganz, wenn du es so vernachlässigst ...«

»Ja, was soll ich denn singen?« Das war das Helldunkel von Frau Antonie, über dem Gewirr schwebend! wie ein Glockenton. Und Heinrich empfand plötzlich, daß diese Stimme eigentlich singen müsse. Warum nur hatte er sie noch nie gebeten, ihm etwas vorzusingen?

»Ach, was von Beethoven, Toni, das lag dir doch so gut.«

»O ja, gnädige Frau«, hörte man den Geheimrat rufen, »von Mister Biessoven!« Das war ein ständiger Witz von ihm, der schon vor fünfzehn Jahren mit ihm das Dienstjubiläum gefeiert hatte.

»Wer begleitet mich? Melanie von Myaskowski?«

»Aber Melanie, zier dich doch nicht – du spielst doch sonst alles!«

Dann hörte man tuscheln, anschlagen. »Nein, G-dur! Da da da di – da di da dam.«

»Wollen wir nicht hineingehen?« meinte Maltitz.

»Ach nein, ich glaube, hier hört es sich besser an.« Heinrich hatte Furcht, er würde vielleicht nicht Herr seiner selbst bleiben.

Ich liebe dich, so wie du mich ...

»Wunderbar, wie der Alt in dem leeren Saal klingt«, meinte Maltitz sehr leise und kopfwiegend.

Am Abend wie am Morgen ...

»Gott, kann die kleine Frau aber singen!«

Da war kein Tag, wo du und ich
Nicht teilten unsere Sorgen...

»Du, Heinrich, die weint ja ihre ganze Seele aus!«

»Still, Maltitz – ich bitte dich um alles in der Welt, sei still!«

Auch waren sie für dich und mich ...

»Nett, wie sie den Zwischensatz im Tempo nimmt!«

Geteilt leicht zu ertragen –
Du tröstetest im Kummer mich...

»So bleib doch hier, Heinrich – du bist ja toll!«

Ich weint' in deine Klagen...

Hinter ihnen war man auch aufgestanden. Man hätte gern weitergesprochen, denn so eine Reise nach Rio ist doch kein Pappenstiel. Aber der Gesang störte, und man fürchtete auch, den Gesang zu stören. Degebrot war etwas lärmend.

»Jetzt die Koda – paß auf!«

Drum Gottes Segen über dich ...

»Nein, wie die das 'rausjubelt – wirklich, der Kronleuchter wackelt!«

Du meines Herzens Freude ...

»Herrlich! – Aber so bleib doch hier!«

Heinrich war in die Tür getreten. Er war aschfahl. Und doch fühlte er durch die Wand hindurch, wie ihn und nur ihn diese Augen gesucht hatten und wie sie sich immer noch blind nach ihm suchten. Und er mußte ihnen entgegentreiben, wie ein Boot an die Klippen geworfen wird, auch wenn alle Mann an den Rudern dagegenarbeiten, daß ihnen das Blut aus den Nägeln spritzt.

Und nun waren diese Augen auf ihn gerichtet – groß, tränenschwer und glücksverlangend, hingebend und trotzig.

Der Gesang brach plötzlich ab.

Melanie von Myaskowski spielte noch ein paar gläsern klingende Töne weiter, dann hob sie die Hände von den Tasten und sah mit Staunen und leisem Verstehen zu Frau Antonie auf. Die hatte sich gegen das Klavier gelehnt, hatte die Augen halb geschlossen und atmete schwer.

Manche, wie Tante Mechthild und der Geheimrat und die jungen Mädchen, dachten, das Lied ist zu Ende. Aber klatschen konnte man nicht. Es war nicht so, daß man klatschen konnte.

Alle fühlten: etwas Unausgesprochenes hatte da zu sehr mitgezittert – mit eigenen Tränen und eigenem Jubel aus den Tönen des Liedes emporgeschrien, hatte seinen reinen, unpersönlich glockenklingenden Sinn zerstört.

Frau Aurelie fand einen solchen Gesang einfach schamlos und kam davon zurück, diese Kraft für ihren Kirchenchor zu gewinnen.

Ja, dies junge Ding und der alte Mann! Sagten sich die Mädchen. Vielleicht hat sie eine Geschichte gehabt – wer von uns hat das nicht? Vielleicht spielt sie noch. Gewiß, sie hat ja eine himmlische Stimme, die füllt jeden Raum, aber sie hätte gerade dieses Lied hier nicht singen dürfen, mit dem sie sich so den letzten Fetzen von der Seele riß. Nun ist man eigentlich gequält und befangen ihr gegenüber, denn man wird immer daran denken müssen.

»Aber Toni«, sagte Frau Arnstein langsam, erstaunt und piepsig nach einer Weile, »da fehlte doch was, du hast doch nicht zu Ende gesungen: ›Gott schütze dich, erhalt dich mir – Schütz' und erhalt' uns beide.‹«

»Ich weiß – ich weiß.« Frau Antonie hatte sich schon ganz gut wiedergefunden. »Aber ich bin heute nicht bei Stimme, habe zu lange ausgesetzt – es geht eben nicht mehr.«

Eduard Schön erschien auch in der Tür. »Wundervoll hast du gesungen, mein liebes Kind«, sagte er. »Wirklich, du solltest wieder Stunden nehmen.«

Gesang lag ihm nicht, aber er dachte nicht unhöflich über ihn.

Die kleine Tante Mechthild kam auch auf Frau Antonie zu. Sie zitterte noch mehr als sonst. »Ich danke Ihnen«, sagte sie und drehte sich um.

Sechsunddreißig Jahre – dachte Frau Antonie.

Nein, es war keine Stimmung mehr. Der Herr Rat zog die Uhr an die Augen. So spät ging er sonst nie zu Bett. Morgen um sieben sollte er wieder an seinem Stehpult sein.

Immerhin, man sprach noch ruhig, als ob nichts geschehen. Heinrich hatte eigentlich das Gefühl gehabt, daß jetzt irgend etwas ganz Ungeheuerliches eintreten müsse: die Decke einstürzen; rote Männer mit Bulldoggengesichtern durch die Fenster steigen; irgend jemand ein Terzerol ziehen und ihm an die Stirn setzen; alle das Gesicht zur Wand kehren und, ohne sich umzublicken, fluchtartig an den Tapeten entlangstreifen und zur Tür drängen.

Aber Hannchen kam ganz selig auf ihn zu und sagte, sie sei böse. Wo er so lange stecke? Wenn sie aber erst bei ihm wäre, dürfte er keine Zigarren rauchen, das wäre zu teuer. Nur Pfeife. Zigarren wären auch sehr ungesund. Er sähe schon ganz blaß aus. Eigentlich wolle sie es ihm ja nicht sagen – er wäre es auch gar nicht wert, daß sie es ihm sage, und später würde er ja den Tabaksbeutel auch so noch sehen, den sie ihm jetzt arbeite. Aber so sei sie. Sie sage es ihm schon jetzt.

»Wie lieb von dir«, meinte Heinrich.

Ach Gott, sagte er sich, sie standen wohl vorhin alle mit dem Gesicht zu Frau Antonie. Keiner sah mich an. Niemand stand hinter mir. Nur Maltitz – aber der hatte wohl auch nichts bemerkt.

Man wollte noch tanzen, das heißt, Melanie von Myaskowski wollte es. Sie schlug überall einen Tanzboden auf. Sie hätte skrupellos eine Kirche ausgeräumt und die Betten eines Lazarettsaals samt den Kranken an die Wände geschoben, nur um Raum für ein paar Walzerdrehungen zu schaffen. So gern tanzte sie.

Ja, aber wer sollte aufspielen, wer machte den »Klavieristen«, und wer sollte mit ihr tanzen? Frau Antonie sollte spielen und Maltitz sollte mir ihr tanzen, sonst gäbe es leider ja keinen Tänzer hier. Heinrich – sie hatte ihn einmal früher tanzen sehen – betrachtete sie mit Mißtrauen. Mene mene tekel upharsin – gewogen, gewogen und zu schwer befunden. Na ja, im Notfall hätte sie auch mit Heinrich vorliebgenommen, aber ihre Freundin, Hannchen von Mühlensiefen, war doch so eklig eifersüchtig – diese Gans.

Also Herr von Maltitz wurde beordert. »Gern, meine Gnädige, Tanzen ist ja der sympathischere Teil meines Berufes.« Und Frau Antonie spielte einen Wiener Walzer.

Aber möglich, daß sie das Tempo zu schnell genommen hatte, möglich, daß ihr Blut heiß und erregt war, sie kam ins Feuer, wirbelte über die Tasten und ließ das Paar danach durch den Saal wirbeln in immer schneller werdenden Drehungen – gerade umgekehrt wie bei einem Kreisel, der ja mit höchster Geschwindigkeit beginnt und sich verlangsamt, bis er ganz erlahmt und umfällt. Und es sah wirklich wie ein bunter Kreisel aus, wie das Paar, ganz ineinandergeschlungen (Maltitz wußte sicher und fest zu führen), sich drehte und der weite, hellblaue glockige Rock, luftgefüllt, sich rundend, langsam mehr und mehr emporstieg, bis über lichtblauen Schuhen die lichtblauen Strümpfe und über ihnen dann so ein reizender weißer Spitzenschimmer verlockend, frisch und köstlich aufblinkte in sauberer, wunderhübscher Selbstverständlichkeit.

Heinrich bekam auch Lust zum Tanzen. Das war ja alles Narrheit. Er trieb sich ja da selbst in etwas hinein, das ganz sinnlos war, sinnlos vielleicht noch mehr als sündhaft. »Komm, Hannchen.«

Aber Hannchen schüttelte. »Nicht, Heinrich, Muttchen sieht es nicht gern, daß ich Walzer tanze. Aber weißt du, Heinrich, was ich morgen früh tue? Um achte, der Tag ist nicht so früh, geh' ich hin zur Majorin und mess' die Gardinen aus.«

Es hatte wirklich recht geahnt, das Hannchen von Mühlensiefen, daß Muttchen es nicht gern sah. Denn Muttchen, denn Frau Aurelie, war einfach entsetzt. Sie sagte nachher, sie hätte sich vor ihrem zukünftigen Schwiegersohn geschämt. Sie hätte gar nicht gewußt, wo sie hätte hinsehen sollen, und sie wäre doch eine alte Frau. Von dem Kind ganz zu schweigen. Geschämt hätte sie sich leider auch für ihren Mann, der mit geradezu frivolem Behagen diesem peinlichen Schauspiel beigewohnt hatte. Gewiß, sie hätte auch als junges Mädchen getanzt; zu ihrer Zeit hätte aber ein solch sinnliches Umschlingen einen Skandal bedeutet. Man hätte sich voreinander verbeugt, auch einander bei den Händen geführt, aber nie in wilder Sinnenlust Leib an Leib gepreßt; und sie bedaure eine Zeit, die das noch Tanzen nenne. Innerlich gäbe sie aber vor allem Frau Antonie mit ihrem leidenschaftdurchtobten Spiel die Schuld an dieser Orgie; überhaupt zöge sie ein einfaches, gutchristliches Haus vor. Und deshalb wäre sie es gewesen, die darauf gedrungen hätte, bald heimzugehen. Nachher, sagte sie, könne geschehen, was da wolle. Aber noch hätte sie aufzukommen für das leibliche und seelische Wohl ihrer Familie. – Aber Verzeihung, das war ja eigentlich schon viel, viel später, als Frau Aurelie diese postumen Kommentare zu ihrem plötzlichen damaligen Aufbruch lieferte.

Eduard Schön, der alte Müllner und Degebrot kamen wieder nebeneinander aus dem Zimmerchen herein. Degebrot – noch stärker gerötet von Wein, Reden und Hitze als vorher, bis auf die sonst helle Platte hinauf –, Degebrot sah wie der rote Ball auf dem Billard aus. In seinen Augen aber funkelte eine durch Angst gesteigerte Entschlossenheit. (Wasser hat keene Balken!)

»Nun, mein Freund«, meinte Frau Antonie und erhob sich vom Instrument und schloß leise den Deckel, »seid ihr mit eurer Unterredung ins reine gekommen?«

»Die Herrschaften müssen nochmals entschuldigen«, meinte Eduard Schön und erweckte in dem oder jenem wirklich die Vorstellung, als ob er sich vielleicht schon vorher entschuldigt hätte. In Wahrheit hatte er über dem stundenlangen Gespräch ganz vergessen, daß er Gäste hatte. Das fiel ihm erst jetzt wieder ein. »Aber wollen Sie nicht weitertanzen? Antonie, du tanzt doch gewiß auch gern? Vielleicht spielt mal ein anderer. Ich kann ja leider die neuen Tänze nicht mehr, und außerdem habe ich es seit...«, er wollte sagen dreißig Jahren, aber er besann sich, »seit längerer Zeit nicht mehr versucht. Ich bin aus der Übung.«

»O nein«, ergriff der Geheimrat das Wort, »ich danke Ihnen, lieber Schön senior, vielmals. Es war ganz reizend, gnädige Frau, aber ich glaube doch, unsere Zeit ist gekommen. Wenigstens meine. Nochmals vielen Dank.«

In alle kam Bewegung. Der Geheimrat hatte eine prächtige Art, sich so geräuschvoll, auffällig und ostentativ zu verabschieden, daß keiner, und wäre er auch der Hartgesottenste, mehr bleiben konnte. Mochten die Wirte dagegen Einspruch erheben, soviel sie wollten, es wäre noch früh, doch gerade so nett, fange erst an ..., es nützte nichts: die Gäste rissen aus wie Schafleder.

Frau Aurelie winkte Hannchen unauffällig, wie sie meinte, mit den Augen: sie möchte sich von Heinrich und ihren Freundinnen loslösen und zu ihnen stoßen.

Maltitz trat auch vor und verbeugte sich tief vor der Hausfrau.

»Ich glaube, man geht, gnädige Frau. Darf ich Ihnen die Hand küssen?« Jetzt war er das erste Mal der junge Regierungsbeamte, ganz soigniert, ganz Verbeugung, Lächeln, fast Erröten – nichts mehr von dem saloppen Spötter von vordem. »Als Friedrich der Große aus dem Siebenjährigen Krieg kam, stellte man zwei Statuen ihm zu Ehren auf. Einen Herkules mit einer Leier und einen Apollo mit einer Keule. Der große Dichter, der zugleich der große Schlachtenlenker ist, und der große Kriegsmann, der zugleich der große Schriftsteller ist. So will ich jetzt für Sie in meinem Herzen ein Standbild errichten der ›glauchopis‹, der Pallas Athene, die statt des Gorgoschildes eine Bratenschüssel trägt: die kluge Gesellschafterin, die zugleich die liebenswürdigste und aufmerksamste Wirtin ist.«

»Ja, das ist wahr«, rief Melanie von Myaskowski, lustig, froh und famos, wie es ihre Art war (die anderen hatten auch zugehört). »Sie gefallen mir überhaupt, gnädige Frau. Ich glaube, wir beide – verstehen Sie: wir, nicht die anderen – würden sehr gut zusammenpassen. Warum sind Sie eigentlich immer so réservé? Das muß anders zwischen uns werden. Sie meinen wohl, ich spaße; es ist mein Ernst.«

Alles lachte. Frau Antonie kam gar nicht zur Antwort, so lachte sie. Sie hatte Tränen in den Augen vor Vergnügen. Heinrich sah zu ihr hinüber. War das noch die gleiche, die vorhin ihm übers Haar gestrichen, die eben nur für ihn gesungen? Wo war er jetzt für sie?

Betty Dietrich und Klärchen von Türk machten tiefe Hofknickse, »Révérence«, küßten Frau Antonie die Hand und sagten dabei etwas von ihren Eltern.

Draußen auf dem Podest der Treppe, die ganz taghell erleuchtet war von den kurzbeinigen, pausbäckigen Putten, die die großen Glasballons trugen, standen noch zum Überfluß die beiden unnatürlich echten Lohndiener in ihren Eskarpins starr und steif wie ausgestopft, und jeder hielt in erhobenem Arm einen dreikerzigen silbernen Leuchter, um die Gäste die Treppe hinabzugeleiten. Und wie sie heraufgekommen, so gingen sie langsam, paarweise – stufensuchend die Alten – wieder hinab. Und in zehn Minuten war das Haus leer und still, nur die Petzel huschte herum wie Puck, die Lichter löschend.

Heinrich Schön wäre noch gern ein wenig ins Freie gegangen, hätte Maltitz begleitet, oder er wäre Mühlensiefens nachgelaufen, um sich für ein Stück ihnen anzuschließen. Denn, wie das so kam, er hatte sich von Hannchen kaum verabschiedet. Er hatte Sehnsucht danach, einen klaren Kopf zu bekommen, sich auszulaufen in der Nachtkühle. Vielleicht war das ja alles nur Trug und Einbildung – etwas, das wieder schwand, wie es gekommen. Aber er mußte doch noch einen Augenblick seinen Vater sprechen: Was man beschlossen, wie die Unterredung geendet...

Er – Heinrich Schön – war sehr dagegen, daß man Degebrot nach Rio schicke. Das konnte er natürlich in dessen Beisein nicht sagen. Ebensogut konnte man Wilhelm, den Hausknecht, hinausschicken. Der hatte die gleichen Sprachkenntnisse: nur Deutsch – und das falsch, aber mehr – Manieren. Und von der Seide verstand er auch genug. Man müßte irgend jemand anders finden als diesen Degebrot, der vielleicht für die Kunden in Cottbus und Glauchau der richtige Mann ist, aber nicht für die draußen; einen anderen, der zum mindesten französisch spräche und sich spanisch oder portugiesisch verständigen könne – irgend jemand. Wenn er nicht jetzt heiraten würde, würde er ja selbst gern... (Ucucuripalmen – woher das Maltitz wieder hatte?) Man könne ja auf dem Schiff schon Portugiesisch lernen. Zeit genug hätte man. Man wird schon jemanden finden, der einen unterrichtet. Und ein paar Worte, genug, um einen Brief zu entziffern, verstände er ja schon.

Aber Heinrich kam nicht so recht dazu, seinem Vater das auseinanderzusetzen.

Eduard Schön saß mit Frau Antonie und den alten Arnsteins – denn die blieben die Nacht über hier unten, hinten im Gartenzimmer mit der weißen Sternendecke, wo die Stille der Nacht draußen, gerade vor den Fenstern und den geöffneten Türen, über den hohen Wipfeln mit rötlich verschleierten Sternen lag und es feucht, kühl und würzig von allerhand atmendem Pflanzenwerk hereinkam. Und er plauderte noch höflich, hin und wieder hinter geschlossenen Fingern leise und unterirdisch gähnend.

»Nun«, fragte Heinrich, »was ist denn noch geworden mit Degebrot?«

»Morjen is auch 'n Tag«, meinte Eduard Schön, absichtlich noch stärker gähnend. Es ist schon ein bißchen spät heut abend.«

Dummkopf, hieß das, wenn ich hier vor den alten Arnsteins darüber rede, können wir es ebensogut in die »Tante Voß« setzen lassen.

»Ja«, meinte Frau Antonie; sie war nicht müde – dreiundzwanzig Jahre werden nicht müde. (Wundervoll, wie sie mit halbgedrehtem Kopf da in der flackernden Kerzenbeleuchtung in dem grünen Raum mit dem meergrünen Kleid sitzt und hinter ihr durch das Fenster der offene Himmel sich auftut! Warum ist man nicht Maler! dachte Heinrich.) »Ja, aber die Wasserfahrt machen wir doch mal.«

»Ganz gewiß«, sagte Heinrich. Am liebsten gleich, setzte er für sich hinzu. Jetzt ist es draußen wundervoll – ich kenne das.

Eduard Schön wurde munter – was war das?

»Hör mal, Toni«, meinte Frau Arnstein, »ich würde an deiner Stelle nicht aufs Wasser gehen.«

Frau Antonie überhörte so etwas mit Sicherheit.

»Wir haben uns nämlich verabredet, Eduard; wir wollen mal nächstens eine Kahnfahrt machen, alle zusammen«, setzte Frau Antonie etwas verlangsamt hinzu. Lügen stand ihr schlecht. »Ich freue mich schon so darauf. Alle haben sie geschwärmt, wie hübsch Potsdam vom Wasser aus daläge, und ich kenne das nicht.«

»Gewiß, mein Kind«, entgegnete sehr liebenswürdig Eduard Schön mit jener fast chinesischen Liebenswürdigkeit, die deutlich sagt: Ich habe natürlich nichts dagegen, aber ich hoffe, du wirst es nicht tun. »Gewiß, wenn es dir Freude macht, fahre ruhig mal mit den jungen Herrschaften mit. Es ist sehr reizend. Ich habe so etwas ja früher auch gemacht – und oft, jeden Sommer. Aber ich mache es nicht mehr. Ich kann es nicht. Vor drei Jahren, wie ich da sechs Wochen an Ischias gelegen habe – ich glaube, ich habe dir davon erzählt, mein Liebling –, das habe ich nur von einer Dampferfahrt auf der ›Prinzeß Charlotte‹ bekommen. Weißt du, die neulich an der Glienicker Brücke den Schornstein abgebrochen hat! Seitdem mache ich das nicht mehr. Wozu – es geht auch so. Aber das ist ganz gewiß kein Grund, daß du es nicht sollst, mein Liebling.«

»Ich verstehe dich nicht«, sagte wieder die alte Arnstein kopfschüttelnd, mit dem ängstlichen Gegacker eines Huhns, das Enteneier ausgebrütet hat. »Mich bringen nicht zehn Pferde auf so einen Dampfer 'rauf. Nachher geht das Ding in die Luft ..., alles schon dagewesen.«

Frau Antonie war unmutig aufgestanden. »Na«, sagte sie, »wollt ihr mal sehen, ob ich euch gut untergebracht habe?«

»Ach ja«, meinte Eduard Schön – er hatte wieder alle Grabstichelfalten –, »ich bin auch müde. So nett es ist, mal mehr Menschen um sich zu haben, der hübscheste Augenblick ist es doch eigentlich, wenn man sich erst sagen kann: Nu sind se wieder weg.«

»Ihr zukünftiger Schwiegervater«, piepste Frau Arnstein und pflanzte sich vor Heinrich auf, »ist sogar ein überaus charmanter Mann. Ich habe lange mit ihm geplaudert. Und Ihre Braut – wirklich ein reizendes Geschöpf!«

»Gute Nacht«, rief Heinrich. »Nacht, meine Herrschaften. Vielleicht spreche ich dich noch morgen, Vater, bevor ich nach Berlin fahre.«

Heinrich Schön ging langsam hinauf. Er hatte das ziehende Gefühl oben zwischen den Schulterblättern, als ob ihm ein paar Augen nachsahen, und er zwang sich, sich nicht noch einmal in der Tür umzublicken. Seltsam – er war freier als sonst. Es war wie eine Entspannung. Alles schien ihm wieder klar, eben und verständlich. Es schien ihm, als ob er plötzlich aus einem wochenlangen Halbschlaf erwacht war und nun sah, daß die Welt ja ganz anders war, die Dinge real und wirklich. Wie hatte er sich nach der leisesten Gunst von dieser Frau gesehnt. Er konnte es ja gar nicht sagen, er wagte sich ja dessen selbst gar nicht bewußt zu werden. Und nun war eigentlich alles erfüllt, was er gar nicht zu hoffen gewagt hatte. Er stand ihr plötzlich anders gegenüber: freier, vertrauter, kameradschaftlicher. Sicher hatte sie ihm übers Haar gestrichen; nein, das redete er sich nicht nur ein! Er spürte ja ihre kleinen Finger noch dahinten am Hinterhaupt, spürte noch, wie die kurzen Haare sich dort unter der Berührung leise prickelnd sträubten und wieder zurückschnellten. Nein, nein, es war wahr, war unbestreitbar. Nun ja, das bei dem Singen, das redete er sich vielleicht ein, das mochte ja Zufall sein, galt ihm gar nicht. Sie singt eben mit Empfindung. Wie sagte Maltitz: Sie weint ihre ganze Seele aus. Nein, das galt wohl nicht mir. Aber warum hat sie dann abgebrochen, wie ich hereintrat? Nun ja, sie hat eben lange nicht gesungen, fühlte sich unsicher, hat sich übernommen damit, vielleicht auch zu hoch angefangen.

Und plötzlich kam es Heinrich Schön wieder, daß er ja so kurz vor der Ehe stand, und er versuchte, sich Hannchen vorzustellen. Er war wieder ganz gefangen von ihrer großen, blonden, strohfarbenen Schönheit. Er erinnerte sich plötzlich an tausend liebe, kleine Züge von ihr. Er hatte ihr vielleicht manchmal in seinen Gedanken weh getan, unrecht; sie hatte ihm nie weh getan: immer gut, freundlich, hingebend. Er war doch eigentlich ein schlechter Hund.

Aber langsam, als er sich auskleidete, kam doch wieder das andere, das von früher, das von vordem, von den letzten Wochen, all die Phantasien und Träume, all die Ekstasen der Anbetung, all die Versinnlichungen der Vorstellungen kleiner Worte, zufälliger Bewegungen. Es kam wie ein dünner, flatternder Nebel, der sich vor einen Berg legt. Eben war er noch klar, lag scharf umrissen mit Wiesen, ansteigenden Wäldern, mit den immer kleiner werdenden Tannen, mit dem grünen Sammet seiner Knieholzhänge, mit toten Schurren und silbernen Fäden der Bachgerinnsel und Wasserfälle, mit all seinen Falten und Klippen, mit Schründen und Steilheiten, mit der wundervollen Kontur seines Felsrückens, mit dem köstlichen Wechsel von Schatten und Licht, mit dem Weiß letzter Schneefelder – klar gegen einen reinen, blauen, blankgewehten Himmel. Doch plötzlich kam da irgendwo über einem Hang ein kleiner weißer Fetzen Nebel hoch, ein Wölkchen, ein Nichts, ein Hauch, ein Stück zerrissenen Schleiers, mit dem der Wind spielen will. Aber es ließ nicht mit sich spielen, es klammerte sich an die Spitzen der Tannen, schwankte, glitt, stieg aufwärts, zog einen Gazeflor über die Wiese, und wo es hinkam, strömten ihm andere Schleier zu. Es kroch in den Falten des Berges empor und füllte sie aus; es legte sich oben über neue, unberührte Wälder, daß alles erstarb und erlosch und nur die letzten Zacken der Wettertannen wie Schattenbilder durch das Grau sahen. Noch sahen ja die Felsen darüber starr und unbesiegt aus dem ziehenden Meer, einem Meer mit Wogen von Milch, von Qualm, von flackerndem Rauch, und taten stolz mit ihrer herrlich gezackten Kontur, stolz auf dem blauen Himmel über sich; aber schon schob es sich heran, legte sich gleichsam mit den beiden Armen um den Fels – so wie ein Ringer seine Arme um den Leib des Gegners, langsam sich reckend, immer höher schiebt, bis er ihn ganz umspannt und zu Boden schleudert.

Es fraß alles, ein Stück nach dem anderen. Jetzt war da oben noch einen Augenblick lang ein Schneefeld+..., eine Felskuppe+..., dann ein Kreuz, und dann war auch das bezwungen. Und das graue, formlose Wogen dafür, schwer, zäh, willenlos, niederdrückend.

So erging es Heinrich Schön. Irgendwo in ihm stieg wieder ein ganz kleiner Gedanke, eine Erinnerung an den Wortklang eines Satzes, den sie heute abend gesprochen, empor. Und dann kam das andere hinzu, aus allen Ecken und Enden, aus den Wiesen und Tälern und Wäldern und Abgründen, und bald war jedes wieder verschwunden: der blaue reine Himmel und der Blick auf die ragenden Berge. Und Heinrich Schön war wieder ganz beherrscht von diesen halbbewußten Vorstellungen, diesen Tagträumen, diesem wogenden, milchgrauen Nebel, diesem angestrengten Denken ohne Gedanken, dahinten irgendwo in seinem Hirn.


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